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Feminismus

Einige Fragen des revolutionären Feminismus

Von Olga Dedinas | 01.11.2011

Eine erkennbare Wirklichkeit zu leugnen ist eine Ausrede, sich nicht bewegen zu müssen. Ohne Erkenntnise und ohne Analyse fehlt auch eine Perspektive, wie mensch es „besser machen“ könnte und somit der Grund zum Handeln. Wer keine Kategorien mehr definieren mag, kann auch keine Kategorie der Unterdrückten erkennen und somit keinen Kampf für die Emanzipation führen.

Eine erkennbare Wirklichkeit zu leugnen ist eine Ausrede, sich nicht bewegen zu müssen. Ohne Erkenntnise und ohne Analyse fehlt auch eine Perspektive, wie mensch es „besser machen“ könnte und somit der Grund zum Handeln. Wer keine Kategorien mehr definieren mag, kann auch keine Kategorie der Unterdrückten erkennen und somit keinen Kampf für die Emanzipation führen.

Da es aber eindeutig ist, dass die Gesamtsituation nicht unverändert weiterbestehen sollte, bleibt nichts anderes übrig, als einen Standpunkt einzunehmen und mit der Analyse zu beginnen.
Welcher Sexismus?
Um die Frage zu beantworten, was zu tun wäre, ist zunächst die Frage zu klären, wogegen mensch sich richtet.
Sexismus ist die Unterdrückung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, insbesondere aufgrund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht. Es gibt ihn in der klassischen Form (Frauen wären die schwächeren, dümmeren, etc) und der modernen (Es gäbe keinen Sexismus mehr, weshalb Forderungen nach Gleichberechtigung unberechtigt sind). Es gibt den feindlich gesonnenen Sexismus (Frauen wären das minderwertige Geschlecht) versus den „ritterlichen“ Sexismus (da Frauen so schützenswerte Wesen seien, müsste ihnen jede schwere Arbeit abgenommen werden). Alle genannten Formen, auch der „ritterliche“ Sexismus sind zu bekämpfen.

Sexismus kann die Form eines ökonomischen Verhältnisses annehmen, in Form von schlechteren Jobs und niedrigeren Löhnen, er kann aber auch als psychologisches Phänomen in Erscheinung treten, in dem durch verbale Diskriminierung Menschen der Lebensmut und das Selbstbewusstsein genommen wird. Sexismus tritt in Form von struktureller Gewalt auf den Plan, in dem an wirklich jedem Ort ein überzogenes Einheitsschönheitsideal propagiert wird, oder in Form von ganz konkreter Gewalt, häuslicher- und/oder sexualisierter Gewalt.
Sexismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis, nicht etwas, was die Männer den Frauen antun, auch wenn es eindeutig ist, dass Männer die Privilegien kassieren und im Rahmen der Emanzipation einige von diesen werden abgeben müssen. Eine Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern entsteht dann, wenn die liebgewordenen Ansprüche nicht hergegeben werden wollen.

Jedoch sind auch Frauen Teil der Gesellschaft und reproduzieren Sexismus, gegenüber anderen Frauen und auch gegenüber sich selbst. Somit ist der Feministische Kampf ein Kampf an allen Fronten, selbst gegen die eigenen Stereotypen und Vorurteile.
Auch die Linke Szene ist ein Teil der kapitalistischen Gesellschaft und reproduziert Sexismus. Wenn auf Demos Frauen aus der ersten Reihe verbannt werden, weil sie „zu schwach“ wären, beispielsweise. Wenn junge Männer vermummt aber mit freiem Oberkörper auf die Polizeikette losrennen, hat das mit der Weltrevolution nichts, aber auch gar nichts zu tun. Dann geht es nur um Tes­tosteronkult. Ebenso fragen sich viele Männerdiskussionszirkel, was sie denn nur falsch machen, dass sich nie eine Frau zu ihnen verirrt, während sie auf eine Art diskutieren, bei der niemand mitreden könnte, der nicht mindestens über das Ego eines Von -Copy-und-Paste-Guttenberg verfügt. „Frauenthemen“ sind dabei oft zu unwichtig, um in die Debatte aufgenommen zu werden, da sie als nicht wichtig genug gelten. Dabei sind Frauen nicht weniger politisch, wie die rege Beteiligung an Demos und Aktionen beweist.
Haupt- und Nebenwiderspruch?
Es wird gern, auch in der revolutionären Linken, behauptet, die Frage der Frauenbefreiung greife den Akkumulationsprozess des Kapitals nicht an und sei darum zurückzustellen hinter dringendere Fragen, wie etwa den aktuellen Tarifkonflikten. Diese Behauptung ist nur richtig, wenn mensch sie nicht zu Ende denkt.

Die Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder rassistische Diskriminierung sind das Ergebnis von Klassengesellschaften. Daraus folgt, dass der Kampf um das Ende des Sexismus nur ein Kampf gegen die Klassengesellschaft sein kann. Diesen Zusammenhang herzustellen ist die Aufgabe revolutionärer FeministInnen.
Sexistische Unterdrückung hat ganz konkrete, materielle Wurzeln, sie fußt aber auch auf Erziehung und gesellschaftlichen Traditionen. Gegen diese gilt es ebenso anzukämpfen. Zweiterer Kampf kann tatsächlich die Akkumulationskette nicht stoppen, dennoch ist er wichtig. Der Kapitalismus braucht Spaltungslinien. Diese Risse zu schließen bedeutet zwar nicht, den Kapitalismus zu zerschlagen, es bedeutet aber, ihn zu schwächen. Und je schwächer er ist, desto einfacher ist die Zerschlagung hinterher.

Dies gilt nicht nur für die Unterdrückung von Frauen, denn auch Männer können von Sexismus betroffen sein, wenn sie dem männlichen Stereotyp nicht entsprechen oder ihre sexuelle Orientierung von der Norm abweicht. Nicht zuletzt darf nie vergessen werden, dass es außerhalb der Kategorien Männer und Frauen noch viele weitere Menschen gibt, die von sexistischer Diskriminierung betroffen sind und sich irgendwo in den Buchstaben des Kürzels LGBTI verstecken (Lesbian, gay, bi, transgender, intersexuell). Für ihre Rechte muss ebenso gestritten werden, auch wenn sie zahlenmäßig der Gruppe „Frauen“ unterlegen sind.
Und selbst wenn der Kampf gegen Sexismus den Kapitalismus überhaupt nicht tangieren würde, würde er dennoch auf die Agenda einer revolutionären Organisation gehören, da jeder Mensch das Recht auf ein Leben frei von Unterdrückung hat. Aufgrund dieses Rechts treten wir doch erst gegen den Kapitalismus an.
Guten Tag, ich weiß nicht, ob sie mich erkannt haben…
… ich bin hier die Quotenfrau! Ich sitze hier, damit ihr euch gut fühlen könnt, weil ja doch eine einzelne Frau in der bundesweiten Koordinationsgruppe ist und damit ihr ansonsten nichts weiter für die Emanzipation tun müsst.“
Wer sich in Organisationen durchzusetzen versucht, findet sich hin und wieder in der Rolle als Quotenfrau wieder. Eine einzelne Maßnahme, eine Quote, eine Redeliste, ein einmaliges Frauentreffen, wird durchgeführt, zur Beruhigung des Gewissens der männlichen GenossInnen. Und in den nächsten Jahren wird jede Forderung, jede Kritik abgeschmettert mit dem Argument: „Wir bemühen uns doch schon, wir haben doch eine Quote!“ „Wir sind keine SexistInnen, wir haben 2007 mal diese Flyer-Aktion gemacht.“

Das ist genau der gleiche Mechanismus, mit dem der bürgerliche Staat die Forderungen nach mehr Gleichberechtigung abtut. Es würde ja bereits etwas getan und im übrigen seien Frauen innerhalb der eigenen Grenzen ja gar nicht mehr diskriminiert.
Eine revolutionäre Organisation darf diesen Fehler nicht wiederholen. Feminismus ist kein Sonntags-Hobby. Es gibt keinen Ablass für den al
lgemeinen Sexismus, weil mensch einmal eine Infoveranstaltung zum Thema organisiert hat.
Differenzfeminismus und Queer-Theory
Der Differenzfeminismus erklärt, Frauen seien zwar anders, verdienen aber nichtsdestotrotz die gleichen Rechte, die gleiche Anerkennung und den gleichen Respekt. Der Queer-Feminismus hingegen geht davon aus, dass jegliche Form von Unterschieden zwischen Geschlechtern lediglich konstruiert sind und in einer freien Gesellschaft nicht mehr weiter existieren. Dabei ist eine wichtige Erkenntnis die Unterscheidung zwischen „sex“ (dem biologischen Geschlecht) und „gender“ (dem sozial-psychologischen Geschlecht) einer Person.

Eine Standard-Antwort auf die Queer-Theory ist stets: „Gewisse biologische Unterschiede existieren aber doch“ und „Männer und Frauen sind nun einmal verschieden“. Eine Antwort auf die Antwort. Die vielgerühmten „Unterschiede“ sind stets Unterschiede des Durchschnitts. Im Durchschnitt sind Männer größer als Frauen. Dies bedeutet aber längst nicht, dass jeder Mann größer als jede Frau ist, die er beim Spazierengehen auf der Straße antrifft. Dies gilt um so mehr für die Durchschnittsunterschiede des „gender“, die häufig sehr, sehr viel kleiner sind, als die Evolutions„wissenschaftler“ behaupten. Es gibt auch keine voneinander abgrenzbaren Kategorien, ein maskulines und ein feminines Gender. Es gibt einen fließenden Übergang zwischen beiden. Ebenso verhält es sich mit dem biologischen Geschlecht.


Es gibt auch zwischen den biologischen Kategorien einen fließenden Übergang. Es gibt Menschen, die ohne ein eindeutiges Geschlecht oder mit zweien zur Welt kommen. Es gibt Männer mit Brüsten und Frauen mit Bärten. Es gibt keine klare Grenze, ab der jemand definitiv keine Frau oder kein Mann mehr ist. Und selbst die Unterschiede, die objektiv gegeben zu sein scheinen, sind es nicht. Beispielsweise veränderte sich der Unterschied in der Stimmhöhe von Frauen im letzten Jahrhundert. Frauenstimmen wurden beträchtlich tiefer und näherten sich der Tonlage der Männerstimmen. Viele dieser scheinbar biologischen Unterschiede können also auch durch die gesellschaftlichen Gegebenheiten verändert werden. Nur eine Gefahr lauert in der queerfeministischen Praxis: Nur, weil mensch die Konstruiertheit von „sex“ und „gender“ erkennt, verschwindet diese nicht. Wenn mensch sich weigert, diese Kategorien zu verwenden, weil sie künstlich erzeugt wurden, beraubt mensch sich selbst seiner Analysewerkzeuge und überhaupt der Fähigkeit, Sexismus anzuprangern.
Nach welcher Analyse sollte mensch sich also richten?
Dabei gibt der Differenzfeminismus etwas her für den Umgang mit Geschlechterverhältnissen in der heutigen Gesellschaft: Es gibt die Kategorien „Frauen“ und „Männer“, denn sie werden mit allen Mitteln errichtet und aufrecht erhalten. Es gibt – in gewissem Rahmen betrachtet – Unterschiede zwischen den Angehörigen der jeweiligen Kategorien, denn sie werden Tag für Tag mit neuem Druck in die Schablonen gepresst. Solange der Kapitalismus weiter existiert, kann es gelingen, dass einzelne sich mit viel Mühe ein Stück weit daraus befreien. Dies behält aber immer die Form einer individuellen Lösung von Personen oder kleinen Gruppen.

Solange dieses kapitalistisch-sexistische Verhältnis besteht, bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: Ja, es gibt in gewissem Ausmaß Unterschiede. Wir arbeiten daran, sie zu beseitigen. Bis wir dies geschafft haben gilt: Für jede Person der gleiche Lohn, auch wenn sie unterschiedlich oft kranke Kinder pflegen, für jede Person die gleiche Chance für den Chefposten, trotz unterschiedlichem Habitus, etc.
Der Queer-Feminismus hingegen bietet uns die Perspektive, wohin wir wollen. In dem wir heute erkennen, wie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern künstlich geschaffen und konstruiert werden, können wir sie morgen, im Sozialismus (respektive Anarchismus, Anarchosyndikalismus oder welcher Name uns für unsere Utopie beliebt) zerschlagen. An der Queer-Theory sollte mensch sich orientieren bei jeder Differenz für heute, queer als Perspektive
Proletarischer und bürgerlicher Feminismus
Eine wichtige Abgrenzung ist die, zwischen bürgerlichem und proletarischem Feminismus. Ein gewisses Stück weit gehen sie beide gemeinsam, denn natürlich ist die Anerkennung der bürgerlichen Freiheiten auch für Frauen ein wichtiger Fortschritt. An einem gewissen Punkt scheiden sich jedoch die feministischen Geister. Der bürgerliche Feminismus erkauft die Berufstätigkeit weißer Mittelschichtfrauen damit, dass meist illegalisierte Immigrantinnen (nicht gender-neutrale Form ist hier bedeutungstragend) zuhause ihre Kinder hüten. Er baut die Illusion auf, der Kampf um die Befreiung der Frau sei ein Kampf aller Frauen gegen aller Männer. Das ist falsch und kontraproduktiv. Der Kampf für die Befreiung der Frau ist ein Kampf gegen ein gesellschaftliches Verhältnis. Es ändert sich nichts, aber auch gar nichts, an der strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt, dadurch das einzelne andere Frauen in die Chefetage aufsteigen. Der bürgerliche Feminismus kann zwar Frauen Aufstiegschancen öffnen, im Sinne von individuellen Lösungen, aber er wird den Sexismus nicht aufheben.
Eine proletarische, feministische Bewegung hat es in Deutschland seit den 1920er Jahren nicht mehr gegeben. Es ist schwer, eine Prognose abzugeben, wie eine solche Bewegung heute aussehen könnte.

Auf jeden Fall wird sie sich einsetzen für eine Erweiterung der bürgerlichen Freiheiten um jene, die eine sozialistische Gesellschaft mit sich bringt: Die Freiheit darüber zu bestimmen, was produziert wird und wie, um mittels dieser Entscheidungsbefugnisse die ökonomische Diskrimierung am Arbeitsplatz aufzuheben und die Care-Arbeit zu einer Gesellschaftlichen Angelegenheit zu machen.
Eine proletarisch-feministische Bewegung sollte das Mittel des politischen Streiks nutzen, um sich somit gegen die KapitalistInnen zu richten, und nicht gegen proletarische Männer.

Sie kann den Kapitalismus angreifen, in dem sie verweigert, dass der Körper der Frau vermarktet wird.
Es wäre denkbar, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, in der Kinder die Chance haben, groß zu werden, ohne die blau-rosa-Grenze. Wieviele Möglichkeiten gibt es, an die wir nicht denken, weil wir uns eine solche Bewegung nicht vorstellen können?

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