Dank des antifaschistischen Widerstands wurde der Höhenflug der AfD gestoppt, aber sie liegt immer noch in den Umfragen sehr hoch.
In einzelnen Bundesländern im Osten sind es über 30 %, hier ist die AfD stärkste Kraft in den Umfragen. Bei allen Wahlen in der letzten Zeit hat am ehesten die AfD ihre Umfragewerte bei den abgegebenen Stimmen auch tatsächlich erreicht.
Mitte Januar berichtete die Investigativ-Organisation Correctiv von einem Geheimtreffen von Mitgliedern der AfD, extrem Rechten aus CDU und dem Spektrum unabhängiger extrem-rechter bürgerlicher Kräfte in einem Potsdamer Luxushotel mit Martin Sellner, dem Sprecher der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), über einen Plan zur „Remigration“, also der Vertreibung von Millionen Migrant:innen und politisch unliebsamer Menschen aus Deutschland.
Dieser Bericht löste eine massenhafte Protestwelle aus, die innerhalb weniger Wochen fast vier Millionen Menschen im ganzen Land mobilisiert hat. Fast 2000 Demonstrationen fanden selbst in politisch bisher nicht aufgefallenen Klein- und Mittelstädten statt, auch in den ostdeutschen Bundesländern. Solch eine Massenbewegung hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Diese Bewegung umfasste breite Teile der Bevölkerung bis in konservative Kreise hinein. Oft waren es linke Strukturen, die die Initiative für solche Mobilisierungen ergriffen, die aber vielfach von bis weit in die bürgerliche Mitte reichenden Kreisen aus Kirchen, bürgerlichen Parteien und Amtsträger:innen, Gewerkschaften und selbst Kapitalgruppierungen aufgegriffen und von ihnen dominiert wurden.
Es war also eine Einheitsfront bis weit ins bürgerliche Lager hinein, gegen die politischen Vorstellungen, aber vor allem gegen die rassistischen Zuspitzungen der AfD. Ausschlaggebend für diese Bewegung waren zwei Hauptgründe: Immer noch ist es die Erfahrung mit dem Hitler-Faschismus, die in Deutschland eine Rolle spielt und Ängste hervorbringt, dass Ähnliches wieder passieren könnte. Zum anderen lebt auch gerade die deutsche Wirtschaft vom Export und große Teile des Bürgertums geben sich heute weltoffen und sind für eine diverse, offene Gesellschaft.
Aber es geht eben auch um die politische Macht im Land. Für CDU/SPD/FDP/Grüne ist die AfD eine Bedrohung ihrer Regierungsfähigkeit. Der massenhafte moralische Protest auf der Straße, an denen sie teilweise selbst teilnehmen, hält weder CDU noch die regierende Ampel- Koalition davon ab, Positionen der AfD schon heute in reale Politik umzusetzen. Bundeskanzler Scholz und die SPD sprechen von massiven Abschiebungen und davon, die „illegale Migration“ hart zu bekämpfen. Das von den Grünen angeführte Außenministerium ist maßgebliche Kraft bei der Ein- und Umsetzung der „gemeinsamen Einwanderungspolitik“ der Europäischen Union. CDU, AfD und das neugegründete rechtssozialdemokratische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollen, dass Asylanträge möglichst in Staaten außerhalb der EU (Albanien, Nordafrika) oder im subsaharischen Afrika (Ruanda) gestellt werden, wie es Dänemark, Ungarn, Italien und (außerhalb der EU) Britannien bereits machen oder beginnen wollen. Die Regierungsparteien überbieten sich gegenseitig und denken, sie können damit der parlamentarisch oppositionellen AfD das Wasser abgraben. Dies ist auch ein Erkennungszeichen der Abspaltung von der Partei DIE LINKE, dem BSW, das sich in der Migrationsfrage kaum noch von der AfD unterscheidet. Lediglich die Partei DIE LINKE versucht, sich dieser Rechtsentwicklung entgegen zu stellen, betont das Recht auf Asyl und die humanitären Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, und mobilisiert gegen den grassierenden Rassismus im Land.
Die Wahlen zum EU-Parlament
In diesem politischen Rahmen fanden am 9. Juni die Wahlen zum EU-Parlament statt. Bei dieser Wahl wurde die CDU mit 30 % zur stärksten Partei, aber die AfD mit knapp 16 % zur zweitstärksten. Auch wenn dies hinter den Umfragewerten von Anfang des Jahres ein Stück entfernt war, so ist es doch erschreckend, wie hoch die Zustimmung nach wie vor ist. Das Ergebnis der Partei DIE LINKE, 2,7 %, ist mehr als enttäuschend und führt dazu, dass in der Partei eine heftige Auseinandersetzung über den zukünftigen Kurs stattfindet. Es ist ein finaler Existenzkampf der LINKEN als nennenswerte parlamentarische Kraft, aber er wird bisher leider stark von Kräften bestimmt, die für ein „Weiter so“ eintreten. Ein Wunsch, der garantiert nicht Wirklichkeit wird und werden kann.
Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern ist die AfD sehr stark, wenn nicht sogar die stärkste Partei geworden. In diesen Ländern hat die AfD auch schon dauerhafte Strukturen und Netzwerke aufgebaut, die typisch für eine faschistische Partei sind, während sie in den anderen Bundesländern noch eine überwiegend auf Wahlkämpfe orientierte Partei ist. Diese Verhältnisse lassen Schlimmes für die Landtagswahlen befürchten, die im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stattfinden.
Eine breite Bewegung gegen die AfD
Weder die großen (aber nur moralisch appellierenden) Demonstrationen vom Frühjahr 2024 noch die Skandale, die sich die AfD und ihr Personal im Wahlkampf zum EU-Parlament leisteten, und auch nicht das mit diesem Ziel gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht haben zu einem nennenswerten Rückgang des Zuspruchs für die AfD geführt. Es gab einen großen Aufschrei gegen rechts, aber bleibende und nachhaltig mobilisierungsfähige Strukturen müssen weiter aufgebaut werden.
Die politisch bewussteren Kerne der Bewegung gegen die AfD ließen sich von diesem Wahlergebnis allerdings nicht entmutigen. Ganz im Gegenteil. Während im Land an vielen Orten weiterhin, wenn auch kleinere, Demonstrationen und andere Aktionen gegen die AfD und für eine offene Gesellschaft stattfanden, entstand in der Ruhrmetropole Essen ein breites Aktionsbündnis, das Proteste gegen den Parteitag der AfD, der am letzten Juni-Wochenende in der Gruga-Messehalle stattfinden sollte, organisieren wollte. Unter dem Namen „Gemeinsam Laut“ sammelten sich viele Initiativen, Gewerkschaftsgliederungen, Personen und Parteien, die die Aktionen vorbereiteten.
Unter diesem Dach gab es aber durchaus unterschiedliche Auffassungen, wie der Protest durchgeführt werden sollte. Es formierte sich die Initiative mit dem Namen „Gesicht zeigen“, die eine direkte Konfrontation mit Polizei und der AfD ablehnte. Darin waren die christlichen Kirchen, die sozialen Initiativen der Stadt, aber auch örtliche Gewerkschaften und Vertreter:innen der staatstragenden Parteien vertreten. Nicht zu vergessen Thomas Kufen, der Oberbürgermeister von Essen, der der CDU angehört und der mit dafür sorgte, dass die Stadt der AfD die Genehmigung für die Veranstaltungshalle entzog, was allerdings vom Verwaltungsgericht wieder aufgehoben wurde.
Auf der anderen Seite gründete sich die Gruppe „Widersetzen“, die dazu aufrief, den Parteitag der AfD zu blockieren und dafür auch bundesweit mobilisierte. Diese Initiative wurde von großen Teilen der Antifa-Strukturen und vielen linken Organisationen und Parteien unterstützt. Aus dieser Initiative heraus bildete sich auch eine „Gewerkschaftliche Unterstützungsgruppe“, die sich an den Blockadeaktionen beteiligen wollte. Es war ziemlich neu, dass Gewerkschafter:innen sich an den Aktionen des zivilen Ungehorsams aktiv beteiligen. Die offiziellen Strukturen von ver.di, des DGB und der GEW riefen zur Gesamtheit der Aktionen auf. Die IG Metall machte dies zumindest indirekt und etwas verschämt, in erster Linie, weil sie kein Geld in die Aktionen stecken wollte. […]
Die üblichen Polizei-Schikanen
Parallel dazu bereitete sich das Innenministerium von NRW unter dem Law-and-Order-Minister Herbert Reul (CDU) auf diese Tage vor. In der Presse, vor allem in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (darunter die im Ruhrgebiet stark verbreitete Westdeutsche Allgemeine Zeitung), wurde vor gewalttätigen Auseinandersetzungen gewarnt und eine entsprechende Stimmung erzeugt. […] Nur die liberale Presse stellte heraus, dass sich auch „Widersetzen“ auf absolute Gewaltfreiheit geeinigt hatte und betonte, es gehe um zivilen Widerstand.
[…]
Der Samstag, 29. Juni, begann für viele Aktivist:innen schon morgens sehr früh, da „Widersetzen“ dazu aufgerufen hatte, sich um 6 Uhr zu treffen, um möglichst frühzeitig Zugänge zu den Messehallen zu blockieren. Wir beteiligten uns an den Aktionen der gewerkschaftlichen Widersetzen-Gruppe und waren frühmorgens um 6 an dem Haupteingang der Essener Uni-Klinik. Dort trafen wir viele aktive und kämpferische Kolleg:innen wieder, die wir oft in anderen Zusammenhängen gesehen haben. Aber auch ein Mitglied der Landesleitung von ver.di NRW und manche andere Hauptamtliche waren dabei. Besonders erfreulich war die Teilnahme der Vorsitzenden der LINKEN, Janine Wissler, die auch Bundestagsabgeordnete ist und als parlamentarische Beobachterin vor Ort sein wollte.
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Zum Hauptbahnhof strömten die Massen in Scharen, so dass diese Demo riesige Ausmaße annahm. Auch wenn die erste Meldung der Presse, dass 100 000 Menschen teilnehmen, etwas übertrieben war, war es eine sehr große und kämpferische Demonstration. Wir hatten auch kaum Probleme, unser für diese Aktionen produziertes Flugblatt zu verteilen. Das Spektrum der Teilnehmenden reichte von den vielen örtlichen und regionalen Antifa- Gruppen über linke Organisationen und Initiativen und den drei im Bundestag vertretenen Parteien SPD, Grüne und DIE LINKE und Gewerkschaften bis hin zu bürgerlichen Kräften aus Kirchen und Wohlfahrtsverbänden. Von dem neugegründeten BSW war weit und breit nichts zu sehen, was aufgrund seiner Positionen auch kein Wunder war.
Es gab immer wieder Zwischenfälle, die meist durch ein Eingreifen der Polizeikräfte hervorgerufen wurden. So wurde häufig das Tragen von Gesichtsschutz zum Vorwand genommen, um mit den bekannt rücksichtslosen Festnahmeeinheiten in Demonstrationsblöcke reinzugehen und Leute herauszuzerren. An den Blockadeorten wurde rigide gegen die Blockierenden vorgegangen, die mit brutaler Gewalt durch den Einsatz von Pfefferspray und Knüppeln vertrieben wurden. Deutsche Polizei verhilft den Faschisten einmal mehr bei ihren politischen Auftritten – mit Schutz des Versammlungs- und Meinungsfreiheitsrechtes ist dies nicht zu begründen.
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Gegen rechts hilft nur links
Die Proteste gegen den Parteitag der AfD Ende Juni haben noch einmal deutlich gemacht, dass die Stimmung im Land anhält, dass es darauf ankommt, gegen die politischen Vorstellungen der AfD Widerstand zu leisten. Auch wenn die Durchführung dieses Parteitags nicht verhindert werden konnte, bleiben die Mobilisierungen und Aktionen ein Erfolg. Es kam ein wenig und mutmachend zum Ausdruck, dass gegen Rechts nur Links mit eigenen Inhalten, Räumen und Strukturen wirkt. Die Organisator:innen und auch die Polizei waren sich bei der Zahl der Teilnehmer:innen ziemlich einig: 70 000.
Es zeigt sich aber auch, dass diese Mobilisierungen nur ein Teil des bundesweiten Widerstandes sein können. Überall im Land entstehen neue Initiativen gegen die extreme Rechte und für eine offene Gesellschaft. Dass dabei oft vergessen wird, auf die Politik der Bundesregierung zu schauen, ist leider zu häufig der Fall. Es ist die Aufgabe der sozialistischen Kräfte, hier für ein Gegengewicht zu sorgen. Was nützt es, gegen die Politik der AfD zu sein, wenn die Bundesregierung oder die Länderregierungen mit oder ohne die CDU vermehrt Abschiebungen durchführen, zu deren Begründung massiv den Rassismus schüren und an der Festung Europa kräftig mitbauen?
2. August 2024
Erscheint in die internationale, 5/2024 als Teil eines Dossiers zum Rechtsextremismus