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Betrieb & Gewerkschaft

Die IG Metall nach dem Führungswechsel

Von D.B./B.B. | 01.10.2003

Der 1. Teil des IGM-Gewerkschaftstages Ende August brachte weder Überraschungen noch einen Neuanfang. Sozialpartnerschaftliche Orientierung und bürokratische Strukturen werden weiterhin die IG Metall dominieren. Doch eine Belebung und eine Politisierung der Debatte bleiben möglich.

Der 1. Teil des IGM-Gewerkschaftstages Ende August brachte weder Überraschungen noch einen Neuanfang. Sozialpartnerschaftliche Orientierung und bürokratische Strukturen werden weiterhin die IG Metall dominieren. Doch eine Belebung und eine Politisierung der Debatte bleiben möglich.

Nach der Absage Ende Mai an weitere Proteste und Aktionen gegen die Agenda 2010 und erst recht nach dem katastrophalen Streikabbruch in Ostdeutschland hatten nicht nur die erklärten Gewerkschaftsfeinde Oberwasser bekommen. Ein Teil der Apparatfraktion um Zwickel versuchte die Gelegenheit zu nutzen, um mit fast allen Mitteln die ungeliebte Nachfolgeentscheidung für Peters doch noch zu kippen. Nur der massive innerorganisatorische Widerstand aus allen Teilen der IG Metall hat diese Pläne durchkreuzt. Nicht Peters sondern Zwickel wurde zum Rücktritt gezwungen. Der IG Metall-Gewerkschaftstag hat mit Führungswechsel und vielen kritischen Beiträgen den aktiven und kämpferischen Elementen die Luft für ihre Aktivitäten belassen.
Vorher …
In der IG Metall waren vor dem ostdeutschen Metallstreik drei Strömungen zu unterscheiden: die rechten ModernisiererInnen, die "linken" TraditionalistInnen und dazwischen der Hauptteil des Apparates. Für die ModernisiererInnen stand und steht das ehemalige KABD-Mitglied Huber, für die TraditionalistInnen stand und stehen z.B. Schmitthenner und König (Zeitschrift Sozialismus). Es handelt sich nicht nur um Seilschaften im Apparat, sondern um Strömungen, die jeweils von der Spitze der IGM bis zum Vertrauenskörper im Betrieb ihre AnhängerInnen und Basis haben. Eine klassenkämpferische Tendenz gibt es in der IGM nicht. Zwickel und Peters gehörten weder zu den einen noch zu den anderen, sondern vertraten beide die zentrale Apparatfraktion, die zwischen ModernisiererInnen und TraditionalistInnen die starke Zwischenposition behauptete. Unter der Offensive des Neoliberalismus und während des Klassenkampfes in der ostdeutschen Metallindustrie war aber für eine "neutrale" Zwischenposition kein Platz. Mensch musste sich entscheiden: Für den Streik oder dagegen? Darüber fiel die Apparatfraktion auseinander. Ein Teil um Zwickel stellte sich auf die Seite der ModernisiererInnen (und der SPD-Regierung); ein Teil um Peters wählte das Lager der TraditionalistInnen. In der nachfolgenden internen Krise entstand eine dritte Strömung, die keine offene Diskussion in der IG Metall wollte.
Nachher …
Die TraditionalistInnen, die Peters stützten, sind äußerst heterogen und nicht "organisiert". Das trifft in diesem Ausmaß für die ModernisiererInnen nicht zu. Klaus Ernst, der 1. Bevollmächtigte von Schweinfurt, der als ausgesprochener Vertreter der Gegenmachtposition für den Vorstand kandidierte, erreichte auf dem Gewerkschaftstag beachtliche 41%. Die Apparatseilschaft um Peters konnte sich behaupten. Das wird aber keine Wende nach links ergeben. Vielmehr werden in typisch bürokratischer Weise reale Differenzen verharmlost und versucht, die Positionen des zentralen Apparats um den 1. Vorsitzenden zu festigen. Das liegt auch am Kräfteverhältnis, weil weder die ModernisiererInnen die TraditionalistInnen ausschalten können noch umgekehrt. Deshalb suchten beide Strömungen einen Kompromiss.

In den vergangenen Jahren hatte die Autorität des zentralen Apparats sehr gelitten. Es wuchs die Macht der Bezirksleiter und besonders das Gewicht der Betriebsratsfürsten aus der Automobilindustrie von DaimlerChrysler, BMW, Opel, VW, sogar Porsche. Hier kommt ein korporatistischer Geist zum Ausdruck, den gerade das Automobilkapital bewusst fördert. Diese Tendenz wird der Apparat um Peters umzukehren versuchen – mit bürokratischen Mitteln. Ist erst einmal die Stärke des zentralen Apparats wiederhergestellt, dann droht die Politik der "Stärkung des hierarchischen Strangs", wie sie vom IGM-Vorstand schon vor mehr als 25 Jahren angegangen wurde. Sollten sich die ModernisiererInnen dem widersetzen, dann wegen ihrer Verbindung mit den Betriebsratsspitzen der Automobilindustrie.
Verselbstständigungspolitik
Der Verselbstständigungspolitik der großen Betriebsräte und der Verbetrieblichung der Tarifpolitik muss entgegengewirkt werden. Es war dies das Muster, nach dem die ursprünglich "linke" IG Chemie in den 70er Jahren ihre totale politisch-ideologische Integration in die herrschende Wirtschaftspolitik und die Wende zu einer reinen Standortpolitik angetreten hat. Es besteht zwar nur eine kleine Gefahr der Abspaltung zu einer Automobilgewerkschaft, aber dem ist nicht mit bürokratischen Mitteln zu begegnen. Nur eine Repolitisierung über die Stärkung der kämpferischen Kollektive in den Betrieben, entschlossenes Handeln und die konsequente, glaubwürdige Organisierung des Widerstands gegen Lohn- und Sozialabbau kann hier eine Änderung bewirken.
Tandem wohin?
Unter Peters – Huber wird es keinen Aufbruch der IG Metall geben. Im Gegenteil: Der ausgesprochene Modernisierer Huber ist jetzt für die Tarifpolitik, dem traditionell wichtigsten Handlungsfeld der Gewerkschaften, zuständig. Er wird sich für ergebnisabhängige Komponenten in den Tarifverträgen und damit für eine weitere Differenzierung der Verhältnisse zwischen den Betrieben stark machen1 . Der Aufbau einer gemeinsamen Kampffront würde damit schwieriger, aber das ist auch nicht das Ziel der ModernisiererInnen. Sie wollen wie die Betriebsratsfürsten in den "gut verdienenden Unternehmen" mit der Zweiteilung ihre spezifische Klientel ruhig zu stellen suchen, ohne auf die Betriebe in der Fläche Rücksicht nehmen zu müssen.

Die ModernisiererInnen stehen aber auch für die "Gesprächsbereitschaft mit der Regierung". Sie wollen in Kamingesprächen den "Reformen" die faulsten Zähne ziehen, damit die Bisswunden erträglich bleiben. Aber Widerstand organisieren ist nicht ihre Linie und sei er noch so begrenzt.

Die Peters-Seilschaft hat hier eine etwas andere Position, aber im geschäftsführenden Vorstand ist sie mit 2 : 5 in der Minderheit. Ihr innerorganisatorischer Kompromisskurs lässt von dieser Stelle aus keine klärenden Debatten erwarten. Und so lange der Druck in den unteren und mittleren Funktionärskörpern nicht größer geworden ist, wird der Vorstand auch nicht zu neuen Protestaktionen aufrufen und sich für die Organisierung von Widerstandsaktionen stark machen.
SPD, Regierung und Gewerkschaften
SPD-Regierung und die SPD als Partei haben ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften geändert. Heute braucht die SPD die Gewerkschaften nicht mehr. Ein Mitwirken beim Gewinnen von Bundestagswahlen wird selbstverständlich noch gerne gesehen, aber dafür gibt es im Austausch noch nicht mal leere Versprechen, geschweige denn nach der Regierungsbildung eine Rücksichtnahme auf gewerkschaftliche Interessen. Darauf
reagiert die Spitze des gesamten IGM-Apparats – der Kern der IGM-Bürokratie – unterwürfig bis hilflos. Die ModernisiererInnen suchen und finden den Schulterschluss mit Schröder-Clement und geben dafür, wie Zwickel im Metallstreik, die Interessen der Lohnabhängigen preis. Die TraditionalistInnen haben keine feste Position. Wer wird dieses parteipolitische Vakuum füllen? Oder entwickelt sich eine syndikalistische Tendenz?
Aussichten
Klassenkämpferische GewerkschafterInnen konnten auf dem 1. Teil des Gewerkschaftstages nur 20 Delegierte zu einer Veranstaltung mobilisieren. Auch wenn der Kreis der fortgeschrittenen VertreterInnen größer war, zeigte die Veranstaltung, wie mager der Einfluss der klassenkämpferischen Elemente in der IG Metall ist.

Trotzdem kann die Gewerkschaftslinke einiges bewirken:

  • · Der Aufruf für die Demonstration gegen Sozialkahlschlag am 1. November in Berlin muss in die Betriebe und in die gewerkschaftlichen Gremien getragen werden. Je länger die UnterstützerInnenliste von der Basis, desto mehr kommt der Apparat unter Druck. In Stuttgart wird die IG Metall die Busse für den 1. November stellen, auch wenn sie die Mobilisierung den AktivistInnen in den Betrieben überlässt. Die Berliner Demo wird zwar die Gesetze nicht verhindern, kann aber der Startschuss für die Organisierung gewerkschaftlichen Widerstands sein.

  • · Wir müssen allen Tendenzen entgegengetreten, den Erhalt der Tarifautonomie mit einer Stillhaltepolitik beim Sozialabbau zu erkaufen. Inzwischen bahnt sich nämlich eine sehr große Koalition von FDP, CDU/CSU bis SPD an, die den Tarifvorbehalt im Betriebsverfassungsgesetz (den berühmten 77,3) einschränken will. Nur in dem Umfang dieser Einschränkung sind sie sich noch nicht einig.

  • · Ende des Jahres läuft der Tarifvertrag zu Lohn und Gehalt aus. In den nächsten Wochen beginnen die Diskussionen über die Aufstellung der Forderung. Der Vorstand gibt am 11. November seine "Tarifempfehlung" aus. In manchen Funktionärskonferenzen wurde schon von ModernisiererInnen der Versuchsballon gestartet, ob die Umsetzung von ERA (des gemeinsamen Entgeltrahmens für Arbeiter und Angestellte) aufgeschoben werden oder mit einer nominellen Lohnerhöhung, die dann keine mehr wäre, verrechnet werden könnte. Diese Vorstöße müssen entschieden zurückgewiesen werden. Wir brauchen einen neuen Anlauf für eine Tarifpolitik, die den KollegInnen tatsächlich etwas einbringt. Nur dadurch kann die IG Metall ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

  • · Gerade unter dem Eindruck der Offensive der Gegenseite, die mit ihrer konkreten Politik der Arbeitszeitverlängerung die Arbeitslosenzahlen hochtreibt, muss die Gewerkschaft den Kampf um eine wirksame Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten, bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf ihre Fahnen schreiben.

  • · Die Auseinandersetzung zwischen ModernisiererInnen und TraditionalistInnen hat die innere Organisationsdisziplin der IGM, die oft genug ausführliche und kontroverse Diskussionen verhinderte, aufgebrochen. Diese Chance muss für die Belebung der innergewerkschaftlichen Debatte genutzt werden. Schaffen wir viele örtliche Treffen der kritischen MetallerInnen!


1 Bei Huber liest sich das so: Er will die "Leistungspolitik" und "das Verhältnis Flächentarif und Betrieb überdenken."

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