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Innenpolitik

Bundestagswahlen 2005: Nach der Wahl ist vor der Wahl

Von Trixi Blixer | 29.09.2005

Nach den vorgezogenen Bundestagswahlen sehen sich die bürgerlichen PolitikerInnen und Medien vor einem Rätsel: der sogenannte  Wählerwillen will sich auf Biegen und Brechen nicht erkennen lassen. Beide möglichen Koalitionen – SPD/Grüne oder CDU/CSU/FDP – haben jeweils keine Mehrheit bekommen.

Nach den vorgezogenen Bundestagswahlen sehen sich die bürgerlichen PolitikerInnen und Medien vor einem Rätsel: der sogenannte  Wählerwillen will sich auf Biegen und Brechen nicht erkennen lassen. Beide möglichen Koalitionen – SPD/Grüne oder CDU/CSU/FDP – haben jeweils keine Mehrheit bekommen.

Landauf, landab wird das Wahlergebnis in Talkrunden diskutiert und in der Presse mit Leitartikeln kommentiert. Es treibt wohl allen Parteivorsitzenden die Schweißperlen auf die Stirn. JedeR fühlt sich ein bißchen als Sieger bzw. Siegerin aber jedeR scheint auch VerliererIn zu sein.
Frau Merkels Wahlkampf für die CDU/CSU kann mensch wohl als einen Griff ins Klo bezeichnen. Ihre Wahlkampfstrategie war darauf ausgerichtet, den WählerInnen mitzuteilen, dass mit einer schwarz-gelben Koalition alles nur noch konsequenter “reformiert” werde. Der Leitsatz ihres Wahlkampfes kann folgendermaßen zusammengefasst werden: “Wählt uns, weil rot-grün den Abbau nur halbherzig betrieben hat.” Dazu schlug das sog. Kompetenzteam eine sofortige Erhöhung der Mehrwertsteuer vor, das Kirchhof´sche Steuerkonzept von flächendeckend 25% sollte vor allem die Reichen und Superreichen entlasten und die Kopfpauschale bei der Krankenversicherung den Ausstieg aus der paritätischen und einkommensabhängigen Versorgung ermöglichen. Auch wenn letztendlich immerhin 27,8% für die CDU und 7,4% für die CSU ihr Kreuzchen machten, ließen sich doch deutlich weniger Menschen von diesem Kahlschlagprogramm überzeugen als noch 2002.

Auch der amtierende Kanzler Gerhard Schröder möchte einen Wahlsieg für sich verbuchen. Zwar hat die SPD mit letztlich nur 34,3% deutlich zur letzten Wahl verloren (2002: 38,5%), aber wer die Umfragen der letzten Monate als Maßstab nimmt, bei welchen die SPD z.T. unter 30% lag, der kann sich leicht als Sieger feiern. Trotzdem ist das Ergebnis für die derzeitige Bundesregierung eine Niederlage für ihren Kurs des neoliberalen Sozialabbaus von Agenda 2010 und Hartz IV. Offensichtlich haben sich viele WählerInnen nicht von dem plötzlich Kurswechsel auf die Linksspur überzeugen lassen. Es ist vor allem der Wahlstrategie der CDU/CSU zu verdanken, dass sich die SPD im neoliberalen Chor wieder als das kleinere Übel präsentieren konnte, die zwar abbaut, aber dabei noch an die Menschen denkt…. Angesichts der Verarmung in Folge der Hartz-Arbeitsmarktreform ist es ein Hohn, wenn die SPD wieder mit “sozialer Gerechtigkeit” Wahlkampf betreibt!
Die Grünen scheinen aus ihrer Beteiligung an der Abbauregierung relativ ungeschoren davongekommen zu sein. Das mag u.a. daran liegen, dass ihr Wahlklientel mit überdurchschnittlichem Einkommen bis jetzt noch nicht so stark vom Kahlschlagprogramm der Bundesregierung betroffen war. Die liberale Positionierung der Grünen in Arbeitsmarktfragen rückt sie in die Nähe der FDP, mit der jetzt im Sinne einer möglichen Koalition auch öffentlich Gemeinsamkeiten gesucht (und gefunden) werden. Auslandseinsätze der Bundeswehr unter einem grünen Außenminister? Kein Problem für grüne WählerInnen. Schließlich fällen grüne Abgeordnete solche Entscheidungen mit Bauchschmerzen und dem Gedanken an die Menschenrechte.

Obwohl die Linkspartei.PDS den größten Stimmenzuwachs mit einem Endergebnis von 8,7% verbuchen konnte, wurde noch am Wahlabend die FDP als die eigentliche Siegerin der Wahl gekürt. Völlig überrascht von zeitweiligen Prognosen über 10% waren nicht nur die Kommentatoren der Auszählung, sondern auch die SpitzenpolitikerInnen der FDP selber. Mit ihrem liberalen Wahlprogramm, das vor allem Privatisierungsvorschläge enthält, hätte wohl keineR mit so deutlichen Stimmenzuwächsen gerechnet. Bedanken können sich die Liberalen bei der CDU/CSU, die die meisten Stimmen an die FDP abgetreten hat. Offensichtlich sind die 16 Jahre Desaster der Kohlregierung noch nicht vergessen, aber eine linke Wahl kam für diese WählerInnen doch nicht in Frage.

Neoliberal bis neoliberaler

Die jetzt gewählten Parteien mit Ausnahme der Linkspartei.PDS zeichnen sich eher durch ihre Gemeinsamkeiten als durch ihre Unterschiede aus. Alle verfolgen als einziges Wirtschaftskonzept, wie sie mit dem Kapitalismus regieren wollen, das neoliberale Programm. Die SPD hat dieses Programm in ihrer vierjährigen Amtszeit radikal durchgezogen, daran ändert auch die links angehauchte Wahlkampfpropaganda nichts. Wegen ihrer liberalen Agenda 2010 und vor allem wegen der Einführung des Arbeitslosengelds II hat die SPD alle Landtagswahlen der letzten Jahre verloren. Massendemonstrationen wie im letzten Sommer gegen Hartz IV zeigen, dass viele Menschen an einen sozialdemokratischen Kurs der SPD nicht mehr glauben können. Wegen dieser selbst auch so festgestellten Glaubwürdigkeitskrise, rief schließlich Kanzler Gerhard Schröder die Neuwahlen aus.

In ihrer eigenen Präsentation zeigte sich die CDU/CSU noch neoliberaler als die SPD, aber der Schein trügt. Beide Parteien setzen auf den gleichen Weg: Abbau der sozialen Sicherungssysteme zu Gunsten einer eigenverantworteten Privatversicherung, Abbau des Spitzensteuersatzes und der Unternehmenssteuer, Ausweitung des sog. Niedriglohnsektors oder Flexibilisierung der Ware Arbeitskraft.

Wer nun mit wem koaliert, also ob eine große Koalition oder Ampeln mit verschiedenen Lichtern, spielt letztendlich keine große Rolle bei den gewichtigen Entscheidungen, die alle Parteien für die nächsten Jahre angekündigt haben. Lediglich bei relativen Randthemen (ohne deren Stellenwert herabwürdigen zu wollen) unterscheidet sich die politische Kultur der Konservativen von den Sozis. Beispielsweise bei der eingetragenen Lebensgemeinschaft oder der Förderung von Frauen im Berufsleben herrschen unterschiedliche Meinungen.

Überraschend konsequent

Oskar Lafontaine und Gregor Gysi stellten sich am Wahlabend überraschend konsequent auf die Oppositionsseite. Beide verlautbarten in Interviews, dass sie trotz des Wahlergebnisses nicht bereit seien, mit der SPD zu koalieren oder sie nur zu tolerieren. Inhaltlich begründeten sie ihre Position damit, dass erst Hartz IV zurückgenommen werden müsse und Deutschland nicht mehr am Hindukusch verteidigt werden dürfe. Vor der Wahl noch hatte ihr Wahlkampfleiter Ramelow laut SZ die Fundamentalopposition kritisiert und eine Tolerierungspolitik   a la  Mecklenburg -Vorpommern nicht ausgeschlossen. Um so erfreulicher ist es, dass die GenossInnen der Linkspartei.PDS bis jetzt noch nicht dem Druck nachgegeben haben, doch eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen als vermeintlich kleineres Übel zu tolerieren. Auch verdeutlichte Gysi, dass sie die Politik jeder folgenden Regierung angreifen werden, indem sie mit der außerparlamentarischen Opposition und den sozialen Bewegungen zusammenarbeiten werden. Bleibt zu hoffen, dass auf diese Worte auch Taten folgen werden!

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Der Plan von Kanzler Schröder, sich seine Politik von der Mehrheit der Bevölkerung
bestätigen zu lassen, ist mit dieser Wahl gründlich schief gegangen. Die Bilanz der siebenjährigen SPD/Grünen-Regierung bedeutet nicht nur sozial eine Katastrophe. Mit dem Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999 ist das erste Mal seit der Naziherrschaft wieder Krieg von Deutschland aus geführt worden – unter einem grünen Außenminister. Auch wurden in der BRD noch nie so viele bürgerliche Grundrechte abgebaut oder eingeschränkt wie unter dem Sozialdemokraten Schily. Dazu gehört etwa die Verhängung der nachträglichen Sicherheitsverwahrung, die geplante Einführung biometrischer Pässe oder der große Lauschangriff. Weder an dem nun geebneten Weg der Auslandseinsätze noch an der verschärften Überwachung wird eine kommende Regierung etwas ändern. Deshalb bleibt es nach der Wahl wie vor der Wahl: nur der Druck, jetzt gemeinsam mit einer Fraktion der Linkspartei.PDS, der sozialen Bewegungen, der Kämpfe in den Betrieben kann tatsächlich zu einer Veränderung der sozialen Lage führen. Erkämpfte Errungenschaften müssen verteidigt werden und die Lebensbedingungen müssen wieder verbessert werden!

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