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Feminismus

Frauenaufbruch Herbst 1989

Von Barbara Schulz | 01.11.2009

„Wer sich nicht wehrt – kommt an den Herd“! Das war der Slogan von Frauen bei der Demo am 3. 12. 1989 in Berlin. Das zeigt, wie schnell Frauen begriffen haben, wie massiv sich ihre Situation verändern könnte.

„Wer sich nicht wehrt – kommt an den Herd“! Das war der Slogan von Frauen bei der Demo am 3. 12. 1989 in Berlin. Das zeigt, wie schnell Frauen begriffen haben, wie massiv sich ihre Situation verändern könnte.

Mit dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) gab es in der DDR eine Frauenorganisation, die ursprünglich Ost- und Westdeutschland umfasste, aber mit der fortschreitenden Trennung zerstört wurde. Ein Verbot im Westen und eine Unterordnung im Osten war das Ergebnis. 1964 wurde das Statut des DFD geändert, so hieß es nun: „Der Demokratische Frauenbund Deutschlands anerkennt die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei, die mit ihrer Politik die Forderungen der Frauen nach Frieden, Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenwürde verwirklicht. Ihre Beschlüsse sind Richtschnur für die Tätigkeit der Organisation.“ Damit hatte der DFD sich selbst an die Leine gelegt.

Daneben entwickelte sich erst sehr spät eine autonome, selbstbestimmte Bewegung, anfangs innerhalb der Kirche. Die Politik des Staates gab den Frauen ein gewisses Bewusstsein der Emanzipation. Frauen wurden als Werktätige gebraucht, es gab Kindereinrichtungen, die die Berufstätigkeit ermöglichten, am 8. März, dem Weltfrauentag, wurden sie geehrt. Vielerorts gab es Ausflüge aus diesem Anlass, die zu eigentümlichen Ritualen werden konnten. So tafelt eine Gruppe fröhlicher Frauen in der Kyffhäusergaststätte, begleitet von einem Mann mit Aktentasche, dem Gewerkschaftssekretär, der die Rechnung bezahlen durfte. Da kamen schon mal Ideen auf, den 8. März mit einer Modenschau und Misswahl zu verbinden.

Es wurde unruhig unter den Frauen im Herbst 1989. Es gab am 19./20. September ein Treffen von Frauengruppen in Erfurt. Lilo – lila Offensive –  setzt sich für die Interessen der Frauen ein und fordert auf der Demo am 4.11. „Frauen in die Offensive.“ Hier taucht auch der schöne Text auf: „Es gibt nur zwei Wahrheiten auf der Welt: „1. Männer sind klüger als Frauen. 2. Die Erde ist eine Scheibe.“ Die Frauen sprachen von einem „Prozess der sozialistischen Erneuerung“. Die Montagsdemos, die Kundgebungen brachen Strukturen auf, die Grenzöffnung am 9.11. veränderte die Lage entscheidend. So wurde auf dem Folgetreffen von Erfurt am 2.12. zur Teilnahme am Frauentreffen in der Volksbühne am folgenden Tag aufgefordert. Die Schauspielerin Wahlfriede Schmitt hatte eingeladen und 1200 Frauen kamen. Hier wurde ein Manifest angenommen als provisorisches Gründungsprogramm des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV). Der UFV entsandte eine Vertreterin zum Zentralen Runden Tisch. Wie deutlich den Frauen war, was ihnen zugemutet werden sollte, zeigt auch ein Flugblatt zur kohlkritischen Demo am 19.12.1989. „Nach Appetithäppchen – kommt Kohl-Suppe.“
Der Unabhängige Frauenverband  hatte seinen Gründungskongress am 20. Februar 1990 in Berlin. Das Statut sah eine Vereinigung natürlicher Personen vor. Die Struktur war demokratisch, manche sagen sogar rätedemokratisch. Vorgesehen war ein jährlicher Kongress, dazwischen monatliche Arbeitsausschüsse, Beschlüsse sollten mit zwei Drittelmehrheiten fallen, „Bürofrauen“ sollten bezahlt werden, Frauen in politischen Funktionen nicht. Finanziell war einiges möglich, weil es eine Anschubfinanzierung für solche Vereinigungen gab.
Der Kampf gegen den § 218
Richtig deutlich wurden die Konsequenzen für Frauen mit dem Anschluss an die BRD beim Kampf um den § 218 (s. Kasten).  Das Problem des Schwangerschaftsabbruchs war sehr umstritten. Das zeigte sich auch daran, dass nur in dieser Frage die Einstimmigkeit der Volkskammerbeschlüsse durchbrochen wurde. Einige CDU-Abgeordnete durften mit Nein stimmen, als das Gesetz beschlossen wurde. Die DDR-Regierung beantwortete die Diskussionen und Kämpfe im Westen mit der Ablösung des seit 1950 geltenden restriktiven Indikationsmodells durch eine Fristenlösung. Frauen konnten über den Abbruch in den ersten 12 Wochen selbst entscheiden, der Abbruch musste aber stationär in einer Klinik vorgenommen werden. Diesem Gesetz vom 1.3.1972 ging keine öffentliche Diskussion voraus, die DDR hatte aber eine Regelung, die in der BRD von Frauen gewünscht wurde. Mit dem Gesetz, das am 18.6.1974 beschlossen wurde, sollte Ähnliches erreicht werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte es aber für verfassungswidrig. Erst ab 1976 gab es in der BRD eine Indikationslösung, die außer der medizinischen, kriminologischen und eugenischen auch eine soziale Indikation erlaubt, zuvor gilt es Beratung, Indikation und Abbruch jeweils bei anderen Stellen zu durchlaufen. Das ist nicht ganz einfach, aber es war eine Lösung. Die Versuche, das Rad zurückzudrehen, hielten und halten allerdings an. Mit dem Anschluss erwachten die Frauen in der DDR: Hatte es zuvor keine Diskussionen und keine Kämpfe gegeben, so wurde doch nun klar, was für Veränderungen anstanden. Zwar war die Zahl der Abbrüche – 100 000 bis 80 000 – geheim geblieben, aber jede Frau war sich ihres Rechts bewusst. Da gleichzeitig auch die sozialen Sicherheitssysteme zerbrachen und die Ewiggestrigen sich wieder mausig machten, gab es Widerstand, gemeinsam in Ost und West. Die Gegner­Innen argumentierten aufs Absurdeste, etwa der Vorsitzende der „Katholischen Arbeitnehmer – Bewegung“ Alfons Müller, der meinte, es sei abwegig, „die menschenverachtende Abtreibungsregelung“ der Kommunisten zu übernehmen. Dass sich Frauen sterilisieren ließen, um die Chancen auf einen Arbeitsplatz zu erhöhen, war eine kapitalistische Errungenschaft.

Der UFV fordert neben der Fristenlösung die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung, später forderte er einfach die Streichung des § 218. Um diese Forderung gab es einen gemeinsamen Kampf. Es gab eine Übergangsregelung bis 1992. Und wieder wies das Verfassungsgericht einen Gesetzesentwurf zurück. Seit 1995 kann die Schwangere selbst entscheiden, sie muss sich einer Beratung unterziehen, bei der ihr Hilfen angeboten werden sollen, es folgt die Indikation und in der 12-Wochenfrist kann der Abbruch vorgenommen werden. Spätere Abbrüche unterliegen erschwerten Bedingungen.

Der UFV verlor immer stärker an Bedeutung, zwar hatte er sich dem Einfluss westlicher Feministinnen weitgehend entzogen, erhielt noch einige Zeit seinen Sprecherinnenrat aufrecht, 1995 mit Kommissarischen Sprecherinnen. Weder als Netzwerk noch als Verein hatte er eine echte Chance und löste sich am 13.6.1998 auf.

 

§ 218 – Ein Vergleich
Die wichtigsten Sätze des Strafgesetzbuches der BRD von 1970:
§ 218 (Abtreibung)
1) Eine Frau, die ihre Leibesfrucht abtötet oder die Abtötung durch einen anderen zulässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft
3) Der Versuch ist strafbar.

Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft der DDR von 1972:
§ 153
1) (…) Unterbrechung in eigener Verantwortung
2) Die Schwangere ist berechtigt, die Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach deren Beginn durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung unterbrechen zu lassen.

BRD 1995
§ 218 Schwangerschaftsabbruch  
1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft
(…)
3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft.

§ 218 a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn
1.    die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen.
2.    der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und
3.    seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
B.S.

 

 

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