TEILEN
Betrieb & Gewerkschaft

2016 keine tarifpolitische Wende in Sicht

Von Jakob Schäfer | 11.02.2016

Ein Blick auf das, was wir 2016 in den Tarifrunden erwarten können, erfordert zunächst eine Bilanzierung des abgelaufenen Jahres: Gewerkschaftspolitisch weist das Jahr 2015 eine sehr gemischte Bilanz auf. Sie reicht von der sehr schmerzlichen Niederlage im Poststreik über die Ritual-Tarifverhandlungen (also ohne eine nennenswerte Beteiligung der Betroffenen) bis zu den immerhin bedeutsamen Streiks der GDL.

Ein Blick auf das, was wir 2016 in den Tarifrunden erwarten können, erfordert zunächst eine Bilanzierung des abgelaufenen Jahres. Gewerkschaftspolitisch weist das Jahr 2015 eine sehr gemischte Bilanz auf. Sie reicht von der sehr schmerzlichen Niederlage im Poststreik über die Ritual-Tarifverhandlungen (also ohne eine nennenswerte Beteiligung der Betroffenen) bis zu den immerhin bedeutsamen Streiks der GDL.

Unter dem Strich hat sich letztes Jahr in den meisten Fällen der Reallohnverlust nicht fortgesetzt. Dies war aber nicht einer verbesserten Kampfkraft geschuldet, sondern dem ökonomischen Spielraum, vor allem aber der sehr niedrigen Inflationsrate. Von der Durchsetzung qualitativer Forderungen waren wir 2015 sehr weit entfernt, mit der bedingten Ausnahme der GDL-Tarifrunde. Dort wurde eine begrenzte Zahl von Neueinstellungen sowie eine Arbeitszeitverkürzung um 1 Stunde (ab 2018 auf dann 38 h/Woche) durchgesetzt.

So kommen wir zu folgendem Ergebnis: Die großen – und in der Vergangenheit tarifpolitisch maßgeblichen – Industriegewerkschaften IGM und IG BAU verlieren an Bedeutung. Auf keinen Fall gehen sie (gewerkschafts)politisch voran und wenn sie überhaupt „auffallen“, dann durch die zunehmende Geschwindigkeit geräuschloser Abschlüsse (also angepasst an die Politik der IG BCE).

Bei den Fachgewerkschaften GDL, UFO, Cockpit usw. herrscht zwar ganz bestimmt keine klassenkämpferische Einstellung vor. Vor allem ist ihnen der Gedanke einer gesamtgesellschaftlichen Gegenmachtposition (wie bei der IG Metall in den 1970er und 1980er Jahre) recht fremd. Aber sie erweisen sich doch zunehmend als wirkliche Gewerkschaften, die wenigstens für die unmittelbaren Belange ihrer Mitglieder auch mal in den Kampf gehen.

Gemischt ist die Bilanz vor allem bei ver.di. Der Abschluss bei der Post zeigt, dass auch hier im Vorstand letztlich das Standortdenken dominiert. Nur so ist zu erklären, wieso nicht von Anfang an im Paketdienst zum Streik aufgerufen wurde, sondern nur im Briefzustelldienst, wo liegen bleibende Sendungen einfach keine Lagerprobleme mit sich bringen und der Druck also nur über eine lange Zeit aufzubauen war. Dann aber, als es der Post unangenehm zu werden drohte, bot der ver.di-Vorstand von sich aus Verhandlungen an und schloss mit einem erbärmlichen Ergebnis ab.

Aber der Verlauf der Tarifrunde bei den Sozial- und Erziehungsdiensten zeigt auch: Hier gibt es in Teilen der Gewerkschaft eine Basis, die nicht alles mit sich machen lässt. So ist bei der 4. bundesweiten Streikdelegiertenversammlung in Fulda (8. August) ein Aufstand gegen den Vorstand gelungen, der das miserable Schlichtungsergebnis gutgeheißen hatte. Diese tarifpolitisch extrem wichtige Tagung blieb nicht ohne Wirkung. Der Vorstand war gezwungen, neu in die Verhandlungen einzutreten und später den leicht verbesserten Abschluss den Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen.

Der weitere Gang der Dinge zeigt aber auch die aktuellen Einflussgrenzen dieser mobilisierten Basis auf: Gegen die vom Vorstand vorgegebene miserable Streiktaktik nach der Sommerpause konnten sie sich nicht erfolgreich zur Wehr setzen. Die Aktiven an der Basis sind zu wenig vernetzt und haben zu wenige Verbindungen zu anderen Gewerkschaftsaktivist­Innen. So konnten auch auf dem Gewerkschaftstag keine Zeichen gesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund wäre es illusorisch, für 2016 mit einer positiven Wende zu rechnen. Dies würde sich nur dann als Möglichkeit entwickeln, wenn das Kapital oder die Regierung zu bewussten und als gravierend empfundenen Provokationen greifen würde. Schauen wir auf zwei Beispiele, die für 2016 durchaus symptomatisch werden könnten:

Beispiel real

Die Einzelhandelskette real ist letztes Jahr in die Verbandsmitgliedschaft OT (also ohne Tarifbindung) gewechselt. Damit ist die weitere Entwicklung von Löhnen und Gehältern offen. Sie sollen unter das Tarifniveau der Fläche gesenkt werden. Es gibt zwar weiterhin Nachwirkung bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, aber beim Abschluss eines Haustarifvertrages, wie real ihn anstrebt, werden diese natürlich auch sinken.

2013 waren vom Verband die Manteltarife gekündigt worden (dort sind geregelt Überstundenzuschläge, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld usw.). Jetzt tritt real in diesem Projekt des Aufkündigens von Tarifbindungen als Wellenbrecher an. Zwar haben noch vor Weihnachten die ersten Streiks bei real stattgefunden. (Den wirksamen Auftakt hatten die am 30.9. bundesweit stattgefundenen Kundgebungen mit faktischem Streik an einer Reihe von Standorten.) Aber leider sind die bisherigen Aktionen (weil zeitlich begrenzt und mit sehr unterschiedlicher Beteiligung) noch kein wirksames Druckmittel gegen die Konzernpläne. In vielen real-Filialen hoffen die Kolleg­Innen noch darauf, dass sich alles wieder einrenkt. Das wird es aber gewiss nicht, der Konflikt wird sich bis mindestens ins Frühjahr rein hinziehen und für den weiteren Abwehrkampf der insgesamt 3,1 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel von exemplarischer Bedeutung sein.

Deswegen wäre der Aufbau einer gewerkschaftsübergreifenden Solidaritätsfront so wichtig. Aber leider rühren sich die anderen DGB-Gewerkschaften überhaupt nicht. Auch ver.di tut recht wenig dafür. So wird dies eine sehr zähe Angelegenheit werden, ähnlich schwierig wie für die Beschäftigten bei Amazon, die es auf absehbare Zeit nicht aus eigener Kraft schaffen werden, den Konzern zur Annahme eines Einzelhandelstarifvertrags zu zwingen.

Beispiel IGM

Für die IG Metall-Tarifrunde ist das genaue Gegenteil zu erwarten. Keine Seite sucht den Konflikt, sodass sich folgender Verlauf abzeichnet: Die Vertrauenskörper werden bis 20./25. Januar über ihre Vorstellungen befinden. Ende Januar finden dann in den Bezirken die Funktionärskonferenzen statt und unmittelbar danach tagen die bezirklichen Tarifkommissionen. Am 2. Februar wird der Vorstand seine „Tarifempfehlung“ aussprechen (in Wirklichkeit ist dies dann schon eine enge Festlegung, was die Tarifkommissionen als Forderungsziel formulieren sollen), am 29. 2. entscheidet er offiziell über die Forderung. (Der Tarifvertrag für die 3,4 Mio. Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie läuft am 31. 3. aus; die Friedenspflicht endet am 28.4.)

Zurzeit zeichnet sich überhaupt nicht ab, dass qualitative Forderungen gestellt werden. In der letzten Tarifrunde war die Weigerung von Gesamtmetall, die Altersteilzeit fortzuführen, noch ein Mobilisierungsfaktor.

Das Bestreben der IGM, für alle Betriebe entlang der Wertschöpfungskette tarifpolitisch zuständig zu sein, ist nicht prinzipiell abzulehnen. Nur scheint die vorrangige Motivation darin zu liegen, durch die Ausdehnung des Organisationsbereichs neue Mitglieder zu gewinnen. Ob für diese dann der allgemeine IGM-Flächentarifvertrag gelten soll, scheint eher zweifelhaft, wie die ersten Beispiele (u. a. Rhenus) gezeigt haben. Auch wenn diese Kolleg­Innen beim Abschluss eines IGM-Haustarifvertrages besser stehen also zuvor, ist es nicht einzusehen, dass
hier – ähnlich wie bei den Leihkräften – wieder das Standortdenken obsiegt und niedrigere Entgelte als im Flächentarifvertrag vereinbart werden.

Eine große mobilisierende Wirkung wird die Frage der Wertschöpfungskette für die Gesamtorganisation aber so oder so nicht haben. Bleibt die Frage nach der Lohnforderung. Hier droht ein totaler Abgesang, und zwar mit dem Hinweis auf die niedrige Inflationsrate und die angeblich geringe Rate des Produktivitätsfortschritts. Wenn auf dieser Argumentationsgrundlage nur 3 oder 3,5 % Lohnerhöhung gefordert werden, dann ist abzusehen:

Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen aus den vergangenen Jahren werden die Kolleg­Innen eine Erhöhung von unter 2 % (auf 12 Monate gerechnet) erwarten. Es ist zu befürchten, dass zwar eventuell 3 % vereinbart werden, aber mit einer langen Laufzeit (z. B. 24 Monate). Und da es aller Voraussicht nach auch keine qualitativen Forderungen geben wird, wird die Mobilisierungsbereitschaft der Kolleg­Innen dieses Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit recht niedrig sein.

Es sei denn, Gesamtmetall entschließt sich zu einer Provokation. Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Hoffen wir, dass wenigstens die ÖD-Tarifrunde (Bund und Kommunen mit insgesamt 2,4 Mio. Beschäftigten) eine Chance für eine tarifpolitische Wende mit sich bringt. Nicht ganz geräuschlos könnte auch die Tarifrunde der GDL im Herbst werden. Zurzeit aber ist es noch zu früh, hier einen Kampf und damit eine Belebung der ansonsten so ruhigen Tariffronten zu erwarten.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite