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Einheit der RevolutionärInnen

Von MiWe | 01.01.2004

Seit dem Kongress der LCR, der französischen Sektion der IV. Internationale vom 30.10.-2.11. 03 geht in Frankreich (und nicht nur dort) ein Gespenst um: Ein Bündnis revolutionärer Kräfte (LCR und LO) könnte bei Wahlen zweistellige Ergebnisse einfahren, ja annähernd 20% der Stimmen erreichen.

Seit dem Kongress der LCR, der französischen Sektion der IV. Internationale vom 30.10.-2.11. 03 geht in Frankreich (und nicht nur dort) ein Gespenst um: Ein Bündnis revolutionärer Kräfte (LCR und LO) könnte bei Wahlen zweistellige Ergebnisse einfahren, ja annähernd 20% der Stimmen erreichen.

Bei den Präsidentschaftswahlen im April 2002 erzielten Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière (LO) und Olivier Besancenot von der LCR 5,75 und 4,27% der Stimmen. Die Kandidaten der sozialliberalen „Gauche plurielle" (also der ehemaligen Regierungslinken aus PS, KP und Grünen) verfehlten die Stichwahl und erhielten damit die Quittung für ihre Regierungspolitik, die durch forcierte Privatisierungen, Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse, Einsparungen im Gesundheits- und Bildungswesen, verschärfter Repression im Namen des „Kampfes gegen die Gewalt in den Vorstädten" etc. gekennzeichnet war. Diese Wahlergebnisse waren insofern was Neues, als die Abwendung eines Teils der französischen Arbeiterklasse von der Regierungslinken nicht nur zur Wahlenthaltung und Hinwendung zur extremen Rechten führte. Die revolutionäre Linke konnte dank ihrer konsequenten Opposition zur arbeiterfeindlichen Politik 3 Millionen Stimmen auf sich vereinen.

Wie sehr sich darin eine reale Verankerung im aktiven Kern der ArbeiterInnenklasse und den systemoppositionellen sozialen Bewegungen widerspiegelt, zeigt die mobilisierende Rolle der Organisationen in den Streiks (vorwiegend des Öffentlichen Dienstes) im Oktober 2002 und Mai 2003, in der Antikriegsbewegung gegen den imperialistischen Überfall auf den Irak und in der Antiglobalisierungsbewegung, wenngleich sich LO hier aus grundsätzlichen Gründen sehr zögerlich verhält und erstmals gegen den IWF-Gipfel in Cancún nennenswert mobilisierte.
Gemeinsame Kandidatur
Sicher besteht für Revolutionäre Linke die Verantwortung gegenüber den Wählern in erster Linie darin, Wahlen und Wahlergebnisse zur Mobilisierung in den Betrieben und auf der Straße zu nutzen. Dennoch wäre eine getrennte Kandidatur zu den anstehenden Wahlen nicht nur wegen der Wahlgesetze fatal (diese benachteiligen die revolutionäre Linke, denn für das Erreichen des zweiten Wahlgangs sind bei den Regionalwahlen 10% der Stimmen erforderlich). Millionen von (potentiellen) WählerInnen wäre ein getrenntes Antreten völlig unverständlich. Laut einer IFOP-Studie vom Oktober, die durch neuerliche Daten untermauert wurde, erwägen immerhin 22% der wahlberechtigten Franzosen, ihre Stimme bei den Regionalwahlen der Radikalen Linken zu geben.

Vor diesem Hintergrund wurden während des letzten halben Jahres Verhandlungen zwischen den Leitungsorganen von LO und LCR geführt mit dem Ziel einer gemeinsamen Kandidatur zu den im März bzw. Juni 2004 stattfindenden Regional- und Europawahlen. Die zentralen Achsen der Wahlkampagne sind:

  • – der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der sozialen Sicherungs- und Rentensysteme und des öffentlichen Gesundheits- sowie Erziehungswesens;
  • – die Sicherung der Arbeitsplätze durch Verbot von Massenentlassungen und öffentliche Kontrolle oder Übernahme von Unternehmen, die trotz florierender Geschäfte Personal abbauen;
  • – die Ablehnung aller Privatisierungsmaßnahmen bei Post, Bahn und Energieversorgung;
  • – die Steigerung der Reallöhne und Umverteilung der Reichtümer;
  • – die Verteidigung und Herstellung gleicher Rechte für Alle;
  • – gegen ein kapitalistisches und für ein sozialistisches Europa im Dienst der Arbeiter.


Grundsätzlich sollen die Wahllisten, die wechselnd nach Organisations- und Geschlechtszugehörigkeit zusammengesetzt werden, offen für Einzelpersonen oder politische Gruppierungen sein, sofern diese sich positiv auf die programmatischen Grundlagen beziehen. Entscheidend für das Zustandekommen der Wahlallianz war der Beschluss, keine Wahlempfehlung im zweiten Durchgang der Regionalwahlen auszusprechen. Ausgenommen hiervon ist eine Option zugunsten der Listen der „Gauche plurielle", falls ansonsten ein Sieg der faschistischen Front National (FN) droht. Keinesfalls soll eine Empfehlung zugunsten der Regierungsrechten erfolgen – eine Konsequenz aus der Debatte nach den Präsidentschaftswahlen – und ebenso soll eine Fusion mit den Listen der „Gauche plurielle" vermieden werden.

Insbesondere dieser Beschluss sorgt für Aufregung in den Reihen von PCF, Grünen und PS, besonders derem „linken" Flügel. Deren Kritik gipfelt in dem Vorwurf, Laguiller und Besancenot seien Sektierer und leisteten den Faschisten der FN Vorschub. Julien Dray und Henri Weber, die ihre Vergangenheit als Mitglieder der LCR durch bußfertige Anpassung an den Sozialliberalismus – der eine als „Monsieur Sécurité der PS", der andere als Berater von Laurent Fabius – nachhaltig entsorgt haben, versteigen sich dazu, ausgerechnet mit Trotzki gegen diese Beschlüsse argumentieren zu wollen. Wenn diesen Pharisäern die Sorge vor der faschistischen Bedrohung ernst wäre, würden sie auf die tatsächlichen Ursachen für das Erstarken der FN verweisen: die zunehmende Verelendung der Arbeiterviertel und -regionen durch Massenarbeitslosigkeit und Abbau öffentlicher und sozialer Dienstleistungen. Und sie würden sich für radikale Maßnahmen zur Beseitigung dieser Ursachen gemeinsam mit den Gewerkschaften stark machen. Doch im Gegenteil haben sie in den Phasen ihrer Regierungsverantwortung während der letzten 20 Jahre dafür gesorgt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer und in Le Pens Arme getrieben wurden. Und vor den Präsidentschaftswahlen haben sie sogar versucht, bei der so genannten „Inneren Sicherheit" Le Pen den Rang abzulaufen.

Der Antifaschismus dieser Herrn beruht auf wahlarithmetischen Überlegungen und wird von der Sorge um die Teilhabe an der Macht getrieben; daher der Aufschrei, Besancenot habe sich von den „Sektierern der LO" erpressen lassen. (In der Vergangenheit glich die Wahltaktik der Ligue oft der Rolle des fünften Wagenrads am Karren der „Gauche plurielle".)
Kongressvoten
In Anbetracht der unumstößlich sozialliberalen Deformation der Gauche plurielle haben die Delegierten auf dem XV. Kongress der LCR mit einer Mehrheit von 70% diese Tradition beendet, indem sie für das mit LO ausgehandelte Abkommen stimmten. LO hat inzwischen auf ihrem Kongress Anfang Dezember nahezu einstimmig der Wahlallianz zugestimmt, nachdem es zunächst starken Widerstand aus den Ortsgruppen der Départements Nord und Pas-de-Calais gab, wo LO über eine außergewöhnliche Verankerung verfügt.

Die politische Degeneration der „Gauche plurielle" und der unvermindert starke Druck des Neoliberalismus bei gleichzeitigem Auftauchen neuer und ka
mpfbereiter Generationen unter den Lohnabhängigen und den antikapitalistischen Bewegungen machen eine Reorganisation der Arbeiterbewegung und den Aufbau einer neuen politischen Kraft zwingend erforderlich. Eine Mehrheit von 82% verabschiedete deswegen einen Aufruf zur Bildung einer neuen antikapitalistischen Partei, der sich richtet:

  • – „an die 3 Millionen, die im Mai 2002 ihre Stimmen der radikalen Linken gegeben haben, an die AktivistInnen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen;
  • – an die WählerInnen und AktivistInnen von KP, SP, Grünen und von Strömungen, die aus der traditionellen Linken entstanden sowie von lokalen und regionalen Gruppierungen, die eine andere Antwort suchen als die sozialdemokratische Kompromittierung;
  • – an die Organisationen der radikalen Linken, besonders LO …"


Die gemeinsame Perspektive einer solchen Organisation soll „der Bruch mit dem Kapitalismus und das Ziel einer ArbeiterInnenregierung auf der Basis sozialer Mobilisierungen sein, um eine radikale Änderung der Gesellschaft herbeizuführen, die die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse ermöglicht und den wirtschaftlichen Reichtum auf Alle verteilt, statt ihn in den Händen weniger zu belassen."

Die LCR wird die Initiative für entsprechende Debatten ergreifen. Wenn diese Dynamik deutlich über die LCR hinausreicht und ein qualitativer Sprung des Bewusstseins und der Organisierung erreicht wird, steht die Frage einer neuen Partei auf der Tagesordnung. Bereits nach den Präsidentschaftswahlen 2002 konnte die Organisation ihre Mitgliedschaft auf 3000 verdoppeln.
Statutenänderung
Eine kurze Erläuterung verlangt die von 85% der Delegierten verabschiedete Statutenänderung, wonach auf den Begriff der „Diktatur des Proletariats" künftig verzichtet wird. Hier wittert die buchstabengläubige Orthodoxie gleich Verrat am Prinzip und Parallelen zu dem vom damaligen KPF-Vorsitzenden Marchais 1976 von oben verkündeten Beschluss, der freilich jeglichen Verzicht auf eine radikale Änderung der Gesellschaft und Sturz des kapitalistischen Systems beinhaltete. Wurde in der traditionellen marxistischen Sichtweise basierend auf den Erfahrungen der Pariser Commune diese Diktatur als notwendige Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus gesehen, so bekam der Begriff im Gefolge der Oktoberrevolution und der nachfolgenden stalinistischen Konterrevolution eine negative Assoziation. Das ursprüngliche Konzept, in einer Ausnahmesituation die revolutionären Errungenschaften gegen übermächtige Feinde im Innern und Äußern verteidigen zu müssen, geriet zu einem Instrument, das zunehmend zu Repression und politischer Alleinherrschaft einer selbsternannten Führung missbraucht wurde und die Demokratie in den revolutionären Institutionen erstickte.

Natürlich tritt die IV. Internationale für einen Sozialismus ein, in dem die Macht in den Händen der ArbeiterInnen, d.h. der breiten Mehrheit der Bevölkerung liegt und die Diktatur des Kapitals gebrochen ist. Lediglich würden wir dies eher als Selbstverwaltungssozialismus und grenzenlose Demokratie bezeichnen. Insofern wurde diese Bezugnahme nach intensiver und langwieriger interner Diskussion aus den Statuten gestrichen.

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