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Feminismus

„Die Burqa verbieten!“?

Von Sophie Kästner, Bernard Schmid | 01.03.2010

Eine Gespensterdebatte geht um in Europa – und wird begierig von „Rechtspopulisten“ und Rassisten aufgegriffen, aber auch von politisch naiven und anderen Geistern im Namen der Frauenrechte bedient. Über die Situation in Frankreich.

Eine Gespensterdebatte geht um in Europa – und wird begierig von „Rechtspopulisten“ und Rassisten aufgegriffen, aber auch von politisch naiven und anderen Geistern im Namen der Frauenrechte bedient. Über die Situation in Frankreich.

Die Debatten über Einwanderung, über die Behandlung von Migranten, über die „nationale Identität“ und ihre Bedrohung, sorgte in den letzten beiden Monaten in Frankreich für heftige Polemiken. Und sie führten dazu, dass die Diskussion um ein Verbot der Burqa – also die von manchen Strömungen mit „islamischen Werten“ gerechtfertigte Ganzkörperverhüllung – in starkem Ausmaß davon geprägt wurde.
Zwar hatte die dazu gebildete Parlamentskommission schon Ende Juni vergangenen Jahres ihre Arbeit aufgenommen, also noch bevor im Herbst 2009 der „Minister für Einwanderung und nationale Identität“ Eric Besson offiziell die Identitätsdebatte lancierte. Gleichzeitig wurde letztere damals hinter den Kulissen schon vorbereitet. Und ein Ministerium, das die nationale Identität bereits im Namen trägt, gab es schon seit dem Frühsommer 2007.

Bürgermeister von Trabantenstädten mit starken Ghettoisierungstendenzen, in denen Angehörige sozialer Unterklassen ebenso wie Einwanderer in starker räumlicher Konzentration leben, hatten bei der Einrichtung der Kommission durchaus ihre eigenen Motive. Denn die örtlichen Kommunalverwaltungen, die mit einer Zunahme von Problemen des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit konfrontiert werden, sehen in einem Verbot der Burqa ein visuell erfassbares Ventil für ihre Frustrationen.
Dabei ist die Burqa nur ein Symptom, und ein eher randständiges, denn laut Zahlen des französischen Innenministeriums vom Sommer 2009 wird sie in Frankreich von 367 Frauen getragen, eine verhältnismäßig winzige Zahl. Neuere Untersuchungen aus polizeilichen Quellen von Ende 2009 sprechen nunmehr von 1 900 Frauen, die Ganzkörperverschleierung trügen, wobei dabei aber unterschiedliche Kleidungstypen eingerechnet sind – von der afghanisch/pakistanisch geprägten Burqa bis zum Gesichtsschleier „Niqab“, der vor einigen Generationen im Maghreb verbreitet war.
Die unterschiedlichen Motivationen
In den Augen von Vertreter­Innen der politischen Rechten handelte es sich bei dem Versuch, die Ganzkörperverschleierung verbieten zu lassen, vor allem um eine Abwehr gegen ein sichtbares Symbol des „nicht integrierten Fremden“. Stehen bei den Befürwortern eines Burqa-Verbots auf der Linken eher die Rechte der Frauen, die durch diese Kleidung schwer beeinträchigt würden, im Vordergrund, so waren Konservative oder Rassisten eher auf der Suche nach einem „fremden“ Symbol, für dessen Abwehr sie relativ einfach einen Konsens herstellen könne. Das generelle Verbot von Kopftüchern, Bärten oder Moscheen etwa wäre kaum durchzusetzen und würde quasi diktatorische Einschnitte gegen die Rechte der Einwanderungsbevölkerung erfordern. Doch ähnlich wie die Schweizer Rechtspopulisten im Verbot des deutlich sichtbaren Minaretts eine Maßnahme fanden, für die leichter ein Konsens auch mit der bürgerlichen Mitte zu stiften war als etwa für ein generelles Aussetzen der Religionsfreiheit für Muslime (welches einen Frontalangriff auf das Grundrecht der freien Religionsausübung darstellen würde), so verhält es sich auch mit der Abwehr der Burqa. Das leichter angreifbare, da tatsächlich als solches ziemlich fragwürdige Symbol der Burqa dient dabei dazu, eine möglichst breite gesellschaftliche Koalition zu schmieden. Und bei der dazugehörigen, breit gefächerten Debatte werden dennoch all jene fremdenfeindlichen Ressentiments und xenophoben Reflexe mobilisiert, auf deren Abrufen es der rassistischen Rechten genau ankommt: Das Publikum soll für ihre Ziele, ihre „Gefahrenbestimmung“ mobilisiert werden – wobei ein extremes, als solches kritikwürdiges, aber auch innerhalb der Gesamtgesellschaft absolut randständiges Symbol als Aufhänger dafür herhält.
Von den unterschiedlichen Sinngehalten eines Symbols
Die Burqa ist als Symbol mehrdeutig, je nach gesellschaftlichem Kontext.Genauso, wie Zeit, Ort und gesellschaftlicher Kontext sich unterscheiden, kann auch die soziale Bedeutung eines Symbols unterschiedlich ausfallen.

In Ländern wie Afghanistan und Pakistan, wo es einen gesellschaftlichen oder auch – zur Zeit der Taliban-Regierung – staatlichen Zwang zum Anlegen solcher Kleidung gab oder gibt, symbolisiert sie ohne Zweifel zuvörderst die äußerst weit reichende Unterdrückung der dortigen Frauen. In Frankreich hingegen, wo es keine Taliban-Gerichte und nichts auch nur entfernt ihnen Ähnliches gibt , steht dasselbe Symbol für einen anderen gesellschaftlichen Gestus.

Vor dem Hintergrund einer Republik, die theoretisch die Gleichheit unabhängig von Herkunft und – privatem – Glauben verspricht, jedoch alltägliche Diskriminierungspraktiken bestehen lässt, dient ein Symbol wie die Burqa in Frankreich vor allem zur Manifestation besonders sichtbarer und demonstrativer Ablehnung der mit dem Gleichheitsversprechen einhergehenden Assimilationsforderung. Sie bedeutet ungefähr so viel wie: „Wir sind nicht so wir Ihr, was immer Ihr auch verkünden möget!“ Eine Form von Revolte, die vor allem bei jungen Frauen anzutreffen ist – und die bei ihnen aus der Erfahrung mit einem an Diskriminierungen reichen Alltag resultiert, die sie allerdings im Laufe der Zeit auch in Familienmodelle hineinführt, die das Gegenteil von Emanzipation darstellen. Bei manchen Trägerinnen kommt, zusätzlich oder stattdessen, auch ein eher mystisches Element des Abschlusses von einer Gesellschaft, ihren verunsichernden oder „verunreinigenden“ Einflusses, auf der Suche nach dem einzig „Wahren und Reinen“ hinzu. Getragen wird die Burqa in der Regel nur von Angehörigen kleiner Sekten, die von den aktivistischen Salafisten bis hin zu eher pietistisch-religiösen Gruppen islamischer Provenienz reicht.

Was bei der politischen Rechten ankommt, ist allerdings vor allem jener Teil der – inhaltlich durchaus gemischten – Botschaft, der da lautet: „Wir sind nicht so wie Ihr, und den Wunsch, uns an Euer Bild oder Selbstbild anzupassen, lehnen wir radikal ab.“ Er wird als Herausforderung der Mehrheitsgesellschaft, der Leitkultur aufgefasst und genau als solche bekämpft. Aus diesem Grund greift die politische Rechte, von ihren moderaten bis zu ihren extremen Spielarten, derzeit die Forderung nach einem Verbot der Ganzkörperverhüllung oftmals begierig auf. Gleichzeitig wird sie als Verlängerung der nationalen „Identitätsdebatte“, der Abgrenzung vom Eigenen zum Fremden, begriffen. (Angesichts der Tatsache, dass über 75 Prozent der Burqa-Trägerinnen in Frankreich geboren und aufgewachsen und laut polizeilicher Auffassung mindestens 30 Prozent Islam-Konvertitinnen aus &bdq
uo;weißen“, nicht muslimischen französischen Familien sind – die ihre neue Zugehörigkeit auf besonders krasse Art und Weise unter Beweis stellen möchten –, ist das Symbol jedoch für genau diese Abgrenzung der „Eigenen“ gegen „fremd“ absolut untauglich).

Dies findet seinen Niederschlag in den konkreten Ausformungen, die die Verbotsforderung findet. Diese wird derzeit durch den Kommissionsbericht und ihre Handlungsvorschläge vor allem an Punkten durchdekliniert, die soziale und andere Ansprüche gegen den Staat beinhaltet: Wer eine Burqa trägt, solle vom Zugang zu Sozialleistungen oder Kindergeld ausgeschlossen werden. Auch von dem zur französischen Staatsbürgerschaft, aber das ist seit 2008 ohnehin ständige höchstrichterliche Rechtsprechung. Anlässlich einer Fernsehdebatte zwischen dem umstrittenen islamischen Reformtheologen Tariq Ramadan und dem wirtschaftsliberalen Politikberater Alain Minc antwortete Letzterer auf die Frage, ob auch saudi-arabische Prinzessinnen auf den Champs-Elysées von einem Verbot betroffen sein sollten: „Nein. Diese beantragen ja schließlich keine Sozialleistungen.“ Daran wird sehr deutlich, dass es im Kern um die Abwehr als illegitim betrachteter „Ansprüche“ geht.

Je länger die Debatte zum Burqa-Verbot dauerte, desto mehr machte sich auf der konservativen Rechten eine generelle Haltung breit, die möglichst viel Verbote und Ausschluss aus der Öffentlichkeit forderte. Hingegen warnten die Spitzenpolitiker und die Juristen ihres Lagers davor, ein zu generelles Verbot – etwa ein Untersagen jeglichen Tragens einer Ganzkörperverschleierung auf der Straße – zu formulieren: Diese würde durch die obersten Gerichte oder den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zweifellos als unzulässige Diskriminierung kassiert, da es darum gehe, eine unstatthafte Gesinnung zu ahnden. Vor Richtern durchgehen könne, so die Warnung, allenfalls ein punktuelles Verbot, das mit dem Anspruch des Staates auf Identifizierbarkeit der Personen etwa auf Sozialämtern oder Behörden oder auch in öffentlichen Verkehrsmitteln begründbar sei.

Nicht nur Frankreich debattiert derzeit über das Verbot des Symbols, das die Burqa tatsächlich oder vermeintlich darstellt.
Als Erstes diskutiert nun Dänemark konkret über Verbotsmaßnahmen in dieser Richtung. Auch wenn die Unterdrückung der Frau auch dort als Begründung dient, ist die rechte und auf Abwehr von Einwanderern abzielende Motivation für eine solche Debatte relativ manifest. In Dänemark ist das Phänomen der Vollverschleierung noch weitaus marginaler als in Frankreich, bei einer Zählung des Innenministeriums wurden drei Fälle im gesamten Land gefunden.

Insofern handelt es sich auch hier offenkundig, wie im Kern freilich überall, um eine Gespensterdebatte.

Dieser Artikel ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Version eines Artikels von Bernard Schmid.

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