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Innenpolitik

Auf dem Rücken der Menschen: Visaaffäre

Von Trixi Blixer | 01.04.2005

Der Stuhl von Außenminister Fischer hat noch nie so gewackelt wie in den letzten Wochen. Schuld daran ist aber nicht ein erneuter Kriegseinsatz mit Zustimmung des grünen Ministers, sondern die Vergabe von Touristenvisa für Deutschland in Osteuropa.

 
Hintergrund der sog. Visaaffäre in die das Außenministerium verwickelt ist, ist das restriktive deutsche Ausländergesetz und die massiv regulierte Einwanderungspolitik der Europäischen Union. In der Regel müssen Menschen, die die Bundesrepublik besuchen wollen, nach § 84 Ausländergesetz eine Verpflichtungserklärung eines deutschen Gastgebers vorlegen, um ein Touristenvisum zu bekommen. In einer solchen Bürgschaft verpflichtet sich der/die EinladerIn, für die möglichen Kosten des Besuchers in Deutschland aufzukommen: dazu gehören Erkrankungen ebenso wie die Kosten für eine Abschiebung, falls der Gast nicht wieder selbständig in sein Herkunftsland zurückkehrt. Mit dieser Bürgschaftsverpflichtung wollen die deutschen Behörden MigrantInnen dazu zwingen, hierher lediglich als BesucherInnen zu kommen und nicht, nach Ablauf des Touristenvisums, illegalisiert in der BRD zu verbleiben und eine Arbeit aufzunehmen.

Reiseschutzpolicen

Mit dem Reiseschutz-Passverfahren seit August 1995 sollte die persönliche Bürgschaft durch eine Versicherungspolice ersetzt werden können. Zuerst gewährte nur eine Versicherung des ADAC diese Policen. Seit einigen Jahren durften sich aber auch andere Anbieter eine goldene Nase an den Reisedokumenten verdienen. Die schwäbische Firma Reiseschutz AG verkaufte die sog. Reiseschutzpässe für 230 Euro das Stück an osteuropäische AntragsstellerInnen. Mit Hilfe dieses Reiseschutzpasses konnte ein Antrag auf ein Visum für einen befristeten Aufenthalt in Deutschland gestellt werden. Die Affäre, die in den letzten Wochen durch die Medien gegangen ist, war dabei, dass das Auswärtige Amt eine Empfehlung an die deutschen Botschaften in den ehemaligen GUS-Staaten abgegeben hat, bei Unklarheiten im Notfall für den/die AntragsstellerIn zu entscheiden. Trotz der gekauften Reiseschutzpässe, mussten die Menschen immer noch persönlich bei den Botschaften vorsprechen. Das führte zu den langen Schlangen vor den Türen, wie sie das Fernsehen in diesem Zusammenhang immer wieder zeigte. Die Liberalisierung der Reisepolicen führte dazu, dass immer mehr Anbieter für diese Dokumente anerkannt wurden. Inzwischen ist klar, dass eine ganze Reihe von ihnen mit Schleusern zusammenarbeiteten. Im März 2003 stoppte Josef Fischer dann weltweit die Reiseschutzpässe.

Schleuser und Menschenhandel

Schleuser konnten in das Geschäft mit den Reiseschutzpässen nur deshalb einsteigen, weil für viele Menschen der legale Weg in die Europäische Union inzwischen versperrt ist. Die EU wird an ihren Außengrenzen immer mehr zur Festung ausgebaut. Menschen, die Arbeit suchen, werden oft zu illegalen Versuchen gezwungen, in den “goldenen Westen” zu kommen. Die Schleuser machen genauso wie die Versicherer der Reisepolicen ihren Profit mit der Armut der Menschen. Gerade in Osteuropa ist der Lebensstandard in den letzten 10 Jahren massiv gesunken. Mit äußerster Brutalität wurde das neoliberale, kapitalistische System eingeführt – das alles auf dem Rücken der dort lebenden Bevölkerung. Armut und Perspektivlosigkeit treiben die Menschen in die Hände der Schleuser. Diese, und das ist der wirkliche Skandal an der Visaaffäre, können ihr Geschäft ausschließlich wegen der restriktiven Passgesetze der EU und der BRD machen. Gäbe es offene Grenzen, die Möglichkeit legal zu arbeiten und sich in Deutschland aufzuhalten, hätten Menschenhändler wesentlich weniger Chancen für ihr schmutziges Geschäft. Ihr Versprechen auf ein besseres Leben kann nur dort Früchte tragen, wo Verzweiflung und fehlende Alternativen Menschen nach der kleinsten Hoffnung suchen lässt. Nach Ermittlungen des Bundeskriminalamtes war ein erheblicher Teil der rund 360 Vertriebspartner der Reiseschutz AG, die die Reiseschutzpässe verkauften, in Schleu-serdelikte verwickelt. Der Geschäftsführer der Reiseschutz AG muss sich jetzt vor Gericht wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Schleusung verantworten.
Außenminister Fischer mag jetzt seinen Posten verlieren, aber die Illegalisierten in Deutschland sind diejenigen, die die tatsächlichen Konsequenzen dieser Politik zu tragen haben. Im Herkunftsland arm, hofften sie mit den gekauften Versicherungspolicen auf eine Chance in der EU. Hier angekommen, konnten sie nur illegal eine Arbeit aufnehmen. Viele der als TouristInnen einreisenden Betroffenen verschuldeten sich für die gekauften Reiseschutzpässe und rutschten auf Grund ihrer finanziellen Erpressbarkeit in die Zwangsprostitution oder in die Schwarzarbeit. Werden sie hier dann von den Behörden entdeckt, werden sie umgehend abgeschoben.
Dieser Teufelskreis aus Armut auf der einen und großen Geschäften mit der Armut auf der anderen Seite kann nur durch ein radikal verändertes Aufenthaltsrecht durchbrochen werden. Dazu gehören auf jeden Fall offene Grenzen und das Recht auf Arbeit für alle Menschen!

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