Ein Feindbild wird konstruiert
Rassismus gegen Araber und Muslime ist keine Begleiterscheinung von gesellschaftlichen Spannungen. Er ist eine zentrale Triebkraft, das die politische Elite Europas in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und darüber hinaus nutzt, um die Menschen zu spalten und von den tatsächlichen Herausforderungen des Klassenkampfs abzulenken und internationale Solidarität zu verhindern. Der antiarabische Rassismus hat den Antisemitismus in Europa nicht ersetzt, sondern seine Grundmechanismen für die neue Weltlage modernisiert.
An den Fundamenten der Rechtsentwicklung im 21. Jahrhundert steht eine brandgefährliche Erzählung: Araber und Muslime als Bedrohung, als „fremde“ Elemente, die sich nicht in die europäische Gesellschaft passen würden und sie zersetzt. Diese Erzählung ist kein Zufall; sie ist gewollt und wird von oben genährt – Hand in Hand mit den rechten Rändern unserer Gesellschaft.
Seit 2001: Eine neue Qualität des Rassismus
Der 11. September 2001 hat die Welt nachhaltig erschüttert. Die US-Regierung nutzte diesen Moment und startete den sogenannten „War on Terror“, einen Krieg, der nicht nur gegen die Menschen im Nahen Osten, sondern auch gegen die Freiheit und Solidarität bei uns geführt wird. Muslime und Araber wurden über Nacht zur Gefahr erklärt –in den USA, aber auch in Europa. Sicherheitsgesetze, Überwachung und Polizeikontrollen richteten sich panisch und menschenverachtend gegen muslimische Menschen und Gemeinschaften. Die islamfeindlichen Stereotypen, die in den Medien und der Politik verbreitet wurden, wurden in den Köpfen der Menschen gepflanzt, aus dem Grundrauschen wurde ein vermeintlich „objektiver“ Rassismus. Es folgte ein Jahrzehnt des wachsenden Misstrauens und der Vorurteile, die bis heute den rechten Diskurs bestimmen und antreiben.
2011: Hoffnung auf Wandeln und die Reaktion der Mächtigen
Im Jahr 2011 brachten der Arabische Frühling und die Proteste gegen autoritäre Regimes in Nordafrika und dem Nahen Osten für einen kurzen, aber bis heute bedeutsamen Moment von Hoffnung auf Veränderung. Menschen gingen auf die Straße, um Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Würde einzufordern. Die Mächtigen in Europa schauten zunächst vermeintlich wohlwollend zu, denn die Revolution schien unwahrscheinlich. Als die Menschen begannen, für demokratische Reformen und eine gerechtere Welt zu kämpfen, da wurde den Herrschenden klar, dass dieser Funke überspringen könnte. Sie schlugen zurück: Der Arabische Frühling wurde zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt, die Unterstützung demokratischer Bestrebungen wich der Angst vor der „Instabilität in der Region“. Wieder wurden arabische und muslimische Menschen zur Bedrohung stilisiert, die als „fremd“ und „problematisch“ galten. Flüchtende, die in Europa Schutz suchten, wurden von rechten und rechtsextremen Gruppen als „Invasoren“ dargestellt.
Große Teile der Spitze der Protestbewegungen wurden in linksliberal ausgerichteten NGOs integriert und so abgehalten sich eine selbstständige gesellschaftliche Basis aufzubauen – das ist ein eigene Thema, dem wir uns aber mehr widmen sollten: dieses Vorgehen ist heute eine der wichtigsten Methoden radikalen Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse die Spitzen zu nehmen.
Die „Flüchtlingskrise“ 2015: Wie eine Politik der Hoffnung zur Spaltung wurde
Angela Merkels Entscheidung, Menschen, die vor Krieg und Elend geflüchtet waren, 2015 aufzunehmen, wurde zunächst als „Willkommenskultur“ gefeiert, Liberale auf der ganzen Welt jubelten dem „deutschen Weg“ zu. Doch die Rechte griff diese Entscheidung auf, schürte Ängste und Vorurteile und vertiefte die politische Spaltung. Bürgerliche und rechtsextreme Gruppen verbreiteten das Narrativ der „Überfremdung“, der paranoide Anteil spricht bis heute von einer „Umvolkung“ und stellten den Zuzug von Geflüchteten als Bedrohung dar. In Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern verschoben sich die politischen Diskurse noch einmal weiter nach rechts. Hassverbrechen und rechtsextreme Anschläge – wie das Massaker in Hanau 2020 – sind das Resultat einer tiefen und gefährlichen Entwicklung, die immer weiter in die Mitte der Gesellschaft drängt.
Die AfD und andere rechte Kräfte bauen auf diese Vorurteile gezielt auf und verstärken sie, um ihre politischen Agenden voranzutreiben, ihre Macht auszubauen. Sie hetzen gegen Minderheiten, muslimische Gemeinschaften und arabische Menschen, nicht nur am rechten Rand, sondern mit einer Normalität und Akzeptanz der Politik, die tief beunruhigt. Anstatt sich den sozialen Missständen zu widmen, die durch Kriege, Armut, Wohnungsnot und Niedriglöhne verursacht werden, wird der Zorn mehr oder weniger geschickt auf die Schwächsten gelenkt. Eigentlich ist das Spiel leicht zu durchschauen: Es geht nicht nur um Vorurteile, es geht um gezielte politische Instrumentalisierung.
7. Oktober 2023: Geopolitische Konflikte und die Eskalation von Rassismus
Mit dem seit dem 7. Oktober eigeleiteten offenen Genozid in Palästina erleben wir wie schnell rechten Kräfte, im Bund mit der „rassistischen Mitte“ zupacken, wenn es um die Verbreitung von Ressentiments geht. So wenig der Terror Israels vorher skandalisiert wurde, so klar war das nun muslimische und arabische Gemeinschaften erneut ins Fadenkreuz genommen werden. Die Medien fokussierten sich verstärkt auf die „islamistische Gefahr“, Politiker instrumentalisierten die Situation, schüren Ängste und verstärken antimuslimischen Agenden. Arabische Aktivisten und Bewegungen, die Solidarität mit Palästina ausdrücken, werden seitdem in neuem Maße kriminalisiert, Überwachung und Repression verstärken sich. Diese Erhöhung des Drucks ist noch in vollem Gang und stellt die Solidarität vor neue Herausforderung.
Wir müssen uns darüber klar sein: der antiarabische Alltagsrassismus schüchtert viel breitere Kreise ein als die Aktive und Repräsentant:innen – schon jede humanistische Regung, ein Posting als Ausdruck Trauer, Wut und Hoffnungslosigkeit reicht um im Job und Freundeskreis unter Druck zu geraten. Dies wird auch von der breiten gesellschaftlichen Linken wahrgenommen, aber in seiner Wirkung noch immer unterschätzt. Man müsse sich ja nur „von der Hamas“ distanzieren, die in der nördlichen Welt zum Synonym für den Kampf gegen Israel geworden ist, aber das bitte klar, deutlich und immerzu, egal ob die eigene Familie gerade zum Opfer wurde etc. etc. . Man stelle sich vor, wenn jene die die Politik Israels in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen, immer dazu gezwungen würden sich von der IDF zu distanzieren, die ohne Zweifel einer Terrororganisation gleichkommt, oder von der Palästinensischen Autonomiebehörde, die mit ihnen kollaboriert.
Rassismus – Ein Werkzeug zur Aufrechterhaltung der Macht
Rassismus war nie ein isoliertes Phänomen. Er war und ist Werkzeug einer kapitalistischen Ordnung, die ihre eigene Macht und ihre Profite über das Wohl der Menschen stellt – der Normalzustand im Kapitalismus in der Krise. Die Spaltung ist die Norm, die nur durch organisierte Solidarität gebrochen werden kann.
Die politischen Eliten in Europa haben den antimuslimischen und antiarabischen Rassismus in ihre Agenden integriert, um von den eigentlichen Problemen abzulenken: sozialer Ungleichheit, Armut und einem System, das die Profite der Reichen schützt und die Arbeiter:innen immer weiter in die Enge treibt. Es ist eine der wesentlichen Methoden geworden die ein gesellschaftliches Bündnis von Arbeiter:innen und den vom Staat drangsalierten darin behindert sich gegen die Eliten zu verbünden, sondern sich stattdessen gegeneinander zu stellen. Solange es uns nicht gelingt dies zu überwinden, werden all unsere Bemühungen zum organisierten Widerstand gegen die Wand laufen. Das muss leider betont werden, weil es durch die in Deutschland manifestierte „Staaträson“ einen hohen Druck gibt sich dem Rassismus grundsätzlich anzupassen statt gegen ihn zu rebellieren, je näher Menschen am Staat und von ihm abhängig leben, arbeiten und wirken, desto stärker wirkt dieser Druck.
Dabei drängt sich der Vergleich zum gesellschaftlichen Antisemitismus der 1930er und 40er Jahre auf, die Einzigartigkeit des Holocaust ausgenommen: Damals wie heute wird ein „fremder Körper“ konstruiert, dem unterstellt wird, von außen zu kommen und die „westliche Kultur“ zu bedrohen. Der Unterschied liegt nur in der Zielgruppe: Muslime und Araber sind heute die neuen „Sündenböcke“, an denen die Ängste und die Wut der Bevölkerung abgeladen werden. Es ist ein gezieltes Spiel mit Vorurteilen, das die herrschende Klasse und ihre Rechten Ränder zur Sicherung ihrer Macht betreibt.
Die Antwort der Linken: Solidarität, Gerechtigkeit, Widerstand
Es ist unsere Pflicht, klar Stellung zu beziehen und uns gegen diesen Rassismus zu wehren – auf allen Ebenen, in jeder Stadt, in jedem Betrieb in jeder Beratung eines „wie weiter“. Wir müssen die Ursachen von Flucht und Migration benennen: imperialistische Machtstrukturen, wirtschaftliche Ausbeutung und die Folgen der Klimakatastrophe. Eine antirassistische Politik kann sich nicht nur auf die Symptome konzentrieren; sie muss die tiefen Wurzeln des Problems in der kapitalistischen Ordnung angreifen. Es braucht eine klare und entschlossene Solidarität mit den betroffenen Gemeinschaften, die nicht nur im Wahlkampf oder auf dem Papier steht, sondern in den Alltag übersetzt wird – durch Gewerkschaften, durch Nachbarschaftshilfen, durch jede Form der organisierten Solidarität. Die Zeiten werden härter und die Luft in den von staatlichen Töpfen oder Beziehungen immer dünner. Würde auch nur ein Bruchteil der angedachten Instrumente aus dem Vorstoß der Union und der Ampel „zum Schutz des jüdischen Lebens“ umgesetzt werden – viele die sich heute noch solidarisch zeigen würden diese noch einmal auf den Prüfstein stellen. Bei diesem Angriff geht es mitnichten um jüdisches Leben, wohl aber um die imperialistische Identitätspolitik der herrschenden Klasse.
Das System in Frage stellen, nicht die Opfer beschuldigen
Der antiarabische und antimuslimische Rassismus ist ein Grundpfeiler für die europäische Rechte und die kapitalistischen Eliten, die diesen Hass nutzen, um ihre eigenen Privilegien zu verteidigen. Es gilt diesen Mechanismus immerzu zu entlarven und zurückweisen. Es geht um das Schaffen einer gemeinsamen Front, die die Menschen zusammenbringt, statt sie gegeneinander aufzubringen. Die Rechte möchte eine „Festung Europa“ bauen – wir eine internationalistische Alternative, jenseits von Abschottung und Ausgrenzung.