TEILEN
RSB4

Arbeit, Wohnung und gleiche Rechte für alle!

Von Die Internationale Theorie 28 | 01.10.1994

Programmatische Erklärung des RSB

16. Oktober 1994

1.Die Welt am Scheideweg
 
Weltweit wächst die soziale Ungleichheit, bedrohen uns Kriege und Katastrophen. Das ist umso unerträglicher, als es die Kenntnisse und technischen Mittel gibt, um Hunger und Krankheiten zu überwinden und die wesentlichen sozialen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Erde zu befriedigen.

Trotz des Wegfalls der Konfrontation zwischen West und Ost dauert der Rüstungswettlauf an. Das gewaltige nukleare und konventionelle militärische Potential, die Entwicklung biologischer und chemischer Waffen sowie die Verbreitung von Atomkraftwerken drohen die Menschheit auszulöschen. Die starke Zunahme tödlicher „technischer“ Unfälle ist Beleg für die Gefahren, die in der Logik kapitalistischen Profitstrebens ebenso wie in der bürokratischen Gier nach Privilegien liegen. Der Treibhauseffekt, die Zerstörung der Ozonschicht, die Abholzung der tropischen Regenwälder, die Vergiftung der Erde, der Meere, der Flüsse und des Grundwassers sowie die Luftverschmutzung – alle diese Gefahren untergraben gemeinsam die Grundlagen des physischen Überlebens der Menschheit.

Zunehmend bedroht Hunger ganze Völker – nicht, weil die landwirtschaftliche Produktivität unzureichend ist, sondern weil sie zu hoch ist, um angemessene Profite für die Agrarindustrie und die Großbauern in den reichsten Ländern zu garantieren. In diesen Ländern zahlt der Staat Subventionen, um systematisch die Anbaufläche zu verringern und um die Preise „zu stützen“. Das birgt das Risiko in sich, die gesamten Getreideanbauflächen der Menschheit durch mehrere aufeinander folgende Mißernten aufs Spiel zu setzen.

Die Folgen der langen Depression der internationalen Wirtschaft seit Anfang der siebziger Jahre waren für die Lage fast aller Völker der „Dritten Welt“ bereits verheerend. Die absolute Verelendung überschreitet in vielen Fällen die der dreißiger Jahre und wird immer weniger durch die landwirtschaftliche Selbstversorgung gemildert. Jedes Jahr sterben dort 15 Millionen Kinder an Hunger, Unterernährung und fehlender Gesundheitsfürsorge oder Mangel an Medikamenten. Die Kaufkraft der Lohnabhängigen ist um mehr als 50% verringert worden. In den ärmsten Ländern fällt der Kalorienverbrauch der Massen auf den Stand von Nazikonzentrationslagern wie Buchenwald.

In den imperialistischen Ländern schlagen die Folgen der 23.Krise seit 1825 immer stärker auf die Arbeiterklasse durch. Die Erwerbslosigkeit stieg enorm an – ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Anfang 1994 galten 820 Millionen (darunter 120 Millionen amtlich registrierte) Menschen als arbeitslos, das heißt 30% der arbeitenden Klasse weltweit. In den reichsten Ländern gibt es offiziell etwa 40 Millionen Erwerbslose, verglichen mit 10 Millionen Anfang der siebziger Jahre. Millionen „neuer Armer“ stellen je nach Land 10 – 25% der Bevölkerung. Insgesamt 1,1 Milliarden Menschen  müssen unter der Armutsgrenze ihrer jeweiligen Länder leben. Wachsende Instabilität und Verunsicherung in der Gesellschaft begünstigen ein politisches Klima, das die Tendenzen zum „starken Staat“ und zur Einschränkung demokratischer Freiheiten (politische und gewerkschaftliche Rechte) wie auch das Anwachsen des Rassismus und den Wiederaufstieg der Rechtsextremisten und Neofaschisten fördert. Folter und Staatsterrorismus werden in mehr als 60 Staaten der Erde systematisch angewandt – auch in einigen imperialistischen Ländern.

Der Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa brachte den Kapitalismus weltweit in die Offensive. Aber nicht die Idee einer gerechten und menschlichen Gesellschaft, der Sozialismus, ist am Ende, sondern dessen bürokratisch-diktatorische Verzerrung. Bedingung für eine fortschrittliche Entwicklung ist, daß die schwere Last der Vergangenheit die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nicht erdrückt, und die neuen Generationen aus diesem Scheitern die notwendigen Lehren ziehen. Die Teilung der Welt in zwei Lager nach dem Zweiten Weltkrieg ist nun ein abgeschlossener Abschnitt der Geschichte. Gleichzeitig verringert sich das Bleigewicht des Stalinismus, das so schwer auf der internationalen Arbeiterbewegung gelastet hat.

Das klassische Prinzip „teile und herrsche“ gilt immer noch. Die Ausgebeuteten und Unterdrückten werden die katastrophalen Entwicklungen, die ihre Zukunft und ihr Überleben bedrohen, nur dann stoppen können, wenn sie gemeinsam und entschlossen gegen die dafür Verantwortlichen kämpfen. In den vergangenen Jahren haben Millionen Frauen und Männer an Mobilisierungen gegen Krieg und Atomwaffen teilgenommen, haben sich eingesetzt für die Verteidigung der Umwelt, für das Recht auf Abtreibung, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, gegen Rassismus und Erwerbslosigkeit, gegen Imperialismus, Hunger und die Geißel der Verschuldung der „Dritten Welt“, gegen die Privilegien und die Diktaturen in Ost und West.

Wir kämpfen für einen Ausweg aus der Krise, der die soziale Befreiung der gesamten Menschheit ermöglicht. Das schließt nicht nur politische, sondern auch soziale Rechte ein – Recht auf Arbeit, auf angemessenen Lebensstandard, Gesundheitsversorgung, Ausbildung und Wohnung. Weder der kapitalistische Dschungel noch die bürokratische Diktatur können dieser Herausforderung entsprechen. Eine Lösung der elementaren Probleme der Menschheit erfordert den revolutionären Sturz des Kapitalismus und der noch existierenden bürokratischen Diktaturen. Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung der Kampfkraft der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Wenn dieser Kampf nicht zum Scheitern verurteilt sein soll, muß er von vornherein eine internationale Dimension anstreben, die die kämpferischen und gegebenenfalls revolutionären Tendenzen in allen Bereichen des weltweiten Klassenkampfs (der „Dritten Welt“, der bürokratisierten Gesellschaften des zerfallenen „sozialistischen Lagers“, die sich auf dem Weg zurück zum Kapitalismus befinden, und der imperialistischen Länder) unterstützt und miteinander verbindet.

2. Deutschland und der Kampf um den Weltmarkt

Mit der staatlichen Vereinigung von BRD und DDR am 3.10.1990 ist der mehr als 45 Jahre alte Wunschtraum der deutschen Bourgeoisie innerhalb eines Jahres in Erfüllung gegangen: die deutsche Einheit unter kapitalistischen Bedingungen. Aufgrund des größeren politischen, ökonomischen und militärischen Gewichts des „neuen Deutschland“ ist die Bereitschaft gewachsen, auf internationaler Ebene die eigenen Interessen durchzusetzen. Wir sind Zeugen einer grundlegenden Neuorientierung der deutschen Außen- und Innenpolitik, die sich vor dem Hintergrund der internationalen kapitalistischen Krise entwickelt.

Der Kampf der Triade (Nordamerika, Japan, Westeuropa unter deutscher Vorherrschaft) ist gekennzeichnet von der Umwälzung der Produktionssphäre, der immensen Staatsverschuldung und dem Umbau der Nationalstaaten gemäß der Bedürfnisse der jeweiligen international agierenden Kapitale.
Derzeit gibt es etwa 37000 multinationale Konzerne, vor 20 Jahren waren es „nur“ 7000. Sie kontrollieren inzwischen ein Drittel des privaten Sektors der Weltwirtschaft.

Im verschärften Kampf um Weltmarktanteile und um eine höhere Rendite des in der Produktionssphäre eingesetzten Kapitals soll die Einführung „japanischer Produktionsmethoden“ (der sogenannte Toyotismus) den Konzernen das Überleben ermöglichen. Der „Kasinokapitalismus“, der durch ungeheure Mengen von Spekulationskapital gekennzeichnet ist, beschleunigt diese in sich schon aggressive Strategie, denn alternativ zur Kapitalanlage im Reproduktionssektor haben sich weltweit äußerst lukrative Formen der Finanzanlage ausgeweitet. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß Gewinne zu mehr produktiven Investitionen führen. Sie werden in zunehmendem Umfang in Finanzanlagen gesteckt. Allein an den Devisenbörsen werden tagtäglich 1000 Milliarden US-Dollar umgesetzt – bei einem Jahresumfang des Welthandels von 3700 Milliarden US-Dollar.

Die Funktion der bürgerlichen Nationalstaaten wandelt sich in doppelter Hinsicht. Zum einen haben sie eine immer beschränktere steuernde Rolle im Vergleich zur Bedeutung des international agierenden Kapitals. Zum anderen gewinnt ihre repressive und militärische Funktion vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und einer wachsenden Zahl kriegerischer Konflikte in aller Welt noch an Bedeutung.

Die Staatsverschuldung führender imperialistischer Länder hat astronomische Höhen erreicht und droht förmlich zu explodieren. Einige Staaten sind bereits in der Höhe ihres Bruttosozialprodukts oder darüber hinaus verschuldet. Staatsbankrotte sind absehbar. In der BRD verdoppelte sich die Staatsschuld in den Jahren 1989 bis Anfang 1994 von 1000 Milliarden auf 2000 Milliarden DM.

Die BRD entwickelt ihre Militärstrategie neu. Anstelle der bisherigen Unterordnung unter die von Washington dominierte NATO soll ein eigenständiges Auftreten als Militärmacht gesichert werden. Die Bundeswehr wird von einer vor allem auf die kriegerische Auseinandersetzung mit dem Osten orientierten Armee zu einer flexiblen, weltweit einsatzbereiten Truppe umgebaut. Bisher ohne Grundgesetzänderung schafft die Bundesregierung die materiellen, psychologischen und realpolitischen Grundlagen für Bundeswehreinsätze im Ausland. Zunächst noch unter dem Deckmantel der NATO (Türkei 1991) und der UNO (Kambodscha 1992 und Somalia 1993) wird die Gewöhnung an den dritten weltweiten kriegerischen Einsatz deutscher Truppen in diesem Jahrhundert geprobt. Durch sein Urteil vom 12.7. 1994 hat das Bundesverfassungsgericht diese Politik faktisch gebilligt, auch wenn nun der Bundestag vorher seine Zustimmung geben muß. Ziel ist es, die „eigenen Interessen“ weltweit wahrzunehmen und auch in diesem zentralem Bereich imperialistischer Politik die „volle Souveränität“ wiederzuerlangen.

Bereits im Herbst 1989 wurde deutlich, daß die BRD über die EG hinausgehende Ziele anvisiert. Das „neue Deutschland“, das seine traditionellen Interessen im Osten wieder entdeckte, trat auf die Bühne. Mittlerweile ist das Projekt der kapitalistischen Einigung Europas zu einem Zwitter aus einer Freihandelszone und einem europäischen Bundesstaat mutiert. Daran ändern auch das neue Namensschild „Europäische Union“ (EU) und die Schaffung des „Europäischen Wirtschaftsraums“ (EWR) nichts. Die Währungskrise von  Sommer 1993 hat das Europäische Währungssystem zu Makulatur werden lassen und die Verträge von Maastricht in Frage gestellt. Dabei war die Schwächung der deutschen Wirtschaft von Bedeutung. Aber die BRD steht wirtschaftlich immer noch weniger schlecht als die europäischen Partner/Konkurrenten da und hat ihre Führungsrolle in der EU bewahrt.

Die Schwächung der Achse Bonn-Paris belegt, wie weit die deutsche Bourgeoisie ihre Neuorientierung nach Osten vollzogen hat. Mit der „wirtschaftlichen Integration“ bestimmter industrieller Schwerpunktbereiche (vor allem in Polen, der Tschechischen Republik, Ungarn und Slowenien) bemüht sie sich, die verstärkte Einflußnahme auf die GUS vorzubereiten. Diesen Ländern ist die Funktion von Rohstofflieferanten, Absatzmärkten und Niedriglohnproduzenten bzw. verlängerten Werkbänken deutscher Konzerne zugedacht. Noch sind die deutschen Ostgrenzen für die offizielle bürgerliche Politik tabu.

3.Nach dem „Anschluß“ der DDR – die neoliberale Wende im „neuen Deutschland“

Die Lage der BRD ist gekennzeichnet durch das Zusammenspiel von drei krisenhaften Prozessen – einer Krise der Staatsfinanzen, einer zyklischen Konjunkturkrise und der „Vereinigungs“-Krise.

Drei Jahre nach der „Wiederherstellung der deutschen Einheit“ befindet sich der bürgerliche Staat auf dem Weg in die Staatskrise. Die Verschuldung der öffentlichen Hand explodiert. Der Staatsbankrott steht zwar nicht direkt bevor, ist aber auch nicht mehr die Frage einer unendliche fernen Zukunft. Im letzten Glied der staatlichen Kette, den Städten und Gemeinden, ist aus finanziellen Gründen die politische Handlungsfähigkeit oft schon stark eingeschränkt.

Die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise machten sich aufgrund des „Einheits-Booms“ erst ab Mitte 1992 in der BRD bemerkbar. Die Auslastung der industriellen Produktionskapazitäten ist mittlerweile auf das Niveau von 1987 gesunken. Immer neue Branchen werden von der Krise erfaßt. Die 1994 durchgesetzte Reduzierung der real verfügbaren Masseneinkommen wird die Krise weiter vertiefen.

Die mittels der Treuhand organisierte Zerschlagung der ehemals staatlichen Wirtschaft der DDR dient nicht nur den Interessen windiger Geschäftemacher, sondern vor allem deutscher Großunternehmen der Industrie, des Handels sowie der Banken- und Versicherungsbranche. Die Privatisierung und Vernichtung des früheren „Volkseigentums“ wird zusätzliche öffentliche Schulden in Höhe von mindestens 225 Milliarden Mark zur Folge haben.

Die Bedeutung der „traditionellen“ westdeutschen Krisenregionen (Küste, Ruhrgebiet, Saarland und „Zonenrandgebiet“) verblaßt angesichts des Kahlschlags in Ostdeutschland. Das bisherige Nord-Süd-Gefälle wird überlagert von dem noch größeren Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. Der Anteil der Erwerbslosen ist dort doppelt so hoch wie im Westen, die Realeinkommen der Beschäftigten und Erwerbslosen liegen bei 45% der Westeinkommen. Jeder zweite Arbeitsplatz in Ostdeutschland ist seit der „Wende“ vernichtet worden.

Die DDR galt einst – bezogen auf das Bruttosozialprodukt – als zehntgrößter Industriestaat der Welt. Allerdings hatte die bürokratische Kommandowirtschaft, das Fehlen einer an den regionalen Bedürfnissen der RGW-Staaten orientierten Zusammenarbeit und nicht zuletzt die Blockadepolitik des Westens die DDR an den Rand des ökonomischen Abgrunds geführt. Der „Anschluß“ an die BRD hat Ostdeutschland aber nicht gerettet. Vielmehr zählt es heute innerhalb der EU zu den Gebieten mit dem niedrigsten ökonomischen Niveau. Die „neuen Länder“ steuerten im 1. Halbjahr 1993 lediglich 8% zu
r gesamtdeutschen Wirtschaftsleistung bei, während ihr Bevölkerungsanteil etwa 20% beträgt. Das Sozialprodukt pro Kopf liegt bei einem Drittel des westdeutschen. Der Anteil an der gesamtdeutschen industriellen Nettoproduktion beträgt gar nur 4%.

In dieser Situation setzt eine große Mehrheit der Bourgeoisie mit massiver Unterstützung nicht nur der Regierungskoalition auf eine Kampagne zur „Sicherung des Industriestandorts Deutschland“. Unter dem millionenfach von den Medien wiederholten Schlachtruf „Nieder mit dem Anspruchsdenken!“ predigen sie den Menschen Verzicht, um den seit 1990 zusehends beschleunigten Umverteilungsprozeß von unten nach oben weiter voranzutreiben. Ihre Politik der „marktradikalen Modernisierung“ attackiert mit nicht gekannter Aggressivität die bisher als Modell für die Welt gepriesene „Tarifautonomie“ und „Sozialstaatlichkeit“. Mit anderen Worten: Das traditionelle Konfliktregelungsmodell zwischen Kapital und Arbeit auf der Grundlage von Tarifverträgen und die relative soziale Absicherung von Erwerbslosen, Kranken und Alten wird von der Bourgeoisie in Frage gestellt. Die Aushebelung von tarifvertraglichen Regelungen, die Ausdehnung des Niedriglohnsektors („zweiter Arbeitsmarkt“), die Senkung der Lohnnebenkosten, drastische Kürzungen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und der Lohnersatzleistungen bei Erwerbslosigkeit und Fortbildung sowie bei der Sozialhilfe sind nur einige Stichworte aus dem Programm dieser Kreise.

Folge dieser Strategie ist die Senkung des Lebensstandards breiter Massen und damit die Schwächung der Binnennachfrage, was durch radikale Markteroberung auf der internationalen Ebene ausgeglichen werden soll. Die „Sicherung des Industriestandortes Deutschland“ heißt innenpolitisch Sozialabbau in bisher nicht gekanntem Ausmaß und wirtschaftspolitisch verstärkte Verdrängungspolitik.

Die bürgerlichen Strategen wissen natürlich, daß eine derartige Linie nur gegen Widerstand durchzusetzen ist. Aber sie halten nicht nur den Zeitpunkt für den „Umbau“ der „sozialen Marktwirtschaft“ und des „Sozialstaats“ gekommen – zumal die Schaufensterfunktion nach Osten weggefallen ist. Es ist auch der Druck des internationalen Wirtschaftskrieges, der sie bewegt, die Ausbeutungsbedingungen denen in Japan oder den USA anzugleichen.

Mehr auf Konfliktbegrenzung ausgerichtete Kräfte der Unternehmer sehen gemeinsam mit der SPD und der Gewerkschaftsbürokratie eher die gesamtgesellschaftlichen Gefahren einer solchen Strategie. Sie plädieren daher für eine Gestaltung des Strukturwandels derart, daß die BRD verstärkt auf Veredelung und Hochtechnologie setzt. Ihnen ist bewußt, daß sich der Kreis der Länder, die gleiche Waren mit gleicher Qualität zu niedrigeren Preisen anbieten als die imperialistischen Kernstaaten, stark ausgeweitet hat. Das ist Resultat der Verallgemeinerung der industriellen Serienfertigung (der „fordistischen Massenproduktion“) gepaart mit Niedriglöhnen (zum Beispiel in Südostasien).

Die Kampagne für die „Deregulierung“ der Bedingungen, unter denen die Ware Arbeitskraft verkauft wird, liefert die Begleitmusik für die strategischen Umwälzungen im Bereich der Produktion („schlanke Produktion“) und die Privatisierung staatlichen Eigentums bzw. die Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungsstrukturen („schlanker Staat“).

Die nach japanischem Vorbild organisierte „schlanke Produktion“ ist eine umfassende Verkettung von Rationalisierungsprozessen, die sowohl die Verhältnisse in den Konzernen als auch ihre Beziehungen zu der Zulieferindustrie neu organisiert. Betriebswirtschaftliches Ziel ist die Optimierung der Produktivität bei maximaler Reduzierung von Kosten und damit die Erhöhung der Profite auf Kosten der (Noch-) Beschäftigten mit dem „Nebeneffekt“ der Zerstörung aller Ansätze gewerkschaftlicher Gegenmacht im Betrieb.

Mit der Zerstückelung staatlicher Großunternehmen und der anstehenden Privatisierung ihrer profitabelsten Teilbereiche (etwa bei Bahn und Post), wird eine ideologisch und finanzpolitisch motivierte Entwicklung ermöglicht, die zu einem massiven weiteren Abbau von Arbeitsplätzen und öffentlichen Dienstleistungsangeboten in den Bereichen Kommunikation, Transport und Verkehr führen wird. Die Verschlechterung der Angebote wird durch eine zunehmende Verteuerung ergänzt.

Politisch flankiert wird der soziale und wirtschaftliche Abbau von einem bewußt forcierten Rechtsruck. Die faktische Abschaffung des Rechts auf politisches Asyl (Artikel 16 Grundgesetz) durch eine große Koalition 1993 war nicht nur der bisherige Höhepunkt des staatlich organisierten Rassismus gegen Flüchtlinge, die menschenverachtend als „Asylantenflut“ bezeichnet wurden. Dieser „Sieg“ über die Schwächsten im Land bereitete die dann folgenden verschärften Angriffe auf die Rechte und sozialen Standards von SozialhilfeempfängerInnen, Erwerbslosen, Frauen und abhängig Beschäftigten vor. Die Bonner Rechtsoffensive sieht weitere Grundgesetzänderungen vor (Militäreinsätze in aller Welt unter dem Vorwand der „Friedenssicherung“, Einschränkung bzw. Aufhebung demokratischer Rechte wie des Schutzes der Privatsphäre unter dem Vorwand der „Bekämpfung des organisierten Verbrechens“).

4. Keine Opposition? Zur Krise des Parlamentarismus.

Nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Herrschaftssystems in der DDR und der Grenzöffnung verstand es die Regierungskoalition in Bonn am besten, an den Stimmungsumschwung anzuknüpfen, der sich in der Wandlung der Parole „Wir sind das Volk!“ in „Wir sind ein Volk!“ ausdrückte. Illusionen in einen prosperierenden Kapitalismus, die durch die Kohl’schen Phrasen („Keinem wird es schlechter gehen, vielen besser!“) und dem Versprechen vom „Aufschwung Ost“ und „blühenden Landschaften“ verstärkt wurden, sind mittlerweile bei vielen in Ostdeutschland zerstört.

Die Regierungskoalition scheint fast am Ende ihres politischen Wegs angelangt zu sein. Als Rezept gegen drohende weitere Stimmenverluste am rechten Rand setzen CDU und CSU auf die noch schärfere Betonung nationalistischer, rassistischer und autoritärer Politikkonzepte. Nutznießer hiervon wird auch in Zukunft das rechtsextremistische und neofaschistische Spektrum sein.

Die rechtsextremen Parteien zählen derzeit etwa 55000 Mitglieder. Ihre politische Resonanz bei Wahlen ist jedoch sehr viel größer. In der BRD sind ungefähr 10 Millionen Menschen bereit, rechtsextrem zu wählen (19% in West-, 12% in Ostdeutschland). 1994 wird zeigen, wie sich das rechtsextreme und faschistische Potential auf Wahlebene stabilisiert hat. Das braune Spektrum konnte erst dank der Förderung und Duldung durch die Regierungspolitik seine jetzige Stärke erreichen. Die Terrorkampagne der Neonazis wird von einem organisierten Kern von etwa 3000 getragen. Dazu kommen ungefähr doppelt so viele gewaltbereite Nazi-Skins und eine unbekannte Zahl unorganisierter Faschisten. Wie ein Flächenbrand hat sich ihre „Propaganda der Tat“ ausgebreitet. 10000 rechte Gewalttaten hat es wahrscheinlich allein 1992 gegeben.

Die parlamentarische Opposition der Bundesregierung verdient diesen Namen kaum. SPD und Bündnis ‚90/Die Grünen haben sich vollends der „sozialverträglichen“ bzw. „ökologischen“ Modernisierung des Kapitalismus verschrieben. Statt für eine alternative Politik zu kämpfen, beschränken sie sich auf das „Machbare“, das heißt eine nur noch graduell von der Regierung unterscheidbare Linie, und hoffen, in der einen oder anderen Form Nutznießer des Endes der Ära Kohl zu werden. Allerdings gerät das Modell „rot-grüner“ Koalitionen zunehmend unter den Druck der Staats- und Finanzkrise, die die SPD von der „Öko-Partei“ in Richtung traditionelle bürgerliche Parteien hat abrücken lassen.

Die Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts und der wirtschaftliche Absturz Ostdeutschlands haben es der PDS mit formell 130000 Mitgliedern erlaubt, ihren Masseneinfluß bei Wahlen im Osten zu halten oder auszubauen. Auf eine entsprechende Verankerung im Westen (derzeit 1200 Mitglieder) wird sie als typische „Ostpartei“ mit reformistischer Färbung allerdings auch in Zukunft vergeblich hoffen, selbst wenn sie in den bevorstehenden Wahlen weitere Stimmenzuwächse erzielt.

Der Niedergang der reformistischen, der radikalen und revolutionären Linken nach 1989 hat sich verlangsamt, ohne daß sich die Lage grundlegend verbessert hätte. Immer noch gibt es etwa 20000 organisierte radikale Linke und mindestens ebenso viele Aktive, die sich aber nicht organisatorisch gebunden fühlen. Als Folge ihrer Defensivsituation sind die Aufgabe politischer und organisatorischer Grundlagen auf der einen und die dogmatische und sektiererische Erstarrung auf der anderen Seite vorherrschend. Die dringend erforderliche Reorientierung auf ein gesellschaftlich wirksames, gemeinsames Handeln läßt weiter auf sich warten.

Das zahlenmäßig winzige deutsche Großbürgertum hat das parlamentarische System der BRD von Anfang an gemeinsam mit den westlichen Alliierten nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Ohne oder gar gegen die Zustimmung der Herrschenden ist auf rein parlamentarischer Ebene nichts Entscheidendes zu bewegen. Kennzeichnend für das politische System der BRD ist die starke Stellung der großen Parteien. Das faktische Monopol der etablierten Parteien beruht nicht auf der Aktivität ihrer Mitglieder, sondern auf der Kontrolle aller einflußreichen Positionen in Politik, Verwaltung, Justiz, Verbänden, öffentlichen Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Medien. Die Mitgliedschaft in den etablierten Parteien (etwa 2,3 Millionen Menschen, 4% der Wählerschaft) hat nur eine untergeordnete Bedeutung. Sie werden straff von oben gelenkt, und wer bis in die Führungsebene vordringen kann, der weiß, wem er verpflichtet ist. Faktisch wird die offizielle Politik durch eine streng hierarchische Kaste von etwa 100000 PolitikerInnen bestimmt. Ohne die staatlichen Milliardensubventionen wäre diese Politikmaschinerie nicht lebensfähig. Sie ist mit der Existenz des politischen Systems der BRD auf Gedeih und Verderb verknüpft.

Die Korruptheit und Verkommenheit eines wesentlichen Teils der politischen Kaste trägt zur Entpolitisierung und zur Abwendung von immer mehr Stimmberechtigten vom Wahlgeschehen bei. Die „Partei der NichtwählerInnen“ ist mittlerweile die stärkste der Parteien im Lande. Die Krise des Parlamentarismus ist unübersehbar, aber sie wird als Vehikel für eine weitere Rechtsdrift benutzt.

Schon vor über 70 Jahren nannte das Manifest des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale das Parlament eine „Fiktion der Volksvertretung“, in die das Kapital „Beauftragte niederen Grades“ entsende. „Alle ernsten Fragen werden außerhalb…entschieden.“ Darum sei „die wichtigste Kampfmethode… die Massenaktion“ und nicht die Wahl. Nicht zuletzt die parlamentarische Abwicklung der „Wiedervereinigung“ hat diese Erkenntnis bestätigt

Im Unterschied zur Arbeiterklasse ist sich die Bourgeoisie ihrer umfassenden Klasseninteressen sehr wohl bewußt. Über Verbände (BDI, DIHT usw.), die Industrie- und Handelskammern sowie die direkte und indirekte Einflußnahme auf Parteien, Regierungen und Behörden bringt sie ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen nachdrücklich zur Geltung. Über die ihrem finanziellen und politischem Einfluß unterworfenen Medien kontrollieren und bestimmen sie sehr weitgehend die „öffentliche“ Meinung. Sie finanzieren Parteien, bestechen Politiker und besetzen Schlüsselstellungen mit ihren „Vertrauenspersonen“. Ihr Einfluß ist somit gesichert.

5. Was wir wollen: Arbeit und Wohnung für alle, internationale Solidarität!

Die soziale Kluft in der BRD vertieft sich dramatisch. Von der „Zweidrittelgesellschaft“ geht die Entwicklung in Richtung einer zunehmend offener polarisierten Klassengesellschaft: Einem immer breiter, aber auch differenzierter werdenden Proletariat steht eine sich immer aggressiver bereichernde Klasse von Kapitaleignern gegenüber, deren unangefochtene Stellung an der Spitze der sozialen Pyramide von einer relativ großen „Mittelklasse“ (kleine Geschäftsleute, leitende Angestellte usw.) abgesichert wird.

Ihren deutlichsten Ausdruck findet die kapitalistische Krise in der größten Massenarbeitslosigkeit seit Bestehen der Bundesrepublik. Alle Vorschläge zur Gegenwehr müssen sich daran messen lassen, wie sie diesem Prozeß der sozialen Verelendung auf der einen und der ungehemmten Akkumulation von Reichtum auf der anderen Seite entgegen treten wollen.

Auf 2,4% der EinwohnerInnen entfällt etwa die eine Hälfte des gesamten Vermögens in der BRD, auf 97,6% die andere Hälfte. Auf nur 1,5% entfallen 75% des Produktivvermögens. Das ist der Kern der herrschenden Klasse. Die restlichen 25% gehören Handwerkern, Händlern und Freiberuflern.

Die Zahl der Millionäre wächst schnell. 1989 waren in den alten Bundesländern 106010 Menschen registriert, die mindestens für eine Million Mark Vermögenssteuer zahlen mußten. Das waren 20% mehr als 1986. 1985 kamen auf jeweils 100000 EinwohnerInnen 15 Millionäre, 1987 bereits 17.

Die Gewinne der Unternehmer stiegen seit 1982 etwa drei Mal so schnell wie die Einkommen der abhängig Beschäftigten. Zwischen 1980 und 1992 wuchsen die privaten Nettogewinne um 240 Milliarden auf 570 Milliarden DM an, das ist eine Steigerung um 137%. Die Unternehmen haben in diesen fetten Jahren das größte Geldvermögen angehäuft, das jemals in der Geschichte der Bundesrepublik registriert wurde. Schätzungen belaufen sich auf bis zu 1000 Milliarden Mark. Diese Riesensumme wird nicht im produktiven, sondern nur im spekulativen Bereich angelegt.

Die staatliche Umverteilung per Steuerpolitik flankiert diese gigantische Ausbeutung im privatwirtschaftlichen Sektor. Selbständige zahlen dank der Steuergesetzgebung 16,4% weniger direkte Steuern als Lohnabhängige mit gleichem Bruttoeinkommen. Die Durchschnittsbelastung des Bruttoeinkommens aus abhängiger Beschäftigung ist von 1990 bis 1994 (durch Lohnsteuer, Sozialversicherungen und indirekte Steuern) von etwa 40 auf 48% gestiegen – und ein Ende ist noch nich
t in Sicht.

Unternehmen hingegen können Möglichkeiten zur Steuerreduzierung voll ausschöpfen. Zum Beispiel zahlte die BASF 1985 noch von jeder Mark Gewinn 67 Pfennige Steuern. 1992 erhielt das Finanzamt nur noch 51 Pfennige.

Offiziell sind in der BRD derzeit 4,1 Millionen Menschen ohne Lohnarbeit. In Wirklichkeit sind bereits mehr als 6,6 Millionen ohne Arbeitsstelle – Tendenz weiter steigend.

Jeder Zehnte in der BRD lebt in Armut, wobei die Zahl der zeitweise von Armut Betroffenen weit größer ist. Die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen ist auf über 5 Millionen angestiegen. Sie hat sich seit Anfang der 80er Jahre mehr als verdoppelt. Ein Drittel der Armen sind Kinder. Eine Million Menschen ist obdachlos.

Das Leben im Kapitalismus wird von Prinzipien beherrscht, die die Entsolidarisierung und den Kampf der einzelnen Menschen gegeneinander fördern. Die allgegenwärtige Ellenbogenmentalität vertieft die wachsende soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Bis in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein wirkt der globale Konkurrenzkampf.

Gegen die auf Vernichtung ausgerichtete Konkurrenz und die soziale Ungleichheit vertreten wir den Standpunkt der sozialen Gleichheit und der internationalen Solidarität. Das sind keine hehren Prinzipien für eine ferne Zukunft, sondern kann und muß schon heute in Ansätzen wirksam werden.

Eine Alternative zur herrschenden Wirtschaftspolitik muß deshalb unserer Meinung nach auf folgenden vier Kernpunkten beruhen:

  • Schluß mit der Arbeitslosigkeit! Jedem Menschen seinen Arbeitsplatz. Der Ausschluß aus dem Arbeitsprozeß zerstört den Einzelnen, fügt aber auch der Gesellschaft Schaden zu. Jedem einen sinnvollen Arbeitsplatz zu geben, muß zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit werden. Das ist der allgemeine Ausgangspunkt einer alternativen Wirtschaftspolitik.
  • Vorrang für die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse! Stop dem Sozialabbau. Jemand, der medizinische Hilfe in Anspruch nimmt oder seinen Kindern eine gute Ausbildung zuteil werden lassen will, stellt für die Wirtschaft, so wie sie heute funktioniert, vor allem einen Kostenfaktor dar. Der Kauf eines neuen Autos hingegen steigert das Bruttosozialprodukt. Diese Logik muß aufgebrochen werden. Es müssen diejenigen Bedürfnisse Berücksichtigung finden, die sich nicht in kaufkräftiger Nachfrage ausdrücken.
  • Statt des betriebswirtschaftlichen Profits müssen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Kriterien in den Vordergrund gerückt werden! Jede bedeutsame wirtschaftliche Entscheidung muß auf ihre Folgen für Arbeitsplätze und Umwelt geprüft werden. Vor allem im Dienstleistungsbereich muß der Prozeß der Verdrängung von Menschen durch Maschinen gestoppt werden. Die Zahl der bäuerlichen Betriebe sollte stabil gehalten werden. Bei Investitionsentscheidungen müssen Umweltgesichtspunkte Vorrang haben. Das heißt natürlich, daß der Profit als zentrales Entscheidungskriterium des Kapitalismus in Frage gestellt wird und sich insbesondere die arbeitende Bevölkerung Einflußmöglichkeiten erkämpfen muß. Die wirtschaftliche Souveränität der Arbeitenden darf nicht den „Marktgesetzen“ unterworfen bleiben. Sie macht eine demokratisch kontrollierte, nichtbürokratische Planung erforderlich, die der entscheidende Hebel zur Vergesellschaftung der Investitionen und damit der zentralen Wirtschaftsbereiche ist.
  • Für internationale Zusammenarbeit und die Kooperation zwischen Nord und Süd! Sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch in Verbindung mit dem Osten und dem Süden müssen wir die gemeinsamen Interessen der arbeitenden Klasse herausstellen. Darin besteht die einzige Alternative zum „Immer weniger für immer mehr“ des Kapitalismus. Solange sich die Arbeiterinnen und Arbeiter der BRD nicht auf dem Lohn- und Sozialniveau ihrer KollegInnen in Südkorea und jene nicht auf dem Indonesiens befinden, ergeben sich immer Unterschiede in den Preisen der Ware Arbeitskraft. Wir müssen Wege finden, die der imperialistischen Organisierung der Weltwirtschaft im Sinne der internationalen Solidarität entgegen wirken.

Diese vier Grundsätze sind Teil einer gesellschaftlichen Alternative, die sich völlig vom früheren Ostblock unterscheiden. Es geht nicht um eine umfassende bürokratische Verstaatlichung der Wirtschaft, sondern um die Frage: Was bestimmt die ökonomischen Entscheidungen der Gesellschaft – der Profit oder ihre Bedürfnisse? Wir möchten letzteren zum Durchbruch verhelfen, was gleichbedeutend mit der Durchsetzung einer direkten Demokratie der ProduzentInnen ist und die Vorstellung einer Einparteiendiktatur oder von Gewerkschaften als politischem Transmissionsriemen einer herrschenden Partei ausschließt.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich (VW, Bergbau…) sagen wir, daß die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit finanziert und die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit geteilt werden muß. Der einzige positive Weg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besteht in der massiven Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Als erste Sofortforderung propagieren wir die 30-Stundenwoche für alle. Sie würde Millionen Arbeitsplätze schaffen. Wir setzen uns darüber hinaus für eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit ein, bis alle Arbeit haben. Wir wissen, daß dies eine grundlegende Veränderung der Kräfteverhältnisse in den Gewerkschaften für eine aktive und kämpferische Politik voraussetzt.

Natürlich muß die Erkämpfung der Vollbeschäftigung von einer Umorientierung der Produktion auf gesellschaftlich nützliche Arbeit begleitet sein. Wir denken hier an die Bereiche Aus- und Fortbildung, an das Gesundheitswesen, die Altenfürsorge, die Kinderbetreuung, den Ausbau umweltfreundlicher Verkehrssysteme und vor allem – als zweite Sofortforderung – die Förderung öffentlicher Wohnungsbauprogramme in Verbindung mit dem Recht auf angemessenen Wohnraum für alle. Die bürgerliche Politik (Mietrechtabbau und Wohnungsbauförderung für Bezieher sogenannter mittlerer und höherer Einkommen) verschärft die Wohnungsnot, anstatt sie zu bekämpfen. Wir treten für eine Wohnungspolitik ein, die sich gegen das Gesetz des Profits richtet und insbesondere die Festlegung von Höchstmieten sowie die Enteignung von leerstehendem Wohnraum und dessen Vermietung an Bedürftige anstrebt.

Darüber hinaus müssen wir die Umstellung der rein auf Mengenproduktion ausgerichteten Landwirtschaft angehen, die an ihren physischen (Erschöpfung der Böden, chemische Verseuchung ihrer Produkte) und ökonomischen Grenzen angelangt zu sein scheint. Ferner bedarf es der Konversion der Rüstungs-, der Auto- und der Chemieindustrie sowie zahlreicher anderer Bereiche, etwa der Werbebranche.

Schließlich bedarf es als dritter Sofortforderung der Durchsetzung einer ökonomischen Grundsicherung in Ge
stalt eines Mindestnettolohns, der in Anlehnung an gewerkschaftliche Berechnungen bei derzeit 2200 DM liegen müßte, sowie einer Sozialhilfe von 3/4 dieses Betrags.

Das Geld für die Umsetzung dieser Projekte ist da. Es muß allerdings gesellschaftlich verfügbar gemacht werden: durch die drastische Reduzierung der Militärausgaben (ca. 50 Milliarden DM pro Jahr), durch eine Steuerreform, die die Reichen und Superreichen wenigstens genauso zur Kasse bittet, wie „NormalverdienerInnen“ (ca. 200 Milliarden DM pro Jahr), durch eine Stundung der öffentlichen Schulden (die Banken schwimmen im Geld) und eine Umleitung der Finanzströme aus dem spekulativen in den produktiven Bereich. Es ist offensichtlich, daß nur eine Massenbewegung entsprechende Maßnahmen (z.B. die öffentliche Kontrolle der Kapitalbewegungen) durchsetzen kann. Aber wir wollen schon heute dazu beitragen, das Bewußtsein für diese Fragen und ihre Beantwortung zu schärfen.

6. Gemeinsam und solidarisch kämpfen! Gemeinsam organisieren! 

Eine nähere Betrachtung der Widersprüche des Kapitalismus in der BRD läßt bedrohliche Entwicklungstendenzen erkennen. Die Angriffe des Kapitals und der bürgerlichen Politik auf die Existenzbedingungen, die politischen Rechte und sozialen Errungenschaften der arbeitenden Klasse sind bisher ohne einheitliche Gegenwehr geblieben. In ihrem Windschatten haben vielmehr Rechtsextremismus und Faschismus massiv an Boden gewinnen können. Zur Schaffung einer einheitlichen Verteidigungsfront gegen die Offensive des Kapitals und die politische Rechtsentwicklung beizutragen, ist die zentrale politische Aufgabe. Wesentlich ist hierbei der Kampf gegen Rassismus, Frauenunterdrückung und alle anderen Arten von Diskriminierung (Antisemitismus, Unterdrückung von Schwulen und Lesben, Angriffe gegen behinderte Menschen usw.). Wir treten deshalb insbesondere ein für die politische, rechtliche und soziale Gleichstellung deutscher und nichtdeutscher Menschen und die völlige Gleichstellung der Geschlechter. Wir sind uns bewußt, daß dies keine kurzfristig lösbaren Fragen sind. Aber wenn wir heute nicht damit beginnen, werden die Chancen für eine grundlegende politische Wende immer schlechter.

Ziel der revolutionären SozialistInnen ist, das Vertrauen der Menschen in ihre eigene Kraft, das Bewußtsein, daß Millionen stärker sind als Millionäre, die Fähigkeit zur Kritik der herrschenden Verhältnisse und ihrer Ideologie sowie die Handlungsfähigkeit der Arbeiterbewegung im Bündnis mit den sozialen Bewegungen zu fördern. Deshalb kritisieren wir die „Realpolitik“, die Illusionen in den Parlamentarismus und jede Art von Stellvertreterpolitik schürt. Deshalb liegt der Schwerpunkt unserer Aktivitäten in den außerparlamentarischen Kämpfen. Nur hier kann die Kraft entstehen, die in der Lage ist, wirksame Gegenwehr zu organisieren.

Warten wir nicht auf bessere Zeiten!

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite