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Länder

Afghanistan: Bezahlt wird nicht

Von Harry Tuttle | 01.10.2003

Zwei Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes herrschen in Afghanistan die Warlords – unterstützt von den kapitalistischen Staaten.

Zwei Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes herrschen in Afghanistan die Warlords – unterstützt von den kapitalistischen Staaten.

Wenn es um afghanische Flüchtlinge geht, ist der „internationalen Gemeinschaft" auch modernste Technologie nicht zu teuer. Stolz verkündet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf seiner Webseite, dass für aus Pakistan zurückkehrende Flüchtlinge „biometrische Erkennungssysteme" benutzt werden „um Betrug bei der Identifizierung zu verhindern."

Zwar haben nach Angaben des UNHCR nur 600 von mehr als einer Viertelmillion Flüchtlingen versucht, durch zweimalige Wiedereinreise ein paar Kilo Reis mehr zu ergattern. Aber Ordnung muss schließlich sein. Deshalb müssen alle Flüchtlinge ihre Iris fotografieren lassen, eine Methode, die noch zuverlässiger ist als ein Fingerabdruck. Die Altersgrenze für diese Prozedur wurde nun von zwölf auf sechs Jahre herabgesetzt.
Kontrolle statt Hilfe
Das UNHCR „sollte lieber die Lebensbedingungen in Afghanistan untersuchen, statt Flüchtlinge als Kriminelle zu betrachten", kommentierte Tony Bunyan von der Menschenrechtsorganisation Statewatch. Denn auch zwei Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Krieges kehren die Flüchtlinge nicht in ein sicheres Land zurück. Im Süden haben die Aktivitäten von Taliban- und al-Qaida-Kämpfern zugenommen.

Im Rest des Landes herrschen die Warlords, und selbst in Kabul, wo die internationalen Truppen der ISAF stationiert sind, kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen.

Schwieriger noch dürfte es für die Rückkehrer sein, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Von Wiederaufbau und wirtschaftlichem Aufschwung kann keine Rede sein. Dies ist zum Teil eine Folge des islamistischen Terrors, der seit einigen Monaten verstärkt auf Nichtregierungsorganisationen (NGO) zielt.

So wurden Anfang September vier Mitarbeiter der dänischen Hilfsorganisation DACAAR in der Provinz Ghazni, einer Taliban-Hochburg, ermordet, viele NGO haben ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen eingestellt oder reduziert.

Vor allem aber sind die westlichen Staaten zwar an einer Stabilisierung Afghanistans interessiert, doch bezahlen wollen sie dafür nicht. Schon die Hilfszusagen betrugen pro Kopf der Bevölkerung nur vier Prozent dessen, was nach dem Jugoslawien-Krieg für die KosovarInnen bereitgestellt wurde. Und nur zwei der 2001 bei einer Konferenz der „Geberländer" versprochenen fünf Milliarden Dollar sind nach Angaben Torek Faradis, des Wirtschaftsberaters Karzais, tatsächlich ausgezahlt worden; das Geld musste überwiegend für Nahrungsmittelhilfe ausgegeben werden. Die US-Hilfsorganisation CARE schätzt, dass Projekte im Wert von 192 Millionen Dollar fertig gestellt wurden, dies stelle „etwa ein Prozent des notwendigen Wiederaufbaus" dar.
Opium gegen das Volk
Doch selbst die Militärpolitik, bei der sich die westlichen Staaten gewöhnlich weniger geizig zeigen, ist zögerlich. Seit mehr als einem Jahr wird die Ausweitung des ISAF-Mandats über die Grenzen Kabuls hinaus debattiert. UN-Generalsekretär Kofi Annan, US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein deutscher Kollege Peter Struck sind sich einig über die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme. Geschehen ist aber bislang wenig.

Anfang August übernahm die NATO das Kommando über die ISAF. Nach ersten Erkundungsmissionen sollen nun kleinere Truppenkontingente in die Provinzen geschickt werden, ein Testlauf, der zeigen soll, ob die Warlords einen Eingriff in ihre bislang völlig unkontrollierte Machtausübung akzeptieren.

Zweifellos werden sie nach Mitteln suchen, ihre Herrschaft und ihre Profite zu sichern. Die Zahl ihrer Milizionäre wird auf 100.000 geschätzt. Da sie den größten Teil der 1,2 Milliarden Dollar aus dem Verkauf jener 3400 Tonnen Opium einstreichen, mit denen Afghanistan wieder den unter den Taliban erlangten Weltmarktanteil von etwa 75 Prozent erreicht hat, dürfte es ihnen an Waffen nicht mangeln. Um eigene Verluste zu minimieren, hatten sich die USA im Krieg gegen die Taliban mit den oppositionellen Warlords verbündet. Dass es sich überwiegend um Islamisten handelt, störte wenig. Nach der Vertreibung der Taliban machte man zwar mit Hamid Karzai einen respektablen Politiker zum nominellen Staatsoberhaupt. Doch ein Teil der Warlords wurde in die Regierung integriert, wo sie sich recht erfolgreich für die „Islamisierung" einsetzen. Selbst in Kabul wagt kaum eine Frau, ohne Burqah auf die Straße zu gehen. Andere Kriegsherren etablierten sich als Provinzfürsten in den von ihnen beherrschten Regionen.

Die Warlords gewähren zu lassen, würde Wiederaufbau und Stabilisierung unmöglich machen. Ihre Macht anzutasten, könnte das fragile Bündnis der Regierung sprengen, zu einem neuen Bürgerkrieg führen und die Warlords möglicherweise sogar in ein Bündnis mit Taliban und al-Qaida treiben. Unfähig, der afghanischen Bevölkerung eine Perspektive der Demokratisierung und des sozialen Fortschritts zu bieten, mussten die kapitalistischen Mächte sich mit Warlords und Islamisten verbünden. Diese Politik, die bereits in der Vergangenheit den islamistischen Terror begünstigt hat, wird auch Afghanistan keinen Frieden bringen.

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