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Antifa/Antira

Das rechte Auge fest zugekniffen

Von Korrespondent Hessen | 01.09.2008

Am frühen Sonntagmorgen des 20. Juli 2008 wurde das Sommercamp der Linksjugend solid am Neuenhainer See in Nordhessen von rechten Schlägern überfallen. Eine 13-jährige Teilnehmerin erlitt schwere Kopfverletzungen und musste zwischenzeitlich auf der Intensivstation im Krankenhaus behandelt werden.

Am frühen Sonntagmorgen des 20. Juli 2008 wurde das Sommercamp der Linksjugend solid am Neuenhainer See in Nordhessen von rechten Schlägern überfallen. Eine 13-jährige Teilnehmerin erlitt schwere Kopfverletzungen und musste zwischenzeitlich auf der Intensivstation im Krankenhaus behandelt werden.

Schon im Vorfeld des viertägigen Sommercamps mussten die VeranstalterInnen von [‘solid] mit Angriffen regionaler Nazis rechnen. Am Vortag hatte die Jugendorganisation eine Demonstration gegen rechts in Schwalmstadt-Treysa veranstaltet, an der über 200 überwiegend junge Menschen teilgenommen hatten. Bereits am Rande der Demonstration hatten Anhänger der Freien Kräfte Schwalm-Eder – darunter die späteren Täter – vereinzelte TeilnehmerInnen provoziert. Der brutale Überfall erfolgte dann um 07.47 Uhr am Sonntagmorgen, als es bereits hell und die Nachtwache abgezogen war. Die 13-jährige und ihr 23-jähriger Bruder wurden von dem inzwischen festgenommenen und geständigen Nazi Kevin Schnippkoweit mit einem Klappspaten und einer Flasche attackiert.
Bekannte Reaktion
Die Reaktionen auf diesen feigen Überfall erfolgten dann in dem zu Genüge bekannten Muster. Kommunalpolitiker­Innen stellten sich schützend auf die Seite… ihrer „betroffenen“ Kommune und versicherten, dort gebe es keine organisierten Nazis. Die CDU-Fraktion im hessischen Landtag beeilte sich darin, in der Sorge, die Partei Die Linke könnte den Überfall auf das Sommercamp von [‘solid] für politische Zwecke instrumentalisieren.

Der eigentliche Skandal wird jedoch von verschiedenen Antifaorganisationen zurecht darin ausgemacht, dass wiederholt Warnungen vor organisierten und vernetzten Nazis in Nordhessen und ebenso detaillierte Hinweise auf frühere Machenschaften des Täters Kevin Schnippkoweit von staatlicher Seite ignoriert wurden.

Obwohl ein Sprecher der Polizei wie häufig nach solchen Vorfällen behauptete, es gebe keine „vernetzte Strukturen” der Rechten in der Region, ist Schnippkoweit ein alter Bekannter aus der hessischen NPD- und Naziszene. In der Person Schnippkoweits und seiner Verbindung zum ehemaligen Vorsitzenden der NPD Hessen, Marcel Wöll, kommen die hessischen Strukturen von NPD und Autonomen Nationalisten zum Vorschein. Schnippkoweit war unter dem Tarnnamen „exvodsphoenix” über längere Zeit beim Erstellen hochgradig antisemitischer und gewaltverherrlichender Videos aktiv. Zu diesen Videos gehört auch ein Werbevideo für den von Wöll angemeldeten Nazi-Aufmarsch am 7.7.2007 in Frankfurt, in dem die Naziaktivistin Anne-Marie Doberenz mit einer Molotow-Cocktail-Attrappe herumfuchtelte. Der Frankfurter Polizeisprecher Jürgen Linker hatte, gefolgt von der FAZ, dieses Video zunächst öffentlich als „Antifa-Fake“ bezeichnet, obwohl jeder Internet-User leicht nachvollziehen konnte, dass es sich dabei um ein Produkt aus Wölls Zentrum aus der Langgasse 16 in Butzbach handelte, an dem Schnippkoweit mitgewirkt haben dürfte. Nach Aufdeckung seiner Identität verließ Schnippkoweit Hessen und übersiedelte ins „Braune Haus” nach Jena, wo er versuchte, das Abitur zu machen.
Polizei leugnet und verharmlost
Das hessische Innenministerium und die Polizei leugnen wieder und wieder die Existenz einer organisierten und hochgradig gewaltfixierten und -begeisterten Naziszene in Hessen:

  • •    der ehemalige Vorsitzende der NPD Hessen, Marcel Wöll, ist ein vielfach vorbestrafter Gewalttäter und Holocaustleugner, der demnächst wegen versuchten Totschlages erneut vor Gericht steht;
  • •    der derzeitige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, Mario Matthes, ist ebenfalls als Gewalttäter hervorgetreten – vor einiger Zeit griff er auf dem Campus der Mainzer Universität zwei antifaschistische Kommilitonen an und brach einem den Kiefer;
  • •    Wölls Mitstreiter Timo Völkel und Daniela Übelacker wurden vor genau einem Jahr beim militärischen Schießtraining in der Schweiz beobachtet – der hessische Verfassungsschutz wusste von nichts;
  • •    der NPD-Landtagskandidat im Wahlkreis Schwalm-Eder-Kreis, Alexander Baranowski, warb mindestens zeitweilig auf seiner Homepage mit seiner Mitgliedschaft in einer Wehrsportgruppe;
  • •    und nun sitzt Kevin Schnippkoweit wegen des versuchten Totschlags an einem dreizehnjährigen schlafenden Mädchen in U-Haft und erklärt sich auch noch stolz zum politischen Hintergrund seiner Untat.1


Angesichts dieser Fakten stellte ein antifaschistischer Aktivist aus Hessen zurecht fest, dass die verantwortlichen staatlichen Organe auf dem rechten Auge nicht blind sind – vielmehr drücken sie es fest zu. Die versuchte Tötung einer Dreizehnjährigen hätte verhindert werden können und müssen.

Doch der bürgerliche Staat wird niemals mit der Entschlossenheit gegen Nazis vorgehen, die er gegenüber der politischen Linken an den Tag legt. Nazibanden drangsalieren, verfolgen, terrorisieren und morden MigrantInnen, Menschen mit nicht konformen Lebensentwürfen und politische GegnerInnen – aber sie greifen eben nicht die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft an. Im Gegenteil, sie treiben das Prinzip jeder gegen jeden auf ihre rassistisch-biologistische Spitze und den Kapitalismus zu seiner grausamen vernichtenden Absurdität. Im Kampf gegen Rassismus und Faschismus gilt es deshalb letztlich nicht, den Schiedsrichter zur Einhaltung der Regeln zu bewegen, sondern dem ganzen Spiel Einhalt zu gebieten.

1 Quelle: antinazi.wordpress.com

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