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Kultur

Buchbesprechung: „Bedingungslos für Israel?”

Von Jochen Sussa | 01.05.2010

Unter dem Titel „Bedingungslos für Israel? – Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten“ ist im ISP-Verlag ein kleines Buch erschienen. In ihm kommen eine Reihe von Autoren und Autorinnen zu Wort, die zu unterschiedlichen Aspekten israelischer Politik, zu den Folgen für die palästinensische Bevölkerung und zu Maßnahmen der Solidarität Stellung nehmen.

Unter dem Titel „Bedingungslos für Israel? – Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten“ ist im ISP-Verlag ein kleines Buch erschienen. In ihm kommen eine Reihe von Autoren und Autorinnen zu Wort, die zu unterschiedlichen Aspekten israelischer Politik, zu den Folgen für die palästinensische Bevölkerung und zu Maßnahmen der Solidarität Stellung nehmen.

Die Herausgeber sind zum einen die Friedensaktivistin, Publizistin (u. a. in der Jungen Welt und der Sozialistischen Zeitung – SOZ), Autorin und Übersetzerin Sophia Deeg. Von ihr stammt die Übersetzung des sehr kenntnisreichen Buches „Guter Moslem – Böser Moslem“ von M. Mamdani. Zum anderen Hermann Dierkes, seit 40 Jahren in der politischen Linken aktiv, bekannter IG-Metaller und seit 1999 Vorsitzender der Ratsfraktion DIE LINKE in Duisburg. Gegen den Letztgenannten wurde pünktlich zur Herausgabe des Buches eine Rufmordkampagne losgetreten, in der Hermann Dierkes als Antisemit beschimpft wurde.
Diese Kampagne reiht sich ein in Aktionen gegen andere Kritiker der israelischen Politik, wie Normann Finkelstein und Ilan Pappe, bei denen schon im Vorfeld versucht wird, eine Diskussion gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es geht den Betreibern dieser Kampagnen nicht darum, sich mit Positionen und Argumenten auseinanderzusetzen, Gegenpositionen zu entwickeln und um die Köpfe der Zuhörer­Innen zu kämpfen. Im Gegenteil, man versucht mit Denunzierung die Personen, die die Argumente äußern, zu demontieren,… eine widerliche Methode.

In einem sehr lesenswerten Beitrag von Brian Klug, Mitbegründer der Independent Jewish Voices, entwirrt dieser das Knäuel, das mit dem Begriff „Existenzrecht Israels“ erzeugt wird. Ausgehend von einem Zitat von Abba Eban (israelischer Außenminister, 1966-1974): „Niemand erweist Israel einen Dienst, indem er sein ‚Existenzrecht‘ proklamiert. Es ist beunruhigend, dass so viele, die Israel wohlgesonnen sind, diese verächtliche Formulierung im Munde führen“ geht er erst mal darauf ein, was ein solcher Begriff völkerrechtlich für irgendeinen beliebigen Staat bedeuten könnte. Dann zeigt er die ganze Bandbreite auf, die dieser Begriff im Zusammenhang mit Israel beinhaltet. Was bedeutet das „Existenzrecht Israels“ für die offizielle Politik, wo beginnt Israel, wo endet es, bezieht sich der Begriff etwa auf den aus Genesis des alten Testaments abgeleiteten Staat oder bedeutet Existenzrecht nur, in der Erinnerung an die Shoah, dass man als Jude ein Recht hat zu existieren.

Die Formulierung bleibt für Brian Klug unklar und somit ist die erklärte Unterstützung des „Existenzrechts“ Israels für ihn die Unterzeichnung eines Blanko-Schecks. Seinen Artikel schließt er wieder mit einem leicht modifizierten Wort von Abba Eban: „Niemand erweist ‚der Sache des Friedens’ einen Dienst, indem er Israels ‚Existenzrecht’ proklamiert.“

In einem kurzen Beitrag aus seinem Buch: „Judentum, Zionismus, Antizionismus und Antisemitismus – Versuch einer    Begriffsbestimmung“ nimmt der Auschwitzüberlebende und Physiker Hajo G. Meyer zum Missbrauch von Begriffen und den Folgen Stellung. Er zeigt auf, dass Antisemitismus und Antizionismus nicht gleichzusetzen sind, dass es möglich ist, sowohl Antisemit als auch Zionist zu sein und dass nicht jeder Zionist auch Jude sein muss. „Neben der Erpressung mit den Schuldgefühlen wegen des Holocaust ist der bewusste Missbrauch von gewissen Begriffen – Antizionismus, Antisemitismus, Judentum und Zionismus – durch Israel und diejenigen, die es bedingungslos unterstützen, eine wichtige Waffe geworden. So hat sich der Begriff „Antisemit“ seit bestehen des Staates grundlegend geändert: Während früher ein Antisemit jemand war, der Juden nicht mochte, ist heute ein Antisemit jemand, den bestimmte Juden nicht mögen – so könnte man es polemisch zugespitzt formulieren.“

Aus einem anderen Blickwinkel schreibt der Politikwissenschaftler und Autor zahlreicher lesenswerter Bücher (Nach Auschwitz, Moderne und Gewalt) Enzo Traverso über den neuen Antisemitismus. Ausgehend von den Angriffen auf Juden und jüdische Einrichtungen, teilweise von europäischen Jugendlichen mit migrantischem Hintergrund begangen, geht er der Frage nach, wie ein neu auflebender Antisemitismus zu begreifen ist. Dabei geht es ihm um Erklärung nicht um Rechtfertigung. Er sucht nach den Wurzeln und stellt die Fragen, welche kollektiven Erinnerungen, abwegige Argumentationen und welche Instrumentalisierung dieser Erinnerungen, welche Projektionen in die Gegenwart und welche heute erlebte Diskriminierung und Entrechtung eine Rolle spielen.
Die 20 Autoren und Autorinnen, zum großen Teil mit jüdischem oder israelischem Hintergrund, nehmen in sechs Kapiteln zu den Themen Rufmord, Umgang mit der Wahrheit, Israel/Palästina und europäische und deutsche Geschichte, dem Überfall der israelischen Armee auf den Gazastreifen und die internationale Solidaritätsbewegungen Stellung.

Das Buch wird abgerundet durch eine Dokumentation zur Rufmordkampagne gegen den Genossen Hermann Dierkes.
In dem vorliegenden Bändchen kommen sehr viel unterschiedlichen Stimmen zu Wort, das ist einerseits ein Stärke, macht es für mein Empfinden etwas sperrig zu lesen. So viele Facetten aber auch berücksichtigt werden, so ist den unterschiedlichen Stimmen doch eines gemeinsam, das ist ihre Parteilichkeit. Sie nehmen Partei für die Unterdrückten und Entrechteten. Wer diesen moralischen Anspruch an sich stellt, für den liefert dieses Buch nützliche „Beiträge zur Überwindung der deutschen Ratlosigkeit und Verwirrung, wenn es um Israel/Palästina geht“.

Sophia Deeg / Hermann Dierkes (Hg.): Bedingungslos für Israel?
Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten
19,80 €, 224 Seiten, 2010, ISBN 978-3-89900-134-1

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