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Innenpolitik

Betrieb, Gewerkschaft, Parlamente: Sozialistische Strategien zwischen Straße und Plenarsaal

Von Korrespondenten Oldenburg | 01.03.2005

Welche Perspektiven sehen Linke heute für ihr politisches Engagement innerhalb der Parlamente, welche Bedeutung hat das außerparlamentarische Handeln, z.B. in Bewegungen, Initiativen, Betrieben und Gewerkschaften?

Um diese Fragen öffentlich zu diskutieren, kamen in Oldenburg Peter Behrens vom RSB, der niedersächsische PDS-Landesvorsitzende Dieter Dehm und Uwe Hiksch von der Wahlalternative ASG zu einer Podiumsdiskussion zusammen. Eingeladen hatten GenossInnen aus verschiedenen Organisationen, darunter der RSB.

Die Differenzen in ihrer Praxis wurden relativ bald deutlich, als die Diskutanten auf dem Podium sich und ihre Vorstellungen einleitend darlegten. Peter Behrens hob in seinen Debattenbeiträgen vor allem auf die Erfahrungen der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit ab. Dehm und Hiksch stimmten ihm in seiner Einschätzung zwar zu, dass ein gesellschaftlicher Ausweg aus dem Kapitalismus sich nicht in den Parlamenten eröffne, sondern erst durch eine Verschiebung des sozialen Kräfteverhältnisses auf die Agenda gerufen werden könne. Den Schwerpunkt ihrer Beiträge bildeten allerdings Überlegungen über die Möglichkeiten, die linke Parlamentsarbeit zur Unterstützung der außerparlamentarischen Kämpfe spielen könne.

Unterschiedliche Auffassungen herrschten auch über die mit dem Eintritt in die Parlamente und andere Gremien drohende Korruption. Korruption wurde zwar einhellig nicht erst in der Annahme von Bestechungsgeldern verortet, sondern bereits in den subtilen “Lernprozessen”, denen z.B. Parlamentarier unterworfen sind. Beispielsweise, wenn sie in ihrer politischen Arbeit “lernen”, dass der eigene Posten und die eigene Funktion ihnen angenehm sind, wohingegen ihre Prinzipien und der Kampf um eine verändertes Kräfteverhältnis sich für sie nachteilig auswirken könnten. Behrens betonte jedoch, dass diese Gefahr nicht allein im Parlament lauert, sondern auch in Aufsichtsräten und anderen Bereichen angenehmer Nähe zur Herrschaft. Auf die Zurückweisung von Hiksch, die Verdächtigung von Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter sei unsinnig, antwortete Peter Behrens mit Beispielen des faktischen Verrats an den abhängig Beschäftigten in Kampfsituationen gerade durch Aufsichtsratsmitglieder aus den vermeintlich eigenen Reihen.
In der Diskussion mit dem Plenum kamen Möglichkeiten und Grenzen der antikapitalistischen Linken in Deutschland zur Sprache. Die Demo im November 2003 habe, so Behrens, deren Fähigkeit demonstriert, unübersehbaren Protest zu mobilisieren. Dass die Linke angesichts der Masse der Protestierenden und ihrer eigenen geringen Zahl nur übersehen werden konnte, drücke hingegen ihre Schwäche aus. Die wahrnehmbare Organisierung der Gewerkschaftslinken, wie zuletzt bei ihrem Treffen in Stuttgart gefordert, biete einen möglichen Ausweg aus dieser Situation.
Außerparlamentarischer Kampf
Themen, die über die Schwierigkeiten und Bedeutung traditioneller sozialer Kämpfe hinausgingen, wurden bezüglich ihrer Relevanz für eine emanzipatorische parlamentarische und außerparlamentarische Linke nicht behandelt. Geschlechter- oder Einwanderungspolitik, antifaschistische Politikstrategien angesichts neofaschistischer Wahlerfolge oder Antirassismus im Angesicht tendenziell rassistischer Leitkultur- und christlicher Wertekonsensdebatten wurden, wenn überhaupt, nur in Ansätzen gestreift. Diesbezügliche Diskussionsbeiträge gingen in erster Linie vom Plenum aus. Eine grundsätzlichere Frage wurde an diesem Abend also nicht thematisiert: wie sich die Linke inhaltlich eine Perspektive erarbeiten kann, durch welche die gegen vielfältige Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse geführten Kämpfe miteinander verbunden werden können. Bündnisse zu brennenden Problemen sind ein Erfolg, doch die theoretische sowie praktische Verknüpfung verschiedener, noch allzu oft voneinander isolierter Felder emanzipativer Politiken ist darüber hinaus notwendig.

Die Diskussionsveranstaltung wurde allgemein positiv bewertet. Um die Asymmetrie auf dem Podium zwischen Nachdruck auf außerparlamentarische Opposition einerseits und nachdrücklicher Orientierung auf Wahlen und Parlamente andererseits zu umgehen und um den männlichen Charakter des Podiums zumindest zu mildern, hätte erstere Position durch eine Aktive aus dem Spektrum der Bewegungslinken bereichert werden können. Positiv hob eine Teilnehmende an der Veranstaltung hervor, sei jedoch auf jeden Fall gewesen, dass solch prinzipielle Fragen an diesem Abend öffentlich und zuweilen kontrovers diskutiert werden konnten. Der Austausch über die verschiedenen Ansichten und Strategien in der Linken sei gerade in dieser schwierigen Situation ungeheuer wichtig.

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