Die Pandemie als Teil der multiplen Krise verstehen

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ISO Mainz-Wiesbaden

Die Pandemie als Teil der multiplen Krise verstehen

08.06.2021

Die Bundesregierung verharmlost die Pandemie. Außerdem wird es in Zukunft weiter Pandemien geben, solange Ökosysteme zerstört werden. Die ISO sollte deshalb auf einen alternativen wirtschaftlichen Gesamtplan dringen – den die Arbeiter*innenklasse kollektiv erkämpfen muss.

Ein Jahr Leben mit der Pandemie Covid 19 hat nicht nur viel Leid und gewaltige Einschränkungen im Leben der meisten Menschen mit sich gebracht. Mit der Pandemie schälte sich auch deutlicher heraus, dass wir an einer Epochenschwelle leben, in der die multiple Krise eine neue Qualität erhält. Und: In dieser Zeit haben die Herrschenden mehr denn je ihre Klassenpolitik verfolgt.

Vorsorgemängel und Verzögerung

Von Anfang an hat die Regierung das Ausmaß der Pandemie verharmlost. Es fing schon damit an, dass sie auf die die detaillierte wissenschaftliche Studie „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012″ überhaupt nicht reagierte und aus Kostengründen weder ausreichend Schutzausrüstungen bevorratete, noch die Zahl der Krankenhausbetten wenigstens stabil hielt.

Sodann zeigten die unzureichenden Schutzmaßnahmen der breiten Bevölkerung ‒ wie auch der ständige Wechsel von Lockdown und Lockerung ‒ was den Herrschenden wichtig ist: Die möglichst günstige Verwertung des Kapitals. Vor allem die Subventionierung der großen Konzerne durch den Wettbewerbsstaat zielt auf einen Ausbau der Vormachtstellung der in Deutschland ansässigen Konzerne. Die Menschen kommen an zweiter Stelle. Kaschiert wird dies mit ständigen Appellen an die Selbstverantwortung der Menschen. Gesundheit hatte noch nie Vorrang, „schon gar nicht zu 100 Prozent! Sie hatte im Nachtflugverbot keinen Vorrang, nicht bei den Hospital-Infektionen, nicht beim Glyphosat, nicht beim Tempolimit […] ‒ schon gar nicht bei der Wertschätzung und Bezahlung der Pflegekräfte“ (so der Chirurg und Publizist Bernd Hontschik am 9.6.2020 in der FR).

So ist es ein Hohn, wenn die Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen beklatscht werden und gerade mal ein kleiner Teil von ihnen und das auch noch mit nur lächerlich geringen Einmalzahlungen als Anerkennung für den zusätzlichen Stress abgespeist wird. Selbst in der Pandemie gibt es keine Einstellungsoffensiven etwa in der Pflege oder im Bildungsbereich. Dazu müsste die Bezahlung drastisch verbessert werden, doch das widerspräche den Marktgesetzen, die aus prinzipiellen Gründen nicht infrage gestellt werden dürfen. So bleibt es bei dem katastrophal schlechten Pflegeschlüssel von 1: 12 (1:5 wären angebracht).

So gibt es auch nicht genug Lehrkräfte, um etwa Schulklassen teilen zu können usw. Der zusätzliche Stress, der durch die Kombination von Distanz- und Präsenzunterricht entsteht, wird den Lehrkräften und den Schüler*innen aufgebürdet. Noch nicht mal Quereinsteiger*innen in den Lehrberuf werden massenhaft angeworben. Zu all diesen strukturellen Defiziten wird rein gar nichts unternommen, während Milliarden und Abermilliarden in solch klimaschädliche Konzerne wie Autoindustrie, Lufthansa, TUI usw. gesteckt werden.

Wie wenig dabei die Sicherheit der dort beschäftigen Menschen eine Rolle spielt, zeigt sich an der laxen Handhabung des Arbeitsschutzes. In vielen Industriebetrieben gibt es gewaltige Mängel etwa beim Einhalten des Zweimeter-Abstands und bei der Umsetzung von ausreichenden Hygienemaßnahmen (die Bestimmungen etwa des § 3 Arbeitsschutzgesetz werden grob missachtet). Häufig gibt es nicht mal einen Arbeitsschutzausschuss (§ 11 Arbeitssicherheitsgesetz). Vor allem die skandalöse Weigerung, öffentliche Einrichtungen (vor allem die Schulen und Kitas!) mit ausreichenden Filteranlagen auszustatten und ausreichend FFP2-Masken für alle zur Verfügung zu stellen, offenbart, was für die Herrschenden Vorrang hat.

Alle Erfahrungen mit der Pandemie haben an den Tag gebracht, wie wichtig eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern, Betten und Personal ist. Das hindert aber die Regierenden nicht im Geringsten daran, mit einer Dreistigkeit sondergleichen allein seit Beginn der Pandemie 16 weitere Krankenhäuser zu schließen, den Rückzug aus der Fläche fortzusetzen und damit die Notversorgung weiter auszuhöhlen, von der Überlastung der übrigen Krankenhäuser und des dortigen Personals noch ganz abgesehen. So fehlen jetzt vor allem ausreichend Personal und Betten auf Intensivstationen.

Die tatsächlichen Ursachen der Pandemie werden vertuscht

Die Ergebnisse der Forschung sind eindeutig: Covid 19 ist – wie alle anderen Zoonosen – nicht vom Himmel gefallen und sie wird mit absoluter Sicherheit nicht die letzte sein. Denn: Der Anteil der Zoonosen an den Infektionskrankheiten ist in den letzten Jahrzehnten von 50 auf 70 Prozent gestiegen. Der Hintergrund: Dreiviertel aller Krankheitserreger kommen von Tieren und je mehr die Lebensbereiche von Wildtieren zurückgedrängt werden, umso größer wird die Berührungsfläche der Menschen mit den Tieren. Aufgrund von Abholzungen, Brandrodungen usw. schreitet auch die Zerstörung der Biodiversität voran. Je mehr Arten verschwinden, umso stärker breiten sich jene Arten aus, die überleben und gleichzeitig größere Krankheitsüberträger sind (Ratten, Fledermäuse usw.).

Der weltweit immer noch zunehmende Fleischkonsum, die Nahrungsmittelproduktion in Monokulturen, die Fleischfabriken, der legale und illegale Handel mit Wildtieren, all das sind Faktoren, die das Entstehen neuer Zoonosen extrem befördern. Kurz: Der Raubbau an natürlichen Ressourcen und Lebensräumen für Tiere beschleunigt die Ausbreitung von Zoonosen. Wir leben also in einer Ära strukturell angelegter Pandemien (siehe die diversen Untersuchungen des IPBES).

Solange es keine Abkehr von der kapitalistischen Landwirtschaft gibt, solange ist nicht die geringste Besserung zu erwarten. Es gibt also ‒ ökologisch bedingt ‒ eine qualitativ erhöhte Gefahr von Zoonosen und der Ausbreitung von Pandemien. Diese Entwicklung bedeutet nicht einfach nur eine Zuspitzung der eh schon vorhandenen Krisen, sondern ist aufgrund dieser Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ein weiteres eigenständiges und gravierendes Element in der Verkettung von Krisen.

Weitflächige Zerstörung der Ökosysteme und multiple Krise

Damit ist allerdings die wachsende Gefahrenlage noch nicht ausreichend beschrieben. Die Zerstörung von Ökosystemen ist heute keine regionale Angelegenheit in diesem oder jenem Land mehr. Sie vollzieht sich heute global und ist eine direkte Folge der Zerstörung der Biodiversität, der Störung des Stickstoffkreislaufs, der Vergiftung der Böden und der Verunreinigung der Luft, des Trinkwassers und der Meere.

Neben anderen Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels hat allein die zunehmende Wasserknappheit verheerende Folgen. Heute schon stellen UN-Behörden die deutliche Zunahme von Klimageflüchteten fest.

Die multiple Krise, in der sich die kapitalistische Weltordnung heute befindet, zeichnet sich durch Verquickung und teilweise gegenseitig sich verstärkende Tendenzen aus:

  • Zu allem Überfluss offenbart gerade die Pandemie wie krisenanfällig die kapitalistische Wirtschaft ist. Ein wachsender Teil der Weltbevölkerung hat extreme Existenznöte, erst recht in der Pandemie. Schon 2019 stellte die UN fest, dass die Zahl der Hungernden steigt. Selbst in den USA haben heute 50 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Weltweit waren es laut UN-Bericht vom Juli 2019 schon 690 Mio. Neueste Schätzungen gehen inzwischen von 821 Mio. Hungernden aus (das sind 11 % der Weltbevölkerung). Zwei Milliarden Menschen leiden unter Mangelernährung während gleichzeitig die Reichen immer reicher werden!
  • Nicht zuletzt ist die kapitalistische Weltordnung eine Katastrophe fortgesetzter Kriege (ohne die „begrenzten Konflikte“ sind es aktuell 15 Kriege). So hat die deutsche Regierung allein im letzten Jahr Waffenlieferungen über 1 Mrd. Euro an die Staaten genehmigt, die im Jemenkrieg mitmischen.
  • Die weltweite Fluchtkatastrophe wird durch all diese Faktoren verstärkt, doch Gründe, ein besseres Leben fern der Heimat zu suchen, gibt es schon im „normalen“ kapitalistischen Alltag. Hinzu kommt, dass die EU den Zugang immer brutaler unterbindet.

Noch nicht mal ausreichende Sofortmaßnahmen

Die Entwicklung von Impfstoffen ist natürlich notwendig, aber für die Herrschenden im Grunde die einzige nennenswerte Sofortmaßnahme. Das Auftauchen verschiedener Mutationen des Covid-19-Erregers zeigt, wie sehr die herrschende Politik völlig versagt hat. Ihre Strategie läuft darauf hinaus, „die Wirtschaft“ (v. a. die Industrie) am Laufen zu halten und in der Pandemiebekämpfung lediglich auf Kontakteinschränkungen (im Wesentlichen im privaten Bereich) zu bauen. Das Ausbleiben weiterer durchgreifender Hygienemaßnahmen ist höchst gefährlich, denn auf die Geschwindigkeit und konsequente Umsetzung von wirksamen Schutzmaßnahmen kommt es an, damit so schnell wie möglich eine Ansteckungsrate von annähernd null erreicht wird. Schließlich mutieren alle Viren zu neuen Varianten und je länger die Pandemie andauert, umso mehr Mutationen wird es geben, gegen die am Ende auch die jetzt entwickelten Impfstoffe nichts mehr ausrichten können.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Das Impfen alleine kann das Virus nicht besiegen. Es braucht dringend eine weitgehende Stilllegung aller nicht lebensnotwendigen Produktionen (angefangen bei der Rüstungsindustrie, der Autoindustrie …), des Flugverkehrs usw. Ohne einen weitreichenden Shutdown all der Betriebe (nicht nur in der Industrie), vor allem dort, wo kein ausreichender Abstand sichergestellt werden kann, ist die Pandemie nicht wirksam zu bekämpfen. Im Privatbereich die Kontakte einzuschränken oder zu verbieten und gleichzeitig volle Busse fahren zu lassen oder etwa in den Schulen Präsenzunterricht ohne ausreichenden Abstand und ohne Filteranlage durchzuführen, ist nicht nur grotesk, es ist menschenverachtend.

Neben einem weitgehenden Shutdown liegt die zweite zentrale Achse für die Pandemiebekämpfung im massiven Ausbau des Gesundheitswesens. Schon seit eh und je müsste der Gesundheitsbereich völlig umgekrempelt werden, doch nicht mal seit Beginn der Pandemie wurden halbwegs wirksame Maßnahmen ergriffen.

Für eine radikale Eindämmung der Pandemie braucht es auch eine verlässliche und ausreichende Existenzsicherung der Menschen und nicht die des Kapitals. Da eine derartige Existenzsicherung aber im Kern die marktwirtschaftliche Ordnung infrage stellt, kommt sie für die Herrschenden ganz und gar nicht „in die Tüte“. Eine solche Politik ist angesichts des Ausmaßes der Pandemie nicht nur für wenige Tage oder Wochen erforderlich, sondern über Monate. Mit einer „systemwidrigen“ Hilfe könnte nach dem Verständnis der Regierung nur der Wunsch nach einer unbefristeten Fortführung einer solchen Hilfe für alle Bedürftigen über das Ende der Pandemie hinaus geweckt oder gefördert werden.

Diese Weigerung ist übrigens einer der Gründe, warum die Corona-Leugner Gehör in einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung finden. Andere Gründe liegen im Egoismus derjenigen, die sich ihren Lebensstil nicht versauern lassen wollen. Das kapitalistische System ist menschenverachtend, aber das kann niemandem das Recht geben, andere ins Grab husten zu dürfen. Wir distanzieren uns also aufs Allerschärfste von der Ideologie und dem Verhalten nicht nur der Querdenkenden, sondern auch der Corona-Leugner*innen überhaupt.

Gleichzeitig übersehen wir jedoch nicht, dass die Regierenden die Pandemie dazu benutzen, die staatliche Tendenz zur Überwachung der Bevölkerung voranzutreiben. Heute schon übermittelt die Telekom (vorläufig noch anonymisiert) Telekommunikationsdaten an das RKI (und damit an eine staatliche Behörde). Spahn wollte auch die Corona-App für eine weiterreichende Überwachung nutzen.

Sich für eine Gesamtalternative starkmachen!

Aus alledem ergibt sich erstens, dass es einer Gesamtalternative und eines Plans bedarf, der auf Gebrauchswertproduktion basiert. Das Drehen an dieser oder jener Stellschraube innerhalb des Systems und ohne Änderung der Produktionsweise wird die laufenden Krisen und die sich anbahnenden Katastrophen nicht abwenden oder auch nur nennenswert mildern können. Dies zu vermitteln und darüber aufzuklären, gehört zu den vorrangigen Aufgaben revolutionär-sozialistischer Politik und damit auch der Aufgabenstellung für uns, die ISO.

Zweitens geht es nach unserem Verständnis darum, die Darstellung des Gesamtzusammenhangs mit der Propagierung einer Reihe von Sofortforderungen zu verbinden, für die sich nach Lage der Dinge tatsächlich Mobilisierungen entwickeln bzw. befördern lassen. Dabei lassen wir uns nicht davon leiten, dass sich „überhaupt etwas bewegt“. Die Zielrichtung eines Kampfes muss nach unserem Verständnis mit weitergehenden Zielen grundsätzlich vereinbar sein. Wir wollen uns nicht darauf beschränken, in einer bestimmten Auseinandersetzung nur dabei zu sein. Kämpfe, die vom Ansatz her fortschrittlich sind, zu unterstützen, ist grundsätzlich die richtige Methode, aber darin darf sich die Aktivität revolutionärer Sozialist*innen nicht erschöpfen. Wir wollen immer bestrebt sein, eine real existierende Bewegung auch politisch weiterzuentwickeln. Dabei wollen wir der Bewegung keineswegs unsere Formulierung von Kampfzielen überstülpen. Es geht vielmehr darum, die Bewegung insgesamt weiterzubringen, mindestens aber die fortgeschrittensten Teile politisch für weitere Kämpfe in der Zukunft zu wappnen.

Drittens aber wollen wir nicht vergessen ‒ und betonen deshalb: Aufklärungs- Überzeugungsarbeit verlaufen nicht nur rein argumentativ. Um Menschen für eine Abkehr von der extraktivistischen Produktionsweise zu gewinnen und sie zur Gegenwehr zu ermuntern, braucht es auch erfolgreiche Kämpfe, die neuen Mut machen und die vorleben, wie der Kampf geführt werden kann und dass mindestens auch Teilsiege möglich sind. Deswegen sind Agitation (Aufruf zum Handeln) und konkrete Propaganda (Analyse und Aufklärung von Zusammenhängen) nicht voneinander zu trennen. Nur dann werden Fortschritte im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis erreicht werden können.

Und viertens legen wir Wert auf die Feststellung, dass es für erfolgreiche Kämpfe einer besseren Organisierung bedarf. Dies gilt grundsätzlich immer, aber heute in Zeiten des weitgehenden politischen Abtauchens der Gewerkschaften und einer zersplitterten Linken kommt es darauf an, in unsektiererischer Weise die praktische Zusammenarbeit ganz besonders der revolutionären Linken zu befördern und parallel dazu vor allem die abhängig Beschäftigten zur Selbstorganisation zu befördern.

In diesem Zusammenhang kommt nach Lage der Dinge in Deutschland den Gewerkschaften eine besondere Verantwortung zu. Sie hätten es aufgrund ihrer politischen und organisatorischen Möglichkeiten „im Kreuz“, eine wirklich breite Bewegung sowohl für eine völlig Umkehr in der Gesundheitspolitik als auch für eine Konversion klimaschädlicher Produktionen (Rüstung, Autoindustrie usw.) mit Arbeitsplatzgarantie aufzubauen. In nächster Zeit ist es allerdings höchst unrealistisch, dies zu erwarten. Die gewerkschaftlichen Apparate (vor allem ihre Vorstände) sind politisch an keiner Stelle bereit, nennenswerte Konflikte mit Kabinett und Kapital einzugehen.

Strategisch bleibt es für klassenkämpferische Kräfte aber eine unabdingbare Herausforderung, auf eine grundlegende Änderung der Gewerkschaftspolitik hinzuarbeiten. Uns ist bewusst, dass dies keine leichte Aufgabe ist, schließlich können sich die Gewerkschaftsvorstände in ihrer Politik auf eine politisch zurückhaltende Basis stützen, die auch vergleichsweise wenig Erfahrung mit Selbstorganisierung hat.

Praktisch eingreifen

Solange also keine größeren gesellschaftlichen Akteure die Initiative für den Aufbau breiter Bewegungen gegen die Politik der Herrschenden ergreifen, bleibt es vorläufig an den fortschrittlichen und den radikallinken Kräften hängen, den Widerstand am Ort (sowie in den Betrieben) aufzubauen. Wir wollen aber auch betonen:

  1. Gegen die weitreichende und zynische Untätigkeit der Regierenden ‒ aber auch der Querdenkenden ‒ braucht es Massenbewegungen für wirksame Schutzmaßnahmen. Hierfür wäre es gut, wenn es gleichgesinnten Kräften gelänge, in absehbarer Zeit, wenigstens diejenigen in einer bundesweiten Koordination zusammenzubringen, die bereit sind, aktiv gegen die Krisenpolitik anzugehen. Eine Aktionskonferenz mit diesen Zielsetzungen und ohne sektiererische Abschottungen gegenüber weniger systemoppositionellen Kräften gäbe sehr viel Sinn. Schließlich wird die Krise nicht in wenigen Monaten vorbei sein, erst recht nicht, wenn sich neue, resistentere Varianten des Virus ausbreiten, von dem Entstehen ganz neuer Pandemien noch ganz abgesehen.
  2. Dafür müssen – neben den dringend notwendigen politischen Kampagnen ‒ solidarische Strukturen zur Organisierung der Hilfe von unten aufgebaute werden.

Ein gutes Beispiel für eine recht breit getragene Kampagne ist die Initiative „Zero Covid“, die in wenigen Tagen mehrere Zehntausend Unterstützer*innen fand. Es ist gut, diese Kampagne zu unterstützen, weil ihr wesentliches Anliegen absolut berechtigt ist und auch die absolut vorrangigen Sofortmaßnahmen richtig benannt werden. Der Kern der Forderungen liegt vor allem in der Durchsetzung eines wirklichen Shutdowns (also der Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe und Einrichtungen), damit „die SARS-CoV-2-Infektionen sofort so weit verringert werden, dass jede einzelne Ansteckung wieder nachvollziehbar ist“

Die spezifische Aufgabe einer revolutionär-sozialistischen Organisation in dieser Kampagne muss aber ‒ im Sinne der obigen Darlegungen ‒ genau darin liegen,

  1. die Zusammenhänge mit den tieferen Ursachen aufzuzeigen (so wie in dem vorliegenden Text kurz umrissen) und dabei den Klassencharakter der herrschenden Politik klarzustellen.
  2. die Bedeutung des kollektiven Kampfs der Arbeiter*innenklasse (hier in ihrem umfassenden Sinn verstanden) zu betonen.

Damit die Kampagne nicht als eine Bittstellaktion oder ein Appell an die Herrschenden verstanden wird, muss dieses Anliegen mit klar zu benannten Kampfzielen in die Betriebe und Gewerkschaften eingebracht werden, damit dort die erforderliche Kraft aufgebaut wird. Denn die herrschende Politik ist auf ein rasches Hochfahren aller Produktionen und Dienstleistungen zwecks uneingeschränkter Kapitalverwertung ausgerichtet und deswegen ständig auf Lockerungen des Lockdowns aus. Demgegenüber muss das absolute Vordringliche in den Mittelpunkt gerückt werden: Stärkung der demokratischen Rechte und vor allem der praktischen Durchsetzung von betrieblichen und überbetrieblichen Kontroll- und Entscheidungsbefugnissen der Lohnabhängigen beim Gesundheitsschutz. Dies kann mittelfristig die Grundlage stärken, das politische Streikrecht durchzusetzen.

In diesem Sinne setzen wir uns für ‒ möglichst länderübergreifende ‒ Bewegungen ein, die sich in der Frage der Gesundheitspolitik an folgenden Achsen entwickeln können und sollten:

  • Das Gesundheitswesen darf keine Profitquelle für Krankenhauskonzerne, Pharmaunternehmen usw. bleiben: Keine weiteren Privatisierungen; Re-Kommunalisierung der Krankenhäuser unter Kontrolle der dort Beschäftigten; die entsprechenden Konzerne sind entschädigungslos zu enteignen;
  • Abschaffung der Fallpauschalen; verpflichtende Einführung eines Pflegeschlüssels von 1:5, was nur mit einer drastischen Erhöhung der Gehälter zu erreichen ist; 500 Euro mehr für alle Pflegekräfte sofort! Auch in den Gesundheitsämtern wird sehr viel mehr Personal benötigt, damit wenigstens der größte Teil der Kontakte von Infizierten nachverfolgt werden können (heute sind es weniger als 20 %).
  • Vorrangiger Schutz der Beschäftigten in den „systemrelevanten“ Berufen durch Priorisierung im Impfplan und regelmäßige Testungen. Außerdem müssen Massentests durchgeführt werden. Dazu gehört die Herstellung von PCR-Tests und Antigenschnelltests in Öffentlicher Hand. Kostenlose ausreichende Verteilung von FFP2-Masken für alle!
  • Gegen eine marktwirtschaftliche Verteilung der Impfstoffe. Schluss mit den Patenten auf Impfstoffe und Medikamente! Für eine solidarische Verteilung der Impfstoffe weltweit.
  • Belegschaften sollten ermuntert werden, den Gesundheitsschutz in den Betrieben selbst in die Hand zu nehmen oder mindestens die Betriebsräte zu drängen, dass die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften überprüft wird und die Geschäftsleitungen wöchentlich über das Infektionsgeschehen und die Schutzmaßnahmen berichten.
  • Volle Lohnfortzahlung für alle (auch Minijobber*innen) und Verbot von Entlassungen. Soziale Absicherung von Kleingewerbetreibenden, Künstlerinnen usw. Verbot von Räumungen wg. Mietrückstands.
  • Requirierung von leerstehenden Wohnungen und Häusern für die Unterbringung von Obdachlosen und Geflüchteten, die in ihren Sammelunterkünften regelmäßig zu Infektionsclustern werden.
  • Die Reichen sollen zahlen! Sofortige Einführung einer stark progressiven Corona-Steuer und zwar am besten europaweit!

Da mit einem besseren Gesundheitsschutz allerdings die dringenden Aufgaben des Klimaschutzes noch längst nicht hinfällig werden, bleibt es von hoher Bedeutung, dass auch hierzu eine breite Bewegung aktiviert und reaktiviert wird. Klimaschutz fängt schon bei der Ernährung an: Kampf gegen Massentierhaltung, Waldrodungen … für den sofortigen Kohleausstieg usw.

Unser eigener Schwerpunkt im Kampf gegen den Klimawandel wird auf dem Herausarbeiten der besonderen Bedeutung der Konversion klimaschädlicher Produktionen liegen: Also für die sofortige durchgreifende Verkehrswende und für eine politische Kampagne zur Umstellung der Autoindustrie auf die Produktion beispielsweise von Verkehrsmitteln für den ÖPNV. Klar ist, dass auch dies nur mit einer entschädigungslosen Enteignung des dortigen Kapitals vorstellbar ist. Dicke Bretter werden also zu bohren sein, aber letztlich lassen sich nur über diesen Weg Klimaschutz und Arbeitsplatzsicherheit realisieren.

Im Zusammenhang der anstehenden Kämpfe kommt es also auch darauf an, dass sich hierüber und über intensive politische Auseinandersetzung die Einsicht vermitteln lässt, dass es nur zwei Alternativen gibt: Ökosozialismus oder Barbarei

Entwurf der Ortsgruppe Mainz-Wiesbaden für eine Resolution der ISO, 1. Februar 2021

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