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Geschichte und Philosophie

Der Mauerbau vor 50 Jahren: Ein Verbrechen am Sozialismus

Von Peter Berens | 01.09.2011

Der Kampf für den Sozialismus war seit Lassalle untrennbar mit dem Kampf für demokratische Freiheiten verbunden. Für eine „Mauer“ ist da kein Platz.

Der Kampf für den Sozialismus war seit Lassalle untrennbar mit dem Kampf für demokratische Freiheiten verbunden. Für eine „Mauer“ ist da kein Platz.

Für ihre beiden großen Ideale Sozialismus und Demokratie brachten die Sozialist­Innen – so während der Sozialistengesetze von 1878–1890 – zahllose Opfer. Ohne den Kampf für die Freiheit hätte die Bebelsche Sozialdemokratie niemals die bewusstesten Arbeiter­Innen in einem alternativen Gesellschaftsmodell aus Partei (mit eigenen Tageszeitungen), Gewerkschaften, Genossenschaften, Freizeit-, Bildungs- und Sportvereinen organisieren können.
Sozialismus und Demokratie
Im Vergleich zur russischen Oktoberrevolution war die deutsche Novemberrevolution nur eine halbe Revolution. Immerhin brachte sie den Lohnabhängigen die Organisationsfreiheit, das allgemeine Wahlrecht, das Frauenwahlrecht, den achtstündigen Arbeitstag und die Betriebsräte. Hier trennten sich für die reformistische SPD die Wege: „Demokratie“ war die von Ebert und Noske mit Arbeiterblut getaufte Weimarer Republik. Der Sozialismus blieb als Phrase für den 1. Mai.

Der revolutionäre Teil der Arbeiter­Innenbewegung setzte den Kampf für Sozialismus und „Demokratie“ fort. Die Berliner Kämpfe, die Münchener Räterepublik 1919 und die sog. „Märzaktion“ 1921 zielten auf den sozialistischen Aufstand. Der Kampf der roten Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch 1920 diente der Verteidigung der Stützpunkte der proletarischen Demokratie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Der sog. „deutsche Oktober“ 1923 gegen den befürchteten Einmarsch der Nazis vom reaktionären Bayern ins „rote“ Sachsen und Thüringen versuchte beides miteinander zu verbinden.
Entdemokratisierung der KPD
Mit der Atempause, die der Kapitalismus 1923 erhielt, kamen innerhalb der KPD diejenigen nach oben, die aus der mitverschuldeten Niederlagenserie den Schluss zogen, dass es andere besser wissen müssten – die jeweils herrschende Fraktion der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Abgebrühte Apparatschiks wie Pieck und Ulbricht, die in der Phase der revolutionären Kämpfe nur eine zweit- oder drittrangige Rolle gespielt hatten, waren bereits zwanzig Jahre vor der politischen Entmündigung der Arbeiter­Innenklasse Ostdeutschlands maßgeblich daran beteiligt, die „Meinung des Anders Denkenden“ in der KPD auszuschalten. Von Mitte der 1920er Jahre an war die KPD eine stalinistische Partei, deren Mitglieder die „Linie“ nicht kritisieren durften und für deren Führung die letzten Anweisungen aus Moskau wichtiger waren als eigenständige Analysen. Sozialfaschismustheorie, RGO-Politik, Einheitsfront „nur von unten“ und „Volksrevolution“ verhinderten den gemeinsamen Kampf mit SPD und Gewerkschaften gegen Hitler. Die Nazis konnten widerstandslos die Arbeiter­Innenbewegung zertrümmern, deren revolutionäre Partei zuvor von den Thäl- und Neumännern, Piecks und Ulbrichts entdemokratisiert, bürokratisiert und politisch entleert worden war.
Die Angepasstesten der Angepassten
Nachdem die Nazis „Demokratie“ und Sozialismus in Deutschland zerschlagen hatten, versuchte Stalin in der Sowjetunion jegliche Opposition auslöschen. Mehrere hundert KPD-Mitglieder, die vor Hitler nach Moskau geflohen waren, wurden im Gefolge der Moskauer Prozesse erschossen. Wer den doppelten und dreifachen „Säuberungsprozess“ als Angepasstester der Angepassten überlebte, kam nach dem Sieg der roten Armee über die Nazis in der DDR zu Amt und Würden – so wie Pieck und Ulbricht.

Ihr Modell glich der Erziehungsdiktatur des utopischen Sozialismus. Es war die Herrschaft einer Bürokratie, die an Stelle der Arbeiter­Innenklasse das politische Geschehen bestimmte, ihr die demokratischen Rechte und Freiheiten verweigerte, aber lange Zeit an soziale Errungenschaften wie Arbeit, soziale Standards, Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Außenhandelsmonopol gebunden blieb.
Pieck und Ulbricht glaubten an die reaktionäre Utopie vom „Sozialismus in einem Land“, auf einem Teil des Globus friedlich eine „sozialistische“ Gesellschaft verwirklichen zu können. Dem theoretischen Abnabelungsprozess von der Weltarbeiter­Innenklasse folgte die reale Mauer aus Stein, Beton und Stacheldraht, sei es aus dem bürokratischen Kalkül, die Flucht der eigenen Arbeiter­Innen aus dem angeblichen „Sozialismus“ zu verhindern, aber auch, weil sich die Bürokratie durch jede revolutionäre Regung auf der Welt gefährdet fühlte. Dass die Mauer kein „antifaschistischer Schutzwall“ war, zeigte sich spätestens 1989, als die Bürokratie die DDR dem vielgeschmähten Klassenfeind auslieferte.
Rätedemokratie
Eine sozialistische Rätedemokratie muss auf einem Mehrparteiensystem mit Fraktionsrechten, Selbstverwaltung in Betrieben, Unis und Schulen, Mitbestimmung der Gewerkschaften, auf demokratischen Rechten und sozialen Errungenschaften beruhen, die weit über die gewohnten bürgerlichen Freiheiten und Standards hinausgehen. Nach einer authentischen sozialistischen Revolution wird es der Kapitalismus sein, der Mauern benötigt, um die Menschen davon abzuhalten, vor Ungleichheit und Unfreiheit zu fliehen.

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