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Ökologie

Die CDU auf Anti-Atom-Kurs?

Von Tim Nießner | 01.04.2011

Der Super-GAU im japanischen AKW Fukushima ereignete sich für die CDU/CSU und die FDP zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt – insbesondere mit Blick auf die nachfolgenden Landtagswahlen.

Der Super-GAU im japanischen AKW Fukushima ereignete sich für die CDU/CSU und die FDP zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt – insbesondere mit Blick auf die nachfolgenden Landtagswahlen.

Spätestens seitdem die Aufkündigung des rot-grünen „Atomkonsenses“ durch die Bundesregierung drohte, und dann im letzten Jahr auch vollzogen wurde, war die Anti-Atom-Bewegung wieder im Aufwind. Sämtliche Umfragen und die Mobilisierungen der Bewegung auf der Straße zeigten, dass mehr Menschen als je zuvor in der BRD gegen die weitere Nutzung der Atomkraft sind und auch bereit sind, dies offen auf die Straße zu tragen.
Eine Bewegung im Aufwind
Schon im November 2008, anlässlich des vorletzten Castortransports nach Gorleben, war dieser Trend zu beobachten. Damals versammelten sich fast 20 000 Menschen, soviel wie schon lange nicht mehr, in Gorleben vor dem Zwischenlager. Dann zeigte sich bei der bundesweiten Anti-Atom-Demonstration in Berlin im September 2009, als 50 000 Menschen auf die Straße gingen, dass die Anti-Atom-Bewegung erstmals seit den 80er Jahren fähig ist, Menschen auch außerhalb des Wendlands zu mobilisieren. Am Tschernobyl-Jahrestag 2010 beteiligten sich 120 000 an einer Menschenkette und 20 000 bei Protesten an den Anlagen in Biblis und Ahaus. Nicht nur an den AKW-Standorten entstanden neue BürgerInitiativen und Aktionsnetzwerke, sondern überall im Land fingen Menschen (wieder) an, sich zu organisieren gegen Atomkraft. Am 18. September 2010 sprachen die Veranstalter­­Innen der Anti-Atom-Demo in Berlin dann von 100 000 Teilnehmer­­Innen, die gekommen waren, um gegen das Atomprogramm der Regierung zu protestieren. Anlässlich der Castortransporte ins Wendland im November desselben Jahres kamen 50 000 Menschen, von denen sich über 10 000 entschlossen, an den Aktionen des zivilen Ungehorsams teilzunehmen. Wirklich in die Defensive konnten diese Massenmobilisierungen die Regierung allerdings bisher nicht drängen – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich der Super-GAU in Japan ereignete.
Die CDU bleibt auf ihrem Kurs…
Obwohl die absolute Mehrheit der Bundesbürger­­Innen für einen schnellst möglichen Ausstieg ist, hielt die schwarz-gelbe Bundesregierung fest an ihren Pro-Atom-Kurs und sah sich noch nicht einmal dazu genötigt, ihre Politik in irgendeiner Weise gegenüber der Öffentlichkeit zu verschleiern. Umweltminister Röttgen (CDU), der nach dem Prinzip „guter Bulle / böser Bulle“ im Vorfeld des „Ausstiegs aus dem Ausstieg“ zeitweise Scheingefechte gegen den offenen atomfreundlichen Kurs von Teilen der CDU führte und sich als Rebell in der eigenen Partei gebärdete, schwenkte später um. In den letzten Monaten schien die CDU kein Anti-Atom-Feigenblatt mehr zu brauchen.
…trotz Super-GAU
Und so schien es zunächst auch, dass die Reaktorkatastrophe in Japan nichts ändern würde. „Es sei nach menschlichem Ermessen nicht vorstellbar, dass Deutschland von den Auswirkungen des Unglücks in Japan betroffen sein könnte“ versuchte am Tag nach Beginn der Katastrophe Angela Merkel in der ersten Stellungnahme die Menschen in der BRD zu beruhigen. „Wir sind zu weit davon entfernt“. Und von den deutschen AKW würde eine solche Gefahr auch nicht ausgehen. „Wir wissen, wie sicher unsere Kraftwerke sind. Wir wissen, dass wir weder von derart schweren Erdbeben noch von derart gewaltigen Flutwellen bedroht sind“, hieß es von der Kanzlerin.

Für diejenigen, die sich davon noch nicht überzeugen ließen, versprach sie, dass natürlich nach den Geschehnissen in Japan nicht so einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Daher sollten nun Inspektoren losgeschickt werden, die die AKW einem Sicherheitscheck unterziehen würden. Dabei widersprach sie sich selbst, denn wenn wir wissen wie sicher unsere KKW sind, und daran wirklich kein Zweifel besteht, wie Merkel beteuert, was soll dann noch eine außerplanmäßige Sonderinspektion bringen? Aber man möchte ja zeigen, dass irgendetwas getan wird. Was dieses Tun dann für einen Sinn hat, ist zweitrangig.

Genauso wie Merkel war auch Umweltminister Röttgen (CDU) am Samstagabend in den Tagesthemen darum bemüht, die Situation unter Kontrolle zu bringen und zu verhindern, dass die gesellschaftliche Stimmung immer weiter gegen das Atomprogramm der Regierung kippt. Die Regierung wolle einer Grundsatzdebatte nicht ausweichen, gelobte Röttgen, wenn man „nicht mehr in einer akuten Gefahrenabwehrsituation ist“ fügte er allerdings hinzu. Übersetzt heißt dies: Gebt uns etwas Zeit bis die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, und Rheinland-Pfalz überstanden sind. Dann, wenn die Bilder der explodierenden Atomanlage in den Köpfen der Menschen so langsam wieder durch Promi-Skandale, Fußball, „Deutschland-schafft-sich-ab-Debatten“ und Terrorhysterie ersetzt sind, kann weiter gemacht werden wie bisher.
Mit der CDU gegen AKW?
Doch nur wenige Tage später machten führende Koalitionspolitiker­­Innen scheinbar eine taktische Kehrtwende und verschoben ihre Verteidigungslinie nach hinten. Grund hierfür war, neben der dramatischen Entwicklung in Japan, sicherlich auch der enorme Aufschrei, der durch die bundesdeutsche Bevölkerung ging. In Hunderten von Städten waren schon kurz nachdem bekannt geworden war, was sich in Japan ereignet hatte, zeitweise bis zu hunderttausend Menschen in der ganzen Bundesrepublik auf der Straße, um für die sofortige Abschaltung der Atomanlagen zu demonstrieren. Selbst in den bürgerlichen Medien wurde diese Forderung teilweise übernommen.
Merkel gab bekannt, dass die von ihr selbst im Herbst als energiepolitische Revolution gefeierte Verlängerung der Laufzeiten für AKW erstmal ausgesetzt werden soll. Während eines 3-monatigen Moratoriums soll die Sicherheitslage in den AKW mit Blick auf die Erkenntnisse aus Japan überprüft werden. Die sieben ältesten Reaktoren sind vorläufig bis zum Ende dieser Frist sofort abgeschaltet und eines, das AKW Neckarwestheim 1, soll auch danach nicht wieder hochgefahren werden.
Hat die Regierung wirklich einmal dazugelernt?
Es ist schwer zu glauben, dass dieses scheinbare, zumindest teilweise, Eingehen auf Forderungen der großen Mehrheit der Bevölkerung etwas ändern wird. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass dieser Sicherheitscheck völlig neue, unbekannte Risiken zutage fördern wird oder soll, dafür lässt sich mit Atomenergie einfach zu viel und zu einfach Geld verdienen. Und dass die CDU sich mit den großen Energiekonzernen E.ON, RWE und Co. anlegen wird, glaubt sowieso kein Mensch. Daher hat dieser scheinbare Umschwung der CDU einzig und allein den Sinn, einen Zeitpuffer bis nach den Landtagswahlen zu sichern. Wer auch nur eine Sekunde lang überlegt hat, ob der Ausstieg mit der „Wende&ld
quo; der CDU vielleicht doch schneller kommt als angedacht, braucht sich nur die derzeitigen Reden der Unionspolitiker­­Innen anhören, welche sich momentan gegenseitig überbieten in ihrer Anti-AKW-Rhetorik. Mit purem Aktionismus versuchen sie gerade zu verdecken, dass sie und ihr Atomkurs mächtig unter Druck geraten sind. Eine souveräne Aufarbeitung und Kritik an ihrem bisher gefahrenen Kurs würde anders aussehen.
Wer soll das glauben?
In Rheinland-Pfalz z. B. trat die Kandidatin der CDU für das Amt der Ministerpräsidentin, Julia Klöckner, im Rededuell mit Amtsinhaber Kurt Beck (SPD) am 16. März mit der Forderung auf, die sieben vom Moratorium betroffenen KKW sollten für immer abgeschaltet bleiben und versuchte Beck und die Grünen damit noch links zu überholen. Angela Merkel griff im Bundestag die Grünen und die SPD an und warf ihnen vor, dass ihr „Atomkonsens“ von 2000 nicht ausreichen würde. Da hat Frau Merkel sogar recht. Die Anti-Atombewegung hat schon damals diesen Vertrag zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Energiekonzernen vehement zurückgewiesen, da er eine Bestandsgarantie für die bestehenden AKW bedeutete und somit einem zügigen Ausstieg entgegenstand. Allerdings ist diese Art von Kritik aus dem Munde einer CDU-Kanzlerin doch äußerst unglaubwürdig. Vor dem Super-GAU hörte sich das ganz anders bei der CDU an. Erinnert sei an dieser Stelle nur, dass z. B. Angela Merkel im November 2006 beim CDU-Parteitag in Dresden sagte: „Ich werde es immer für unsinnig halten, technisch sichere Kraftwerke, die kein CO2 emittieren, abzuschalten. Sie werden sehen: Eines Tages werden auch die Sozialdemokraten das einsehen. Es dauert halt immer etwas länger.“

Drei Tage nach dem Beginn des Super-GAUs in Japan verlautbart die Bundeskanzlerin dann: „Wenn wir von der Kernenergie als Brückentechnologie sprechen, dann bedeutet das nichts anderes, als dass wir aus der Nutzung der Kernenergie aussteigen möchten.“ Auch interessant ist, wie Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) neuerdings argumentiert. Noch im Oktober 2010 sagte er in München „Auch das berühmte Kraftwerk Isar 1 ist sicher.“ Am 15. März 2011 heißt es dann von ihm: „Isar 1 ist der einzige bayrische Reaktor, der gegen den Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges nicht ausreichend gesichert ist.“ Auch der für seine knallharte Pro-Atomkraft Position bekannte Baden-Württembergische Ministerpräsident Mappus machte den taktischen Schwenk der CDU mit und sagte am 15. März im Stuttgarter Landtag: „Eine absolute Garantie, eine definitive Sicherheit gibt es nicht“. Worte, von denen er wahrscheinlich noch nicht einmal im Albtraum dran gedacht hätte, dass er sie mal aussprechen sollte. Noch vor einem Jahr forderte er doch indirekt den Rücktritt von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), weil der ihm zu zaghaft vorging beim „Ausstieg aus dem Ausstieg“.
Wie weiter?
Dass dieser vermeintliche Schwenk in der Atompolitik nicht bei den Menschen ankommen wird, ist klar, zu offensichtlich ist dieses Täuschungsmanöver. Darum sind in den letzten Wochen immer wieder Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um für den sofortigen Ausstieg zu demonstrieren. Vielen ist auch bewusst, dass es kein Zurück zum rot-grünen „Atomkonsens“ geben darf. Denn gerade dieser Vertrag mit den Energiekonzernen sicherte die Existenz der AKW und die Profite der Unternehmen. Die Grünen und die SPD sind daher dafür verantwortlich, dass noch immer kein wirklicher Schritt in Richtung Ausstieg gemacht wurde. Ein wirklicher Ausstieg aus der Atomkraft kann nur auf der Straße gegen die Interessen von Regierung und Kapital erkämpft werden, er wird nicht am grünen Tisch zwischen SPD, Grünen und den Energiekonzernen verhandelt.

Die Anti-Atombewegung hat in den letzten Jahren, einige Mobilisierungserfolge zu verbuchen, sie sitzt der Regierung schon heute dermaßen im Nacken, dass die Politiker­Innen der Atomparteien nur noch wirres Zeug reden, wie wir oben gesehen haben. Nutzen wir die Chance und erkämpfen wir gemeinsam die entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne und den sofortigen Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft.

GAU und Super-GAU
„GAU ist die Abkürzung für „größter anzunehmender Unfall“, auch Auslegungsstörfall genannt. Er bezeichnet den größten Unfall, für den die Sicherheitssysteme noch ausgelegt sein müssen. Die Sicherheitssysteme müssen in einem solchen Fall gewährleisten, dass die Strahlenbelastung außerhalb der Anlage die nach der Strahlenschutzverordnung geltenden Störfallgrenzwerte nicht überschreitet.
Unfälle, die darüber hinausgehen – wie der Unfall in Tschernobyl – werden in den Medien häufig mit dem Begriff „Super-GAU“ umschrieben.“ (Bundesamt für Strahlenschutz)

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