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Die Erwerbslosen bekämpfen statt die Arbeitslosigkeit?

Von Politisches Komitee des RSB | 01.09.2002

Har(t)zer Roller stinkt zum Himmel. Widerstand jetzt!

1998 verspricht Schröder im Bundestagswahlkampf, bis 2002 die registrierte Zahl der Erwerbslosen auf unter 3,5 Millionen zu senken. 2002 beglückt uns die von Schröder eingesetzte Kommission des Doktor Hartz mit dem Wahlkampfversprechen, bis Ende 2005 die 2-Millionenmarke zu unterschreiten.

Fakt ist eine anhaltende Rekordarbeitslosigkeit. Offiziell über 4 Millionen, davon 1,4 Millionen im Osten. Real sind nach gewerkschaftlichen Angaben 6-7 Millionen erwerbslos. Tendenz sogar steigend. Die Erwerbslosenquote ist in Ostdeutschland immer noch doppelt so hoch wie im Westen.

Fakt ist aber auch, dass es Schröder und Hartz um mehr als Wahlkampfgetöse geht. Das bekannt gewordene 13-Punkte-Papier von Hartz ist der bisher radikalste Angriff auf die Erwerbslosen, auf die staatliche Arbeitslosenverwaltung und Arbeitslosenversicherung, nicht zuletzt auch ein Angriff auf die noch Beschäftigten und das Tarifvertragssystem der BRD. Strategische Ziel ist eine qualitativ und quantitativ neue Dimension der Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Privatisierung der Arbeitsverwaltung. Daran werden auch mögliche taktisch bedingte Änderungen in den kommenden Wochen nichts grundsätzlich ändern.

GENERALANGRIFF  

Neu sind die meisten, ganz im Geiste und Jargon der neoliberalen Ideologie verfassten Vorschläge nicht. Neu ist nur ihre umfassende Vermischung zu einem Gemenge. Neu ist auch, dass ein SPD-Kanzler glaubt, die Wahlen zu gewinnen, indem er einen derartigen Plan für den Generalangriff gegen Erwerbslose und Noch-Arbeitende aus dem Zylinder zaubern lässt.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte dies eines der letzten, bestimmt aber eines der bedeutendsten innenpolitischen Geschenke des noch amtierenden Regierungschefs an das deutsche Kapital gewesen sein.

Denn zweierlei ist sicher: Erstens stellt sich die Hartz-Kommission natürlich nicht die Frage nach den Ursachen und den Verantwortlichen für die Millionenarbeitslosigkeit – nämlich der Arbeitsplatzvernichtung durch den Kapitalismus und dessen hochbezahlte VertreterInnen in Staat und Wirtschaft. Zweitens wird deren Programm auch nach den Bundestagswahlen in der einen oder anderen Form dankbar aufgegriffen werden. Und das nicht zuletzt deshalb, weil die von der Europäischen Union formulierte Strategie zur „Reform des Arbeitsmarktes“ auch in der Bundesrepublik umgesetzt werden soll.

KOMMISSION

Bevor wir einen Blick auf die Vorschläge der Hartz-Kommission werfen, schauen wir uns an, wer sich in der amtlich als „Kommission zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit“ bezeichneten 15-köpfigen Vereinigung tummelt. Vorsitzender ist der Duzfreund des Kanzlers, Dr. Peter Hartz, Personalvorstand von VW und Erfinder des Lohndumping-Modells 5000 x 5000. Hartz ist Mitglied der IG Metall. Neben drei Vorstandsmitgliedern von BASF, Daimler Chrysler und Deutscher Bank, finden wir hier Manager von Arbeitsplatzvernichtern wie McKinsey und Roland Berger, ferner den Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, zwei amtierende SPD-Politiker – den Arbeitsminister von NRW, Schartau, und den OB von Leipzig, Tiefensee, den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen, als wissenschaftliche Garnitur einen Ost- und einen Westprofessor sowie zu schlechter Letzt den Bezirksleiter der IG Metall NRW, Gasse, und die Verdi-Vorständlerin Kunkel-Weber. Alles sozial bestens abgesicherte Leute, die Arbeitslosigkeit nicht aus eigener Erfahrung kennen dürften. In ihrem Jargon: die „Elite“ der „Profis der Nation“. Für uns: Profiteure oder Nutznießer des kapitalistischen Systems, dessen Krise und folglich dessen Aggressivität immer offensichtlicher wird.

ANGRIFFSACHSEN

Wer sich die Mühe macht, die 13 „Module“ der Hartz-Kommission trotz der neoliberalen „Neusprache“ zu verstehen, merkt schnell, wohin die Reise gehen soll. Es lassen sich fünf zentrale Angriffsachsen erkennen:

1. Die bundesweite Ausbreitung von Leiharbeit.
2. Die Ausdehnung von Scheinselbständigkeit.
3. Die weitere Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für Erwerbslose.
4. Die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung.
5. Die Zerstörung der staatlichen Arbeitslosenverwaltung und -versicherung in ihrer bisherigen Form.

LEIHARBEIT

Mit als „Personalservice-Agenturen“ (PSA) bezeichneten Arbeitskräfteverleihern sollen Erwerbslose angeblich schneller vermittelt werden. Die Entleiher sollen dadurch kein „Unternehmerrisiko“ tragen müssen (zum Beispiel „Neutralisierung des Kündigungsschutzes). Angeblich sollen die PSA-Leihkräfte tariflich entlohnt werden, – Tarifverträge für einen derartigen Bereich gibt es natürlich bisher keine. Wer eine solche Tätigkeit nach drei Monaten Erwerbslosigkeit ablehnt, der/die erhält nur noch ein verringertes Arbeitslosengeld auf dem Niveau der bisherigen Arbeitslosenhilfe. Bevorzugt sollen Familienväter und Alleinerziehende vermittelt werde.

Die privaten Leiharbeitsfirmen dürfen mit zusätzlicher freundlicher Förderung rechnen. Sie sollen bundesweit den Zugriff auf alle „Akteure“ (erwerbslose Leihkräfte und interessierte Entleihunternehmen) und deren Daten erhalten. Das sogenannte Synchronisationsverbot (Verbot des gleichzeitigen Endes der Beschäftigung beim Entleiher und des Arbeitsverhältnisses beim Verleiher) soll ersatzlos gestrichen werden. Zudem soll die bisherige Höchstüberlassungsdauer von zwei Jahren ausgedehnt werden. Angeblich sollen die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen an die Regeln des Entleih-Betriebes angeglichen werden.

Der Aufbau eines staatlich organisierten „Sklavenhandels“ und die weitere Ausdehnung des privaten Handels mit Leiharbeitskräften sind abzulehnen. Sie würden den  Druck auf tarifvertraglich definierte Arbeits- und Entgeltbedingungen massiv verstärken und individual- wie kollektivrechtliche Befugnisse des/der einzelnen Beschäftigten wie ihrer Interessenvertretungen aushebeln. Die betriebliche Rechte zur Verteidigung von Arbeitsplätzen würden eingeschränkt werden.

Die unterschiedliche Vermittlung verschiedener Erwerbslosenkategorien ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und orientiert sich zudem an patriarchalischen Vorstellungen. Die staatlich organisierte ZwangsleiharbeiterInnenschaft nach drei Monaten Erwerbslosigkeit ist ein Verstoß gegen das Grundrecht auf  Berufsfreiheit und ein Bruch des Verbots der Zwangsarbeit.

Der uneingeschränkte Zugriff auf Daten von Erwerbslosen durch Leiharbeitsfirmen ist ein Bruch des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz).

Die verbale Bekundung der Notwendigkeit von tarifvertraglichen Regelungen für dieses Millionenheer von Hartz’schen ZwangsleiharbeiterInnen ist wertlos und irreführend. Leiharbeit schafft keine zusätzlichen Arbeitsplätze, sondern fördert den Vormarsch ungeschützter Arbeitsverhältnisse zu Lasten regulärer Arbeitsplätze noch m
ehr. Tarif- und Gesetzesbruch nehmen dann schnell weiter zu (Lohndumping, Ausdehnung von – unbezahlten – Arbeitszeiten, Aushebelung von Mitbestimmungsrechten, von Kündigungsschutz, Arbeitsschutz und so weiter und so fort).

SCHEINSELBSTÄNDIGKEIT

Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Schwarzarbeit sollen sogenannte Ich-AGs und Familien-AGs gefördert werden. Angeblich soll Schwarzarbeit in „legale“ Arbeit umgewandelt werden. Sämtliche daraus erzielten  Einnahmen sollen mit einer Pauschalsteuer von 10 % belegt werden. BezieherInnen von Arbeitslosengeld sollen einen Teil ihrer „Stütze“ behalten dürfen.

Derartige Maßnahmen bauen die Schwarzarbeit keineswegs ab, da die meisten SchwarzarbeiterInnen nicht erwerbslos gemeldet sind. Schwarzarbeit ist für die in der „Schattenwirtschaft“ Tätigen und ihre Auftraggeber lukrativer als eine offen gemeldete und besteuerte „legale“ Arbeit in einer „Ich-“ oder „Familien-AG“.

Ferner würde diese Strategie der Hartz-Kommission einen weiteren Anreiz schaffen, reguläre steuer- und sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten zurückzudrängen und den Sektor „billiger Arbeit“ weiter auszudehnen.

ZUMUTUNGEN

Unter dem zynischen Motto „Fördern und Fordern“ sollen die Zumutbarkeitsregelungen weiter verschärft werden. Die Beweislast wird grundsätzlich zu Ungunsten der Erwerbslosen umgedreht. Der/die Arbeitslose soll nachweisen, dass eine abgelehnte Stelle unzumutbar ist. Vermittlung in untertarifliche Arbeit soll möglich werden. Die berufliche Qualifikation und Erfahrung, die Bindung an einen Wohnort sollen in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Diese Grausamkeiten flankieren das Modell einer bundesweiten Zwangsleiharbeit und sollen es erst funktional machen.

Die Opfer der systembedingten Erwerbslosigkeit sollen für ihre Situation letztendlich selbst verantwortlich gemacht und für ihre Notlage zusätzlich bestraft werden. Im Prinzip soll jede und jeder gezwungen werden können, praktisch jeden Job überall anzunehmen.

KÜRZUNGEN

In den ersten sechs Monaten sollen Erwerbslose eine monatliche Pauschalsumme erhalten, die in drei verschiedene „Leistungsklassen“ unterteilt werden soll. Zwischen dem 6. und 12. Monat der Erwerbslosigkeit soll Arbeitslosengeld wie bisher bezahlt werden. Zwischen dem 12. und 24 Monat soll lediglich ein reduziertes Arbeitslosengeld zustehen, welches der derzeitigen Arbeitslosenhilfe entspricht. Nach 24 Monaten soll auch dieser reduzierte Anspruch entfallen.

Die Arbeitslosenhilfe soll mit der Sozialhilfe zusammengelegt und auf deren Niveau verringert werden. Damit würde die Koppelung der Höhe der Arbeitslosenhilfe an das bisherige Erwerbseinkommen gekappt.

Für ältere Erwerbslose soll ab dem 55. und bis zum 60. Lebensjahr lediglich noch ein Anspruch auf dieses reduzierte „Arbeitslosengeld“ bestehen. Schon jetzt gehen Hartz und Konsorten von einer Anhebung dieser Altersgrenzen aus. Sie planen die einmalige Auszahlung der jeweils zustehenden Summe, um Ältere aus der Erwerbslosenstatistik verschwinden zu lassen und deren bisherige Ansprüche als Arbeitslose zu kappen.

Jede Reduzierung der Erwerbslosenunterstützung (Höhe und Bezugsdauer) und die Barabgeltung von Ansprüchen aus der Arbeitslosenversicherung ist abzulehnen. Die Spirale der Armut würde dadurch noch mehr beschleunigt und der Zwang zur Arbeit im Alter, zum Beispiel in Form einer „Ich-“ oder „Familien-AG“, verstärkt werden.

PRIVATISIERUNG

Vor etwa 75 Jahren wurde mit dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung der bis dato jüngste Teil des staatlichen Sozialversicherungssystems geschaffen. Jetzt stehen die darauf aufbauenden Regelungen der Bundesrepublik durch den Hartz’schen „Zweistufenplan für kunden- und wettbewerbsorientierte Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zur Disposition.

Mit der Ernennung des früheren Mainzer Sozialministers Gerster (SPD) zum neuen Chef der Bundesanstalt für Arbeit (mit massiv erhöhten Bezügen), der Einführung von „Vermittlungsgutscheinen“ und der verstärkten Beteiligung von privaten Arbeitsvermittlern ist der erste Teil dieses Vorhaben bereits umgesetzt.

Die zweite Stufe soll mit den bereits skizzierten Elementen erreicht werden. Anstelle von Menschen mit Rechtsansprüchen aus einer staatlich garantierten und organisierten Arbeitslosenversicherung sollen jetzt diese als „Kunden“ ausgelagerter beziehungsweise privatisierter Leiharbeitsfirmen zum Ausbau des Bereichs ungeschützter Jobs gezwungen werden. Frei nach der Gleichung: weniger Rechte plus mehr Zwang plus weniger Geld ist gleich mehr „Arbeitswilligkeit“. Zudem steht der bisher öffentlich-rechtlichen Bundesanstalt für Arbeit unter ihrem neuen „Vorstandsvorsitzenden“ Gerster die „Modernisierung“ nach dem Mager-Modell privater Unternehmen („Lean Managment“, „Outsourcing“ usw. usf.) bevor.

WIDERSTAND

Der Hartz-Kommission und ihrem Auftraggeber geht es nicht um eine Bekämpfung der Erwerbslosigkeit. Es geht ihr um eine weitere massive Ausweitung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse und des Niedriglohnsektors. Die weitere Entrechtung der Erwerbslosen soll Hand in Hand mit der beschleunigten Aushöhlung der Flächentarifverträge einhergehen. Der Systembruch im staatlichen Sozialversicherungssystem soll nun auch bei der Arbeitslosenversicherung durchgeführt werden.

Obwohl dadurch nicht zuletzt die Grundlagen der Gewerkschaften unterhöhlt werden, bereiten VertreterInnen des Gewerkschaftsapparats in der Hartz-Kommission diesen sozialen Großangriff mit vor. Die Logik des „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ zeigt erneut ihre verheerenden Folgen für Erwerbslose und Noch-Beschäftigte.

Sogenannte Spitzen-Gewerkschafter wie Sommer (DGB), Bsirske (Verdi) oder Zwickel (IGM) sind trotz einzelner Vorbehalte voll des Lobes für die Hartz-Pläne. Offensichtlich glauben diese Herren, der Regierung Schröder, dem „kleineren Übel“, nicht die vermeintlich letzten Wahlchancen vermasseln zu dürfen.

Kapitalvertreter warnen bereits vor einer „Verwässerung“ des Hartz-Konzeptes. Die Parlamentsparteien mit Ausnahme der PDS sehen darin trotz allem Wahlkampf-Getöse eine gemeinsame politische Plattform für die kommenden Attacken auf Erwerbslose und Noch-Beschäftigte.

Alle, die die Interessen der arbeitenden Klasse als die eigenen ansehen, können das Hartz-Konzept nur rundweg ablehnen. Es gilt jetzt, den breitestmöglichen Protest und Widerstand innerhalb und außerhalb der Betriebe und Gewerkschaften gegen den Har(t)zer Roller zu organisieren.

08.09.2002

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