Dossier: Ende der Geschichte Teil 1

Reste der Berliner Mauer an der Bernauer Strasse 2007. Foto: Thomas Kriese, Berlin Wall remains on Bernauer Strasse, CC-BY-NC-ND 2.0

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Einordnung der DDR und das Ende des "Ostblocks"

Dossier: Ende der Geschichte Teil 1

Von Laurent Ripart | 02.02.2020

Ende der Geschichte… so wurde der Zerfall des Ostblocks und der vermeintlich endgültige Sieg des (Neo)liberalismus bezeichnet. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall gestatten wir uns einen Rückblick auf die Ära des „real existierenden Sozialismus“ – aber auch auf die „dunklen Seiten“ dieser historischen Wende.

Ein Dossier mit 7 Beiträgen, hier erscheinen nun die 2 Beiträge von Laurent Ripart.

Der sowjetische Block

Der Begriff der „Blöcke“ geht auf die Konferenz von Jalta zurück, wo die Sowjetunion, England und die USA Europa unter sich „aufteilten“. Auf den sowjetischen Block entfielen dabei Länder, die im Krieg besiegt oder verwüstet worden waren und aus denen die UdSSR einen Sicherheitsgürtel schmieden wollte, der sie vor erneuten Aggressionen durch die kapitalistischen Mächte, die Westeuropa beherrschten, schützen sollte.

Eine Besatzungszone …

Der Ostblock entstand aus den Ruinen besiegter und durch den Krieg traumatisierter Länder. Darunter waren Länder wie Rumänien, Ungarn und Bulgarien, die zuvor als Satellitenstaaten von Nazi-Deutschland fungiert hatten.

Die sozialistischen Regime der östlichen Länder entstanden daher nicht aus einem revolutionären Prozess heraus, in dem sich die Arbeiterklasse der Produktionsmittel bemächtigt hatte, sondern durch die Auferlegung des stalinistischen Modells von oben.

Diese Länder mussten der UdSSR erhebliche Reparationszahlungen leisten, wurden ihrer Souveränität beraubt und unter die Verwaltung der Sowjetarmee gestellt, wo sie willkürlichen Strafmaßnahmen ausgesetzt waren. Andere Länder, wie die Tschechoslowakei oder Polen, waren von den deutschen Armeen verwüstet worden, bevor sie von den sowjetischen Armeen befreit wurden, die bei dieser Gelegenheit gleich einen großen Teil deren Territoriums annektierten und sie ihrer Herrschaft unterwarfen. Die DDR wiederum entstand aus der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und unterlag einem besonders strengen Besetzungs- und Strafregime.

Der Sowjetblock war also zunächst und in erster Linie als eine Besatzungszone konzipiert, auf dem die Sowjetunion ihren imperialistischen Zugriff mit dem Kriegsrecht begründet hatte. Die Bildung kommunistischer Regierungen war daher nicht das Ergebnis einer sozialen Revolution, sondern des Willens Stalins, die Macht den Parteien anzuvertrauen, die er kontrollierte, und zwar umso mehr, als ihre Führung während des Krieges im Exil in Moskau gelebt hatte. Die sozialistischen Regime der östlichen Länder entstanden daher nicht aus einem revolutionären Prozess heraus, in dem sich die Arbeiterklasse der Produktionsmittel bemächtigt hatte, sondern durch die Auferlegung des stalinistischen Modells von oben: Überall wurden die Ländereien nach dem sowjetischen Modell kollektiviert, die Industrie nach den in der Sowjetunion geltenden Maßstäben organisiert und die Gesellschaft durch die Errichtung eines Polizeiterrorregimes gebrochen.

Die einzigen echten Ausnahmen von dieser Regel bildeten Jugoslawien und Albanien, wo es dem von den Kommunisten dominierten Widerstand gelungen war, sich selbst zu befreien, um dann einen stark nationalistisch geprägten Sozialismus zu etablieren. Dank dieser historischen Umstände konnten diese beiden Länder ihre Souveränität bewahren und mit Moskau – Jugoslawien 1948 und Albanien 1960 – brechen. Die anderen Länder des sozialistischen Blocks jedoch, deren Führer bedingungslose Loyalität gegenüber der UdSSR und Stalin geschworen hatten, der wiederum die „befreundeten“ Parteien regelmäßig säuberte, um deren Führungen durch Terror an der Macht zu halten, hatten diese Möglichkeit nicht. Mit der Entstalinisierung wurde die sowjetische Herrschaft flexibler, wobei die Sowjets Polen beispielsweise erlaubten, fast alle landwirtschaftlichen Genossenschaften in den 1950er Jahren aufzulösen, oder Ungarn, in den 1970er und 1980er Jahren eine Wirtschaft zu entwickeln, die weitgehend auf dem Markt und kleinen Privatunternehmen basierte. In den wesentlichen Belangen jedoch gaben die Sowjets nie nach: Die Blockstaaten genossen nur eine begrenzte Souveränität, um somit die sowjetische Hegemonie nicht infrage zu stellen.

… im „sozialistischen“ Gewand

Vor allem kam die sowjetische Hegemonie in der militärischen Integration der Blockstaaten zum Ausdruck, da deren Armeen im Rahmen des Warschauer Vertrages (1955) de facto dem sowjetischen Kommando unterstellt waren. Auch die Diplomatie wurde an den russischen Interessen ausgerichtet, beispielsweise beim Abstimmungsverhalten in der UNO entlang der russischen Vorgaben. Das gleiche galt bei der wirtschaftlichen Integration: Durch den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, gegr. 1949) waren die östlichen Länder integraler Bestandteil der sowjetischen Planwirtschaft, in die sie durch ein eng an den russischen Interessen orientiertes Handelssystem eingebunden waren.

Dem Wirtschaftssystem nach waren die Ostblockstaaten daher sozialistisch, aber dieser Sozialismus bestand nur auf dem Papier. Statt im Besitz der Lohnabhängigen zu sein, befanden sich die großen Unternehmen faktisch in den Händen einer kleinen, bürokratischen Schicht, die die Wirtschaft unter der Kontrolle und zum Vorteile der UdSSR verwaltete. Hierbei ging es beileibe nicht um die Bedürfnisse der Bevölkerung. Der wirtschaftliche Schwerpunkt lag vielmehr in der Entwicklung der Schwerindustrie, was letztlich zu einer Mangelwirtschaft führte, in der die Bevölkerung weitgehend der grundlegenden Verbrauchsgüter beraubt war.

Massiver Widerstand unter den Lohnabhängigen

Die Bevölkerung dieser Länder hat sich nie damit abgefunden, wieder im Völkergefängnis zu sitzen, dessen Bestand nur durch polizeiliche Repression und v. a. regelmäßige Militärintervention seitens der Sowjets gesichert werden konnte, sobald sich die Bevölkerung gegen das eigene Regime erhob. So musste 1953 die Sowjetarmee in der DDR eingreifen, um den Aufstand des Berliner Proletariats blutig zu ersticken. 1956 wurde die ungarische Revolution unterdrückt und dabei die Führung der ungarischen KP liquidiert, weil sie den Erwartungen der Bevölkerung nicht entsprochen hätte. Und 1968 drangen die russischen Panzer in die Tschechoslowakei ein und installierten ein Besatzungsregime.

In der 40-jährigen Ära des Sowjetblocks leistete die Bevölkerung permanent Widerstand. Davon zeugt die Geschichte Polens, die von aufstandsartigen Massenstreiks durchzogen war (1956, 1970, 1980) und wo das Regime 1981 gar das Kriegsrecht ausrufen musste, um eine erneute sowjetische Intervention zu verhindern. Dieser Widerstand kam auch in den massiven Fluchtwellen zum Ausdruck. So sank die Einwohnerzahl der DDR durch „Republikflucht“ trotz der damit verbundenen Gefahren zwischen 1950 und 1990 von 18,3 auf 16 Millionen.

Dieser Widerstand ging bezeichnenderweise vom Proletariat aus. Die Arbeiterklasse bildete das Rückgrat der Aufstände und ihre Handlungsfähigkeit war deswegen so groß, weil durch den Ausbau der Schwerindustrie starke Arbeiterbastionen entstanden waren. Von der DDR bis nach Polen gab es Aufstände gegen die Sowjets, die von Arbeiterstreiks gegen den mörderischen Akkord und für die Verkürzung der Arbeitszeit und Lohnerhöhungen, aber auch für das Recht auf Streiks und unabhängige Gewerkschaften ausgingen. Diese Konstellation hat die Marxist*innen stets vor ein theoretisches Problem gestellt, nämlich den gesellschaftlichen Charakter dieser Regime zu definieren, die zwar infolge der Führungsrolle der Kommunistischen Parteien ihren Ursprung im Proletariat hatten, dieses aber nicht weniger ausbeuteten als zuvor. Und darin liegt der Kern des Problems: Ihrer demokratischen Rechte beraubt und zu harter Arbeit bei Hungerlöhnen verdammt, hat sich die Arbeiterklasse praktisch überall gegen diese Regime gestellt, die ganz offensichtlich nicht die ihren waren.

Revolution oder Konterrevolution?

„Champagner und Alka-Seltzer zugleich“, mit diesen Worten umriss Daniel Bensaïd seinen ersten Eindruck von den Ereignissen von 1989, die in einem dazu führten, dass sich die Bevölkerung Osteuropas politisch und als Nation emanzipieren konnten und dass kapitalistische Produktionsverhältnisse wiederhergestellt wurden.

In dieser paradoxen Formel zeigte sich, wie perplex die internationale Arbeiterbewegung darauf reagierte und vor die Frage gestellt war, ob der Zerfall des Ostblocks eine Revolution oder Konterrevolution war.

Die Besonderheiten des revolutionären Prozesses von 1989 lassen sich somit durch die systemische Krise des stalinistischen Modells der bürokratischen Planwirtschaft erklären.

„Samtene“ Revolutionen

Auch wenn dieser Begriff nur für die tschechoslowakische Revolution gebraucht worden ist, lässt er sich doch auf nahezu alle Länder des Ostblocks übertragen, in denen der revolutionäre Prozess bemerkenswert friedlich verlaufen ist. Die Erklärung dafür liegt darin, dass kein gesellschaftlicher revolutionärer Umbruch stattgefunden hat, also nicht die Massen die Macht übernommen haben, sondern die herrschende Kaste selbst in neuem Gewand die Grundfesten ihrer Herrschaft radikal umgestaltet hat.

In Polen und Ungarn, die den Umbruch angestoßen haben, vollzog sich die Revolution nahezu vollständig innerhalb der Kommunistischen Parteien, die sich durch den Verzicht ihrer Führungsrolle zur Selbstzerstörung entschlossen, um sich dann aufzulösen und als sozialdemokratische Parteien wiederzugründen. Das einzige Land, in dem der Prozess eine gewaltsame Wendung nahm, war Rumänien, aber dort ging der Umbruch auch nicht von einer Volksrevolution aus, sondern von einem Staatsstreich, in dem Nicolas Ceauşescu von der Armee und dem KP-Apparat gestürzt wurde und so die Partei und ihr Herrschaftssystem liquidiert wurden.

In der Systemkrise

Zumeist wurde dieser Prozess durch die Umstände erzwungen, die den Führungen de facto kaum eine Wahl ließen. So im Fall der DDR, die gleichwohl das einzige Land des Sowjetblocks war, in der die Wirtschaft halbwegs funktionierte: Nachdem Ungarn beschlossen hatte, die Grenzen zum Westen zu öffnen, und viele DDR-Bürger*innen daraufhin den Weg über Budapest zur Fluchtroute in die BRD erkoren hatten, blieb dem Regime nur die Wahl, entweder sämtliche Grenzen dichtzumachen – was unhaltbar war – oder eben alle zu öffnen, was zu seinem Untergang führte. So wie die Gorbatschow-Anhänger in Russland hatten die Staatsführungen inzwischen begriffen, dass das System nicht mehr reformierbar war und dass revolutionäre Umwälzungen unumgänglich waren.

Denn seit den frühen 1970er Jahren befand sich die Wirtschaft im Ostblock in einer Krise, die insofern unlösbar war, als sie systemisch war. Die Erträge in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften waren rückläufig, was auf die Unfähigkeit der Industrie, die notwendigen Maschinen zu liefern, den Verfall des Transport- und Verteilungssystems, aber auch auf die unkontrollierte Entwicklung einer Schattenwirtschaft zurückzuführen war. Traditionelle Agrarländer wie Rumänien, Polen oder Ungarn konnten ihre Bevölkerung nicht mehr ernähren und mussten erhebliche Mengen an Lebensmitteln aus dem Westen importieren, die sie nur bezahlen konnten, indem sie sich über die Maßen verschuldeten.

Die Ursache des Problems war der Zusammenbruch des bürokratischen Planungssystems. Die großen Industriekomplexe produzierten riesige Mengen, deren Gebrauchswert nahezu Null war, da diese Produkte größtenteils von unzureichender Qualität für die praktische Verwendung waren oder nicht den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprachen. Das Verkehrssystem war nahezu komplett heruntergekommen und die Wohnungen, die nicht instand gehalten wurden, befanden sich in einem unglaublich verwahrlosten und elenden Zustand. Diese Situation führte dazu, dass die Bevölkerung in einem Wirtschaftssystem permanenter Knappheit lebte und sehr viel Zeit damit vergeudete, auf dem Schwarzmarkt nach den Grundversorgungsmitteln zu suchen, was sich wiederum auf ihre Motivation am Arbeitsplatz auswirkte.

Die widerstandslose Restauration des Kapitalismus

Infolge dieser systemischen Krise gelangten die Führungen der kommunistischen Parteien zunehmend zu der Überzeugung, dass nur noch die Wiederherstellung einer Marktwirtschaft die Probleme lösen konnte. Ein Teil dieser Funktionäre tat sich mit der ehemaligen Bourgeoisie zusammen, die ihr 1945 beschlagnahmtes Eigentum zurückerhielt, und verwandelte sich in eine neue Kapitalistenklasse, wobei sie ihre Positionen im Staatsapparat ausnutzte, um sich öffentliches Eigentum anzueignen, das dann für einen Spottpreis privatisiert wurde. Da sie von dieser Mangelwirtschaft genug hatte und den herrschenden Regime zutiefst abhold war, leistete die Arbeiterklasse trotz ihrer erheblichen Macht keinen Widerstand gegen diese Entwicklung, die zu einer fast vollständigen Liquidation der gesamten alten Industrie führen sollte, mit dramatischen Folgen wie Massenarbeitslosigkeit und Verarmung.

Die Besonderheiten des revolutionären Prozesses von 1989 lassen sich somit durch die systemische Krise des stalinistischen Modells der bürokratischen Planwirtschaft erklären. Da die herrschende Bürokratie aus diesem abgewirtschafteten System keine Vorteile mehr schöpfen konnte, begab sie sich aus freien Stücken an die Wiederherstellung des Kapitalismus, in der Annahme, dass sie dabei mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Da sie einem System, das nie ihr eigenes und obendrein nicht in der Lage gewesen war, ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu erfüllen, gleichgültig gegenüber stand, hatte die Arbeiterklasse kein objektives Interesse daran, es zu verteidigen. Da sich auch keinerlei politische Alternative anbot, gab es für sie nur noch die Lösung, die Entwicklung gleichgültig hinzunehmen oder ihr Heil im Nationalismus zu suchen, der hier auf ein fruchtbares Terrain stieß.

Dieser Artikel wurde entnommen aus „Die Internationale“ 6/2019.

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