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Länder

Afghanistan: Schattenkrieger und Bausoldaten

Von Harry Tuttle | 01.10.2003

Um die machtpolitische Position Deutschlands auszubauen, will die Bundesregierung in Afghanistan eine Führungsrolle übernehmen.

Um die machtpolitische Position Deutschlands auszubauen, will die Bundesregierung in Afghanistan eine Führungsrolle übernehmen.

Eigentlich sollte Peter Struck darüber reden, ob „unsere Jungs" in größerer Gefahr sind, wenn sie sich aus Kabul herauswagen, als er im „grünen Salon" des Fernsehsenders ntv zu Gast war. Der Verteidigungsminister zog es jedoch vor, gemeinsam mit dem Publikum das Lied „Es gibt nur einen Rudi Völler" zu grölen.

Um einen spontanen Anflug von Populismus handelte es sich wohl nicht, denn Struck und Völler haben ein gemeinsames Problem: Die erbärmlichen Leistungen ihrer Mannschaften werden kritisiert. Das wollen beide nicht mehr hinnehmen. Denn nach ihrer Ansicht braucht Deutschland keine Nörgler und Miesmacher, sondern Leute, die „unsere Jungs" ermutigen. Schließlich haben sie im vergangenen Jahr den zweiten Platz bei der Fußballweltmeisterschaft und bei militärischen Auslandseinsätzen belegt. Da können ihre Chefs ja wohl ein bisschen Lob und Dankbarkeit erwarten.
Think global
Ob die Nationalmannschaft die Vizeweltmeisterschaft besonderen spielerischen Leistungen verdankte, mag dahingestellt bleiben. Der Bundesregierung aber gebührt tatsächlich der zweifelhafte Ruhm, das schwerfällige Tempo der Militärpolitik Helmut Kohls beschleunigt zu haben. Kohl hatte allzu viel Rücksicht auf die konservative Militärbürokratie genommen, die sich im abwartenden Nichtstun des Kalten Krieges gemütlich eingerichtet hatte und Veränderungen scheute. Die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer mobilen, weltweit einsatzfähigen Truppe kam erst in Schwung, nachdem die „rot"-grüne Koalition 1998 die Regierung übernahm.

Kaum war diese Koalition ein halbes Jahr an der Macht, beteiligte sich Deutschland am Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Dann gelang es der Bundesregierung, den „Krieg gegen den Terror" für einen rasanten Ausbau der Militärpräsenz im Ausland zu nutzen und zugleich Deutschland als eigenständigen „global player" in der Weltpolitik zu positionieren, der sich auch einmal, wie in der Irak-Frage, gegen die US-Politik wendet.

Doch während Deutschland und die USA in der Nahostpolitik Konkurrenten sind, herrscht im Falle Afghanistans Einigkeit. Mit 450 Soldaten der Elitetruppe „Kommando Spezialkräfte" beteiligt sich die Bundeswehr seit fast zwei Jahren am Kampf gegen Taliban und al-Qaida. Mehr als diese schlichte Tatsache hat die Bundesregierung nie bekannt gegeben. Wie viele Menschen Strucks Schattenkrieger getötet haben, und ob sie selbst Verluste erlitten, scheint aber weder Parlament noch Medien zu interessieren.

Organisatorisch getrennt von der geheimen Kampftruppe operieren 1600 Soldaten im Rahmen der ISAF, der in Kabul stationierten internationalen Truppen. Weitere 250 sorgen im benachbarten Usbekistan für die Logistik und bauen einen Stützpunkt aus, der – auch hier hält sich die Regierung mit Informationen zurück – offenbar für eine dauerhafte Nutzung eingerichtet wird. Das ISAF-Kontingent möchte Struck nun um 250 bis 450 Soldaten aufstocken. Sie sollen im nordafghanischen Kunduz stationiert werden und zivile Hilfsprojekte sichern und selbst durchführen.
Riskanter Vorstoß
In Wahrheit ist der Einsatz ein Versuch festzustellen, wie die regionalen Machthaber auf Eingriffe in ihren Herrschaftsbereich reagieren werden (siehe S.18). Kunduz gehört zum Einflussbereich des Warlords Mohammed Fahim, der zugleich Verteidigungsminister in der Regierung Karzais ist. Solange sich die Bundeswehr nicht in die florierenden Drogengeschäfte und die lokalen Machtkämpfe einmischt, muss es nicht zu einer Konfrontation kommen. Allerdings könnten die Warlords versuchen, diese ersten Ansätze durch eine demonstrative Abschreckungstaktik zu torpedieren.

Dass Deutschland trotz der Risiken die Führungsrolle bei dem Versuch, Afghanistan zu kontrollieren, übernehmen will, dürfte nicht in erster Linie ein Versuch sein, die Beziehungen zu den USA nach dem Streit über den Irak wieder zu verbessern. Auch direkte ökonomische Interessen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Wenn Struck erklärt, Afghanistan sei „in jedem Fall der Schwerpunkt der deutschen Auslandseinsätze", geht es um den Ausbau der deutschen Machtposition.

Wer eine Führungsrolle anstrebt, muss auch auf schwierigem Terrain Initiative zeigen und Risiken übernehmen. Afghanistan eignet sich aber auch deshalb als „Schwerpunkt", weil sich hier die Verknüpfung von „ziviler Hilfe" und „verantwortungsvoller Militärpolitik", mit der sich Deutschland und die EU als Alternative zu den USA präsentieren wollen, propagandistisch besonders gut darstellen lässt.

Die Verzahnung ziviler Projekte mit militärischen Einsätzen gefährdet zwar die Hilfsorganisationen. Viele ihrer Vertreter kritisieren, dass ihre Mitarbeiter noch stärker gefährdet sind, wenn sie mit den nicht überall beliebten Interventionstruppen verwechselt werden können. Für Struck ist das eben jene Kritik, die er nicht mehr hören möchte. Dass deutsche Soldaten in „body bags" heimkehren, ist allerdings wesentlich wahrscheinlicher als dass die AfghanInnen bald „Es gibt nur einen Peter Struck" singen werden.

 

Die Kosten des Krieges
Die Prioritäten sind eindeutig: 65 der 87 Milliarden Dollar, die US-Präsident George W. Bush im kommenden Haushaltsjahr für die „Operationen" im Irak und in Afghanistan ausgeben will, fließen an das Pentagon. Der Unterhalt der 116.000 im Irak und 9500 in Afghanistan stationierten Soldaten ist nicht billig.

Auch die Prioritäten beim Wiederaufbau sind klar. Nur 800 Millionen der 21 Milliarden für diesen Zweck vorgesehenen Dollar fließen nach Afghanistan. Damit die soziale Unzufriedenheit im Irak nicht noch weiter wächst, sollen Strom- und Wasserversorgung mit knapp 10 Milliarden Dollar wieder hergestellt werden. Die US-Regierung sieht sich deshalb sogar gezwungen, das Gesundheitswesen mit 38 Dollar pro Kopf der Bevölkerung zu subventionieren. Im eigenen Land sind es nur 3,30 Dollar pro Kopf.

Selbst Vertreter der US-Regierung gestehen ein, dass die tatsächlichen Wiederaufbaukosten mindestens 50 bis 75 Milliarden Dollar betragen. Doch schon Bushs zusätzliches Kriegsbudget lässt das Haushaltsdefizit auf den Rekordwert von über einer halben Billion Dollar wachsen. Womit die US-Republikaner endgültig das Vorurteil widerlegt haben dürften, Konservative könnten besonders gut mit Geld umgehen.

 

 

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