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Innenpolitik

Bundesarbeitsdienst für Alg II-Bezug!

Von Oskar Kuhn | 01.05.2005

Sie sind unter uns. Sie sind LebenspartnerInnen, Freunde, Bekannte, Verwandte – morgen sind wir es vielleicht selbst: 1-Euro-Jobber im Bundesarbeitsdienst des Herrn Clement. Der Wirtschaftsminister will rund 20 Prozent aller Langzeitarbeitslosen – ca. 600.000 Personen – in 1-Euro-Jobs bringen.

 

Deren Annahme ist für Erwerbslose verpflichtend. Bei Weigerung drohen Sanktionen: Kürzung der Regelleistung von 345 bzw. 331 Euro (Alleinstehende West/Ost) in einer ersten Stufe um 30 Prozent für drei Monate, bei wiederholter Ablehnung innerhalb der dreimonatigen Frist verdoppelt sich der Kürzungsbetrag. Jugendliche unter 25 Jahren erhalten während dieser Zeit überhaupt keine Geldleistungen mehr. Bereits im September und Oktober 2004 hatten laut Bundesregierung insgesamt 46.186 BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe einen so genannten 1-Euro-Job aufgenommen.
Mittlerweile werden Alg II-BezieherInnen von den Arbeitsagenturen und kommunalen Optionsträgern in Kooperation mit Beschäftigungsgesellschaften, Bildungsträgern, Einrichtungen der öffentlichen Wohlfahrtspflege, etc. je nach regionalen Verhältnissen unterschiedlich viele 1-Euro-Jobs angeboten. Dabei variiert die auf die Stunde umgerechnete „Entschädigung“ ebenfalls nach regionaler oder kommunaler Gegebenheit zwischen 1,-€ und 1,50€. Laut Gesetzestext (§16 SGB II) besteht der Vorbehalt, dass nur im gemeinnützigen Bereich 1-Euro-Jobs eingerichtet werden dürfen. Aber da der Weg zur Hölle bekanntlich mit guten Vorsätzen (und für einen Euro?) gepflastert wird, müssen wir der Frage nachgehen, in welchem Ausmaß 1-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige Jobs verdrängen und welche Auswirkungen auf die Tarif- und Lohnlandschaft zu erkennen sind.

Begehrlichkeit nach 1-Euro-Jobs

Die Begehrlichkeit nach 1-Euro-Jobs dokumentierte das Kapital im Vorfeld der Inkraftsetzung von Hartz IV durch massenhafte Anfrage an die jeweiligen Agenturen oder Kommunen nach entsprechender Bewilligung auch für Betriebe ohne dokumentierte Gemeinnützigkeit. Obwohl diese Anfragen zurückgewiesen werden mußten, bieten sich für das Kapital Möglichkeiten zur sofortigen Nutzung. Die bisherigen Betriebspraktika für MitarbeiterInnen von Beschäftigungsgesellschaften – gedacht zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – dienten in der Vergangenheit immer auch zur kostenlosen Nutzung von Arbeitskraft für gewöhnliche Wirtschaftsbetriebe. So können bei fortgesetzter Handhabung auftragsbedingte Erhöhungen des Mitarbeiterstamms nicht nur durch Leiharbeit sondern auch durch PraktikantInnen aus dem 1-Euro-Pool des Wirtschaftsministers aufgefangen werden. Bei öffentlicher Beschwerde bieten sich genug Möglichkeiten, die Hände in Unschuld zu waschen.

Produzierte Zusätzlichkeit

Bei der 1-Euro-Konferenz am 05.03.05 in Hamburg hieß es dazu in einem Referat der dortigen sozialpolitischen Opposition: „Die Zwangsdienste sollen zudem ,zusätzlich´ sein. Dabei wird diese ,Zusätzlichkeit´ täglich produziert: Der Kahlschlag in allen Bereichen des sozialen Hilfesystems und der sozialen Sicherung, die Ausdünnung von Leistungskatalogen, jede Entlassung und jede geschlossene Einrichtung schafft neue ,Zusätzlichkeiten´, mit denen 1-Euro-Tätigkeiten in diesen Bereichen gefordert und begründet werden. ,Zusätzlichkeiten´ sind auch staatliche Regelaufgaben, die durch neue Gesetze entstehen, etwa Deutschkurse für MigrantInnen, die das neue Zuwanderungsgesetz seit dem 1.1.2005 vorschreibt. Ein weites Feld für erwerbslose SprachlehrerInnen, aber natürlich als 1-Euro PflichtarbeiterInnen.“

Welche Perspektiven?

Dazu nochmals aus dem Referat der sozialpolitischen Opposition Hamburg: „Die Perspektiven sind bedrohlich: ErzieherInnen, die bei der Schließung von Kitas arbeitslos werden, sollen nach einem Jahr Erwerbslosigkeit dieselbe Arbeit in einer anderen Einrichtung oder als Tagesmutter erledigen – erzwungenermaßen und für 1 Euro die Stunde. Entlassene KrankenpflegerInnen arbeiten anschließend für 1 Euro in irgendwelchen Pflegediensten, erwerbslose MaschinenschlosserInnen oder LandschaftsgärtnerInnen leiten für 1 Euro in Beschäftigungsprojekten Jugendliche an – die dort ihrerseits auf 1-Euro-Basis arbeiten. Reguläre Deutschkurse für MigrantInnen auf 1-Euro-Basis; TechnikerInnen, die als 1-Euro-Kräfte in Schulen Labors und Geräte warten und dann mal eben schnell auch eine Krankenvertretung übernehmen können.“
Der öffentliche Dienst, das Gesundheits- und Pflegesystem und der Bereich der Aus- und Weiterbildung machen den Anfang. Die 1-Euro-Jobs sind Trojaner zur Aufweichung und Zertrümmerung der Tariflandschaft. Gleichzeitig wird Langzeitarbeitslosen die Zwangsarbeit als sozialpsychologische Heilsbringung verkauft und – aufgrund der Demoralisierung durch Langzeitarbeitslosigkeit – leider auch als solche verbreitet angenommen und akzeptiert. Deshalb ist nicht nur Aufklärung über die Auswirkungen der 1-Euro-Jobs nötig, unabdingbar ist die aktive Beschäftigung mit diesem Problem durch die Gewerkschaften und eine entsprechende mit einer mobilisierenden Kampagne verbundene bedingungslose Ablehnung der Hartz-Gesetze.

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