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Innenpolitik

Gegen Sozialabbau: Die Bewegung aufbauen, internationalisieren und demokratisieren

Von B.B. | 01.04.2004

Während die „Reformen“ der Bundesregierung das soziale Netz zerreißen, steckt die Bewegung gegen den Sozialabbau noch in den Kinderschuhen.

Während die „Reformen“ der Bundesregierung das soziale Netz zerreißen, steckt die Bewegung gegen den Sozialabbau noch in den Kinderschuhen.

Kaum sind die „Reformen" zur Erwerbslosigkeit (Hartz III, IV) und im Gesundheitsbereich durch den Bundestag gepeitscht, da droht das nächste „Jahrhundertwerk" der Bundesregierung – die „Reform" der Rente. Dabei reißt die SPD-Grüne Regierung mit der Entlastung des Kapitals, auf die alle „Reformen" hinauslaufen, nur neue Finanzlöcher auf. Weitere und tiefere Einschnitte in das soziale Netz kommen auf uns zu – in der BRD, in der EU, weltweit.

Doch auch der Widerstand gegen die Globalisierung und ihre neoliberalen Folgen ist international. An erster Stelle steht Lateinamerika mit den Bewegungen in Bolivien und Argentinien. In Europa sind die Proteste nicht nur auf Griechenland, Frankreich oder Italien beschränkt. Selbst in Österreich kam die ArbeiterInnenklasse gegen Sozialabbau in Bewegung.
Kaum Rückwirkungen?
Weder die „Reformen" der SPD-Grünen Regierung – tatsächlich in Großer Koalition mit CDU/CSU, FDP und Kapitalverbänden – noch die beispielhaften Kämpfe in anderen Ländern haben die Lohnabhängigen in der BRD zu nennenswerten Protesten angestachelt. Die Mobilisierungen, die nötig wären, um Schröders „Reformen" zu kippen, blieben bisher aus. Aber auch wenn sich nach außen noch nichts tut, unter der Oberfläche gibt es Veränderungen, die vor allem das Verhältnis der ArbeiterInnenklasse und der Gewerkschaften zur SPD betreffen. Bisher verhinderte die Nibelungentreue der Gewerkschaftsbürokratie zu ihren Genossen Ministern ernsthaften und rechtzeitigen Widerstand. Jetzt beginnt die Regierungsloyalität selbst in den höheren Gewerkschaftsetagen zu bröckeln. Wenn Gewerkschaftssekretäre mit öffentlichen Erklärungen aus der SPD austreten, dann zeigt das eine zunehmende Kluft zwischen SPD und Gewerkschaften an, die unter Vertrauensleuten, Betriebsräten und bewussteren Schichten der Lohnabhängigen viel stärker ist als etwa im Frankfurter Hochhaus der IG Metall. Die Distanzierung der ArbeiterInnenklasse von der SPD ist Voraussetzung wie Ergebnis von Aktionen gegen den Sozialabbau.
Proteste in den Betrieben
Erste Protestaktionen gegen die Agenda 2010 gab es in der Metallindustrie in Baden-Württemberg, dort, wo das Herz der ArbeiterInnenklasse schlägt. Den Anfang machten die KollegInnen von Alstom in Mannheim. Sie demonstrierten konzernweit gegen Arbeitsplatzabbau vor der Alstom-Zentrale in Paris. Im Raum Mannheim stellten sie ein Bündnis auf die Beine, das nicht nur für Arbeitsplätze, sondern auch gegen Sozialabbau wirbelt. Zwar kamen zu einer Demonstration am 27. September nach Mannheim „nur" 2.500 Menschen. Aber es waren überwiegend ArbeiterInnen; rund 30 Belegschaften waren zumindest mit kleinen Delegationen vertreten, die ein bis mehrere Dutzend Lohnabhängige zählten.

Bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen legten am 7. Oktober über 1.000 KollegInnen die Arbeit gegen Sozialabbau und für den Erhalt der Tarifautonomie nieder. Einen Tag später streikten über 1.500 Lohnabhängige bei Bosch in Stuttgart-Feuerbach und über 1.800 KollegInnen bei Daimler/Chrysler in Stuttgart für die gleichen Ziele. Was fehlt ist, dass sich die Aktiven von Mannheim und Stuttgart in ihren Protesten vereinigen.
Proteste der Gewerkschaften
Die Aktionen der Gewerkschaften gingen nicht von der IG Metall, sondern vom öffentlichen Dienst aus. Das Programm der Großen Koalition von Steinbrück (SPD) und Koch (CDU) heizte in NRW und Hessen die Proteste an. In NRW demonstrierten am 24. September 30.000 Beschäftigte gegen die beabsichtigten Kürzungen und den Abbau von 11.000 Arbeitsplätzen durch Arbeitszeitverlängerung von 38,5 auf 41 Wochenstunden im Öffentlichen Dienst. Kleine Aktionen mit wenigen hundert Beschäftigten fanden am 18. Oktober in Duisburg und Essen statt. In Hessen gingen am 15.10 Zehntausend auf die Straße, um gegen Kochs Sparkurs zu demonstrieren.
Proteste von sozialen Initiativen
Bevor die Gewerkschaften oder die KollegInnen von Alstom, Porsche, Bosch und Daimler/Chrysler in Bewegung kamen, hatten andere schon längst die Vorreiterrolle übernommen. Anti-Hartz-Bündnisse, Sozialhilfeinitiativen, Erwerbslosengruppen und die Gewerkschaftslinke waren seit langem aktiv, fanden aber wenig Echo. In jüngster Zeit nahmen Sozialforen, lokale Bürgerentscheide gegen die Privatisierung städtischer Dienstleistungen und attac-Gruppen den Kampf gegen den sozialen Kahlschlag auf. In Köln konnte das Sozialforum am 1. Juli über 1.500 Menschen gegen die „Reformen" auf die Straße bringen.
Drei Quellen der Bewegung
Somit speisen sich die Proteste gegen den Sozialabbau aus drei unterschiedlichen Quellen: Aktionen von kämpferischen Belegschaften der Metallindustrie in Baden-Württemberg; Demonstrationen von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in NRW und Hessen und drittens durch die verschiedensten Initiativen gegen den sozialen Kahlschlag. Leider sind diese drei kleinen Bäche des sozialen Protestes noch nicht zu einem Strom zusammengeflossen. Dazu ist es nötig, die Bewegung aufzubauen, zu demokratisieren und zu internationalisieren.
Die Bewegung aufbauen
An einigen Orten gibt es seit langem Initiativen, die gegen die Verschlechterung der sozialen Lage aktiv sind, wenn auch meist ohne Verbindung zu Gewerkschaften und Belegschaften. Wo Basisstrukturen existieren, ist es leichter möglich, örtliche Aktionseinheiten aufzubauen. Andernorts gibt es nicht einmal einzelne Initiativen. Hier steht die Bewegung ganz am Anfang. Es gilt, die Bewegung von unten über Aktionsgruppen und Aktionseinheiten zu entwickeln. Dies ist möglich, weil ein Großteil der Bevölkerung vom Sozialabbau betroffen ist, wenngleich ihn auch viele (noch) resigniert hinnehmen.
Die Bewegung internationalisieren
Beim Aufbau der sozialen Bewegung, von Aktionsbündnissen, von ihrem Hineinwirken in Betriebe und Gewerkschaften können wir sicherlich von den Erfahrungen fortgeschrittenerer Bewegungen in anderen Ländern lernen. Zu einem solchen Meinungs- und Erfahrungsaustausch trafen sich Ende letzten Jahres auf dem Europäischen Sozialforum (ESF) in Florenz 50.000 Aktive. Sie diskutierten über die Kriegsgefahr, die Globalisierung und den Neoliberalismus. 1 Million Menschen demonstrierten in den Straßen von Florenz. Vom 12.-16. November diesen Jahres trifft sich das 2. ESF in Paris. Wieder werden Zehntausende zum Sozialforum und Hunderttausende zur Demonstration erwartet. Schon jetzt wird über gemeinsame weltweite Aktionen gegen Sozialabbau diskutiert.
Die Bewegung demokratisieren
Eine Bewegung, die sich auf örtliche Aktions
gruppen, verbunden in Aktionseinheiten, stützt, muss sich eine demokratische Struktur geben. Bundesweite Aktivenkonferenzen müssen allen – auch linken Parteien und Organisationen – offen stehen. Doch wer dort abstimmt, muss von seiner örtlichen Aktionseinheit bzw. von seiner Basisgruppe mandatiert und legitimiert sein. Nur damit kann ausgeschaltet werden, dass bestimmte Organisationen zu Aktionskonferenzen oder zu Treffen zur Vorbereitung einer bundesweiten Demonstration wie der vom 1. November massiv ihre Mitglieder mobilisieren, die nicht in der sozialen Bewegung verankert sind, um sich in den Vordergrund zu spielen.
Eine parteipolitische Alternative schaffen
Mit dem Aufbau, der Internationalisierung und der Demokratisierung der Bewegung gegen den Sozialabbau erschöpfen sich aber nicht die Aufgaben der revolutionären MarxistInnen. Es gilt nicht nur, die Lohnabhängigen gegen die Reformen der Großen Koalition auf die Straße zu bringen. Wir müssen sie auch für eine parteipolitische Alternative gewinnen. Der Abwendungsprozess von der Sozialdemokratie schafft den Raum, zumindest die fortgeschrittenen Schichten der ArbeiterInnenklasse für eine andere, bessere, sozialistische Welt zu gewinnen. Das Mittel dazu ist eine Sozialistische ArbeiterInnenpartei. Auch, wenn niemand vorhersagen kann, wann und wie sich eine SAP bilden wird, so ist bei mehr und mehr GewerkschafterInnen eine Offenheit für eine linke, parteipolitische Alternative festzustellen.

 

Kinderkrankheiten
Die Bewegung gegen den Sozialabbau steckt noch in den Anfängen. Das Hickhack zwischen der „Berliner“ und der „Hannoveraner“ Vorbereitungsgruppe (u. a. zwischen PDS, DKP, Linksruck einerseits und MLPD andererseits) um RednerInnen auf der Berliner Demo konnte nur abstoßend auf diejenigen wirken, die in Berlin demonstrieren wollen. Die Genannten setzten sich über den Beschluss der Frankfurter Aktionskonferenz, die selbst nicht sehr demokratisch war, hinweg, dass nämlich nur drei RednerInnen der Gewerkschaftslinken, der Anti-Hartz-Initiativen und der Erwerbslosen reden sollten. Das Hickhack beweist, dass die Bewegung bisher weder breit noch demokratisch ist.

B.B.

 

 

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