Fast die Hälfte der Mitglieder lehnt das Ergebnis ab
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Abstimmung bei ver.di über den Abschluss für den Öffentlichen Dienst

Fast die Hälfte der Mitglieder lehnt das Ergebnis ab

Von Helmut Born | 14.05.2025

Am 12. Mai hat ver.di die Mehrheit der Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst von ver.di dem Tarifergebnis zugestimmt, das am 6. April in der Schlichtung zu der Tarifrunde für Bund und Kommunen erzielt worden war. Die Empfehlung der Schlichtungskommission lautete:

  • Erhöhung der Tarife ab April 2025 um 3 % – das bedeutet 3 Nullmonate;
  • Ab Mai 2026 Erhöhung der Einkommen um 2,8 % – nach 13 Monaten;
  • Besserstellung höherer Tarifgruppen durch Erhöhung der Jahressonderzahlung auf 100 %;
  • die Arbeitszeit pro Woche kann individuell auf 42 Stunden erhöht werden;
  • Arbeitszeitregelungen Ost werden bis Ende 2027 verlängert;
  • die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 27 Monate (also bis 31. März 2027).

Über dieses Ergebnis gab es eine Abstimmung unter den Mitgliedern von ver.di. Schon in der Tarifkommission gab es nach Abschluss der Schlichtung eine breite Debatte über die Annahme der Empfehlung der Schlichtungskommission. Vor allem die Delegierten aus NRW sprachen sich gegen die Annahme aus. Immerhin gab es eine knappe Mehrheit für Annahme der Empfehlung. Dies wiederholte sich jetzt bei der Abstimmung unter den Mitgliedern: Nur 52,2 % stimmten für die Annahme des Ergebnisses. Bei einer Beteiligung von 24,1 % der ver.di-Mitglieder an der Abstimmung kann angenommen werden, dass sich nur die aktiven Mitglieder beteiligt haben. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es bei ver.di zwei gleich große Blöcke zu diesem Ergebnis gibt.

Frank Werneke, der Vorsitzende von ver.di, räumte ein: „Das Ergebnis der Mitgliederbefragung zeigt ein realistisches Bild der Stimmungslage angesichts des Tarifabschlusses. Es gibt Akzeptanz, aber auch Kritik.“

Um diese Spaltung aufzuheben, braucht es grundlegende Änderungen in der Strategie von ver.di für die Tarifrunden des Öffentlichen Dienstes. Vor allem wegen der politischen Vorstellungen der neuen Bundesregierung und wegen der schlechten finanziellen Ausstattung der Kommunen werden die Kämpfe für ausreichende Einkommen an Schärfe weiter zunehmen. Das ständige Ritual, drei Verhandlungen mit entsprechenden begleitenden Mobilisierungen anzusetzen, funktioniert nicht mehr. Zumal es danach zwingend in eine Schlichtung geht.

Zuallererst müssen also die Schlichtungsvereinbarungen gekündigt werden. Gerade in dieser Schlichtung wurde deutlich, dass bei dem „neutralen“ Vorsitzenden Roland Koch, der von der Arbeitgeberseite ernannt wurde, von einer tatsächlichen Neutralität nicht die Rede sein konnte, erst recht sind bei so jemandem die Interessen der Beschäftigten nicht gut aufgehoben. Die Diskrepanz zwischen der Forderung nach 8 % Lohnerhöhung für 12 Monate und dem Ergebnis ist mehr als deutlich.

Es muss aber auch darüber nachgedacht werden, wie die Mitglieder in die Abläufe besser einbezogen wie die Tarifrunden anders organisiert werden können. Die Mitglieder müssen die Möglichkeit bekommen, sich aktiv in die laufenden Debatten und Verhandlungen einzubringen zu können. Dazu muss die Hoheit des Apparates über die grundlegenden Entscheidungen abgeschafft werden. Gewerkschaften brauchen ein möglichst einheitliches Auftreten, um gegenüber der Kapitalseite Stärke demonstrieren zu können. In Zeiten der kapitalistischen Krisen werden die Spielräume enger, damit wird es schwieriger, die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen. Dafür braucht es mehr Beteiligung der Mitglieder. Wie es gehen kann, haben wir in der Krankenhausbewegung in Berlin und NRW für Entlastungstarifverträge gesehen. Daran gilt es anzuknüpfen und die Entscheidungen in den Gewerkschaften den Mitgliedern zu geben.

Sämtliche Gewerkschaften haben in den Tarifrunden des letzten Jahres Abschlüssen zugestimmt, die nicht ausreichen, um die Einkommen zu sichern. Dies darf kein Dauerzustand werden. Sonst fragen sich immer mehr Mitglieder, ob es sich noch lohnt, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein.

Wir brauchen in den Gewerkschaften auch eine breite Debatte über ihre Stellung in der jetzt formierten neoliberalen, aggressiver werdenden kapitalistischen Gesellschaft. Soll es weitergehen mit der Unterstützung der Sicherung des Wirtschaftsstandort Deutschland und damit der Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung? Oder ist eine klassenkämpferische Perspektive notwendig, die auf einer von Kapital und Politik unabhängigen Position beruht?


14. Mai 2025

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