Ein feiner Kumpel und Genosse
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Manfred Dietenberger (1952–2021)

Ein feiner Kumpel und Genosse

Von SoZ-Redaktion | 14.12.2021

Immer gut gelaunt, mit Witz in starkem schwäbischem Dialekt, Gemütlichkeit und voller lebhafter Anekdoten und wachem Geist ist ein Original von uns gegangen. Geprägt von der Lehrlingsbewegung ist er einer der Betriebsaktiven, der seiner Klasse bis zum Schluss treu geblieben ist. Wann immer wir in der Redaktion im Bereich Betrieb und Gewerkschaft auf der Suche waren, fiel sein Name.

Er hatte Pläne, wollte unbedingt „sein“ DGB-Ortskartell reaktivieren – „gerade in Zeiten der Pandemie“; er war ja zuletzt DGB-Kreisvorsitzender in Waldshut gewesen. Aufbauend auf einer Artikelserie in der SoZ zur Umstrukturierung bei ZF Friedrichshafen, wo er gearbeitet hatte, wollte er eine Broschüre zur ökologischen Konversion der Automobilindustrie herausgeben – „um mit den Kollegen ins Gespräch über mögliche Alternativen zu kommen“, wie er sagte.

Immer nah an der Arbeitswelt und an den Menschen dran, sie stets respektvoll behandelnd, auch wenn er nicht mit ihnen einverstanden war, beherrschte er die hohe Kunst, die Sprache der sog. „einfachen Leute“ zu sprechen, ohne ihnen nach dem Maul zu reden. Und strebte dabei immer über die Verhältnisse und ihre Zwangsjacken hinaus.

Regional verwurzelt wie kaum einer. Kannte die Geschichte der Schwarzwälder Bauern und Arbeiter bis ins Detail, schöpfte immer wieder aus diesem Fundus, war in seiner Region Waldshut hoch geachtet, auch vom politischen Gegner, und hatte ein Art, mit diesem umzugehen, die so gar nicht in den Geschichtsbüchern steht und eine Mischung aus listigem Umgang und felsenfestem Standpunkt war. Er hatte ein sicheres Urteil und war ein zutiefst zugewandter und hilfsbereiter Genosse.

Immer neugierig, gern für ein Schwätzchen aufgelegt, sehr belesen, in der Geschichte der Arbeiterbewegung bewandert wie kaum einer – wenn er darüber sprach, wurden die Gestalten aus der Vergangenheit lebendig. An der Entwicklung der SoZ nahm er großen Anteil – mit Beiträgen, die er ab Mai 2013 mit wenigen Ausnahmen monatlich beisteuerte, aber auch an ihren Versuchen, die Redaktion zu verjüngen und die neuen Generationen zu erreichen. Er war ein gern gesehener Gast bei unserer Zukunftswerkstatt und hatte Zugang zu jungen Leuten, weil er ein begnadeter Geschichtenerzähler war.

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Geschichte und Geschichten waren sein Steckenpferd: 1984 veröffentlichte er ein Buch über die Geschichte der Arbeiterbewegung in der Region Oberschwaben, …die Enkel fechtens besser aus (das Buch ist heute noch antiquarisch zu haben). Etwa zur selben Zeit beteiligte er sich an der Erstellung eines Kalenders über den Bauernkrieg 1524/25, der damals von den beiden Zeitungen Was tun (eine der Vorläuferzeitungen der SoZ) und die linke (eine Schwesterpublikation aus Österreich) herausgegeben wurden.

Das Thema lag ihm sehr am Herzen. Wer ihn besuchte, wurde an die historischen Stätten geführt, dazu gehörten die Orte, über welche 1525/25 verfolgte revolutionäre Bauern über den Hochrhein in die Eidgenossenschaft geflüchtet waren; ebenso 1849 Wilhelm Liebknecht und andere unterlegene bewaffnete Revolutionäre von 1848/49. Oder in Gottmadingen bei Singen/Hohentwil jener Bahnhof, in welchem Lenin und die anderen Bolschewiki im April 1917 vom schweizerischen Zug aus Zürich in den „plombierten Waggon“ der Preussisch-Deutschen Eisenbahn umsteigen mussten, um in diesem nach Saßnitz an die Ostseee und weiter ins revolutionäre Petrograd zu reisen. Er hat auch

jenes Haus in Todtmoos-Rütte entdeckt und darüber geschrieben, in welchem Max Hoelz 1929 seine Autobiographie verfasste.

Sein Wahlspruch lautete: Wenn ich etwas Neues verstehen will, schaue ich erst einmal in die Vergangenheit. Bis zuletzt war er im Geschichtsverein der Region Hochrhein aktiv. Und heimatverbunden: Manfred war ohne seinen „See“, wie der Bodensee in der Region genannt wird, nicht zu denken. In dessen kaltem Wasser ist er gern geschwommen.

Biografisches

„Manne“, wie ihn seine Freunde nannten, wurde in Friedrichshafen in ein unpolitisches, wie er sagte, aber in seiner Grundhaltung antifaschistisches Elternhaus geboren. In einem Interview mit Charly Schweizer beschreibt er, wie es ihn gefreut hat, als der Alt-Nazi und Bundeskanzler Kiesinger von der Journalistin Beate Klarsfeld öffentlich geohrfeigt wurde. Ein diesbezügliches Flugblatt der Aktion Demokratischer Fortschritt, einer Vorfeldorganisation der damals verbotenen KPD, veranlasste ihn, seine Mitschüler auf dem Salvator-Kolleg in Lochau zu animieren, „so etwas müssen wir auch machen“. Daraus entwickelte sich eine Schülerzeitung.

In Friedrichshafen begann er 1969 eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei der Fa.Reisch. Er rutschte in die sich damals entfaltende Lehrlingsbewegung, bekam Kontakt zur Gewerkschaftsjugend und trat in die HBV ein. Heimisch wurde er jedoch in der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ), die unter den Lehrlingen Aktionen durchführte und von der Befreiungstheologie beeinflusst war. Dort lernte er auch seine Frau Helga kennen. „Sie war die einzige bei einer unserer Veranstaltungen, die mir einen ganzen Abend lang widersprochen hat“, sagt er im genannte Interview. „Dies hat mir imponiert.“

Zum Marxismus kam er, weil ein Mitlehrling ihm erzählte, er habe Kontakt zur illegalen KPD. „Das gefiel mir. ‚Illegal‘ hörte sich nicht schlecht an.“ Er landete dann bei einer Vorläuferorganisation der späteren KPD/ML, sein Kontaktmann wurde Helmut Weiss – beide fanden sich später in der Vereinigen Sozialistischen Partei (VSP) wieder, die die SoZ gegründet hat – und gründete die VSP Oberschwaben, aber „ein Parteimarxist bin ich nie geworden“. Kontakt zur Was tun bekam Manne 1980, als in Polen der „lange Sommer der Solidarität“ losging. Seitdem war er unserer Strömung freundschaftlich und auch als Mitglied verbunden.

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Aber erst gab es noch Umwege. 1975 initiierte er als Einzelbewerber eine „Freie Arbeitnehmerliste“, mit deren Hilfe er zu den Gemeinderatswahlen kandidierte und 16 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Wegen des in Baden-Württemberg üblichen Auswahlverfahrens kam er trotzdem nicht rein. Er holte sich dann politischen Rat bei der DKP, in die er auch eintrat.

Nach der Lehre studierte er in Stuttgart Sozialpädagogik für Jugend- und Heimerziehung. Danach bewarb er sich als Abteilungsleiter beim Kaufpark in Weingarten, wurde aber vor Ende der Probezeit gekündigt, weil er einen Betriebsrat gründen wollte. Also heuerte er bei ZF an, erst als Lagerist, dann über eine betriebsinterne Umschulung als Dreher, wurde Mitglied der IG Metall und bald Vertrauensmann.

Er sollte DGB-Jugend-Sekretär in Südwürttemberg-Hohenzollern werden und dazu seine DKP-Mitgliedschaft als „Jugendsünde“ abtun. Das lehnte er ab. Darauf angesprochen, man habe ihm damit eine goldene Brücke bauen wollen, erwiderte er: „Ja, und ich wollte nicht darüber gehen.“

Das war Manne. Wir werden ihn vermissen.

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