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Innenpolitik

Frankfurter Aktionskonferenz: Gemeinsam für einen heißen Herbst!

Von Korrespondentin München | 01.09.2004

Das Vorbereitungstreffen für die Aktionskonferenz vom 18./19. September in Frankfurt/M. hat die neue Situation nach Entstehen der Montagsdemonstrationen bewertet. Die Proteste wurden als sehr positiv eingeschätzt. Es wurde aber auch festgestellt, dass zurzeit noch zu sehr der Abwehrcharakter im Vordergrund steht.

Das Vorbereitungstreffen für die Aktionskonferenz vom 18./19. September in Frankfurt/M. hat die neue Situation nach Entstehen der Montagsdemonstrationen bewertet. Die Proteste wurden als sehr positiv eingeschätzt. Es wurde aber auch festgestellt, dass zurzeit noch zu sehr der Abwehrcharakter im Vordergrund steht.

Das Bündnis aus Gewerkschaftslinken, Arbeitslosen, Sozialhilfe- und Anti-Hartz-Initiativen, linken Organisationen u. a. plant Aktionen in diesem Herbst, die mit den Montagsdemonstrationen verknüpf werden können. Nur gut, dass dieses breite bundesweite Bündnis “Gemeinsam gegen Sozialkahlschlag”, das die Initiative für die erfolgreiche Demonstration am 1. November 2003 ergriffen hatte, nicht gewartet hat, bis die Gewerkschaften aktiv werden.

Sechs Forderungen

Der Frankfurter Appell mit seinen Forderungen (s. Kasten) kann dazu dienen, die Montagsdemonstrationen inhaltlich zu stärken. Des Weiteren ist es notwendig, den Protest von der Straße in die Betriebe und Büros zu tragen. Deshalb legt der Vorbereitungskreis für die Aktionskonferenz ein politisches Schwergewicht auf dezentrale Aktionstage in Werkstatt und Büro für den 17. November. Die Montagsdemonstrationen haben eine Dynamik eröffnet, die den Druck auf die Gewerkschaftsspitzen erhöht, zu solchen Aktionen aufzurufen.
Als verbindende positive Forderung zwischen den stark von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen getragenen Anti-Hartz IV-Initiativen und der bisherigen Bewegung gegen Sozialkahlschlag wurde die große Bedeutung einer radikalen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich und der Abwehr weiterer Arbeitszeitverlängerungen betont. Nur die Zunahme von Beschäftigung durch radikale Arbeitszeitverkürzung kann der Erpressungsstrategie von Regierung und Kapital Wind aus den Segeln nehmen.
Es ist also unbedingt erforderlich, dass die UnterstützerInnen der Bewegung gegen Sozialkahlschlag die Aktionskonferenz von September als zentralen Termin zur Verzahnung mit den Montagsdemonstrationen ansehen und darauf hinwirken, dass die kämpferischsten und kritischsten AktivistInnen aus diesem viel breiteren Spektrum an der Konferenz teilnehmen.

Proteste verstärken!
Jeden Montag Montagsdemonstrationen
14. – 17. Oktober 2004 Europäisches Sozialforum in London
6. November Bundesweite Demonstration in Nürnberg
17. November Dezentrale Aktionen

Frankfurter Appell
 Die bundesweite Aktionskonferenz am 17./18. Januar 2004 hatte den Frankfurter Appell mit einem umfassenden Forderungskatalog gegen die soziale Demontage verabschiedet. Aus diesem Forderungskatalog wurden jetzt sechs Forderungen ausgewählt, die bei den Montagsdemonstrationen propagiert werden sollen:
l Reichtum besteuern: Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen, keine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer und Wiedereinführung einer Vermögensteuer!
l Weg mit Hartz IV: Keine Zumutbarkeitsverschärfungen für Arbeitslose und Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe. Gesetzlicher Mindestlohn und existenzsicherndes Grundeinkommen!
l Weg mit den Praxisgebühren und Zuzahlungen bei der Gesundheitsreform. Keine Ausgliederung von Krankengeld und Zahnersatz aus der Krankenversicherung. Keine Rentenkürzungen und keine weitere Verschlechterung der ge setzlichen Altersversorgung. Eine einheitliche gesetzliche Krankenversicherung, in die alle für alle einzahlen (Aufhebung
Ein Großteil der Öffentlichkeit geht davon aus, dass die Politik des Sozialabbaus objektiven Zwängen folgt, weil die Sozialversicherungen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen seien. Auch die Mehrheit der Gewerkschaftsvorstände, die es eigentlich besser wissen müssten, vertreten die Meinung, dass “gespart” werden müsse (nur eben “gerecht”) und sind damit der aktuellen Offensive von Kabinett und Kapital hilflos ausgeliefert.

Dabei ist das oberste Ziel des Sozialabbaus nicht das Sparen oder die Rücknahme des Staates im Sinne von weniger Bürokratie und mehr Freiheiten für die Einzelnen. Hartz IV belegt das Gegenteil.

Das über Hartz IV anvisierte Einsparvolumen ist gewaltig, aber den im Haushalt angesetzten 4,6 Mrd. €, die es weniger an Leistungen geben wird, entsprechen schon nach heutigen Berechnungen nur ca. 3 Mrd. € tatsächlich geringere Staatsausgaben. Die Differenz ist auf eine gewaltige Aufblähung bürokratischer Maßnahmen und Zuschüsse für “Arbeitgeber” zurückzuführen, die z.B. die 1-Euro-Jobs einführen sollen.
Hauptziel: Lohndrückerei

Im Zweifelsfall wird sogar ein Mehr an staatlichen Mitteln aufgebracht, um das Hauptziel zu verfolgen, nämlich Druck auf das gesamte Lohngefüge auszuüben. Propagandistisch verbrämt wird dies mit der grenzenlos zynischen Behauptung, um unser aller Wohl zu sichern, müsse der Niedriglohnsektor ausgedehnt werden. Dabei ist er schon riesengroß und wächst seit Jahren, wie diverse Untersuchungen selbst der Bundesregierung (zuletzt von diesem Frühjahr, s. dazu Spiegel online vom 28.4.04.) belegen. Der gesamte Niedriglohnsektor machte 1980 31,3% und 1997 schon 35,9% aus (s. Kasten).
Niedriglohn ohne Grenzen
Klar ist, dass der Staat sicherlich auch sparen will, denn sonst kann er nur schwer den Spitzensteuersatz weiter senken, so wie dies von 45 auf 42% für den 1.1.2005 vorgesehen ist. Wer den Reichen geben will, muss dies schließlich bei den Armen und Bedürftigen holen. Der neueste Vorstoß mit Hartz IV macht deutlich, dass es nach unten keine Grenzen gibt.

Klar ist aber auch: Wenn ein Arbeitsloser bisher im Schnitt 732 € Arbeitslosengeld und 522 € Arbeitslosenhilfe bekam, dann ist für die Noch-Beschäftigten in Zukunft ein drohender Absturz in die Arbeitslosigkeit mit einem Arbeitslosengeld II – 345 € in Westdeutschland, 331 € in Ostdt. – eine geradezu bodenlose Frechheit. Diese Bedrohung soll zum Hinnehmen schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne führen.
Hinzu kommt, dass gemäß Hartz IV für Arbeitslose eine Beschäftigung von einem Drittel unter den Tariflöhnen akzeptabel sein soll. Da nicht wenige Löhne unter 6 € liegen (vgl. Avanti Juni 2004 sowie die WSI-Studie), sind künftig Löhne von 4 € und darunter “zumutbar”!
Und wer bis vor kurzem noch geglaubt hat, alles drehe sich nur um notwendige Einsparungen der Staatsausgaben (oder der Sozialversicherungen), der wurde spätestens mit der Clement&rsqu
o;schen 1-€-Offensive eines Besseren belehrt. Der Staat zahlt dafür, dass solche Jobs eingerichtet werden. Wenn es nach Clement geht (er hätte gern 600 000 solcher Jobs) wird der Staat dafür bis zu 3 Mrd. € aufbringen mit dem klar erkennbaren Doppeleffekt, dass zum einen über diese “Drehtür” viele bestehende Arbeitsplätze aus dem ersten Arbeitsmarkt verschwinden werden, und zweitens das gesamte Lohngefüge enorm unter Druck gerät. Die Regierung lässt sich also die allgemeine Gewöhnung an grenzenlos niedrige Löhne einiges kosten!
Gewerkschaften gespalten
Nutznießer wird niemand anderes als das Kapital sein, denn schon ist absehbar wie die Argumentation zu den angeblichen Besitzstandswahrern (den Noch-Beschäftigten) laufen wird, die so unanständig sind, dass sie bei steigenden Lebenshaltungskosten auch steigende Löhne haben wollen: Es wird also vermehrte Bestrebungen geben, Nullrunden durchzuführen, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu verlängern, das Urlaubsgeld zu kürzen etc.
Angesichts der Lohnsenkungsoffensive der Herrschenden dürfen also Gewerkschaften und soziale Bewegungen nicht beim üblichen Tagesgeschäft stehen bleiben und das in zweifacher Hinsicht: Sowohl was die inhaltlichen Forderungen angeht als auch, was die Widerstands- bzw. Aktionsformen angeht. So müssen zwar die Montagsdemos ausgedehnt werden, aber man muss sich beispielsweise auch die Einrichtungen “an die Brust nehmen”, die solche 1-€-Jobs anbieten. Dort sollte mensch vor dem Eingang intensive und nicht enden wollende Gespräche mit den Betroffenen führen…
Die Gewerkschaften sind in der Frage des Mindestlohns tief gespalten und daher handlungsunfähig (auf dem DGB-Bundkongress 2002 wurde die konkrete Zahl 1500 € Mindestlohn u. a. auf Betreiben der IGM gekippt; vgl. dazu die Avanti Nr. 87 vom Sommer 2002 sowie Nr. 110 vom Juni 2004). IGM und vor allem DGB und BCE blocken immer noch erfolgreich. Ihre Begründung, dies untergrabe die Tarifautonomie, zieht nicht. Die Tarifautonomie und vor allem die Kapitulationspolitik in Sachen Arbeitszeit, Aushöhlung des Flächentarifs etc. hat an keiner Stelle die Absenkung von Löhnen oder die Unverschämtheiten von Hartz IV verhindert.
Und schon gar nicht wurden damit Mitglieder gewonnen oder gehalten (wie die interne Begründung lautet), denn die Tarifpolitik der Gewerkschaften ist seit Jahren alles andere als überzeugend oder motivierend.

Müntes neuestes Angebot, über Mindestlöhne zu reden, soll selbstverständlich den Protesten die Spitze nehmen. Er wird aber niemals einen akzeptablen, nämlich menschenwürdigen Mindestlohn vorschlagen, sondern nur einen, der dem Kapital nicht weh tut. Wie niedrig der dann wäre, ist leicht auszurechnen.
Mindestlohn!
Was Niedriglöhne und vor allem Armutslöhne für die betroffenen Menschen wirklich bedeuten, nämlich ein menschenunwürdiges Leben, ist nicht nur dem Kapital, sondern auch den herrschenden Parteien vollkommen schnurz. Das Arbeitsgericht Bremen hat im Jahr 2000 (!) einen Stundenlohn von 11,50 DM als sittenwidrig erklärt und orientierte sich dabei an der Pfändungsgrenze (im Jahr 2000 umgerechnet 930 €1; 2001 waren es 940 €). Das waren damals (auf die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit umgerechnet) 1312,52 € brutto = 8,92 € in der Stunde (s. Kasten).
Welcher Mindestlohn?

Wenn heute ein Mindestlohn erkämpft und durchgesetzt wird, dann hat er nur dann eine positive Wirkung, wenn er zwei Bedingungen erfüllt:

Erstens muss er so hoch sein, dass er nicht als Begründung zum Absenken von Löhnen dienen kann (dies ist teilweise in den USA der Fall). Würde er tatsächlich bei 10 € durchgesetzt, beträfe dies inzwischen annähernd ein Drittel der abhängig Beschäftigten. Das gesamte Lohngefüge würde also von unten her stabilisiert und gestützt. Die darüber liegenden Löhne bekämen Auftrieb (aufgrund des verbreiteten Wunsches eines Abhebens von den “gering Qualifizierten”).

Zweitens muss dieser Mindestlohn dynamisiert werden, sprich jedes Jahr um den Prozentsatz des Anstiegs der Lebenshaltungskosten angehoben werden.

Wir sollten also auf den Montagsdemos (neben der Forderung nach kompletter Rücknahme von Hartz IV) zwei Hauptparolen vertreten:

·l Auf die Arbeitslosigkeit gibt es nur eine gesellschaftlich vernünftige und vertretbare Antwort, das ist die radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich unter definierten Arbeitsbedingungen. Deshalb: Verteilung der Arbeit auf alle Hände!

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