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Innenpolitik

Berlin, 1. November

Von B.B. | 01.12.2003

100.000 Menschen protestierten am 1. November in Berlin gegen die Agenda 2010 und den damit verbundenen Sozialabbau. Die Demonstration zeigte in einer Momentaufnahme den Stand der sozialen Bewegung und ihrer Möglichkeiten.

100.000 Menschen protestierten am 1. November in Berlin gegen die Agenda 2010 und den damit verbundenen Sozialabbau. Die Demonstration zeigte in einer Momentaufnahme den Stand der sozialen Bewegung und ihrer Möglichkeiten.

Kaum jemand hatte so viele TeilnehmerInnen erwartet. Im Vorfeld lagen die Schätzungen bei 10.-20.000. Allerdings wurden in Berliner Betrieben schon vorher einzelne Stimmen laut, die von einer großen örtlichen Mobilisierung sprachen. Verkehrt lagen die Prognosen aus dem Bundesgebiet nicht. Denn mit den rd. 300 Bussen, per Bahn und PKW trafen nicht mehr als 15.000 bis 20.000 Auswärtige in der Hauptstadt ein. Der Großteil der DemonstrantInnen – ca. 80.000 Menschen – kam aus dem Raum Berlin.

Früher als Schaufenster zum Osten bzw. zum Westen privilegiert, wird in der vereinten Hauptstadt von vielen die Abbaupolitik von SPD/Grünen und der Opposition als ungerecht empfunden und als unsozial abgelehnt. Im Bundesgebiet zeigten die Infostände auf den Straßen zur Vorbereitung der Demo: Wut über den Sozialkahlschlag und Enttäuschung über die Regierung sind weit verbreitet.

Doch die Mobilisierung außerhalb Berlins fiel relativ schwach aus. Sie spiegelt den Zustand der sozialen Bewegung wider, die in vielen Städten noch in den Kinderschuhen steckt. Von manchen Großstädten fuhren keine Busse, von anderen ein paar. Eine Ausnahme bildete Stuttgart. In den insgesamt 27 Bussen dürften wohl rd. 1.500 KollegInnen Platz gefunden haben. Hier trug der Bezirk ver.di die Hauptlast der Mobilisierung. Aber auch die IG Metall war mit zehn Bussen vertreten.
Ver.di vorneweg
In der Demo in Berlin überwogen die roten Fahnen von ver.di und der IG Metall. Es waren die Vertrauensleutekörper und einzelne Betriebs- und Personalräte, die mobilisiert hatten. Die mittleren und oberen Etagen des Gewerkschaftsapparates hatten zwar grünes Licht und die Fahnen gegeben – aber mit der Ausnahme von ver.di Stuttgart – nicht selbst mobilisiert. Die Metallgroßbetriebe waren unterschiedlich vertreten. So kamen von Porsche und SEL in Stuttgart 150 KollegInnen. Von Duisburg fuhr ein Bus von Thyssen (in dem zur Hälfte keine Stahlarbeiter saßen) und zwei Busse mit ver.di-KollegInnen. In Berlin wie bei den Demonstrationen in Düsseldorf und Wiesbaden oder vor dem SPD-Parteitag in Bochum zeigte sich, dass die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst die stärksten Stützen der betrieblichen und gewerkschaftlichen Mobilisierungen sind. Auffallend auch die Unmenge sozialer Initiativen, Gruppen und vereinzelter Bündnisse, die in Berlin vertreten waren. Sie stellten neben den Gewerkschaften den größten Teil der Protestierenden. Die Linke war selbstverständlich präsent.

Viele überraschte die Stärke der MLPD, die nicht überschätzt werden sollte. Ihre Betriebskader brachten ihre KollegInnen mit, die dann bei den ML mitliefen. Auch der Demoblock der FAU fiel auf.
Vielfalt als Anstoß
Die Demonstration in Berlin wie auch das Europäische Sozialforum in Paris zeigen die Vielfalt der sozialen Bewegung. Diese ist ihre Stärke. Sie ermöglicht die notwendige Breite und damit ein Echo in der Bevölkerung, das wiederum politischen Druck erzeugen und Kräfteverhältnisse zugunsten der ArbeiterInnenklasse verändern kann. Dass die Aktionseinheit auf den Berliner Straßen trotz aller Querelen (siehe Kasten) zustande kam, ist ein Schritt nach vorn.

Die Berliner Demonstration zeigte besonders für die Gewerkschaften, dass mehr als bisher an Widerstand gegen Schröders Agenda 2010 möglich ist. Die Berliner Demonstration und das Pariser ESF geben neue Impulse für den Aufbau einer breiten sozialen Bewegung.

 

Steckbrieflich gesucht?
Die Rote Fahne (RF) der MLPD vom 7.11.03 denunziert Bernd Riexinger, einen führenden Vertreter der Gewerkschaftslinken, unter der Rubrik Die Clique der Spalter. RF mit Foto von Bernd: “Ver.di-Bezirks-Geschäftsführer Stuttgart und so genannter ‘Gewerkschaftslinker‘. Er rief offen zum Putsch am 12.10. auf”.
Bernd Riexinger hatte sich dagegen gewandt, dass die Hannoveraner Vorbereitungsgruppe der Berliner Demo eigenmächtig die von der Frankfurter Aktionskonferenz beschlossenen drei RednerInnen für die Gewerkschaftslinke, die Anti-Hartz-Initiativen und die Erwerbslosen u. a. um drei RednerInnen aus dem MLPD-Spektrum “ergänzte”. Die Gewerkschaftslinke war neben den Anti-Hartz-Initiativen und Erwerbslosen eine der drei Initiatorinnen für die Demo vom 1.11.; Bernd, war in Stuttgart für die größte gewerkschaftliche Mobilisierung außerhalb Berlins mitverantwortlich. Wie er werden andere Personen mit und ohne Foto in der RF “geoutet”; SAV, Linksruck u. a. als “trotzkistische Spalter”, “die das Geschäft der Bourgeoisie betreiben, indem sie die Partei der Arbeiterklasse von innen (?) heraus zerstören”, bezeichnet.
Das eigenmächtige Verhalten der Berliner Vorbereitungsgruppe (wie das der Hannoveraner) verdient scharfe Kritik, denn ohne demokratischen Aufbau wird es keine erfolgreiche soziale Bewegung geben können. Die MLPD kritisiert aber nicht sondern denunziert. Für ähnliche Vorwürfe ermordet ihre Schwesternpartei CPP auf den Philippinen andere Linke. Stalinismus hier wie dort.

B. B.

 

 

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