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Geschichte und Philosophie

Zum Tode von Johannes Agnoli

Von joe hill | 01.07.2003

Am 04. Mai starb Johannes Agnoli im Alter von 77 Jahren. Er, der “Staatsfeind auf dem Lehrstuhl” an der FU Berlin, war einer der einflussreichsten marxistischen Theoretiker in der BRD.

Am 04. Mai starb Johannes Agnoli im Alter von 77 Jahren. Er, der “Staatsfeind auf dem Lehrstuhl” an der FU Berlin, war einer der einflussreichsten marxistischen Theoretiker in der BRD.

Agnoli starb in San Quiricio di Moriano in der Toskana, wohin er nach seiner Emeritierung von der Lehrtätigkeit gezogen war – nicht um sich von der Welt zurückzuziehen, sondern um weiterhin radikale Gesellschaftskritik zu leisten und auch als Ausdruck seiner Nähe zur italienischen radikalen Linken.

Die Transformation der Demokratie, sein bekanntestes, 1968 gemeinsam mit Peter Brückner verfasstes Werk, prägte die Staatsanalyse von Teilen der hiesigen Linken, von Linkssozialistinnen bis Autonomen der nachfolgenden Jahre. Dort wie in anderen Büchern und Texten analysierte Agnoli zumeist scharfsinnig die dem bürgerlich-parlamentarischen Staat innewohnenden Tendenzen zu autoritären Formen hin zum starken Staat. Die bürgerliche Demokratie wandele sich im Spätkapitalismus zur bloßen Hülse kapitalistischer Macht, welchem es gelungen sei, sich der Bevölkerung als neutrale, über den Klassen stehende Instanz darzustellen und erfolgreich die Rolle einer zwischen den unvereinbaren Interessen stehenden Instanz vorzugaukeln. Mitverantwortlich für diese Tendenz war dabei die Sozialdemokratie, welche mit ihrer Integration in die bürgerliche Gesellschaft zum Gelingen beitrug. Diese Transformation bürgerlicher Demokratie zur konfliktarmen pluralistisch maskierten Angelegenheit mache es auch für das Kapital in diesen Zeiten nicht notwendig, zum Ausweg des Faschismus zu greifen.

Von dieser Analyse abgeleitet prägt eine entschlossene Feindlichkeit dem bürgerlichen Staat gegenüber Agnolis Theorie. Anders als viele seiner einst linksradikalen professoralen KollegInnen setzte er auch nie auf den bürgerlichen Staat als Heilmittel gegen die neoliberale Politik des Kapitals. Der bürgerliche Staat sei an sich ein Übel, das überwunden werden muss.
Eingriffe in Debatten und Auseinandersetzungen
Agnolis Aktivitäten blieben nicht auf die Produktion theoretischer Texte und Analysen beschränkt. So engagierte er sich Mitte der 1970er Jahre in der Diskussion über die Gründung einer sozialistischen Partei links von der SPD. Dabei zeichnete sich Agnoli durch eine in späteren Jahren zunehmende Skepsis gegenüber der parteiförmigen Organisierung der ArbeiterInnen aus, ein Ansatz, der sich später zur Organisationsfeindlichkeit ausweitete und stark von den autonomen Klassenkämpfen der 1960er/70er Jahre Italiens beeinflusst war.

1977 gab er gemeinsam mit anderen ProfessorInnen den verbotenen Buback-Nachruf des "Mescalero" heraus und wurde dafür wegen "Verunglimpfung des Staates" vom Landgericht Berlin angeklagt, ein Delikt, welches sich letztendlich durch Agnolis theoretische Arbeit zieht. In seiner Verteidigungsrede kritisierte Agnoli vor Gericht die vorherrschende Staatsauffassung in der BRD; nämlich das der Staat als der Kritik enthobenes Wesen angesehen wird, kritische Stimmen aber in die Gefahr der Kriminalisierung kommen. Ohne hier eine Gleichsetzung vorzunehmen, zog Agnoli hier ein Vergleich zum faschistischen Staatsverständnis, das den Staat als Selbstzweck proklamiert, der Gefahr eines Abgleiten in ein faschistisches System werde, gerade in Zeiten
"inneren und äußeren Notstandes", wie damals in den Zeiten der RAF-Hysterie Vorschub geleistet. Einer der Verteidiger in diesem Verfahren (welches mit einem Freispruch endete) hieß übrigens Otto Schily, dessen Aussagen heute sehr gut mit Agnolis Thesen analysiert und kritisiert werden können.

1980 trafen sich Johannes Agnoli und Ernest Mandel und führten eine Diskussion, die unter dem Titel "Offener Marxismus. Ein Gespräch über Dogmen, Orthodoxie, und die Häresie der Realität veröffentlicht wurde". Bei allen politischen Differenzen, so in der Frage der Rolle einer revolutionären Partei, welche Agnoli gegenüber Mandel als wenig vorantreibend einschätzte, waren sich beide Autoren in der unbedingten Hoffnung auf eine revolutionäre Veränderung und in das Vertrauen auf die Fähigkeit der Unterdrückten und Ausgebeuteten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, einig. Denn, so Agnoli und Mandel, stelle die Zukunft uns vor ein Dilemma: Entweder Kommunismus oder Unfreiheit.

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