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Innenpolitik

Angie und die Folgen: Zum CDU/CSU-Wahlprogramm

Von Walter W. | 01.09.2005

Die Formen bürgerlicher Herrschaft sind vielfältig. Sie reichen von der liberalen parlamentarischen Demokratie bis hin zur faschistischen Barbarei als ultima ratio der kapitalistischen Diktatur (Robert Havemann). Ebenso facettenreich ist der Neoliberalismus, der, einem Chamäleon gleich, beständig Form und Farbe wechselt. Eine Variante findet sich im CDU/CSU-Wahlprogramm wieder.

So konnte Tony Blair eine relativ moderate Wirtschaftspolitik z.B. mit Mindestlöhnen fahren, da die “Eiserne Lady” Thatcher das Terrain für die ungehinderte Ausbreitung der “Gesetze des Marktes” geschaffen hatte. Auf Schröder entfiel die undankbare Aufgabe, im Gefolge der deutschen Einheit und der damit verbundenen nationalistisch verbrämten sozialen Einschnitte einen brutalen wirtschaftsliberalen Kurs zu forcieren und rein machtpolitisch durchzusetzen. Das Spektrum des Neoliberalismus reicht vom konsensorientierten Kurs der “notwendigen Reformen” bis zur offenen Diktatur (frühere Militärdiktatur in Chile). Die gemeinsame Schnittmenge erkennt mensch dann, wenn sich Maggy Thatcher und Pinochet zur tea-time treffen.
Sozialer Kahlschlag
Die politische Option der Konservativen geht in bestimmten Punkten über “Rot”-Grün hinaus. Die Finanzierungsgrundlage für ihre Vorhaben ist eine zweiprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer, die naturgemäß die einkommensschwächeren Schichten härter trifft als die Reichen: Die Prämissen des Programms sind antisozial.
Erreicht werden soll eine Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Punkte auf 4,5 %. Der Spitzensteuersatz von 42%, den ohnehin niemand zahlt, soll auf 39 % gesenkt werden. Die Pendlerpauschale, die die Menschen aus den neuen Bundesländern besonders betrifft, soll abgesenkt bzw. abgeschafft werden. Verständlicherweise schweigt sich die CDU/CSU zur Vermögenssteuer aus.
Die Steuerfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit soll tendenziell auf dem Altar des neoliberalen Globalisierungswahns geopfert werden. Da werden sich die wahren Leistungsträger der Gesellschaft wie Krankenschwestern, AltenpflegerInnen, Feuerwehrleute, BusfahrerInnen usw. sicher freuen. Um alles zu realisieren, soll die Tarifautonomie aufgeweicht werden mit Zustimmung des Betriebsrates und zwei Dritteln der Belegschaft. Bei 7-8 Millionen Erwerbslosen und dem Zustand der deutschen Gewerkschaften ein durchaus realistisches Ziel.
Zum allerchristlichsten Weltbild passt es dann auch, dass Langzeitarbeitslose zwei Jahre 10% unter Tarif wirken dürfen und für einfache Arbeiten ein Kombi-Lohn angestrebt wird, der das Existenzminimum abdeckt. Stichwort: Leistung muss sich wieder lohnen! Diese angeblichen Notwendigkeiten werden mit den “Gesetzen des Marktes” begründet, als ob es sich um naturwissenschaftliche Gesetze wie das der Schwerkraft handelt. Es ist eine tagtägliche Aufgabe linker Klassenpolitik die “Kritik (dieser) Pseudonatur” (Helmut Dahmer) zu leisten.
Zwar ist Friederich Merz‘ Steuererklärung auf dem Bierdeckel vom Tisch, doch die Gesundheitsprämie ist in Merkels/Stoibers sozialpolitischem Tollhaus nur diskret aus dem Scheinwerferlicht entfernt worden. Wenn der Chef der Deutschen Bank und sein Fahrer den gleichen Krankenkassenbetrag bezahlen ist der Zenit der sozialen Gleichstellung erreicht! Die Einführung kapitalgedeckter Elemente in die Pflegeversicherung rundet das Bild ab. Fragt sich nur, wo bei Lohnabbau und -stagnation, einem wachsenden Niedriglohnsektor, Kombi-Löhnen und Ein-Euro-Jobs das Kapital herkommen soll. Die Geringverdienenden von heute sind die Verelendeten von morgen!
Seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre sprechen wir von Massenarbeitslosigkeit und die RepäsentantInnen der bürgerlichen Politik proklamieren ihre konsequente Bekämpfung. Die “Erfolge” sind hinlänglich bekannt. Eine bekannte Stereotype ist die Sicherheit der Rente, an die niemand mehr glaubt, für die es laut CDU/CSU – und Wolfgang Clement – aber ein Patentrezept gibt: die Lebensarbeitszeit muss verlängert, das Rentenalter soll angehoben werden. Das wird die jüngeren Arbeitslosen nicht in Euphorie verfallen lassen, denn ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewegen sich dann gegen null. Dieser kleine Überblick über einige der sozialpolitischen Vorstellungen der Konservativen verdeutlicht die Kahlschlagstrategie, die ohne die robuste Vorarbeit von Schröder, Clement, Fischer u.a. nicht möglich gewesen wäre.

Deutsche Leitkultur
Das Ganze geschieht unter der Fahne eines als Patriotismus kaschierten Nationalismus, eine Kröte, die weite Teile der Bevölkerung geschluckt haben. Mittlerweile muss ja nicht nur der Standort Deutschland verteidigt, sondern Deutschland muss “nach vorn” gebracht werden! Allen voran fährt das CDU/CSU-Flaggschiff mit Angela Merkel auf der Brücke und verteidigt die deutsche Leitkultur in christlich-bayrischer Ausprägung; Peter Struck vertritt unsere Interessen am Hindukusch; Renate Künast rät allen Deutschen zum Verzehr deutscher Äpfel und Kauf deutscher Autos! Ach ja, die “Fremdarbeiter”. Dafür haben wir ja Oskar! Die SPD befindet sich in einem desaströsen Zustand, FDP und GRÜNE stellen keine politisch hegemonialen Kräfte dar. Von daher wird die CDU/CSU mit ihrem Programm trotz aller aktueller Schwächen die Kraft sein, die versuchen wird, den von “Rot”-Grün eingeleiteten Systemwandel zum Ende zu bringen.  

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