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DIE LINKE

Die Partei DIE LINKE – eine Zwischenbilanz

Von Thies Gleiss | 01.05.2008

Ein Jahr nach der Gründung der Partei Die Linke ist das politische Koordinatensystem in Deutschland verändert, darin sind sich rechte wie linke BeobachterInnen einig. Die Partei Die Linke hat sich nach den drei Länderwahlen vom Frühjahr 2008 nachhaltig in der politischen Landschaft verankert. Sie ist nominell die drittstärkste Partei Deutschlands, gemessen an Mitgliedern, Abgeordneten- und sonstigen politischen Ämtern auf allen staatlichen Ebenen und an Finanzkraft. Die LINKE hat 72.000 Mitglieder. Im Bundestag stellt sie mit 53 Abgeordneten – ein weiterer, politisch Nahestehender ist bereits seit 2005 ausgeschlossen – die größte Fraktion einer explizit linken Partei in allen großen kapitalistischen Ländern. Sie wurden von gut vier Millionen Menschen gewählt, was in den alten imperialistischen Staaten nur noch von der KP Japans übertroffen wird. In den Ostbundesländern ist sie eine breit verankerte Partei und auf kommunaler Ebene in zahlreichen Orten die prägende und Verantwortung tragende Kraft, die alle anderen Parteien an Stärke und Verankerung in den Schatten stellt. Im Bundesland Berlin ist sie mit vier SenatorInnen an der Landesregierung beteiligt. In den Westländern ist sie bei allen Wahlen erfolgreich, erreichte aber lediglich bei der Landtagswahl in Niedersachsen mehr Stimmen als zur Bundestagswahl 2005 in diesem Land mobilisiert wurden. Insgesamt verfügt sie über 185 Landtagsabgeordnete, 5561 kommunale Mandatsträger, 179 BürgermeisterInnen, drei LandrätInnen und 59 Beigeordnete, DezernentInnen und kommunale WahlbeamtInnen.

Die gesamte Linke außerhalb der LINKEN, die sozialen Bewegungen, allen voran die Gewerkschaftsbewegung, und auch eine wachsende Zahl von Intellektuellen und WissenschaftlerInnen schauen heute auf die neue Partei und sind gezwungen, in ihren politischen Ansätzen und Ansprüchen – egal ob wohlmeinend oder kritisch – die neue Linkskraft einzubeziehen. Politisch ideologisch füllt die LINKE ein lange Jahre brachliegendes Gelände. Sie hat einen Diskurs eröffnet, der Kritik am Kapitalismus und sogar ein Bekenntnis zum Sozialismus langsam wieder gesellschaftsfähig macht. In diesem Sinne ist DIE LINKE ein politischer Reflex auf die ebenso lang vollzogene Polarisierung der Gesellschaft zwischen GewinnerInnen und VerliererInnen der Offensive des Kapitals und seiner Parteien zur Sanierung der Profitrate, ein Reflex auf den aggressiven “Klassenkampf von Oben” aller europäischen Regierungen und der Unternehmerverbände und ein Reflex auf die zunehmende Gewalttätigkeit, Militarisierung und materielle Unsicherheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Soziologisch ist die Partei DIE LINKE eine partielle Rückkehr eines angeblich historisch überholten Modells der Klassenpartei, die in kürzester Zeit eine respektable StammwählerInnenschaft unter den Opfern der herrschenden Politik und bei den TrägerInnen des gesellschaftlichen Widerstandes gegen diese Politik gewinnen konnte. DIE LINKE ist somit deutlich mehr als eine Protestpartei, im Gegenteil: sie erzielt ihre Wahlerfolge ausdrücklich nicht durch kurzzeitige Gewinne im wachsenden Milieu der NichtwählerInnen, sondern trotz einer stetig sinkenden Wahlbeteiligung. Sie mobilisiert für sich in erster Linie Teile der proletarischen Stammwähler der Sozialdemokratie, weshalb es vor allem die SPD ist, die in Bezug auf Mitglied-und WählerInnenschaft von der neuen Partei herausgefordert wird.

All diese Faktoren machen DIE LINKE aus Sicht einer antikapitalistischen und sozialistischen Perspektive zu einem fortschrittlichen Ereignis. Aber wie immer will es die Dialektik, dass mit dem Fortschritt auch die Kräfte wachsen, die bremsen, die sich mit dem schon Erreichtem zufrieden geben und es gibt gleichermaßen viele AnhängerInnen und Mitglieder der LINKEN, die sich dieses Fortschritts zu wenig bewusst und daher unfähig sind, eine weitere Linksentwicklung und Radikalisierung der LINKEN als einzigen Weg des politischen Erfolgs zu begreifen.

Die Mitgliedschaft ist seit der formalen Gründung im Juni 2007 um knapp 3000 Mitglieder gewachsen. Ungefähr ein Drittel der offiziell 12.000 Mitglieder der WASG haben die Vereinigung mit der Linkspartei.PDS nicht mit vollzogen, traten aus oder stellten die Beitragszahlung bis zur Streichung aus den Listen ein. Knapp Dreiviertel der Mitglieder leben in den Ost-, ein Viertel in den Westländern. Die LINKE organisiert in den Ostländern fast ausschließlich spezielle Opfer der kapitalistischen Reintegration der früheren DDR. Menschen, die im Kapitalismus nicht mehr gebraucht oder nicht mehr gewollt waren. Zwei Drittel von ihnen verfügen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium, sind aber mittlerweile hoch im Rentenalter. Der Altersdurchschnitt in den Ostländern liegt bei über 65 Jahren. In den Ostländern gewinnt die Partei neue Mitglieder, verliert aber mehr, hauptsächlich wegen Tod der GenossInnen. Fast die Hälfte der Mitglieder im Osten ist weiblich, in den Westländern dominieren die Männer mehr als in anderen Parteien, der Gesamtdurchschnitt mit 41 Prozent weiblichen Mitgliedern liest sich aber immer noch gut. Bei den Neueintritten nach der Gründung sind die Männer im Westen fast unter sich, in Ost und West sind es noch 85 Prozent Männer die neu in die LINKE eingetreten sind. Gerade fünf Prozent der Mitglieder sind unter 30 Jahren, nur ein Prozent unter zwanzig.

Im Westen teilt sich die Mitgliedschaft in zwei Blöcke: die neuen Opfer des Kapitalismus, prekär Beschäftigte und Erwerbslose einerseits, von denen aber nicht wenige zu den “Mitgliederverlusten” bei der Gründung zählen und deren Gewicht abnimmt, und abhängig Beschäftigte, unter denen die AkademikerInnen eine klare Minderheit darstellen. Die LINKE ist eine ArbeiterInnenpartei, so wie sie der moderne Kapitalismus nur hervorbringen kann, mit einer großen Sonderabteilung der Opfer der DDR-Abwicklung. Die Vereinigung der Selbstständigen in der LINKEN ist ein klitzekleines Kuriosum am Rande unter der Führung des glorreichen Diether Dehm.

Die Partei organisiert sich in etwa 2000 Basisorganisationen im Osten und 260 im Westen. Sie sind fast komplett nach Verwaltungskreisen und Wohngebieten aufgeteilt. Es gibt nur eine einzige Betriebsgruppe. Die von der Satzung vorgeschriebene hälftige Quotierung zwischen Männern und Frauen bei Vorständen und Kandidatenlisten wird auf lokaler Ebene kaum eingehalten, auf mittlerer und regionaler Ebene mit Sorgfa
lt aber mit großen Problemen bei der Durchsetzung umgesetzt, auf Spitzenebene der Partei – die beiden Herren ganz oben dürften bekannt sein – in Bund- und den Ländern wird sie auf Druck der Männerriege immer wieder durchbrochen. Die Wahllisten zu den Parlamenten sind weit gehend quotiert, bei den MitarbeiterInnen der Fraktion und auch der Partei kann davon keine Rede sein. Der Verwaltungsapparat der Partei besteht aus 77 Stellen in der Bundesgeschäftsstelle und knapp 160 Stellen in den Bundesländern. Die Partei finanziert sich überwiegend durch Einnahmen aus der staatlichen Parteienfinanzierung und Abgeordnetenbeiträgen. Der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag beträgt etwa sieben Euro im Monat. Der größte Teil der Öffentlichkeitsarbeit für die Partei erfolgt dazu über die staatlich finanzierten Parlamentsfraktionen und die Verbände der Rosa-Luxemburg-Stiftung. So ist es sicherlich nicht falsch anzunehmen, dass die LINKE zu gut 80 Prozent von Staatsknete lebt, was kein Grund zum Schämen ist – im Gegensatz zu Spenden von großen Unternehmen und sonstigen schwarzen Kassen – was aber immer im politischen Bewusstsein präsent sein muss.

Diese Strukturmerkmale der LINKEN sind die objektive Basis für eine nur beschränkte grundsätzlich systemkritische Haltung. Wollten LINKE mit einer solchen Organisation die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig ändern, dann müssten sie diese strukturellen Beschränkungen regelmäßig, in jeder Kampagne und jeder Aktion problematisieren und in der Praxis zu überwinden versuchen. Das geschieht aber nicht. Eine grundlegende Änderung der Strukturen durch außerparlamentarische Aktionen, Aufbau von Betriebsgruppen und eine größere Finanzierung durch Beiträge von Mitgliedern und UnterstützerInnen findet auch nicht statt. So wundert es nicht, dass die LINKE in einer rasanten Geschwindigkeit verparlamentarisiert. Die gesamte Aktivität dreht sich heute fast nur noch um Wahlkämpfe. Die Mitgliedschaft zerfällt in einen großen Teil von Karteileichen, die höchstens zu Wahlkampfhighlights mobilisiert werden und einen Teil von Aktiven, der sich um die Fraktionen schart. Das wird durch drei politische Tugenden beschleunigt, die bei kaum einer anderen Partei so ausgeprägt sind wie bei der LINKEN: erstens eine devote Grundhaltung vor allem bei der ehemaligen PDS, die immer noch vom kapitalistischen Gegner auf- und ernst genommen werden will. Der Wunsch Gregor Gysis, man möge auf seinen Grabstein schreiben, “wir waren doch nett” , drückt dies mehr als anekdotisch aus. Zweitens eine Medienängstlichkeit, die fast nur noch medizinisch zu therapieren ist. Eine der 77 Stellen der Parteizentrale ist regelmäßig damit beschäftigt, aufzulisten wie hoch der Prozentsatz “guter” und “schlechter” Presse ist. Und Drittens schließlich eine autoritäre Grundstruktur mit Vorsitzendenergebenheit, Gremienloyalität zum Erbrechen und Zentralisierungswahn auf Seiten des Apparates, die letztlich jede Kreativität und Phantasie und damit lebende Potenzen der Partei abtötet. Diese Tugenden, das lässt sich an fast allen Parteisitzungen spüren, werden von den alten PDS-FunktionärInnen, vor allem den “jungen Alten” und die durch bürokratisierte Gewerkschafts- und SPD-Strukturen geprägten alten West-SPD-Garde hineingetragen. Deren Gewicht nimmt zu und nicht ab und die Mehrzahl der Neueintritte bringt diese Grundauffassung mit, die sich zudem mit den auch immer mehr werdenden Karrieristen und PöstchensucherInnen gut arrangiert.

Was bleibt ist eine Partei, die konstant von gut zehn Prozent der Wählerinnenschaft unterstützt und von der im öffentlichen Diskurs viel oppositioneller Dampf erwartet wird. Eine Partei, die bisher in allen großen Fragen und Aktivitäten – von der Anti-Kriegsbewegung, über den G8-Gipfel-Sturm, den Aktionen gegen Neonazis und gegen den Abbau der demokratischen Rechte bis zur Unterstützung betrieblicher und gewerkschaftlicher Kämpfe, sieht mensch vom Streik der GDL-Lokführer mal ab – die anti-kapitalistischen Kräfte im Land tatkräftig unterstützt und über das hinaus geholfen hat, was ohne eine solche Partei möglich wäre. Aber auch eine Partei, die strukturell alles forciert, genau diese fortschrittliche Rolle zu verlieren, die ihre eigenen Kräfte unnötig kanalisiert und gängelt und schnurstracks im parlamentarischen Sumpf und als Juniorpartnerin einer bürgerlichen Regierung verkommen wird. Aufzuhalten ist dies nur durch ein äußerst waches Bewusstsein über die hier beschriebenen Strukturen und durch heftigen regelmäßigen Druck gesellschaftlicher Kämpfe und Mobilisierungen. Gibt es nur eines von beiden, dann könnte es noch eine Weile gut gehen, fehlt es an beiden, dann ist bald Schluss mit lustig.

Thies Gleiss

Vorabveröffentlichung aus der Sozialistischen Zeitung (SoZ) Juni 2008

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