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Innenpolitik

Bewegung ist gut, Kontrolle ist schlechter!

Von B.B. | 15.09.2004

Der Wettlauf der Apparate um die Kontrolle der Montagsdemonstrationen ist weit fortgeschritten und droht die Bewegung zu spalten.

Der Wettlauf der Apparate um die Kontrolle der Montagsdemonstrationen ist weit fortgeschritten und droht die Bewegung zu spalten.

Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und die Agenda 2010 sind spontan in Magdeburg entstanden und wurden überall in Ostdeutschland aufgenommen. In Westdeutschland ergriffen häufig AktivistInnen von attac die Initiative (z.B. Köln, Oberhausen). In anderen westdeutschen Städten war die MLPD zuerst am Start (z.B. Gelsenkirchen, Duisburg, München). Wieder woanders spielten betriebliche Linke eine initiative Rolle (z.B. Mannheim, Wiesbaden).

Koordination wofür?

Die Bewegung der Montagsdemonstration entstand weder auf Initiative einer Partei noch wurde sie von jemandem vorausgesehen. Sie entwickelte sich vom 16. August mit ca. 90 000 TeilnehmerInnen in über 90 Städten bis zum 6. September mit 180 000 TeilnehmerInnen in 225 Städten.
Solange sich die Bewegung ausweitet, gibt es nichts zu koordinieren. Zehntausende Menschen demonstrieren ohne zentrale Instanz am gleichen Tag zur fast gleichen Uhrzeit und gleichermaßen gegen die Regierungspolitik. Das spricht nicht gegen eine zukünftige Koordination. Sie wird aber erst dann demokratisch sein, wenn die Bewegung weiter ausgebildet ist und die Menschen die unterschiedlichen politischen Strömungen kennen lernen und bewerten konnten.

Bundesweite Demonstration?

Gegenüber dem wöchentlichen Protest von 150. – 200 000 Menschen hat eine bundesweite Demonstration kaum eine Funktion. In jedem Fall würde sie weniger Menschen mobilisieren als montags im ganzen Land auf die Straßen gehen, zumal viele DemonstrantInnen nur über beschränkte Mittel verfügen und der DGB keine Freifahrten stiftet. Eine bundesweite Demonstration in Berlin würde Hoffnungen auf eine plötzliche Änderung wecken – und dann enttäuschen. Heute ist es Aufgabe der Proteste, sich an jedem Ort zu verankern und dort weitere Kreise zu ziehen.
Etwas anderes wäre es, gingen die Montagsdemonstrationen drastisch zurück. Dann könnte ihnen eine zentrale Demonstration neuen Auftrieb verschaffen ­– bis zum Januar 2005, wenn Hartz IV für neue Betroffenheit und Empörung sorgen wird. Warum sollte diese Aufgabe nicht die seit langem geplante Demonstration der Erwerbsloseninitiativen am 6. November in Nürnberg vor der BfA erfüllen?

Kampf um Kontrolle

Somit musste der vorzeitige Versuch, eine “Koordination” der Montagsdemonstrationen aus der Taufe zu heben und eine bundesweite Demonstration in Berlin durchzuführen, ganz anderen Bedürfnissen entspringen. Sowohl das Berliner Treffen vom 28. August mit dem Vorschlag zu einer Demonstration am 2. Oktober wie sein Leipziger Gegenstück mit der geplanten Demonstration am 3. Oktober gehen im Wesentlichen auf die konkurrierende Initiative zweier Parteien zurück: Hier der große Apparat der PDS – dort der kleine der MLPD. Mit verschiedenen Mitteln wollen beide die Bewegung unter ihre Kontrolle bringen.
Den Versuch der PDS zur Vereinnahmung macht es nicht sympathischer, dass er im Bündnis mit der Wahlalternative, von attac, linken GewerkschafterInnen, sozialen Initiativen und dem Linksruck erfolgt. Die Zerstörung der demokratischen Diskussionskultur zeigte sich am 30. August, als die Leitung der Demonstration vor dem Roten Rathaus in Berlin die Polizei zu Hilfe holte, um die konkurrierende Demonstration vom Alexanderplatz auszubremsen. Auch das Berliner Bündnistreffen vom 28. August war zusammengeschoben, die Einladungen nur wenige Tage zuvor verschickt.
Dagegen gibt die MLPD ihren Kontrollversuchen einen stark basisdemokratischen Anstrich. Massiv mobilisierte die Partei am 28. August nach Leipzig. “Delegierte” ernannten sich de facto selbst wie in Mannheim “Ich fahre mit Freunden nach Leipzig zum bundesweiten Treffen der Montagsdemonstrationen. Ist jemand dagegen?”. Dagegen war niemand, aber auch nicht dafür. Meistens wurde den TeilnehmerInnen der Montagsdemonstrationen bei der öffentlichen “Delegiertenwahl” verschwiegen, dass es noch parallel ein Treffen in Berlin gab.
Auch das “offene Mikrofon” wird von der MLPD manipulativ gehandhabt, indem sich meist ein halbes Dutzend Parteimitglieder zu Wort melden. Sie treten nicht offen auf; das Ganze nennt sich dann “Selbständigkeit” der Bewegung. Die Technik spielt für die MLPD eine wichtige Rolle: Frei nach dem Motto “wer das Megafon hat, hat die Demoleitung” will sie den Kundgebungen und Demonstrationen unbedingt ihre Schallanlagen aufdrängen. Und weil sie die kleinste Meinungsverschiedenheit als “Klassenfrage” sieht – hier kleinbürgerliche, dort proletarische Denkweise –, behandelt die MLPD in ihren Publikationen alle anderen Linken innerhalb der Montagsdemonstrationen als Feinde.

Gefahr der Spaltung

Während es an vielen Orten wenig Probleme bei den Montagsdemonstrationen gibt, führen die Konkurrenz der Apparate und manipulative Methoden zur Spaltung (z.B. Gelsenkirchen, Herne, Essen). Der Aufbau und die Einheit der Bewegung muss über den Sonderinteresse der einzelnen Parteiapparate stehen. Dies setzt breite örtliche Bündnisse auf der Grundlage “Nein zu Hartz IV, weg mit der Agenda 2010” voraus. Darüber hinaus muss den Gewerkschaften die Aktionseinheit aufgezwungen werden.
Letztendlich begünstigt der Wettlauf der Apparate PDS vs. MLPD um die Kontrolle der Montagsdemonstrationen diejenigen Stimmungen, die Parteien generell ablehnen. Wir brauchen eine revolutionäre Organisation, die für den Aufbau der Montagsdemonstrationen eine Hilfe und kein Hindernis ist.

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