Bezahlkarte für Geflüchtete
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Es wird kritisch

Bezahlkarte für Geflüchtete

Von Dejan Bellot | 12.11.2024

In Zeiten der Klimakrise, die eine reale Gefahr für das Leben aller auf der Erde darstellt, werden Debatten über die Beschränkung von Migrationsströmen geführt – Migrationsströme, die der eurozentristische Imperialismus seit Jahrzehnten hervorbringt. Dieser Diskurs wird jedoch ausschließlich aus einer rassistischen Perspektive geführt: Bürgerliche Parteien scheuen sich keineswegs mehr, eine rassistische AfD-Rhetorik zu übernehmen oder sogar Vorschläge dieser antidemokratischen Partei umzusetzen. So auch bei der Bezahlkarte, die von der „liberalen“, „sozialdemokratischen“ und „grünen“ Regierung eingeführt wurde.

Konkret bedeutet das, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nun nicht mehr – wie noch vor wenigen Monaten – über Barauszahlungen oder Überweisungen zugänglich sind. Stattdessen können die Asylsuchenden nur noch über diese Karte auf die ihnen gesetzlich zustehenden Geldbeträge zugreifen. Behörden können so überwachen, wie viel Geld Asylbewerber ausgeben und abheben. Darüber hinaus können die Behörden auch kontrollieren, wie viel Bargeld abgehoben wird.

Und das in Deutschland, einem Land, in dem der „Bargeldfetischismus“ weit verbreitet ist. Deutsche können nahezu alles bar bezahlen und unbegrenzt an den „heimischen“ Bankautomaten abheben. Ausgerechnet jenen Menschen jedoch, die durch Europas imperialistische Wirtschaftsweise und Kriege gezwungen sind hierherzukommen, wird dieses Recht verweigert.

Was bedeutet das im Alltag? Es bedeutet Ausschluss.

Bargeld hat in Deutschland nach wie vor eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. Man denke nur an kleinere Ausgaben wie etwa das Essen auf einem Dorffest, das üblicherweise bar bezahlt wird. Nun mag mancher sagen: „Na und, dann wird eben nichts gegessen.“ Doch dabei wird die zentrale Austauschfunktion des Bargeldes vernachlässigt. Ein einfacher Einkauf auf dem Nachbarschaftsflohmarkt ist so nicht mehr möglich – eine gute Gelegenheit, die Nachbarschaft kennenzulernen und den beidseitigen Integrationsprozess zu fördern, geht verloren.

Einige Bundesländer haben bereits Fakten geschaffen: In Hamburg beispielsweise gibt es bereits Bargeldbegrenzungen von 50 € für Erwachsene und 10 € für Kinder. Das macht die Teilnahme an kostenpflichtigen Kultur- und Alltagsveranstaltungen nahezu unmöglich. Wie soll ein Jugendlicher so die Möglichkeit haben, mit seinen Freund:innen ins Kino zu gehen und sich dazu noch eine Tüte Popcorn zu gönnen?

Es geht jedoch nicht nur um den eingeschränkten Zugang zu Bargeld. Zu beachten ist außerdem, dass die Bezahlkarte kein Äquivalent zur EC-Karte darstellt. Das bedeutet: Selbst wenn Läden Kartenzahlung akzeptieren, heißt das nicht, dass sie auch die Bezahlkarte akzeptieren. Geflüchtete sind so bei alltäglichen Einkäufen der Willkür der Ladenbesitzer:innen ausgeliefert, ob sie ihren Einkauf tätigen dürfen oder nicht.

Zwar kann begrenzt Bargeld abgehoben werden, allerdings fallen dafür Gebühren an. Durch marktwirtschaftliche Mechanismen entstehen möglicherweise Zusatzkosten für Geschäfte, da die Bezahlkarte über eine einzelne Firma – Secupay, der vom Staat ein Monopol geschenkt wurde – abgewickelt wird und diese ihre Bedingungen diktiert. Für lokale Geschäfte ist es dadurch oft einfacher, die Bezahlkarte nicht zu akzeptieren. Für Geflüchtete bedeutet dies eine große Unsicherheit, ob und wo Einkäufe möglich sind. Es ist inhuman, Menschen in einem Zustand solcher Unsicherheit zu belassen, ob der morgige Lebensmitteleinkauf bezahlbar ist.

Viele Bezahlkarten sind zudem so programmiert, dass sie eine lokale Beschränkung aufweisen, die den Einkauf nur in einem bestimmten geografischen Umkreis erlaubt. Damit wird die ohnehin schon stark einschränkende Residenzpflicht nochmals verstärkt.

Eines der Hauptargumente für diese fragwürdige Bezahlkarte ist die Reduzierung von „Pull-Faktoren“. Das ist eine Farce, denn diese Theorie, die 1885 von George Ernest Ravenstein aufgestellt und mittlerweile im wissenschaftlichen Diskurs widerlegt wurde, dient lediglich als Ausdruck einer rassistischen, AfD-angepassten Politik. Es wird auf Basis von Argumenten diskutiert, die als solche gar nicht existieren und in Studien, die dem Bundestag vorliegen, widerlegt wurden.

Ein weiterer das Leben erschwerender Faktor ist das Versagen der Technik: Verzögerungen bei Überweisungen auf das Konto, von dem die Bezahlkarte abbucht oder technische Ausfälle dieser Karte sind keine Seltenheit. In Notlagen, in denen dringend Geld benötigt wird, sind solche Verzögerungen natürlich äußerst nachteilig.

Die Bezahlkarte erschwert auch Onlinezahlungen erheblich oder lässt sie gar scheitern. Bereits bestehende Konten von Asylsuchenden können nicht mehr genutzt werden, da die Bezahlkarte unabhängig von diesen Konten funktioniert. Das stellt einen unnötigen Mehraufwand für Menschen dar, die ohnehin vor großen Herausforderungen stehen.

Mit dieser Bezahlkarte wird nicht nur AfD-Politik umgesetzt, sondern auch eine Grundlage geschaffen, diese Karte künftig weiter zum Nachteil von Geflüchteten auszubauen. Die konkrete Ausgestaltung und mögliche zusätzliche Beschränkungen sind den Landesregierungen überlassen. Das bedeutet, dass eine mögliche von der AfD geführte Landesregierung erhebliche Spielräume hätte, Geflüchteten weitere Rechte zu entziehen.

Die Karte macht Überweisungen unmöglich, was in der modernen Gesellschaft absurd erscheint, da ein Großteil der finanziellen Transaktionen heute online abgewickelt wird. Die Bezahlkarte bildet im Grunde ein separates Konto, das vom Privatkonto der Asylsuchenden getrennt ist.

Mit der Einführung der Bezahlkarte wird zugleich der Vorrang von Geldleistungen für notwendige Bedarfe aufgehoben. Sachleistungen und Wertgutscheine werden den Geldleistungen und der Bezahlkarte gleichgestellt. Dies gibt dem Staat eine erzieherische Funktion über erwachsene Menschen, die ihm nicht zusteht, und zeigt erneut, dass die Regierung geflüchtete Menschen nicht als mündige Rechtssubjekte betrachtet.

All diese Probleme machen die Bezahlkarte zu einer weiteren, unnötigen Hürde für Menschen, die vor Leid fliehen, um nicht länger unter Todesangst durch Bomben oder Hunger zu leben – Leiden, die durch eurozentristischen Imperialismus verursacht wurden.

Die Bezahlkarte, wie sie geplant ist und in Teilen bereits umgesetzt wird, ist nichts anderes als ein Ausdruck einer diskriminierenden und menschenfeindlichen Anti-Asylpolitik der bürgerlichen Parteien. Durch solche Maßnahmen versuchen diese Parteien, sich der bürgerlich-faschistischen AfD anzunähern. Aus einer menschenfreundlichen und antifaschistischen Haltung heraus ist die Bezahlkarte in dieser Form entschieden abzulehnen.


Benutzte Quellen:

www.deutschlandfunk.de/die-wichtigsten-fragen-und-antworten-zur-bezahlkarte-fuer-asylbewerber-100.html

www.proasyl.de/news/so-laeuft-das-nicht-die-lange-liste-der-probleme-mit-der-bezahlkarte/

www.bundestag.de/resource/blob/799860/b555457732e3ec012177cdf4357110a0/WD-1-027-20-pdf-data.pdf

www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/bezahlkarte-fluechtlinge-secupay-pulsnitz-100.html

www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/bezahlkarte-fluechtlinge-2263574

www.diakonie.de/diakonie_de/user_upload/diakonie.de/PDFs/Publikationen/240301_Positionspapier_Faktencheck_Bezahlkarte.pdf

www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/bundesgesetzliche-regelung-zur-einfuehrung-von-bezahlkarten-verabschiedet

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