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Innenpolitik

Außerparlamentarische Bewegung oder Wahlen?

Von B.B. | 01.02.2004

Angeregt durch die Wahlerfolge sozialistischer Parteien in Europa diskutiert auch der revolutionäre Flügel der sozialistischen Linken in der BRD verstärkt über Wahlbeteiligungen.

Angeregt durch die Wahlerfolge sozialistischer Parteien in Europa diskutiert auch der revolutionäre Flügel der sozialistischen Linken in der BRD verstärkt über Wahlbeteiligungen.

Für den revolutionären Marxismus ist die Beteiligung an Wahlen eine taktische Frage: Revolutionäre Abgeordnete im Parlament und/oder die Eigenkandidatur zu Wahlen sind ein Schauplatz des Klassenkampfes, der den anderen Kampffeldern nicht über- sondern untergeordnet ist. Anarchistische und ultralinke Strömungen im Kommunismus lehnen Wahlbeteiligungen oder eine revolutionäre Parlamentsarbeit häufig mit der Begründung ab, dass sich damit SozialistInnen unzulässiger weise an bürgerlichen Institutionen beteiligen würden. Meist haben die gleichen KritikerInnen aber kein Problem damit, bürgerliche Institutionen wie Schulen und Universitäten "auszunutzen".

Allerdings hat auch die ultralinke Kritik einen wahren Kern: Die Beispiele für die Anpassung von revolutionären Abgeordneten an die "Erfordernisse der parlamentarischen Arbeit" sind in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung endlos und mensch findet sie auch in der jüngsten Geschichte der IV. Internationale (Brasilien, Mexiko, Schweiz).

Nirgendwo ist der Druck der sog. "öffentlichen Meinung" auf den Einzelnen so groß wie im Parlament. Auch das Vorbild der revolutionären Nutzung der Parlamentstribüne, Karl Liebknecht, stimmte am 4. August 1914 nicht gegen sondern für die Kriegskredite. Und bei den verhafteten Abgeordneten der sozialdemokratischen Arbeiterfraktion (Bolschewiki) in der zaristischen Duma zeigte sich Anfang 1915 im Gerichtsprozess, "dass dieser Vortrupp der revolutionären Sozialdemokratie Russ-lands vor Gericht nicht genügend standhaft aufgetreten ist"1 .
Die Arena des Reformismus
Für die Arbeit reformistisch-sozialistischer Parteien wie der PDS spielen die Arbeit im Parlament und das Abschneiden bei Wahlen die alles überragende Rolle. Aus diesem Grund können auch Wahlniederlagen eine reformistische Partei erschüttern.

Die Parlamentsfraktionen der PDS in Kommunal- und Landesparlamenten mit ihren PDS-MinisterInnen sind die stärksten Stützen für rechtsreformistische, sozialliberale und neoliberale Tendenzen, d.h. für die Anpassung der Partei an das kapitalistische System.

Selbst für die DKP, die nie bei Wahlen in Westdeutschland eine Chance hatte, waren ihre damaligen kommunalen Wahlerfolge in Marburg und Bottrop strategische Wegmarken. Und nachdem sie nach dem Zusammenbruch der DDR ihre kommunalen Hochburgen verloren hatte, versuchte sie über Bündnislisten – erst mit den Grünen, dann mit der PDS – in Kommunalparlamente zu gelangen.

Die Orientierung des Reformismus auf Parlamente und Wahlen bestärkte immer das weitgehend parlamentarisch geprägte Bewusstsein der übergroßen Mehrheit der Lohnabhängigen. Es entspricht dem traditionellen Mangel an Selbsttätigkeit und spontaner Aktionsbereitschaft der ArbeiterInnenklasse (nicht nur, aber gerade auch) in der BRD.
Die Stärken der RevolutionärInnen
Wenn sich revolutionäre SozialistInnen an Wahlen beteiligen, dann haben sie etwas anderes im Auge als Parlamentssitze und Wahlergebnisse. Zum einen wollen sie ihren Einfluss unter den Lohnabhängigen messen. Zum anderen versuchen sie, über Wahlkampagnen ihre Ziele bekannt zu machen und ihre Organisation aufzubauen. Um zu wissen, dass die revolutionäre Linke in der BRD äußerst schwach ist, braucht es allerdings nicht erst die Bestätigung durch ein mageres Wahlergebnis. Denn dass die revolutionäre Linke am Rande der 41 Mio. Lohnabhängigen steht, zeigt sich auch z.B. darin, dass keine Organisation mit revolutionärem Anspruch überhaupt bei allen Wahlen antreten kann. Die Stärken der RevolutionärInnen lagen immer in den Betrieben und auf der Straße.
Umorientierung?
Wenn sich also revolutionäre Organisationen an Wahlen beteiligen, ist grundsätzlich dagegen nichts zu sagen. Sie können ihre Vorschläge bekannt machen und ihren Aufbau stärken. Aber Wahlen sind immer konkret. Aktuell verstärkt sich zwar der Widerstand gegen den kapitalistischen Neoliberalismus, bildet sich eine soziale Bewegung und macht die Gewerkschaftslinke Fortschritte. Aber die revolutionäre Linke bleibt vorerst sehr, sehr randständig. Da ist es keine unwichtige Frage, ob die eigenen Mittel und die Energie für Wahlkampagnen verpulvert werden oder ob sie den Aufbau der sozialen Bewegung und der Gewerkschaftslinken fördern. Wenn also bei ihrem Treffen am 10. Januar die FreundInnen und Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken in der BRD den Schwerpunkt der praktischen Arbeit auf eine Beteiligung an… den Kommunalwahlen in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg legen, dann war das – nicht zuletzt nach der Erfahrung mit der PDS – eine sehr bedenkliche Entscheidung. Selbst die Grünen betonten anfangs die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Bewegung.
Westdeutsche SED?
Schwierig wird es, wenn mit Wahlen Hoffnungen auf einen politischen Durchbruch verbunden werden. So will die MLPD von Wahlbeteiligung zu Wahlbeteiligung ihren "Masseneinfluss" beweisen. Bei o.g. EAL-Treffen wurden Stimmen laut, die von einem "linken Wahlpotential von 10 Prozent" sprachen. Eine andere Botschaft verkündete, dass aus vereinigten linken Wahllisten eine neue antikapitalistische Partei entstehen würde – "wie denn sonst?". Wahlabkommen der Revolutio-närInnen mit ReformistInnen, da waren sich marxistische Vordenker wie Lenin und Trotzki einig, begünstigen den Reformismus, Abkommen für Aktionen dagegen die RevolutionärInnen.

Aber selbst, wenn sich die Unterstützer- Innen der EAL zu einer (Wahl)Partei zusammenschließen würden – was wäre eigentlich erreicht, wenn sich DKP, SAV, RSB, Linksruck, isl und PDS/Linke in einer Einheitspartei zusammenschließen würden? Das wäre nicht das Auftauchen einer "neuen antikapitalistischen Kraft", sondern die Bestätigung der eigenen Kraftlosigkeit. An den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, nämlich der Schwäche des Sozialismus im Verhältnis zur real existierenden ArbeiterInnenklasse, würde sich nichts ändern. Hier kann nur eine neue soziale Bewegung, nämlich eine außerparlamentarische Opposition, die Gewichte verschieben. Zudem würden sich in einer Sozialistischen Einheitspartei die Pole Reformismus und revolutionärer Weg höchstens gegenseitig neutralisieren. Die Schwäche der sozialistischen Linken in der BRD ist nicht ihre kümmerliche Vielfalt, sondern wie die Frankfurter Konferenz gegen Sozialkahlschlag zeigte, ihr Ultralinkstum einerseits und ihr Opportunismus andererseits. Nicht Wahlabkommen sondern Aktionseinheiten stehen an!

1 Lenin Werke, Bd. 21, S. 161 f. 

 

Treffen
der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) in Berlin
Am 10. Januar trafen sich in Berlin ca. 30 VertreterInnen von DKP, SAV, Linksruck, RSB, isl, der PDS-Linken (Geraer Dialog) und einige Unorganisierte. Die vorgeschlagene Beteiligung an den Europawahlen fand keine Gegenliebe. Dafür unterstützten alle Organisationen – außer dem RSB – gemeinsame Beteiligungen an Kommunalwahlen und wollen dazu im Herbst ein Seminar vorbereiten. Von allen getragen wurde die Planung einer Veranstaltungsreihe mit der Scottish Socialist Party (SSP).

 

 

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