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Länder

Eine Reise durch die Ukraine

Von Georg Heidel | 11.11.2015

Anfang des Jahres besuchte Pavlo Lysianskyi, stellvertretender Vorsitzender der Unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter der Ukraine (NPGU), die Bundesrepublik, um über die allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter und ihrer Angehörigen zu informieren.

Die Reise führte ihn durch mehrere Städte der Bundesrepublik, auch nach Berlin. Seine Berichte vermittelten einen guten Einblick in die Lebensverhältnisse seiner Kolleginnen und Kollegen, vor allem vom Leid und der Not auf beiden Konfliktseiten unter den Bedingungen des Krieges. Pavlo lebt und arbeitet im Osten der Ukraine in der Stadt Lissitschansk, dicht an der Frontlinie zwischen den militärischen Kräften der ukrainischen Regierung und den Kämpfern der Separatisten in Donez und Lugansk.

Im Sommer ergab sich im Rahmen einer längeren Reise mit dem Auto in den Osten der Ukraine ein Besuch bei Pavlo, 2300 Kilometer von Berlin entfernt. Wer zum ersten Mal übers Land durch die Ukraine fährt, der kann nur beeindruckt sein von der Weite und Schönheit dieses Landes und der freundlichen Bescheidenheit der dort lebenden Menschen. Eine Zwischenstation in Kiew machte die unterschiedlichen Facetten des Landes und seiner Bevölkerung deutlich. Die Stadt Kiew wirkt mit ihren Bauten und Denkmälern etwas gigantisch im Vergleich zu Berlin; Geschichte und Gegenwart des Landes spiegeln sich in ihr wider. Der Fluss Dnepr teilt die Stadt und in gewisser Weise auch das Land. Je weiter der Weg in den Osten des Landes führt, umso schlechter werden die Straßen – von neueren Ausnahmen abgesehen. Im Grenzgebiet gibt es Straßen, die so zerlöchert sind, dass kaum darauf gefahren werden kann – auch eine Folge der militärischen Auseinandersetzungen.

Je weiter die Fahrt nach Kiew in den Osten führte, nahmen auch gelegentliche Kontrollpunkte und Straßensperren durch das Militär zu. Die Fahrzeugkontrollen verliefen zwar genau, aber es gab an den Kontrollpunkten kein schikanöses Verhalten der Soldaten, eher Verwunderung darüber, weshalb die Reise nun ausgerechnet in den Osten des Landes führen sollte.

Während des Aufenthaltes in der Stadt Rubizhne, ca.20 Kilometer von Lissitschansk entfernt, erlebten wir mehr zufällig eine Veranstaltung zum „Jahrestag der Befreiung“ von den Separatisten. In Rubizhne leben rund siebzig Tausend Menschen, es gibt dort große Chemiebetriebe mit einer entwickelten städtischen und sozialen Infrastruktur. Nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetrepublik gingen dort – wie überall – viele Arbeitsplätze verloren; die Nähe zu Russland blieb aufgrund der ökonomischen Verbindungen für die Menschen dort eine Möglichkeit, nicht völlig wirtschaftlich abzustürzen. Dieser kleine Zweig ist jetzt spürbar weggebrochen, Betriebe und Geschäfte, die vor zwei Jahren noch aktiv waren, stehen jetzt leer. Wohl dem, der einen Garten hat und sich Obst und Gemüse selbst ziehen kann.

An der Veranstaltung zum „Jahrestag“ nahmen vielleicht 100 – 150 Menschen teil, die aber auch aus anderen Städten dorthin gefahren waren. Die Bevölkerung von Rubizhne nahm an der Feier nicht teil, die kleine Gruppe der Feiergäste wirkte wie verloren auf dem Platz, alles andere wäre auch verwunderlich. Die Stadt Rubizhne bezieht z. B. ihren Strom aus dem Gebiet der Separatisten, die Versorgung damit fällt aber ein bis zwei Mal die Woche infolge von Beschuss aus; da gibt es nicht viel zu feiern. Die Sympathie für Kiew hält sich in klaren Grenzen, es gibt kaum Familien, die durch den Konflikt nicht betroffen wären. Die Menschen haben ganz einfach die Nase voll von den kriegerischen Auseinandersetzungen. Was das Verhältnis zu Russland betrifft, ist die Haltung eindeutig: bis vor Kurzem hat man sich gut verstanden, es gab bei den Beziehungen keine Probleme. Es spielte keine große Rolle, ob jemand in Russland oder der Ukraine geboren wurde, ganz viele Familien sind „national gemischt“, ethnisch ohnehin gleich.

Der Besuch bei Pavlo in Lissitschansk gab die Möglichkeit zur Information aus erster Hand. In dem Gespräch ging es um die Bedingungen seiner Arbeit und die Aussichten für die Kolleginnen und Kollegen. Wir sollten nicht vergessen, dass es sich dort um einen Krieg handelt, der die Menschen dazu zwingt, sich um ganz grundlegende Bedürfnisse zu kümmern, und die den Wunsch haben, dass endlich Schluss ist mit den Scharmützeln und Kriegshetzen. Mehr als 6500 Menschen haben bisher ihr Leben in diesem Konflikt verloren!

Das folgende Interview mit Pavlo ist aktuell und die Fragen orientieren sich an unserem Gespräch im Juli. Aktive Gewerkschafter­Innen wie Pavlo braucht es noch viel mehr, wir müssen solidarisch sein und praktische Hilfe für seine mutige Arbeit und die seiner Kolleg­Innen leisten.

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