Der Ampel-Bruch und die Schuldenbremse
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Innenpolitik

Der Ampel-Bruch und die Schuldenbremse

Von Angela Klein | 25.11.2024

Bei Lichte betrachtet hat eine Koalitionsregierung, die nur bescheidene soziale und ökologische Reformen auf den Weg bringen wollte, keine Chance mehr, wenn die FDP daran beteiligt ist. Im parteipolitischen Sinne hat sozialliberal ausgedient, sofern bei der SPD noch ein Funken sozialer Verantwortung ist. Das ist die Quintessenz des Ampelbruchs.

Für die FDP hatte sich ihre Beteiligung an der Ampelkoalition gemessen am Wählerzuspruch nicht ausgezahlt. Die neue Regierung kam im Oktober 2021 ins Amt. Seit den Landtagswahlen 2022 hat die Partei kontinuierlich verloren, erst an die Union, später auch an die AfD. Der Stern der Grünen sank so richtig erst 2023 mit dem Debakel um das Heizungsgesetz und dem nachfolgenden Desaster um die Finanzierung der Klimaziele.

Mit dem Heizungsgesetz wollte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Wärmewende im Bereich Wohnen einleiten, indem er den Einbau von Wärmepumpen zur Pflicht machte. In dem Gesetzentwurf waren die vielen besonderen Situationen, die es in diesem Bereich gibt, nicht ausreichend beachtet worden, er rief von verschiedener Seite einen Sturm der Entrüstung hervor, in dem sich konkrete Kritik mit grundsätzlicher Ablehnung einer ökologischen Sanierung mischten. Spätere Korrekturen an dem Gesetzentwurf konnten an dem wahlpolitischen Absturz der Grünen (zwischen 2 und 6,6 Prozent) nichts ändern. Auch deshalb nicht, weil später im Jahr das Bundesverfassungsgericht einer Klage der CDU stattgab. Diese wollte verhindern, dass nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro aus dem Coronafonds auf den Klimafonds übertragen würden. Mit diesem Geld hatte Habeck aber für die Finanzierung seiner geplanten Klimaschutzinvestitionen fest gerechnet. Danach stolperte die Ampel nur noch von einem Streit über Haushaltslöcher in den nächsten.

Mit der Verknappung der Haushaltsmittel sah FDP-Chef Christian Lindner seine Stunde gekommen: Er verlangte ultimativ, dass Geld für Klimaschutz aus den Sozialhaushalten zu entnehmen sei. Zur Rechtfertigung zog er sich auf die Schuldenbremse zurück. Die Schuldenbremse ist eine 2009 im Grundgesetz verankerte Regelung, die konjunkturunabhängig den Ländern eine staatliche Neuverschuldung verbietet und für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschränkt. Daneben ist ein konjunkturabhängiger Fonds zulässig, der in Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs jedoch wieder aufgefüllt werden muss.

Angeblich hat Lindner seinen Eid als Minister darauf geschworen, das Grundgesetz einzuhalten – so begründete er jedenfalls sein immer wiederkehrendes Njet, z. B. zur Finanzierung einer Kindergrundsicherung, zur Anpassung des Bürgergelds an die Inflation und zum Schluss sein Nein zu einem Sonderhaushalt für die Unterstützung des Kriegs in der Ukraine. Nach dem Platzen der Ampel wurde er allerdings von CDU-Chef Friedrich Merz belehrt, dass mit Ausnahme der Grundrechte alle anderen Artikel im Grundgesetz geändert werden können. Als wollte er die Absurdität – oder besser gesagt: die Durchsichtigkeit von Lindners politischen Absichten überdeutlich machen, hat Merz, der vermutlich der nächste Bundeskanzler wird und mit dem Lindner unbedingt zusammen regieren will, jetzt selber eine Reform der Schuldenbremse ins Spiel gebracht.

Schattenhaushalte hat es in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder gegeben; früher wurden sie versteckt, seit dem „Aufbau Ost“ in den 90er Jahren werden sie bei jeder größeren Beanspruchung ganz offen aufgelegt: 2011 der Klima- und Transformationsfonds, 2020 der Coronafonds mit 200 Mrd. Euro; zu Beginn des Ukrainekriegs 100 Mrd. Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Mit solchen Schattenhaushalten belügt eine Bundesregierung sich selbst und die Öffentlichkeit sowie ihre europäischen Partner über ihre reale Haushaltslage: Sie stellt sich als Musterknaben in Sachen Verschuldung hin, weil die offiziellen Kriterien mehr oder weniger eingehalten werden. Die Schulden aber, die über die Schattenhaushalte aufgebaut werden, übersteigen die Haushaltsschulden um ein Mehrfaches: Für die Sondervermögen mussten zuletzt 147,2 Mrd. Euro Kredite aufgenommen werden, im regulären Haushalt waren 45,6 Mrd. Euro anzunehmende Kredite eingestellt. Der Umfang aller Schattenhaushalte zusammengenommen beträgt 869 Mrd. Euro; davon sind 522 Mrd. kreditfinanziert.

So wie das Instrument von Lindner gehandhabt wurde, war es eine Keule gegen dringende soziale Maßnahmen wie auch gegen ökologische Investitionen. Der Klima- und Transformationsfonds wurde um 45 Milliarden zusammengestrichen, zahlreiche Vorhaben blieben auf der Strecke, vor allem die Sanierung der Bahn soll jetzt aus Eigenmitteln – d. h. durch weitere Privatisierungen – aufgebracht werden. Ein guter Teil der Klimaziele sind geopfert, Atomkraft wird als „grüne Energie“ neu ins Spiel gebracht.

Mit einem solchen Ansatz stellt sich eine Regierung aber selbst ein Bein. Nach Jahrzehnten des neoliberalen Kaputtsparens quietscht es in allen öffentlichen Bereichen. Das Institut der deutschen Wirtschaft bezifferte den Investitionsstau im Mai dieses Jahres auf 600 Mrd. Euro. Der Draghi-Bericht an die EU-Kommission fordert 800 Mrd. für die EU. Die sollen nicht vorrangig in die Rüstung fließen, sondern in Verkehr, Bildung, Wohnen, Digitalisierung. „Investieren, investieren, investieren“, heißt es da – nichts wirklich Neues, bislang ist es aber immer an der neoliberalen Dogmatik gescheitert.

Unter dem Damoklesschwert der Schuldenbremse muss im Moment jede Regierung operieren, die Reformen voranbringen will. Denn für die Subventionierung von außerordentlichen Kapitalbedarfen stehen die Schattenhaushalte natürlich immer offen, nur für Soziales nicht. Friedrich Merz hat sich da sehr klar ausgedrückt: Die Tagesschau zitierte ihn am 14.11. mit den Worten: „Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: Wozu? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein. (…) Es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein.“

Die Schuldenbremse wirkt in Deutschland wie die IWF-Auflagen im globalen Süden: Sie wird eingesetzt, um Fortschritt zu verhindern und soziale Ansprüche zu disziplinieren. Das ist selbst in bürgerlichen Kreisen umstritten. Aber da sitzt die kapitalbesitzende Klasse zwischen Baum und Borke, denn in Deutschland werden nicht nur zu wenig Fachkräfte ausgebildet, es verkommen auch die Schulen, die Krankenhäuser, das Schienennetz usw. – Bereiche, die für die Reproduktion des Kapitals durchaus notwendig sind und die Attraktivität des Standorts Deutschland beeinflussen. Was für den einzelnen Betrieb Sinn macht, etwa sich die Ausbildungskosten zu sparen, macht gesamtwirtschaftlich eben keinen Sinn. Und die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge führt dazu, dass diese für die Allgemeinheit, mithin auch für Betriebe, nicht mehr funktioniert.

Und mit welchem Recht verlangt die deutsche Regierung von anderen EU-Staaten die Einhaltung der Haushaltsdisziplin, wenn sie selbst das nicht tut?

Die Ampel hat, trotz aller Hindernisse, eine Reihe von Verbesserungen auf den Weg gebracht: die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro; eine einmalige Erhöhung der Bedarfssätze beim Bürgergeld um 12 Prozent (eine weitere Anpassung an die Inflation hat Lindner verhindert), den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die für die breite Bevölkerung spürbarste Erleichterung war das 9-Euro-Ticket im Sommer 2022, dann das Deutschlandticket für 49 Euro – für diesen Preis konnte man mit Regionalzügen durch die ganze Republik fahren; es soll jetzt wieder abgeschafft werden.

Die Anhebung des Kindergelds ist an Lindner gescheitert, auch die Zusammenlegung verschiedener Leistungen zu einer Kindergrundsicherung; sein Lieblingsprojekt, die Aktienrente, wollte er zum Teil aus den Rentenbeiträgen bezahlen. Wichtige Vorhaben wie die Sicherung der Rente, bezahlbares Wohnen oder die Pflegereform blieben auf der Strecke.

Die Regierungsentscheidung, die den allgemeinen politischen Rechtsruck am meisten befeuert hat, ist allerdings die Asylpolitik – der EU-weit durchgesetzt Beschluss, dass Asylanträge bereits an den Außengrenzen der EU gestellt werden müssen, um Migrant:innen gar nicht erst reinzulassen. In dieser Frage, wie auch in der Frage der Aufrüstung, gab es einen großen Konsens unter den Koalitionsparteien.

Lindner setzt jetzt alles auf eine Neuauflage von schwarz-gelb. Das ist ein rückwärtsgewandter Traum: Die Parteienlandschaft ist in Deutschland inzwischen so zersplittert, dass mit Mühe und Not eine Große Koalition zustände käme, wahrscheinlich aber werden zur Regierungsbildung drei Parteien nötig sein. Ob er dann wieder dabei ist?

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