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Frankreich: Entsteht eine neue soziale Protestbewegung?

Von Jakob Schäfer | 14.04.2016

In vielerlei Beziehung will die französische Regierung es der Schröderregierung gleichtun und einen beispiellosen Abbau von Sozialstandards, gewerkschaftlicher Rechte und von BürgerInnen-Freiheiten durchsetzen.

In vielerlei Beziehung will die französische Regierung es der Schröderregierung gleichtun und einen beispiellosen Abbau von Sozialstandards, gewerkschaftlicher Rechte und von BürgerInnen-Freiheiten durchsetzen.

Vieles davon wurde in den ersten 4 Jahren von Hollandes Amtszeit schon umgesetzt, ohne allzu viel Widerstand. Zu sehr sind die Kolleg­Innen geschockt und die Gewerkschaften sind desorientiert, haben sie doch gewaltige Illusionen in die PS-Präsidentschaft gehabt und noch bis vor Kurzem aktiv gefördert.

Inzwischen allerdings scheint sich ein breiterer Widerstand zu entwickeln, zumindest ansatzweise. Auslöser ist die Vorlage eines Entwurfs für die Reform des Arbeitsgesetzes. Offensichtlich hatte die Regierung mit einer weiter anhaltenden politischen Lähmung gerechnet, was aufgrund der ersten Stellungnahmen der Gewerkschaften gar nicht so abwegig schien. Schließlich erklärten sie, dass eine breite Mobilisierung noch nicht erforderlich sei, denn das sei erst möglich, wenn der endgültige Entwurf im Parlament zur Abstimmung stehe.

Doch diese Linie können die großen Gewerkschaftsverbände inzwischen nicht mehr so gut vertreten. (Die kleineren wie Solidaires sind schon länger für die Einleitung von gemeinsam organisierten Demos und weitergehender Kampfmaßnahmen.)

CGT und CFDT sind von unerwarteter Seite unter Druck geraten, nämlich von der jungen Generation, vor allem den Schüler­Innen und Studierenden. Diese haben sehr wohl begriffen, was mit der Durchlöcherung des Arbeitsgesetzes auf sie zukommt: noch schlechtere Aussichten auf Festeinstellungen, leichter durchsetzbare Kündigungen, längere Arbeitszeiten bei weniger Geld (mittels betrieblich umgesetzter Erpressung).

Schüler­Innen- und Studierendenstreiks

Inzwischen haben die Studierenden und Schüler­Innen drei große Aktionstage gehabt. Besonders breit getragen waren die Streiks vom 17. und 24. März. Für den letzteren schloss die Regierung zahlreiche Unis, damit die Studierenden sich dort nicht versammeln konnten. Das hat aber nur die Entschlossenheit der Aufbegehrenden gefördert. Am 31. März ist ein weiterer Höherpunkt zu erwarten.

In der Linken gibt es eine wachsende Einsicht, dass gemeinsames Handeln angesagt ist. Die Diskussionen reichen inzwischen bis in die PS hinein, in der es zwar keinen nennenswerten linken Flügel mehr gibt, aber die Angst greift dort um sich, dass die Regierung es übertreiben könnte und eine soziale Explosion provoziert.

Zur Erläuterung einiger Inhalte des neuen Arbeitsgesetzes zitieren wir aus einem Aufruf, der von Vertretern linker Organisationen herausgegeben wurde. Den vollständigen Text bringt die nächste Nummer der Inprekorr zusammen mit andere Texten zu Frankreich (www.inprekorr.de).

Wir brauchen mehr statt weniger Rechte! Gemeinsam gegen die geplante Reform des Arbeitsrechts!
In der laufenden Amtszeit von Hollande haben die Lohnabhängigen schon Rechte eingebüßt. Wir werden nicht hinnehmen, dass sie durch das geplante Gesetz der Arbeitsministerin El-Khomri noch weiter eingeschränkt werden. […]

Valls und Holland wollen das Arbeitsrecht abspecken. Zu wessen Nutzen?

[…] Hierzulande fällt nie ein Wort darüber, dass Lohnabhängige bei ihrer Arbeit verheizt werden. Sie sind die unbeschreiblichen Opfer eines ungenannten Wirtschaftskriegs: alljährlich 500 tödliche Arbeitsunfälle, 700 Selbstmorde, 650 000 Unfälle mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit und 4500 Berufskranke mit bleibender Behinderung. Das sind keine abstrakten Zahlen, sondern dahinter stecken Lebensläufe. In Arbeitslosigkeit, Prekarität und Not entlassen – ruiniert, unsichtbar, verachtet.  […]

Die geplanten Einschnitte im Arbeitsrecht sind nicht hinnehmbar!

Referenden unter den Beschäftigten eines Unternehmens entwerten de facto den Handlungsspielraum der Gewerkschaften und liefern den Unternehmern die Handhabe zur Erpressung. Bei Smart beispielsweise hätte so die Unternehmensführung die Möglichkeit gehabt, die Arbeitszeit auf 39 Stunden zu erhöhen und nur 37 Stunden zu bezahlen. Bei der FNAC könnte damit Sonntagsarbeit fällig werden.

Für die Mehrarbeit über die 35h-Woche hinaus soll es künftig einen „Ausgleich“ geben. Sie soll nicht mehr wie heute mit einem 25-%-Zuschlag bezahlt werden. [Wirtschaftsminister] Macron sagt dazu ganz richtig: Das ist das Ende der 35h-Woche. […]

El Khomri plant, die Arbeitsdauer auf dem Weg von betrieblichen Verhandlungen zu erhöhen? Mehr arbeiten also, um weniger zu verdienen. Zugleich soll es mehr gesetzliche Handhabe gegen die Lohnabhängigen geben, indem die Abfindungen bei missbräuchlichen Entlassungen gesenkt werden oder arbeitsrechtliches Vorgehen gegen die Unternehmer erschwert wird […]

Die Verpflichtung zur innerbetrieblichen Umsetzung legt fest, dass ein Unternehmer alles in diesem Sinne unternehmen muss, bevor er aus betrieblichen Gründen entlässt. Die Formulierung „außer dort, wo das Gesetz Sonderregelungen vorsieht“ greift auf, was schon im Bericht von Badinter stand. […]

Im selben Bericht heißt es in Artikel 13: „Der Arbeitsvertrag ist unbefristet und kann nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen befristet werden.“ Es ist sicher kein Zufall, dass hier nicht mehr die geltende Formulierung benutzt wird, wonach der unbefristete Vertrag „grundsätzlich der Normalfall eines Arbeitsverhältnisses“ ist. Gegenwärtig gibt es eine Schutzklausel für Ausnahmen, nämlich dass eine Befristung nur bei vorübergehenden betrieblichen Erfordernissen zulässig ist. Warum ist diese Formulierung verschwunden? Weil die Unternehmer keine Einschränkungen mehr wollen! […]

Gemeinsam werden wir in den kommenden Monaten die Rechte der Lohnabhängigen verteidigen und den Grundstein für ein Arbeitsgesetz legen, das sie wirklich schützt.

Clémentine Autain (Ensemble), Olivier Besancenot (NPA), Eric Coquerel (Parti de gauche), Gérard Filoche (PS), Willy Pelletier (Fondation Copernic), Pierre Laurent (PCF), Eric Beynel (Solidaires), Fabrice Angei (CGT), Noël Daucé (FSU).

Übersetzung MiWe

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