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Debattenbeitrag zu #Aufstehen

#Aufstehen – Motive und Probleme der neuen „Bewegung“

Von Manuel | 24.10.2018

Am 4.9.2018 ist „Aufstehen ‒ die Sammlungsbewegung“ offiziell gegründet worden. Schon vor dem offiziellen Start hatten sich über 100.000 Unterstützer*innen registriert, am 9. September waren es über 130.000, es haben eine ganze Reihe von örtlichen Treffen stattgefunden.

Sicher haben sich manche nur registriert, um via Newsletter an Infos aus erster Hand zu kommen. 25 % haben laut einer Umfrage angegeben sich vorstellen zu können, „Aufstehen“ zu wählen. Der politische Aktivitätsgrad wird bei den meisten Unterstützer*innen nicht hoch sein. Dennoch sind die Zahlen beachtlich.

Versuch einer Antwort gegen rechts

Das erklärte wichtigste Motiv von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine für diese Initiative ist, eine wirksame Antwort auf den Aufschwung der äußersten Rechten zu finden. Tatsächlich ist der wahlpolitische Aufschwung der AfD äußerst bedrohlich. Sie hat sogar schon bei bundesweiten Umfragen die SPD überflügelt. Die AfD wird weithin als die Protestpartei gegen die etablierte Politik wahrgenommen, treibt diese vor sich her und bestimmt die Themen, was zum Beispiel Seehofer dazu gebracht hat, die Einwanderung die „Mutter aller Probleme“ zu nennen. Inzwischen erklären sich Teile der CDU, wie ihre Führung in Sachsen, gar grundsätzlich dazu bereit, mit der AfD zu koalieren.

Dass die politische Rechte am meisten von der spektakulären wahlpolitischen Krise der SPD und auch der Unionsparteien profitiert, ist unumstritten. Die Partei Die Linke zieht neue, oft jüngere Mitglieder an und erfährt in den westlichen Bundesländern mehr Zuspruch, während dieser in den östlichen Bundesländern eher zurückgeht. In der Summe stagniert DIE LINKE auf dem Niveau von rund 10 Prozent, während Bündnis 90/ Die Grünen sich eher im wahlpolitischen Aufwind befindet.

#Aufstehen will Wähler*innen für eine linke oder linkspopulistische Alternative (zurück)gewinnen. Als Vorbild wird insbesondere „La France insoumise“ (Das unbeugsame Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon genannt. Sie gilt als Gegenentwurf zu einer Linken, in der sich die einheimischen Arbeiter*innen und Prekären nicht wiederfinden. Dem soll entgegengesteuert werden, indem die sozialen Themen in den Vordergrund gestellt werden und nicht die einer als wohlsituiert und behütet angesehenen, im Gestus moralischer Empörung auftretenden Linken zugeschriebenen Themen der Auflehnung gegen vielfältige Unterdrückungsformen. Der Nationalstaat gilt dabei als Hort des Schutzes gegen den internationale Kapital, seine Institutionen und die Migrationsströme.

Berechtigte Ängste

In der Partei Die Linke sind nicht nur viele vom linken Flügel, wie insbesondere die AKL, gegen #Aufstehen, sondern auch viele vom Partei-Establishment und von der Parteirechten. In der Tat ist das politische Profil von #Aufstehen rechts von der offiziellen Programmatik der Partei, wenn auch links von der heutigen SPD. Das gilt nicht nur für die Themen Flucht und Migration, sondern auch für die allgemeine Orientierung von #Aufstehen an der SPD-Politik der 70er Jahre, an einem guten und kuscheligen Kapitalismus, am Ordo-Liberalismus gegen den entfesselten neoliberalen Raubtierkapitalismus.

Gefürchtet wird vor allem, und zu Recht, eine Spaltungsdynamik, die die Linke insgesamt zersplittern und schwächen würde. Immerhin ist das große Vorbild von #Aufstehen, La France insoumise, auf den Trümmern nicht nur des Links-Bündnisses Front de Gauche, sondern auch der französischen Linkspartei oder Parti de Gauche, Mélenchons eigener Partei, entstanden.

Nun betonen Sahra Wagenknecht und #Aufstehen bislang, keine wahlpolitische Alternative, dass sie keine neue Partei aufbauen wollen, sondern eine „Bewegung“, die Druck auf SPD, Grüne und LINKE ausüben will, damit eine mehrheitsfähige linke Regierungsalternative möglich wird. Mitglieder dieser drei Parteien können bei #Aufstehen mitmachen, ohne ihre Parteien zu verlassen.

Dennoch kann natürlich, je nach Resonanz, aus #Aufstehen eine Kraft entstehen, die auf Wahlebene antritt und sich dem europäischen Bündnis unter Führung von „La France insoumise“ anschließt. Denkbar wäre auch ein Druck auf DIE LINKE für „offene Listen“, mithilfe derer insbesondere die prominenten Sprecher*innen des #Aufstehen ihre eigenen Kandidaturen mit ihrem eigenen Profil durchziehen könnten. Es könnte für einen Teil der Wähler*innenschaft die Möglichkeit entstehen, ihrem Gefühl, dass nämlich die soziale Ungerechtigkeit die „Mutter aller Probleme“ ist, einen politischen Ausdruck zu verleihen.

Rivalitäten und Strukturprobleme

Unübersehbar ist die Rivalität zwischen der Parteiführung und der Führung der Fraktion im Bundestag, zwischen den Sprecher*innen Bernd Riexinger und Katja Kipping auf der einen und Sahra Wagenknecht und den ihren auf der anderen Seite. Insofern ist #Aufstehen von vornherein auch Ausdruck eines innerparteilichen Machtkampfs.

Das ist mit einem Strukturproblem verbunden, nämlich dem wachsenden Einfluss der Mandatsträger*innen und ihrer Beschäftigten im Verhältnis zu den Parteigremien, wie auch allgemein der bezahlen Berufspolitiker*innen und Funktionär*innen gegenüber den Ehrenamtlichen und Mitgliedern der Partei.

Dabei stützt sich Sahra Wagenknecht als populärste linke Sprecherin auf ihre gute Präsenz in den Medien. Ihr daraus erwachsenes politisches Gewicht nutzt sie, um die Meinungsbildung in den Gremien und der Mitgliedschaft der Partei zu umgehen.

Der „Top-Down“-Charakter von #Aufstehen ist unübersehbar. Alles wird an der Spitze entschieden, die „Macher*innen“ sind oftmals gar nicht bekannt. Dem Fußvolk obliegt es, den Tribunen zu lauschen, zuzustimmen und zuzujubeln. Sie sind nicht gefragt bei der Ausarbeitung von Positionen, bei der Entwicklung von Initiativen und bei Entscheidungen.

Ob das so bleibt ist unklar. Immerhin sind örtliche #Aufstehen-Gruppen auch selbstorganisiert ohne vorausgehende Initiative aus der Führungsgruppe entstanden. Denkbar ist sicherlich, dass Mitglieder das zunehmende Bedürfnis empfinden, sich in den Aufbau der eigenen Bewegung einzumischen. Aber das wird die Zukunft zeigen.

Probleme der Regierungsfrage

Das traditionelle Regierungslager in der Partei Die Linke hat zunehmend Glaubwürdigkeitsprobleme mit seinem Projekt. „Rot-rot-grün“ ist auf Bundesebene immer weiter davon entfernt, eine realistische Option zu sein, sogar wenn die LINKE ihre Opposition gegen Bundeswehreinsätze im Ausland, NATO usw. aufgeben würde. Auch auf Landesebene wird es zunehmend schwierig, dafür Mehrheiten zu finden.

Nun hat #Aufstehen allerdings kein anderes Projekt als „rot-rot-grün“, will aber dafür eine breitere Bewegung von unten schaffen. Für die Verwirklichung des Ziels wäre allerdings nötig, dass die SPD mit der Agenda 2010 bricht und zu ihren sozialpolitischen Positionen der frühen 70er-Jahre zurückfindet und die Grünen ihre soziale Ader neu entdecken. Dann kämen vielleicht auch wieder mehr Stimmen.

Aber was dann? Zu welchen Konzessionen, insbesondere in der Außenpolitik, wäre #Aufstehen bereit, um bei einer solchen Koalition mitzumachen? Diese Diskussion sollte unter den #Aufstehen-Bewegten ernsthaft geführt werden.

Unzureichende Antworten

Die Antwort auf #Aufstehen aus den Reihen der Partei, DIE LINKE sei doch schon die linke Sammlungsbewegung, ist offenbar unzureichend. Da müsste schon eingeräumt werden, dass DIE LINKE offensichtlich allzu wenig vom parteipolitischen Abschwung gerade der SPD profitiert. Da ist doch etwas faul im Staate Dänemark…

Ein zutreffendes Argument aus den Reihen der Parteilinken und insbesondere der AKL ist sicherlich, dass DIE LINKE mit ihren Regierungsbeteiligungen selbst schon so sehr zur „etablierten Politik“ ge­hört, dass sie Empörung, tiefe Unzufriedenheit und Auflehnung nicht mehr auf ihre Mühlen leiten kann.

Eine neue Diskussion der Regierungsfrage auch auf Länderebene ist nötig. Es genügt nicht darauf zu verweisen, dass Thüringen mit einer von der LINKEN geführten Regierung auch Abschiebungen vornimmt. Wenn sie sich dem verweigern würde, müsste sie nämlich mit den offiziellen politischen Spielregeln brechen.

Eine Regierung, an der eine linke Partei teilnimmt, ohne sich zu verbiegen, müsste also eine rebellische Regierung sein, die bereit ist, sich dem normalen Politikbetrieb zu verweigern. Dazu würde gehören, sich zum Beispiel mit der Schuldenbremse und mit der Macht des Kapitals anzulegen und sich dabei auf die Mobilisierung der abhängig beschäftigten und unterdrückten Massen zu stützen.

Es genügt auch nicht, eine mit den Flüchtlingen und Migrant*innen solidarische Politik und Bleiberecht für alle zu fordern, ohne sich groß um die Ängste eines großen Teils der einheimischen Bevölkerung zu kümmern. Mit rein moralischen Argumenten „offene Grenzen“ zu fordern, ohne auf die Konkurrenzängste vieler einzugehen, macht in der Tat den Eindruck einer Haltung von eher Privilegierten, deren Komfortzone nicht in Frage steht. Eine wirksame Antwort wäre ein Aktionsprogramm, das die sozialen Belange der Mehrheit der Bevölkerung sowohl mit den Interessen der am meisten Unterdrückten wie auch der kommenden Generationen verbindet.

Internationale Solidarität

#Aufstehen stellt eine richtige Frage, nämlich wie auf das „Argument“ der Konkurrenz geantwortet werden soll. #Aufstehen tut allerdings so, als gäbe es ein rein nationales Klasseninteresse, das gegen Globalisierung und Einwanderung zu verteidigen wäre. Das ist aber eine Fiktion. Dagegen halten wir an der Einsicht von Karl Marx fest, dass Klassensolidarität internationale Solidarität ist, wenn der Klassenkampf auch der Form nach national bleibt, solange Reformen im Interesse der Lohnabhängigen hauptsächlich im Rahmen des Nationalstaats durchsetzbar sind. Die Erfahrung der gemeinsamen Aktivität für die gemeinsamen Interessen über die nationalen Grenzen hinweg ist allerdings entscheidend auch gegen Vorurteile und falsche Spaltungslinien im eigenen Land.

Angesichts des Profils von #Aufstehen haben wir also kritische Einwände und Fragen, wobei uns die Frage der Verbindung von Klasseninteresse und internationaler Solidarität als die wichtigste erscheint. Die Schärfe der Kontroverse um #Aufstehen in der Partei DIE LINKE und in der Linken im weiteren Sinne sowie die Gefahr einer Zersplitterung und Schwächung der Linken insgesamt veranlassen uns aber, für einen sachlichen und solidarischen Ton beim Austragen dieser Kontroversen einzutreten.

Manuel, 2.10.2018

Dieser Text ist ein Zwischenergebnis des Diskussionsprozesses in der Koordination der ISO.

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