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Länder

Die „Swiss road“ zur Apartheid

Von Urs Diethelm | 01.12.2003

Mit Hilfe der offiziellen Schweiz haben Vertreter der Israelischen Arbeitspartei und ehemalige Minister im Umfeld von Arafat eine „endgültige Friedensregelung“ für Palästina/Israel entworfen, die den Konflikt beenden soll. Die symbolische Übereinkunft, die zum heutigen Zeitpunkt nur ein Friedensgedankenspiel ist, weist aber keinen Ausweg aus Apartheid und Unterdrückung.

Mit Hilfe der offiziellen Schweiz haben Vertreter der Israelischen Arbeitspartei und ehemalige Minister im Umfeld von Arafat eine „endgültige Friedensregelung“ für Palästina/Israel entworfen, die den Konflikt beenden soll. Die symbolische Übereinkunft, die zum heutigen Zeitpunkt nur ein Friedensgedankenspiel ist, weist aber keinen Ausweg aus Apartheid und Unterdrückung.

Das Abkommen, das finanziell und ideell vom schweizerischen Außenministerium (sozialdemokratisch) gefördert wurde, entspricht einem breiteren Wunsch vieler Friedensbewegten, dass dieser Konflikt endlich friedlich gelöst werden kann. Es lohnt sich deshalb, das Abkommen, das angesichts der realen Machtverhältnisse in Israel und den US-Interessen in der Region weit von einer unmittelbaren Umsetzung ist, trotzdem auf seine friedensstiftenden Inhalte zu untersuchen.
Was das Abkommen vorsieht
Das Abkommen sieht einen teilweisen Rückzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten (mit Ausnahme von Ostjerusalem und einzelnen Siedlungszentren im Westjordanland) vor. Nach dem alten Konzept „Land gegen Frieden" liegt dem Abkommen eine Karte bei, die den Austausch von Land in den besetzten Gebieten, die wegen ihrer Siedlungen und für Israel militärisch als wichtig erscheinen, gegen ein Stück Wüste im Negev und einem Streifen am Rand des Gazastreifens vorsieht. Die bedeutsamste Abweichung von den Grenzen vom 4. Juni 1967 betrifft die Grenzregelungen um die Stadt Jerusalem. Ansonsten entspricht die Grenze zwischen dem zukünftigen Staat Israel, der seinen zionistischen Charakter bewahren soll, und dem Gebilde eines selbstverwalteten palästinensischen Gebietes im Westjordanland und Gaza-Streifen den israelischen Grenzen vor dem Krieg von 1967. Die israelische Armee kann aber weiterhin in den palästinensischen Gebieten (Westbank) zwei Stützpunkte unterhalten dürfen, in denen neben Soldaten auch sogenannte „Frühwarnsysteme" stationiert sind.

Zur militärischen Kontrolle der Gebiete wird den palästinensischen Sicherheitskräften eine internationale Verifikationsgruppe mit multinationalen Truppenverbänden beiseite gestellt, die die palästinensische Seite zu kontrollieren hat. Israel soll ein Vetorecht für die Beteiligung von Militärs aus nicht genehmen Staaten eingeräumt werden. Insbesondere soll diese multinationale Truppe die Außengrenzen der palästinensischen Gebiete zusammen mit der palästinensischen Polizei kontrollieren. Nach dem Abkommen hat sich der sogenannte palästinensische Staat auf eine Polizeibewaffnung zu beschränken. (Beschränkungen von Israel sind keine vorgesehen)

Das Abkommen verpflichtet die palästinensische Seite zu einer engen Sicherheitskooperation mit Israel (was auch den Austausch von Informationen über Verdächtige beinhaltet) und verlangt eine vollständige Entwaffnung aller palästinensischen Kräfte außerhalb der Polizeitruppe. Im Abkommen ist ausdrücklich erwähnt, dass die palästinensischen Sicherheitskräfte im Kampf u.a. gegen "counterfeiting, Piratenstationen von Radio und Fernsehen und anderen illegalen Aktivitäten" mit den israelischen Behörden zusammenzuarbeiten haben. Das Abkommen sieht wie bereits in den Osloer-Verträgen eine Verbindung (Korridor) zwischen Gaza und der Westbank vor. Die Verbindung steht unter israelischer Kontrolle, die nicht genauer umschrieben wird. Der Luftraum der palästinensischen Gebiete steht ebenfalls weiterhin unter israelischer Kontrolle und soll nach dem Abkommen ausdrücklich für sogenannte Übungsflüge der israelischen Luftwaffe genutzt werden können.

Jerusalem soll Hauptstadt von zwei Staaten werden. Der nach 67 illegal errichtete israelische Siedlungsring um Ostjerusalem wird legalisiert (mit 200 000 SiedlerInnen) und weiterhin unter israelische Kontrolle bleiben. Die „Teilung" der Stadt soll international überwacht werden. Was mit dem verlorenen Besitz der arabischen BürgerInnen der Stadt in Westjerusalem und den vom Siedlungsring betroffenen Ostjerusalem passiert, wird im Abkommen nicht geregelt.

Die palästinensischen Flüchtlinge, die 1948 und 1967 aus Israel vertrieben wurden, sollen definitiv auf ihr individuelles Recht auf Rückkehr (gemäß internationalem Recht) verzichten müssen. Anerkannte Flüchtlinge sollen aus einem internationalen (nicht israelischem) Fond entschädigt werden. Nach einer Übergangsfrist von 2 Jahren verlieren alle Flüchtlinge, auch wenn sie keine Entschädigungsforderung gestellt haben, endgültig ihren Flüchtlingsstatus. Die UNO wird aufgefordert, die entsprechenden UNO-Resolutionen (z.B. 194) als erledigt abzuschreiben.

Eine symbolische Anerkennung der Verantwortung von Israel für das Flüchtlingsproblem ist im Abkommen nicht vorgesehen. Folgerichtig muss Israel auch nur teilweise für die Entschädigung der Flüchtlinge aufkommen und ist weiterer Verpflichtungen enthoben. Israel darf laut Art 7.9.e des Abkommens sogar den Wert der Siedlungen, die sie räumt und an die PalästinenserInnen übergibt, bei seinen Beiträgen an den internationalen Entschädigungsfonds für die Flüchtlinge abziehen.

Die Zahl für eine beschränkte Rückkehr von Vertriebenen soll allein durch Israel bestimmt werden. Nach 5 Jahren soll dann das UNO-Hilfswerk UNRWA, das heute die Bildung und Gesundheitsvorsorge der Flüchtlinge gewährleistet, aufgelöst werden.

Das Abkommen sieht ausdrücklich auch eine Vereinbarung über Transitstraßen durch die Westbank (Gebiete unter palästinensischer Kontrolle) vor, die Israelis ohne palästinensische Grenzkontrolle frei benützen dürfen. Die Kontrolle dieser Transitstraßen unterliegt ausschließlich den multinationalen Truppen. Neben diesen Transitstraßen haben israelische ZivilistInnen ohne sich palästinensischen Grenzkontrollen unterziehen zu müssen, freien Zugang zu einigen heiligen Stätten in der Westbank (Rachel Tomb, Patrichats Tomb in Hebron).

Die palästinensischen Gefangenen werden in 3 Kategorien für ihre Freilassung eingeteilt. Menschen, die vor dem 4. Mai 1994 verhaftet und gefangen wurden (also schon 10 Jahre ihrer Freiheit beraubt sind) und in Administrativhaft, minderjährig oder weiblichen Geschlechts sind, sollen beim Abschluss des Abkommens freigelassen werden. Ein Teil der Menschen, die nach Mai 94 und vor der Unterzeichnung des Abkommens verhaftet wurden, sollen bis 18 Monate nach der Unterzeichnung freigelassen werden. Alle Gefangenen (unabhängig von der Dauer ihrer Gefangennahme), die in einem Annex des Vertrages aufgezählt werden, sollen erst 30 Monate nach der vollständigen Umsetzung des Abkommens (was immer das auch heißt) freigelassen werden.
Das Abkommen widerspricht Völkerrecht und UNO-Resolutionen
Das Abkommen widerspricht in mehreren Punkten dem internationalen Recht und den UNO-Resolutionen. Das Abkommen sieht keinen bedingungslosen Abzug der v&o
uml;lkerrechtswidrigen Besatzung der 67er Gebiete vor (wie es z.B. in der UNO-Resolution 242 verlangt wird), sondern versucht, mit dem Abzug noch verschiedene Kontrollrechte über die palästinensiche Selbstverwaltung und das Territorium zu erhalten.

Insbesondere in Jerusalem legalisiert das Abkommen illegale israelische Siedlungen für ca. 200 000 Menschen, was der Hälfte aller illegalen SiedlerInnen in der Westbank entspricht. Amram Mitzna, ehemaliger Bürgermeister von Haifa, Gegenkandidat der Arbeitspartei zu Sharon bei den letzten Wahlen und Mitautor des „Genfer Abkommens" feiert in Tachles (schweiz. Jüdisches Wochenmagazin) die Resultate des Abkommens, die den generalstabsmäßig geplanten Siedlungsring um Ostjerusalem nach 67 anerkennt. „Sie (die Siedlungen, Anmerk. Autor) werden auf immer Bestandteil der erweiterten Stadt sein. Keiner der Siedler in diesen Gegenden wird sein Heim verlassen müssen." Um die Idee einer Hauptstadt zweier Nationen zu verwirklichen, erhält Israel wesentliche Teile der Stadt, die sie 1967 völkerrechtswidrig annektiert hat, im Abkommen zugesprochen. Das Abkommen legalisiert einen großen Teil des „Fait accompli", das Israel geschaffen hat, um ihren Anspruch auf Jerusalem als Hauptstadt zu untermauern.

Am auffälligsten ist der Widerspruch zum internationalen Recht bei der Rückkehr der Flüchtlinge. Sie sollen umfassend auf ihr in den UNO-Resolutionen (insbesondere Nr.194) wie in Menschenrechtskonventionen verankertem Rechte verzichten, die jedem Flüchtling individuell das Recht auf Rückkehr an den Ort vor seiner Vertreibung garantieren. Im Abkommen wird ausdrücklich auch auf eine symbolische Anerkennung des Rückkehrrechtes verzichtet, was Uri Avnery, der das Abkommen im Prinzip unterstützt, in seinem Kommentar kritisiert. In derselben Logik sieht das Abkommen keine direkte Entschädigung durch das für die Vertreibung verantwortliche Israel vor, sondern ein international gespeister Fonds. Das Abkommen widerspricht damit nicht nur dem internationalen Recht auf Rückkehr von Vertriebenen, sondern auch der Verpflichtung der Verantwortlichen, die Opfer zu entschädigen.

Vollkommen außerhalb jeglichen anerkannten Rechts (Menschenrechtskonvention, Genfer Konventionen, etc.) sind die Regelungen über die Freilassung der palästinensischen Gefangenen in Israel (7000-9000 Betroffene). Die Inhaftierung der meisten Gefangenen ist nach internationalem Recht illegal. Die Menschen, die zum Teil schon über Jahrzehnte in israelischen Gefängnissen und Lagern festgehalten werden, sind deshalb sofort freizulassen. Die Opfer für die von israelischer Seite als „notwendig" bezeichnete Folter sind zusätzlich zu entschädigen.
Ein friedlicher Weg zur Apartheid?
Das Genfer Abkommen lässt gleich wie die Osloer Abkommen von 93/94 die Fragen der Lebensbedingungen der Bevölkerung offen. Israel hat während des Osloer Abkommens durch Grenzschließungen und durch diverse Einschränkungen die Lebensbedingungen der Bevölkerung unter der palästinensischen Selbstverwaltung verschlechtert. Das ist ein wesentlicher Grund für das Scheitern des Osloer-Abkommens und den Ausbruch der zweiten Intifada. Eine dauerhafte Friedensregelung, muss die Existenz der palästinensischen Bevölkerung in einem so genannten palästinensischen Staat absichern (Wasser, Infrastruktur, Arbeitsbewilligungen, etc.) Angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit der besetzten Gebiete von Israel müssten dafür von Israel Garantien abgegeben werden. Die Beantwortung dieser Fragen macht den wesentlichen Unterschied aus, die eine „Zweistaatenlösung" in Palästina von einem südafrikanischen Bantustan zu Apartheidzeiten unterscheiden. Im Genfer Abkommen unter Punkt 13 heißt es aber nur vielsagend: „Die wirtschaftlichen Beziehungen müssen noch geregelt werden."
Ein Frieden ohne Menschenrechte?
Angesichts der gewaltsamen Politik der Sharon-Regierung zur Errichtung eines palästinensischen Bantustans hinter Mauern in der Westbank, der forcierte Ausbau der Siedlungen und der dazu notwendigen Unterdrückungs- und Zerstörungspolitik erscheint das „Genfer Abkommen" als kleineres Übel. Trotzdem schafft es keine Basis, auch nicht als Übergangsregelung, für einen dauerhaften Frieden.

Das „Genfer Abkommen" sagt zum heutigen Zeitpunkt hauptsächlich etwas über ihre Unterzeichner und UnterstützerInnen aus. Das Abkommen wirft die Frage auf, ob die Führung von Palästinensischen Regierungsbehörde (PA) und PLO bereit ist, wesentliche Teile der Rechte der palästinensischen Bevölkerung (die in ihrer Mehrheit ein Flüchtlingsschicksal erlitten haben) aufzugeben, auch wenn diese im internationalen Recht abgesichert sind.

Dabei weisen, unabhängig von einer langfristigen Lösung des Palästina/Israel Konfliktes, Völkerrecht und UNO-Resolutionen einen Weg zu einer Übergangslösung: Das ist das sofortige und bedingungslose Ende der Besatzung und die Rechte der Flüchtlinge auf Rückkehr und Entschädigung. Wie dann die palästinensische Bevölkerung die geräumten Gebiete selber verwaltet und wie sie sich dafür organisiert, sollten wir einfach sie selber bestimmen lassen. Es kann nicht sein, dass VertreterInnen der Besatzungsmacht dies vorgeben.

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