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Feminismus

Die Frauen sind nicht schuld

Von Korrespondentin Wiesbaden | 01.09.2005

Im Juni dieses Jahres wird die 20 Jahre alte Schülerin Gönül Karabey von ihrem Bruder Ali in Wiesbaden erschossen, weil sie einen deutschen Freund hatte.

Wiesbadener Frauengruppen wie Wildwasser ,  “Terre des Femmes“, das Frauenmuseum der Mädchentreff  hatten zu einer Demonstration aufgerufen, zu der mehr als 200 Menschen, darunter Frauen und Männer der Wiesbadener Linken, Feministinnen, Mitschülerinnen und Mitschüler und Nachbarn der ermordeten Gönül Karabey gekommen waren. Immer mehr Menschen schlossen sich bis zum Kundgebungsort der Demonstration an.
Auf der Kundgebung sprach u. a. Fatima Bläser, die die Geschichte von ihrer Zwangsverheiratung und dem Bruch mit ihrer Familie in einem Buch  “Henna Mond“ beschrieben hat. Seit 1987 kämpft Fatima Bläser gegen die Unterdrückung der Frauen in der türkischen Gesellschaft. Serap Cileli, die zweite Rednerin, ist ebenfalls Schriftstellerin und berät und unterstützt Frauen und Mädchen, die wie sie selbst von Zwangsverheiratung bedroht sind. Seit 1996 gab es 52 solcher Morde in Deutschland, weil angeblich die Familienehre verletzt war. Auch Serap Cileli hat ihre Erfahrungen in einem Buch mit dem Titel “Wir sind Eure Töchter nicht Eure Ehre“ zusammengefasst. Serap Cileli appelliert an ihre Landsleute, die in ihrem Denken im Westen angekommen sind, sich für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einzusetzen.
Dieser Appell wird von dem türkischen Sozialarbeiter Medim Tuyun unterstützt. Frauen würden ermordet, weil sie nicht den engen Maßstäben entsprächen, die Männer ihnen setzen, so Christine Raupp vom Verein Wildwasser. Die beiden Wiesbadener Direktkandidatinnen für den Bundestag Heidemarie Wiczorek-Zeul (SPD) und Kristina Köhler (CDU) erklären sich solidarisch mit dem Anliegen der Demonstrantinnen und Demonstranten.
Tatsächlich fällt auf, dass nur einige junge Frauen und so gut wie gar keine Männer türkischer Herkunft sich an der Demonstration beteiligen. Ob sie zu gleichgültig sind, ob sie sich nicht trauen, ich weiß es nicht. Zwei Männer mit einem Transparent “Islam ist Frieden“ werden auf der Demonstration nicht geduldet. Richtig, meine ich, denn es ging ja nicht um den Islam sondern um den gewaltsamen Tod einer jungen Frau.

Spitze eines Eisbergs
Erinnerungen werden wach an die Diskriminierung und Verfolgung der unehelichen Mütter, an Gebärzwang und Menschen, die sich wegen einer ungewollten Schwangerschaft in eine Ehe mit einem ungeliebten Partner gezwungen sahen, Erinnerungen daran, wie schwierig sich die Auseinandersetzungen über all diese Fragen in der Familie selbst gestalten konnten.
“Die Opfer sind schuld“ ist eine der übelsten Fallen des Patriarchats, die zu einer Entsolidarisierung beitragen und die unter anderem Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch Vorschub leistet. Wir hatten Glück, dass  wir Rückendeckung hatten, durch eine freche und mutige Frauenbewegung, die in einer politisch und wirtschaftlich günstigen Situation einige der ärgsten Übel beseitigen konnte. Diese Frauenbewegung fehlt jetzt den Migrantinnen.
Die Vernichtung eines Menschenlebens ist nur die Spitze eines Eisbergs und die, die  nur wenig Einblick in die Gesellschaft haben, aus der Gönül Karabey stammt, können nur ahnen, wie viel Not, Elend und Demütigung der Frauen sich darunter verbirgt. Auch wenn die Frauenbewegung in Deutschland müde geworden ist, der Mord an Gönül Karabey zeigt uns, dass wir noch nicht am Ziel sind. “Terre des Femmes“ macht eine Kampagne gegen Zwangsheirat und Ehrenmorde.

TiPP!
 Informationen über Zwangsheirat und Ehrenmorde findet ihr unter http://www.frauenrechte.de.
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