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Innenpolitik

Gegen Kochs Sparplan

Von Korrespondent Wiesbaden | 01.04.2004

Ähnlich wie in anderen Bundesländern wird auch in Hessen kräftig gespart – ausschließlich auf Kosten der Lohnabhängigen und Armen. Innerhalb weniger Wochen jedoch hat sich eine Protestwelle entwickelt, die in ihrer Breite zurzeit alles andere in der Republik in den Schatten stellt.

Ähnlich wie in anderen Bundesländern wird auch in Hessen kräftig gespart – ausschließlich auf Kosten der Lohnabhängigen und Armen. Innerhalb weniger Wochen jedoch hat sich eine Protestwelle entwickelt, die in ihrer Breite zurzeit alles andere in der Republik in den Schatten stellt.

Kochs Streichliste greift auf zwei Ebenen an: Zum einen wird für LandesbeamtInnen die Arbeitszeit deutlich erhöht, und das bei gleichzeitig sinkenden Bezügen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden gekürzt). Die Anhebung der Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Sunden bedeutet eine Arbeitszeitverlängerung von 9%, was Tausenden von Menschen den Eintritt in eine Erwerbstätigkeit verwehren wird und damit die Arbeitslosenzahlen nach oben treiben wird.

Zum Zweiten streicht Koch ganz erheblich die Landesmittel für die sozialen Dienste sowie im Erziehungsbereich. Gekürzt wird ganz selbstredend nicht bei den mit Landesmitteln geförderten privaten Eliteschulen. Die Streichliste betrifft 5% des Landeshaushalts, macht aber 35% der Sozialzuschüsse aus. Damit werden bei den sozialen Diensten viele KollegInnen entlassen, nicht wenige müssen ganz dicht machen. Dies reicht vom psychosozialen Dienst für die Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen über Frauenhäuser, Schuldnerberatungsstellen (die jetzt überhaupt keine Mittel mehr erhalten) und die Familienberatung bis zur Drogenberatung und zur Beratung ausländischer KollegInnen. Unmittelbar stehen damit 1000 Arbeitsplätze in diesen Bereichen zur Disposition. Bei den LehrerInnen werden 1000 Stellen "eingespart" usw. Kochs Streichliste wird ca. 15 400 Arbeitsplätze kosten.

Schlimmer ist noch die damit ausbleibende Hilfe gerade für die am meisten bedürftigen Menschen. Die aktuellen Schätzungen gehen von 300 000 bis 900 000 (in dem Fall mit den Familienangehörigen) Menschen aus, die künftig sich selbst überlassen bleiben, von den sozialen Folgekosten einer solchen Politik mal ganz abgesehen.

Deswegen haben sich innerhalb weniger Wochen nicht nur die in diesem Bereich Arbeitenden mobilisiert. Bei der Demonstration am 15. Oktober protestieren 10 000 Menschen in einer sehr bunten und engagierten Demo gegen Kochs Streichorgie, mit der übrigens gleichzeitig politisch unliebsamen Projekten der Garaus gemacht werden soll. Dass allein die Kundgebung mit vielen engagierten RednerInnen aus den unterschiedlichsten sozialen Bereichen, Beschäftigten und Hilfebedürftigen zwei Stunden dauerte, war ein Gradmesser für die angestaute Wut wie auch für die Freude über die große TeilnehmerInnenzahl.
Tiefer greifende Motivation
Schon vor der Demo gab es eine nicht enden wollende Flut von Resolutionen aus Belegschaftsversammlungen, Elternbeiräten usw., dass sogar die konservative Presse nicht mehr daran vorbei konnte. Wenn so kurz nach Verkündung von Kochs Sparplänen eine breite Protestwelle angerollt ist, dann hat dies tiefer liegende Ursachen. In vielen Resolutionen wird der Zusammenhang zur Sparpolitik der Bundesregierung und der Kommunen hergestellt. Vielen Menschen ist schon seit geraumer Zeit das Maß voll, aber es fehlte ein Termin, an dem sie sich einbringen konnten. Der Aufruf zur Demo am 15. Oktober war schon vom Ansatz her ein glaubwürdiger und deshalb erfolgreich.

Erleichternd für die Mobilisierung ist aber auch, dass in diesem Fall – man könnte sagen "zufällig" – die CDU an der Regierung ist. Dadurch haben die SozialdemokratInnen, die in den Wohlfahrtsverbänden noch sehr stark vertreten sind, keine Motivation gehabt, den Protest abzuwürgen. Ja, einige sozialdemokratische Funktionäre, die mit den sozialen Diensten gar nichts am Hut haben, waren auch auf der Demo vertreten, letztendlich, um auf der Welle des Protestes ihr durchsichtiges Süppchen zu kochen, nach dem Motto: ‚Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Politik der Bundesregierung und Kochs Sparplan, ihr müsst halt nur beim nächsten Mal den Koch abwählen, dann ist alles wieder in Butter!’

Je mehr aber der Protest voranschreitet, je mehr er sich politisiert und die Menschen sich organisieren, desto durchsichtiger werden diese Manöver. Ein Gradmesser für die neu einsetzende Bewegung ist z.B. die breite Beteiligung am Wiesbadener Sozialforum, das noch vor Bekanntwerden von Kochs Sparplan entstand.
Aktionstag 18. November
Spannend für uns in Hessen wird der 18.11.2003 sein. An diesem Tag werden die DGB-Gewerkschaften gegen die Arbeitszeitverlängerung demonstrieren. Die LehrerInnengewerkschaft GEW ruft schon seit Wochen für diesen Tag zur Arbeitsniederlegung auf, was für BeamtInnen bei der gängigen Rechtsprechung keine Kleinigkeit ist. Zunächst waren viele LehrerInnen zwar von der Berechtigung des Aufrufs überzeugt, aber sie waren skeptisch. Dies hat sich mit dem 15. Oktober für sehr viele KollegInnen schlagartig verändert. Dies zeigt erneut, dass in Zeiten von Massenaktionen das Bewusstsein richtige Sprünge macht.

Inzwischen hat der DGB Hessen zum "Tag der Verweigerung" aufgerufen. Unterstützt wird dies von den Gewerkschaften IG BAU, IG BCE, GdP, GEW und Ver.di, dem Bündnis "Soziale Gerechtigkeit in Hessen (hauptsächlich den Wohlfahrtsverbänden) und der Initiative der hessischen Asten für eine gebührenfreies Studium, denn Koch plant auch die Einführung von Studiengebühren.

Diese Demo am 18.11.in Wiesbaden beginnt als Sternmarsch um 11.00. Die Kundgebung ist um 13.00 Uhr. Wir GewerkschaftsaktivistInnen in Wiesbaden gehen von Zehntausenden aus dem Öffentlichen Dienst aus, die teilnehmen werden und damit de facto streiken werden. Mit dieser Aktion beweist der DGB: Man kann sehr wohl auch in der Bundesrepublik einen politischen Streik führen und sogar dazu aufrufen! Hätten die Gewerkschaftsführungen zur Demo am 1. November in Berlin aufgerufen, wären Hunderttausende gekommen. Der 1. und der 18. November dürfen nur ein Auftakt sein!

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