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Innenpolitik

Bürgerver(un)sicherung: Die SPD sucht einen Wahlkampfschlager

Von Thadeus Pato | 15.09.2004

Langsam scheint es der alten Tante SPD zu dämmern, dass der ständige Wettbewerb mit CDU/CSU und FDP darum, wer die Sozialsysteme am effektivsten den Bedürfnissen und Wünschen der Wirtschaft anpassen kann, ihre Wahlchancen für die nächsten Bundestagswahlen gegen Null sinken lässt und Wasser auf die Mühlen neoreformistischer Kräfte wie die “Wahlalternative” ist.

Langsam scheint es der alten Tante SPD zu dämmern, dass der ständige Wettbewerb mit CDU/CSU und FDP darum, wer die Sozialsysteme am effektivsten den Bedürfnissen und Wünschen der Wirtschaft anpassen kann, ihre Wahlchancen für die nächsten Bundestagswahlen gegen Null sinken lässt und Wasser auf die Mühlen neoreformistischer Kräfte wie die “Wahlalternative” ist.

Und die Reaktion folgte prompt: Nur ein halbes Jahr nach der soundsovielten Gesundheitsreform wird schon die nächste ins Auge gefasst, aber vorsorglich gleich erklärt, dass es einen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben werde. Das hat den Vorteil, dass man vor den Wahlen 2006 schöne Versprechungen machen kann und niemand anhand des Gesetzestextes letztere auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen kann.

Schrittweise ausgehöhlt

Aber schon die ersten allgemein gehaltenen Aussagen auf der Website der SPD sind alarmierend genug. Ausgerechnet die Partei, die in den letzten Jahren durch Ausweitung der von den Versicherten zu tragenden Extrazahlungen, Leistungsausschlüsse, Eintrittsgebühren etc. die Solidarversicherung schrittweise aushöhlte und die Besitzenden auf Kosten der Masse der Solidarversicherten entlastete, geriert sich als Verteidiger der Solidarität: “In der Bürgerversicherung bleibt es bei dem Solidarprinzip”.
Schön, mag mensch sich denken, dass die SPD nun langsam vernünftig wird, zumal angekündigt wurde, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen zur Beitragsbemessung mit herangezogen werden sollen. Darum gibt es allerdings noch Streit, nämlich darum, ob dies auf dem Weg einer Sondersteuer, die dann in die Krankenversicherungen fließt, oder auf dem Weg einer beitragsmäßigen Abführung erfolgen soll. Und da hat die SPD den weisen Weg gewählt, sich erst einmal nicht zu entscheiden, sondern einfach beide Modelle nebeneinander zu präsentieren.

Beitragsbemessungsgrenze nicht aufgehoben

Der Teufel steckt im Detail. Wer nämlich glaubt, diese Maßnahme sei endlich einmal ein schüchterner Versuch, die Großverdiener dem Solidarprinzip zu unterwerfen, sieht sich getäuscht. Denn die entscheidende Maßnahme, um das zu erreichen, wird von vorne herein ausgeschlossen: Die Beitragsbemessungsgrenze wird nicht aufgehoben. Das bedeutet, dass ab einem bestimmten Einkommen der Beitrag praktisch eine Kopfpauschale darstellt, was im Klartext heißt, dass die BezieherInnen unterer und mittlerer Einkommen solidarisch sein dürfen, die Besser- und Bestverdienenden aber in den Genuss eines de facto-Pauschalbeitrages kommen. Dies in Rechnung gestellt, entpuppt sich der folgende Satz aus der SPD-Verlautbarung als reine Schaumschlägerei: “Das Kopfpauschalenmodell der Union ist ungerecht und bricht mit dem Solidarprinzip. Es sieht vor, dass der Bankdirektor den gleichen Beitrag zahlt wie die Busfahrerin.” Dass es für den Bankdirektor allerdings egal ist, ob er 1 oder 2 Millionen im Jahr verdient, weil der Krankenkassenbeitrag immer der gleiche bleibt, für die Busfahrerin allerdings nicht, weil sie für jede mehr verdiente Mark auch mehr Beitrag bezahlen muss, wird schamhaft verschwiegen.

“Wahlfreiheit”

Man braucht deshalb wohl auch kaum zu erwähnen, dass keinesfalls geplant ist, mit der “Bürgerversicherung” die Leistungseinschränkungen der letzten Jahre rückgängig zu machen. Und auch die privaten Kassen bekommen ihren Teil am neu zu verteilenden Kuchen: Die “Wahlfreiheit” zwischen gesetzlichen und privaten Kassen wird eingeführt (“In Zukunft können alle Bürgerinnen und Bürger ihre Krankenkasse als gesetzliche oder private frei wählen”). Dass diese Maßnahme zur weiteren Aushöhlung der gesetzlichen Kassen und ihrer Selbstverwaltung führen wird, kann als sicher gelten.
Will man sich auf der SPD-Website zur Bürgerversicherung gleichzeitig über die Wahrheitsliebe der Partei und ihre wirklichen Absichten informieren, so kann man das über die Rubrik “Vorteile für Arbeitgeber und den Arbeitsmarkt”. Hier wird zunächst wahrheitswidrig behauptet: “In der Bürgerversicherung bleibt es bei der paritätischen Finanzierung der Beiträge aus abhängiger Beschäftigung.” Die paritätische Finanzierung wurde allerdings durch die oben genannten Einführungen von “Zu”zahlungen etc. bereits aufgegeben und etwas, was nicht mehr existiert, kann mensch auch nicht beibehalten. Im nächsten Absatz wird dann Klartext geredet: “Die Lohnnebenkosten lassen sich mit den vorgestellten Modellen deutlich absenken. Das bringt Impulse für den Arbeitsmarkt.” Davon allerdings dürfte auch nur die erste Behauptung als gesichert gelten. Und um die geht es denn auch ausschließlich, nämlich um die Sanierung der Not leidenden Unternehmerprofite. Alles andere ist schlichte Wahlkampfpropaganda. Das Kopfpauschalenmodell der CDU/CSU ist sicher noch schlimmer. Aber es ist wenigstens ehrlich.

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