Ampel kaputt – Neuwahlen
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Innenpolitik

Ampel kaputt – Neuwahlen

Von J.H. Wassermann | 08.11.2024

Die Bundesregierung, die sich selbst als „Fortschrittskoalition“ verkaufen wollte, ist gescheitert. Inhaltlich liegt der Bruch zwischen der FDP und SPD/Grüne in verschiedenen Vorstellungen darüber, wer die Aufrüstung bezahlen und wie die Industrie gefördert werden soll. Die Unterschiede liegen NICHT darin, DASS die Aufrüstung und die Industrieförderung von den abhängigen Beschäftigten und den in die Armut gedrängten  bezahlt werden sollen.

Sondern es ist die Angst der FDP vor dem Verlust der parlamentarischen Fleischtöpfe, wenn sie zur Splitterpartei wird. Die FDP hat keineswegs ein besonderes Programm zur strategischen Aufstellung Deutschlands – und das gilt auch für die anderen Parteien. Die FDP ist nur für die Bereicherung derjenigen, die sowieso schon zu viel haben. Sie vertritt nur allgemein ideologisch ein „Sparen“, Festhalten an der sogenannten „Schuldenbremse“, Förderung der sogenannten „Leistungsträger“ usw.

Sie hat  – wie die Unternehmerverbände  – kein bestimmtes Programm, um die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit der erfolgsverwöhnten Exportindustrie in Deutschland zu steigern. Das Papier von Lindner, an dem vorgeblich die Regierung geplatzt ist, ist nicht mehr als die Zusammenfassung der verschiedensten Kapitalistenträume nach noch ungehemmterer Bereicherung.

SPD

Die SPD möchte sich nun vor den Wahlen gerne ein soziales Mäntelchen umhängen. Ihre Vorschläge zur Entlastung der großen Mehrheit Steuerzahler/innen durch Erhöhung der Spitzensteuersätze sind aber von vorherein allzu dünn und durchsichtig, als dass die armutsgefährdeten RenterInnen, die Millionen prekäre  Beschäftigten und alle, die von Sozialleistungen abhängig sind, sich eine Verbesserung ihrer Lage dadurch versprechen könnten oder sollten. Und die SPD braucht noch  Zeit, um aus der Regierungshängematte in einen Wahlkampfmodus umzuschalten.

GRÜNE

Und die GRÜNEN sorgen sich um ihre mangelnde Zustimmung bei den Wählenden und wollen um jeden Preis ihre Pfründe sichern. Ihre besondere Ausrichtung, Deutschland als „grüne“ Industrienation im internationalen Wettbewerb zu positionieren, ist nach Ausbruch des Ukrainekrieges pulverisiert worden. Sowohl hinsichtlich ihrer ursprünglichen Gesinnung als Friedenspartei als vor allem wirtschaftlich durch das Rollback der fossilen Energiewirtschaft.

CDU/CSU und AfD – wer kann Rassismus besser?

Die CDU ihrerseits hat auch keine Alternative, außer ideologisch etwas stärker den Rassismus gegen die Geflüchteten zu fördern und an sogenannt „konservative“ Werte zu appellieren. Und dies erfolgt nur aus der Angst, noch mehr Boden an die AfD zu verlieren.

Allen gemeinsam ist, dass sie kein Rezept, kein Programm haben, wie der Staat mit der sich abzeichnenden Rezession in der Wirtschaft umgehen soll und wie es strukturell mit Wirtschaft und Gesellschaft weitergehen soll.

Was steht uns bevor?

Einig sind die Parteien, die bisher immer abwechselnd an der Regierung waren, darin, dass weiter aufgerüstet werden soll, dass „Verteidigung“ , also Rüstungsindustrie, auf Kosten von Sozialstaat gestärkt wird. Mehr oder wenig Einigkeit besteht auch darin, dass die Macht der Gewerkschaften und die sogenannte Mitbestimmung der Betriebsräte weiter ausgehöhlt werden soll.  Abzuwarten bleibt, ob auch die Infragestellung der sogenannten „Sozialpartnerschaft“ als Prinzip, wie es sich mit VW auf einer qualitativ neuen Ebene zeigt, weiter vorangetrieben wird.

Innenpolitisch bedeutsam wird auch der weitere Verlauf und das Ergebnis der Tarifindustrie in der Metall- und Elektroindustrie sein. Obwohl die Führung der IG Metall sich weder selbst so sieht oder sehen möchte, sie trägt eine große Verantwortung: Ob es zu einer nachhaltigen Niederlage für alle Lohnabhängigen in Deutschland kommt  mit einem negativen Einfluss auf das gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnis,  oder ob wenigstens ein Unentschieden erreicht werden kann.

Ohne Kompass und planlos in der Krise

Für die eigentlichen Herausforderungen, wie in einem sich verändernden globalen Umfeld Industrie in Deutschlandaus aus kapitalistischer Sicht  wieder wettbewerbsfähig wird,  und wie man geopolitisch eine gewisse Eigenständigkeit erreichen kann, dafür gibt es Absichtserklärungen und Papiere, aber keinen Plan.

Wenn man nicht weiß, was man tun soll, macht man eben weiter, mit dem was scheinbar Konsens ist, mit dem was man schon immer gemacht hat: Den Reichen nix wegnehmen und die anderen weiter schlecht behandeln.

Wirtschaftspolitisch könnte eine Bundesregierung –  innerhalb einer kapitalistischen Logik! – sich ja an den USA ein Vorbild nehmen und Milliarden in eine Modernisierung der Infrastruktur und der Förderung bestimmter – vermeintlich erfolgversprechender  – Produkte /Industrien investieren.

Nachdem aber nun China schneller, besser und billiger Elektromobilität im Individualverkehr auf den Weltmarkt wirft, herrscht Ratlosigkeit in Deutschlands Chef- und Regierungsetagen. Und in vier Jahren Halbleiter in Deutschland produzieren zu wollen ist auch nur ein Mosaiksteinchen und kein Plan.

Anhängsel der USA

Die Bundesregierung – vor und nach den Wahlen – wird den Völkermord an den Palästinenser:innen weiter beidhändig unterstützen. Nach außen bedeutet das fortgesetzte kriegswichtige Lieferung von Munition und Waffen an die israelische Regierung. Innenpolitisch wird die Verfolgung jeglicher noch so zaghafter Solidarität mit den PalästinenserInnen unter dem ideologisch verfälschten Label des „Kampfes gegen Antisemitismus“ verschärft und mit einer Zunahme des antiarabischen und antimuslimischen Rassismus einhergehen.

Die Haltung zum Krieg in Gaza und im Libanon und vielleicht auch im Krieg mit dem Iran wird in Deutschland durch die USA vorgegeben.

Die absehbare Übernahme der US-Regierung durch Trump und die ihn fördernden Gruppen hat den israelischen Premierminister Netanjahu bereits jetzt ermutigt, weiter auf Verschärfung von Vertreibung und Völkermord und auf Ausweitung des kriegerischen Konflikts zu setzen.

Mit Hinblick auf den Krieg in der Ukraine gilt auch hier, dass „deutsche“ Politik sich nach dem richten wird, was die USA vorgeben. Hier bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung in den USA wirklich durch schwächere oder ausbleibende militärische Unterstützung den Krieg beenden wird. Dann wird die ukrainische Regierung gezwungen werden, irgendeinen „Frieden“ mit Russland anzunehmen.

Selbst wenn es hierzu kommt, werden die USA und die NATO nicht aufgeben, Russland nachhaltig zu schwächen, wirtschaftlich weiter zu sanktionieren und Aufrüstung in allen NATO-Staaten massiv weiter zu verfolgen.

Der Konsens von CDU/SPD/GRÜNE/FDP in diesen Fragen ist ungebrochen.

Alles Gerede von „eigenständiger europäischer Politik“ und „deutschen Interessen“ ist bisher nicht viel mehr als Absichtserklärung. „Deutsche“ und „Europäische“ Weltpolitik bleibt vorerst Anhängsel der USA – die ihrerseits aber die – noch unbewaffnete – Konfrontation mit China  als ihr Hauptproblem vorantreibt.

Wer gewinnt bei Neuwahlen?

Ein möglicher Gewinner könnten die AfD sein. Angesichts der Planlosigkeit der Parteien und der Ängste vieler Menschen vor den verschiedenen Krisenfolgen wächst die Sehnsucht nach einfachen Antworten und vermeintlich „starken“  (Männern oder Frauen) und „entschiedenen“ und „neuen“ Lösungen. Das würde die faschistische Richtung  der AfD stärken und in der Gesellschaft  zu mehr Gewalt gegen Geflüchtete und rassistisch als Unerwünschte führen. Die anderen Parteien würden noch mehr Repression und Aushöhlung rechtsstaatlicher Normen vornehmen.

In jedem Fall werden Neuwahlen und dann eine andere Regierung eine weitere Rechtsentwicklung und Verschärfung von Unterdrückung von allem Abweichenden bedeuten.

DIE LINKE

Die LINKE  kämpft – mindestens auf Bundesebene – um ihr parlamentarisches Überleben. Haustürwahlkampf und Umwandlung in eine „Kümmererpartei“ „dicht an den Problemen der Menschen“ sollen das möglich machen.

 An den Haustüren wird aber auch nach den „großen“ Antworten gefragt werden. Wie soll es mit der Wirtschaft weitergehen? Wie kann der Lebensstandard gesichert werden?  Wie könnte – wenn überhaupt – die Integration von Geflüchteten denn aussehen? Wer soll das alles bezahlen? Wie soll der Krieg in der Ukraine beendet werden? Wie kann das Sterben im sogenannt Nahen Osten beendet werden? Wo ist der bessere Platz in einer Welt zunehmender Spannungen?

Und wenn die Antworten überzeugend wären, dann wird natürlich auch danach gefragt werden, wie das umgesetzt werden kann und soll.

Unabhängig davon, ob und wie diese Antworten ausfallen, unabhängig davon ob revolutionäre Marxist:innen das immer alles richtig und zielführend finden, wird die Bedeutung der LINKEN objektiv größer. Sie sind als Partei mit rund 60.000 Mitgliedern als einzige linke Kraft bundesweit bekannt und jedenfalls theoretisch aktionsfähig. Die LINKE steht gegen die vorherrschend Mehrheitsströmung von:

Bereicherung durch Ausbeutung, Spaltung durch Rassismus und  Zukunft als Militarisierung und Kriegsvorbereitung. Der Neuzugang an Mitgliedern zeigt, dass es Menschen gibt, die in Zeiten scheinbarer Hoffnungslosigkeit linke Perspektiven suchen.

Internationaler Klassenkampf

In einem sehr abstrakten, allgemeinen Blick auf die Ereignisse dieser Woche lässt sich sagen: Im weltweiten Ringen um die Zukunft haben die arbeitenden Klassen, die Ausgebeuteten und Unterdrückten, die Verfolgten und Diskriminierten und das Klima in dieser Woche schwere Schläge und Nachrichten hinnehmen müssen.

Wir wissen um die Unvermeidlichkeit, weiter dagegen aufzustehen und Widerstand zu organisieren, Solidarität aufzubauen und Selbstorganisation im Kampf um eigene Interessen zu fördern. Aber leichter geworden ist es gerade nicht.

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