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Betrieb & Gewerkschaft

„Entgeltreduzierungsabkommen” ERA: Ein Lehrstück gewerkschaftlichen Versagens

Von D. Berger | 01.01.2007

Dass jetzt in weiten Teilen der Republik viele Belegschaften der Metall- und Elektroindustrie von der Umsetzung des ERA-Tarifvertrages kalt erwischt werden, ist Ausdruck eines völligen Versagens gewerkschaftlicher Tarifpolitik, sowohl auf politischer wie auf handwerklicher Ebene.

Dass jetzt in weiten Teilen der Republik viele Belegschaften der Metall- und Elektroindustrie von der Umsetzung des ERA-Tarifvertrages kalt erwischt werden, ist Ausdruck eines völligen Versagens gewerkschaftlicher Tarifpolitik, sowohl auf politischer wie auf handwerklicher Ebene.

Mehr als 10 Jahre lang hatte man über die Einführung eines gemeinsamen Entgeltrahmenabkommens (ERA) für Arbeiter und Angestellte verhandelt. Modern sollte es sein und alte Zöpfe (Unterscheidung von „Gewerblichen” und Angestellten, überholte Eingruppierungsbeschreibungen) sollten abgeschnitten werden. Seit letztem Jahr nun laufen die betrieblichen Umsetzungen. Viele Betriebe haben noch nicht damit angefangen, aber die Umsetzung muss je nach Tarifgebiet bis Februar oder Dezember 2008 abgeschlossen sein.
„Jahrhundertchance”
Die Verhandlungsführer von Gesamtmetall (Vorreiter war Südwestmetall) zogen mit dem scheinbaren Zugeständnis der „Kostenneutralität” die IG Metall völlig über den Tisch. Entscheidend für das Kapital war dabei vor allem die Tatsache, dass die neuen Eingruppierungen vom Betrieb vorgenommen werden und dass man sich als Referenz auf die von einer gemeinsamen Kommission erarbeiteten „Niveaubeispiele” beziehen konnte. Diese sind zwar nicht offizieller Teil des Tarifvertrages, werden aber den störrischen Betriebsräten regelmäßig von ihren Geschäftsleitungen um die Ohren gehauen.

Gesamtmetall war nicht nur strategisch viel besser aufgestellt, sondern hat auch im Detail viel weitsichtiger vorgearbeitet. Früh, schon vor anderthalb Jahren, lobte Gesamtmetall den ERA-Vertrag als „Jahrhundertchance”, mit der man umfänglich Lohnkosten einsparen kann, und warb damit bei Betrieben, die bisher nicht dem Verband angehörten. 2006 wurden die ersten praktischen Erfahrungen der Umsetzung gesammelt und es zeichnet sich ein sehr unterschiedliches Bild ab.

Eine Reihe von Betrieben hat den neuen Vertrag ohne große Konflikte (so wie es die Gewerkschaft für alle erwartet hatte) umgesetzt. Aber in der Mehrzahl der Fälle hatten Beschäftigte und Betriebsräte mit der „Jahrhundertchance” zu kämpfen. Bis zum Herbst lag der Schwerpunkt des Widerstands auf den Widersprüchen des jeweiligen Betriebsrats zu den Eingruppierungen. Die daraus in der Regel sich ergebenden Verhandlungen vor den Arbeitsgerichten haben aber – mit wenigen Ausnahmen – noch nicht stattgefunden. Für die Richter ist dies totales Neuland. So schnell kommt es da zu keinen Urteilen.

Inzwischen hat vor allem eine Reihe von Großkonzernen die Umsetzung für das neue Jahr angekündigt (das Unternehmen legt den Zeitpunkt fest) und die von ihnen vorgesehenen Eingruppierungen vorgelegt. In vielen Betrieben gibt es jetzt helles Entsetzen. Politisch und handwerklich versagt
Noch richtet sich der Unmut nur bedingt gegen die Gewerkschaft, weil im Vordergrund zunächst der Schock steht: So bewertet also das Unternehmen meine Arbeit? Ich soll also in Zukunft 500 oder 1200 Euro weniger im Monat verdienen?
Wenn aber die Gewerkschaft den in vielen Betrieben jetzt aufkommenden massiven Unmut nicht in Aktionen ummünzt und sie sich bald vorhalten lassen muss:  „Was habt ihr denn da für einen beschissenen Tarifvertrag abgeschlossen?” dann kann ERA zu einem richtigen Waterloo führen. Die wichtigsten Fehler in Kürze.

  1. Die Gewerkschaftsführung ist politisch derart schwach, dass sie sich die gesamten Implikationen des Vertragswerks überhaupt nicht vorstellen konnte. Sie glaubte naiv an den guten Willen des Kapitals und baute auf die volle Einhaltung der gewerkschaftlichen Interpretation des Vertragswerkes. Dass das Kapital einem völlig neuen Tarifwerk ohne Kampf nur zustimmt, wenn es für sich selbst dabei Vorteile wittert, lag außerhalb der Vorstellungskraft der BürokratInnen. Allein die Verpflichtung zur Kostenneutralität hätte misstrauisch machen müssen.
  2. Der in den vergangenen Jahren gebildete ERA-Fonds (zur Absicherung des Verdienstes der „Überschreiter”) ist viel zu klein. Die willkürlich festgelegten 2,79%, die insgesamt in den vorangegangenen Tarifrunden vereinbart wurden, aber nicht in die Tabelle eingingen, reichen natürlich bei weitem nicht aus, größere Verschiebungen aufzufangen.
  3. Es wurden keine Regelüberleitungen vereinbart, so dass sichergestellt gewesen wäre, dass niemand unter die Räder kommt. Stattdessen wurde hier in einer beispiellosen Form die Umsetzung den Betriebsräten übertragen. Dabei geht es ja nicht um Kleinigkeiten, sondern um große Beträge für die KollegInnen.
  4. Die gemeinsam erstellte Sammlung von „Niveaubeispielen” ist eine reine Katastrophe. Damit lassen sich wirklich sehr umfängliche Abgruppierungen rechtfertigen. Davon können alle Betriebsräte ein Lied singen, die in den Verhandlungen damit konfrontiert wurden.

Die Gewerkschaftsführung verhindert bisher eine breite und gemeinsame Mobilisierung und orientiert weiter auf betriebliche Verhandlungen und die im Tarifvertrag vorgesehenen Widerspruchsverfahren. Dabei setzt sie vor allem darauf, dass es bei den größten Konflikten zu einem Bestandsschutz für die heute Beschäftigten kommt. Die Nachfolgenden werden dann in jedem Fall deutlich geringer entlohnt. So sichert man den Standort Deutschland!

Gegen den zurzeit knallhart von Gesamtmetall geführten Klassenkampf darf es nur eine Antwort geben: Die Proteste gegen die Reformpolitik, der Unmut und die ersten Aktionen gegen die Umsetzung von ERA (bei Siemens, DC, Viessmann, Alstom usw.) und die nächste Tarifrunde, die im März anläuft, müssen zusammengeführt werden. Die nächsten Monate werden uns viel abverlangen. Stellen wir uns darauf ein!

  • •  Kein neuer Tarifvertrag ohne Regelüberleitung!
  • •  Kein Protest zu ERA ohne Protest gegen  die Reformpolitik!
  • •  Keine Protest gegen die Reformen ohne Protest zu ERA!
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