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Erklärung der ISO

Die EU – ein Instrument im Dienst der Herrschenden

Von Koordination der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO) | 22.04.2019

Die Herrschenden in der EU setzen seit Jahr und Tag alles daran, die EU mit Europa gleichzusetzen. Mit Hilfe der Massenmedien sind sie dabei so weit erfolgreich, dass auch in linken Kreisen (auch in weiten Teilen der Partei DIE LINKE) beides in eins gesetzt wird. Wenn die Parteivorsitzende Katja Kipping die Unterstützung des wenig EU-kritischen Wahlprogramms ihrer Partei damit begründet, dass sie „glühende Europäerin“ ist, dann passt sie sich damit dem aktuellen Mainstream an.

Die EU in der Krise
Heute ist die EU in einer tiefen Krise und die Rechtsverschiebung, die bei den kommenden Europawahlen droht, wird diese noch vertiefen. Die Krise der EU hat mehrere Ursachen:

  • Die Grundkonstruktion der EU lässt es nicht zu, dass daraus ein Bundesstaat wird. Sie ist somit nur ein Wurmfortsatz der Mitgliedstaaten, der im Kern nur der Schaffung gemeinsamer Außenhandelsgrenzen und gemeinsamer Wettbewerbsregeln dient, um europäische Unternehmen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger zu machen.
  • Unter diesen Bedingungen – und verschärft seitdem ein großer Teil der Mitgliedsstaaten unter dem Regime einer gemeinsamen Währung steht – ist die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Mitgliedstaaten noch weiter gestiegen. Spätestens mit der Griechenlandkrise wurde deutlich, dass die Einrichtung des Euro zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen den dominierenden Ländern (vor allem Deutschland, Österreich, Niederlande) und den schwächeren Volkswirtschaften (vor allem in Süd- und Südosteuropa) führt. Dies ist eine zwangsläufige Folge davon, dass sich diese Länder nicht mehr mit Abwertungen ihrer Währung zur Wehr setzen können. Selbst innerhalb der „Kernzone“ der EU wird die Kluft größer ‒ vor allem zwischen Deutschland auf der einen Seite und Frankreich und Italien auf der anderen Seite. Dies wird auch noch dadurch gefördert, dass der deutsche Staat von dem Schuldendienst der anderen Länder profitiert. Und: deutsche Staatsanleihen zu kaufen, bringt den Käufer*innen zurzeit nur Negativzinsen und dem deutschen Finanzminister tatsächliche Einsparungen (so zuletzt wieder beim Auflegen zehnjähriger Anleihen Ende März 2019). In wirtschaftlich unsicheren Zeiten profitieren eben immer die „sicheren Häfen“, was natürlich die Kluft nur vergrößern kann.
  • Die Finanzkrise wurde von den tonangebenden kapitalistischen Kreisen, insbesondere deutschen, französischen und niederländischen, dadurch „gelöst“, dass sie in eine Staatsschuldenkrise verwandelt wurde. Damit haben rechtsextreme Strömungen, die aktiv Front machen gegen jegliche Solidarität verschiedener Völker und Bevölkerungsgruppen untereinander, enormen Aufschwung bekommen. Wenn bürgerliche Politiker*innen ‒ namentlich in Deutschland, die alles daran gesetzt haben, dass „wir nicht für die faulen Griechen zahlen“ und nicht einmal zu einer beschränkten Transferunion bereit sind ‒ nun über die Bedrohung der EU durch die extreme Rechte klagen, ist das Heuchelei.
  • Offensichtlichster Ausdruck der Krise der EU ist das Gerangel um den Brexit. Das Mehrheitsvotum für den Ausstieg aus der EU war zum großen Teil eine Reaktion auf soziale Missstände, die allerdings von einer fremdenfeindlichen und zum Teil offen rassistischen Bewegung ausgenutzt wurde. In allen für die Menschen wichtigen Fragen entscheidet die EU durchweg im Interesse des Kapitals, sei es in der Klimafrage, bei den Umweltgiften wie Glyphosat, bei der Abwehr von Schutzsuchenden an den europäischen Grenzen usw. Inzwischen werden die meisten national beschlossenen Gesetze durch die EU-Institutionen in ihrer Grundausrichtung vorbestimmt. Faktisch müssen damit die Menschen also nicht mehr „nur“ gegen die Politik der nationalen Regierung, sondern auch gegen eine überstaatliche Macht ankämpfen.

Die EU – ein Projekt des Kapitals
All dies ist aber nicht etwa nur einer (zufälligen) Politik der EU-Institutionen geschuldet, sondern ist strukturell und vertraglich vorgegeben. So ist die EU mit all ihren Verträgen

  • neoliberal festgelegt: Die EU schreibt vor ‒ etwa mit ihren Stabilitätskriterien ‒, dass Gemeinschaftsgüter, Einrichtungen der Daseinsvorsorge und auch soziale Sicherungssysteme privatisiert werden oder über die Kürzungen staatlicher Zuschüsse unter Privatisierungsdruck geraten. Europaweite Ausschreibungen sind dabei ein wirksames Mittel, soziale Sicherungssysteme (auch Lohnstandards) auszuhebeln. Am dramatischsten wurde dies am Fall Griechenlands vorexerziert, wo nicht nur rücksichtslos privatisiert wurde, sondern auch Löhne und Renten gekürzt wurden, das Streikreicht dramatisch eingeschränkt wurde usw.
  • militaristisch: Mittels der PESCO („Ständige strukturierte [militärische] Zusammenarbeit“) wird heute der Aufbau einer europäischen Armee vorangetrieben, die fernab die geostrategischen Interessen des europäischen Kapitals sichern soll, also den Zugriff auf Rohstoffe, Transportrouten, Absatzmärkte usw. Heute passiert das vor allem mittels der in der EU abgestimmten Interventionen in Afrika. Die Konkurrenz zu den anderen Großmächten dabei spielt eine bedeutsame Rolle. Die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ verzeichnet inzwischen schon 34 Einsätze, was vor allem darauf abzielt, mit zivilmilitärischer Strategie den Nachbarschaftsraum unter Kontrolle zu bringen. Dabei geht das Gesamtvorhaben weit darüber hinaus: Mit der Einrichtung eines EU-Hauptquartiers und der Aufstellung eines EU-Rüstungshaushalts wird eine neue EU-Globalstrategie verfolgt. Rüstungsunwillige Regierungen in der EU werden dabei mit Sanktionen bedroht.
  • imperialistisch: Auch ohne Waffengewalt setzt sich die EU gegenüber schwächeren Handelspartnern brutal durch, sei es mit dem Export von Lebensmitteln, den Fischereirechten vor den Küsten Afrikas oder auch mit dem Druck auf die nordafrikanischen Staaten zur Inhaftierung von Flüchtlingen. Hier wird die imperiale Nachbarschaftspolitik auf besonders brutale Weise deutlich.

Die EU ist auch zunehmend repressiv nach innen
Nicht nur außerhalb Europas und an den Außengrenzen rüstet die EU mächtig auf. Frontex wird aufgestockt und erhält mehr Waffen. Gleichzeitig wird Eurogendfor (die Europäische Gendarmerietruppe, an der zurzeit sieben EU-Staaten beteiligt sind) ausgebaut und erhält faktisch zunehmende Kompetenzen, nicht zuletzt im grenzüberschreitenden Einsatz bei „inneren Unruhen“ in Ländern der EU. Schon in Griechenland kam sie zum Einsatz, vor kurzem auch bei der Repression von Protesten der Gelbwesten in Frankreich.
Dabei unterliegt der Einsatz dieser Repressionskräfte keiner Kontrolle, weder der nationalen Parlamente noch – und ganz besonders nicht – des Europaparlaments.

Die EU – strukturell undemokratisch
Das Europaparlament ist kein normales Parlament. Es hat keine Haushaltshoheit und kein Recht auf Gesetzesinitiative, die ist der EU-Kommission vorbehalten. Das Recht, Gesetze zu beschließen, muss es sich in vielen Fällen mit dem Europäischen Rat, also dem Club der Staats- und Regierungschefs, teilen.
Das Machtzentrum der EU liegt, entgegen landläufiger Vorurteile, die gern von interessierter Seite geschürt werden, nicht in der Kommission, sondern im Europäischen Rat – die Finanzkrise hat diese Tendenz noch verschärft. Nicht nur die extreme Rechte, auch die neoliberalen Eliten selbst verstärken die Tendenzen zum Nationalismus.
Die Beschlüsse der Regierungschefs beruhen jeweils auf einem Austarieren der unterschiedlichen nationalen Interessen, wobei die starken Mächte (allen voran Deutschland) die allgemeine Richtung vorgeben. Gleichzeitig aber gehen die Interessen der 28 Mitgliedsstaaten (aufgrund der sehr unterschiedlichen Bedingungen und der eher größer werdenden ökonomischen Kluft) so weit auseinander, dass diese Zentralmächte nur bedingten Handlungsspielraum haben. Würden sie auf die Interessen der kleineren, ökonomisch schwächeren Länder gar nicht eingehen, wäre die EU sofort am Ende. Zwar streben einige der Zentralmächte nach einem Europa der zwei Geschwindigkeiten (was das Undemokratische nur noch weiter verschärfen würde), aber die insgesamt sehr prekäre Lage der EU lässt dies auf absehbare Zeit nicht zu.
Aufgrund der Gesamtkonstruktion der EU und der in diesen Institutionen abgewogenen und durchgesetzten Interessen der dominanten Kapitale ist eine Forderung nach mehr demokratischen Rechten für das Europaparlament letztlich eine inhaltsleere Forderung. Demokratie ist immer auch eine soziale Frage und kann nicht losgelöst vom Klasseninhalt definiert werden.
Solange der Grundcharakter der EU mit all ihren neoliberal, militärisch und repressiv begründeten Verträgen nicht aufgelöst und zugunsten einer sozialen, egalitären und basisdemokratischen Gemeinschaft aller hier lebenden Menschen ersetzt wird, kann eine formale Aufwertung eines EU-Parlaments an der unsozialen, ausbeuterischen und repressiven Politik im Interesse des Kapitals nichts ändern. Letztlich hängt dies auch damit zusammen, dass dieses Parlament nicht die Fortsetzung eines nationalstaatlichen Parlaments ist.
All diese Verträge auflösen, heißt die EU auflösen. Sie zu ersetzen geht nicht durch neue Verträge zwischen genau wieder diesen kapitalistischen Regierungen. Es muss etwas ganz anderes entstehen.

Das Europa, das wir wollen
Die Europäische Union kann ihr ersprechen, ein Raum der Freiheit, der Sicherheit, der Demokratie und der Solidarität zu sein, immer weniger einlösen. Ihre gnadenlose Orientierung auf Konkurrenz und Weltmachtgeltung ist für viele bedrohlich. Eine fortschrittliche Lösung der derzeitigen gesellschaftlichen Probleme ist in ihrem Rahmen nicht möglich – ebenso wenig wie im Rahmen der bürgerlichen Nationalstaaten, die unser erster Ansprechpartner sind und die uns diese ganze Misere eingebrockt haben. EU versus Nationalstaat ist eine falsche Gegenüberstellung – beide zusammen formen ein Gebilde bürgerlicher Herrschaft unter den Bedingungen des globalisierten Kapitalismus. Man kann nicht nur aus einem Teil desselben austreten. Das Ganze muss auf neue Füße gestellt werden.
Ein solidarisches, egalitäres und die Menschenrechte achtendes Europa kann nur von unten entstehen. Dazu muss die Macht des Kapitals gebrochen werden und eine andere Wirtschaftsweise muss durchgesetzt werden, eine, in der die Interessen der überwältigenden Mehrheit der Menschen die Richtung vorgeben und nicht die Profitinteressen:

  1. Der Schwerpunkt unserer Aktivitäten gegen die Politik der EU kann nicht auf einer abstrakten Propaganda für die sozialistischen Staaten von Europa liegen. Es gilt, konkrete Kämpfe zu fördern und internationale Verbindungen zu unterstützen oder auch aktiv herzustellen. Abstrakte Argumentationen für mehr Demokratie (ohne konkreten sozialen Inhalt) führen nirgendwo hin und haben auch kein Mobilisierungspotential.
  2. Eine mobilisierende Wirkung können demgegenüber Forderungen entfalten, die sich auf die Klassensituation beziehen: Kampf für einen europäischen Mindestlohn, ein gemeinsames kontinentales Arbeitsrecht ohne Leiharbeit und sonstige prekäre Beschäftigungsverhältnisse; gemeinsame Lohn und Umweltstandards und eine Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben.
  3. Die entscheidende Kraft für die Durchsetzung eines anderen, eines solidarischen, zukunftssicheren, friedlichen und ökologisch ausgerichteten Europas ist die Klasse der Lohnabhängigen mit ihren Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen. Die Gewerkschaften müssen für diese Ziele gewonnen werden. Abwehrkämpfe gegen die Politik der Konzerne müssen international geführt werden. Ein ausgesprochen positives Beispiel hierfür sind die Kämpfe der Pilot*innen von Ryanair.
  4. Die Umorientierung auf eine ökologische und soziale Wirtschaftsordnung verlangt regelrecht danach, dass Schlüsselindustrien und das Geldwesen in öffentliches Eigentum übergehen und unter öffentliche Kontrolle gestellt werden. Mehr denn je braucht es einen planvollen Umgang mit den verfügbaren Ressourcen und uneingeschränktes Mitspracherecht der Bürgerinnen und Bürger über deren Verwendung, damit die Grundbedürfnisse von allen befriedigt werden und die Verschwendung von Ressourcen aufhört. Dies gilt auch für die Probleme, die zum Teil nur auf einer kontinentalen Ebene, zum Teil sogar nur weltweit gelöst werden können: Massenarbeitslosigkeit, Klimawandel und Umweltschutz, Migration, Datenschutz – vor allem aber für die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit und die Angleichung der Lebensbedingungen in Europa.
  5. Politisch ist unser Vorbild für ein solches Europa die Kommune und deren Föderation auf allen Ebenen – von den Städten und Gemeinden bis hin zur europäischen Ebene. Ihre Grundlage bildet das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und die Selbstverwaltung auf betrieblicher wie auf territorialer Ebene.
    Das alles lässt sich nur durch soziale Kämpfe erreichen, die zugleich national und übernational geführt werden.

Koordination der Internationalen Sozialistischen Organisation (ISO), 6. April 2019

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