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Kultur

Zum Tode Michael Jacksons

Von Tom Bogen | 01.07.2009

Der Bedarf an Religion ist in Klassengesellschaften schon immer groß gewesen. Und meist haben es die Herrschenden gut verstanden, diesen zu bedienen und für sich zu nutzen. Wenn in allen Zeitungen nun der Tod der „Pop-Ikone“ Michael Jackson beklagt wird, so steckt hinter dem Begriff mehr als eine bloße journalistische Paraphrase.

Der Bedarf an Religion ist in Klassengesellschaften schon immer groß gewesen. Und meist haben es die Herrschenden gut verstanden, diesen zu bedienen und für sich zu nutzen. Wenn in allen Zeitungen nun der Tod der „Pop-Ikone“ Michael Jackson beklagt wird, so steckt hinter dem Begriff mehr als eine bloße journalistische Paraphrase.

Ungewollt ist damit ein stilbildendes Merkmal des Musikers angesprochen, das über das umgangssprachliche Verständnis für eine bekannte Person in der Medienwelt hinausgeht.

Jacksons Vermarktungsstrategen versuchten, ihrem Produkt ikonenhafte Eigenschaften zu verleihen. Auf dem Höhepunkt seines Marktwertes gelang dies auch. In der christlichen, genauer der russisch-orthodoxen Kirche, dienen Ikonen der bildlichen Darstellung von Bibelszenen und Heiligen. Durch ihre überhöhte, symbolhafte Darstellung sollen sie eine Verbindung zwischen dem/der BetrachterIn und Gott schaffen.

Nun ist es nichts Ungewöhnliches, wenn die Marktstrateg­Innen der Musikindustrie es darauf anlegen, bei den Käufer­Innen des Produktes eine so hohe Identifikation herzustellen, dass es buchstäblich vergöttert wird. Im Falle von Michael Jackson gingen sie aber einen Schritt weiter und scheuten Vergleiche und Anspielungen mit der Figur Jesus Christus nicht. Dies stieß beim Publikum auf fruchtbaren Boden: Millionen verehrten ihn und millionenfach verkauften sich seine Platten. Ob dieses Konzept lediglich aus einer guten Idee oder aus der Not heraus entstanden ist, dem labilen und infantil wirkenden Jackson Bedeutungstiefe zu verleihen, wissen wir nicht. Jacksons öffentliche Auftritte muteten jedoch skurril an und wurden durch seine Plattenfirma als das Erscheinen eines kindlich-unschuldigen Wesens, das gegen die (von der bürgerlichen Presse anerkannten) Ungerechtigkeiten der Welt kämpfte, umgedeutet. Tatsächlich ging Jackson an letzterer zugrunde: Seine psychischen Problemen wurden immer offensichtlicher, manifestierten sich in seinem Gesicht und wirren Interviews. Mitte der 1990er Jahren fand das größenwahnsinnige Marketingkonzept mit dem Album „HIStory“ ihren Höhepunkt. Überall in der Welt wurden neun Meter hohe Statuen von Jackson aufgestellt. Die Werbekampagne kostete 40 Millionen Dollar. Das Bild eines für die Menschheit leidenden, vergötternswerten Jacksons war perfekt und spiegelte sich in vielen Liedern des Albums wie „You are not allone“, „Earth song“ und „They Don’t Care About Us“ wider. So mutierte Michael Jackson medial zum modernen Jesus Christus und er glaubte zum Schluss wohl selbst an seine Mission. Immer wieder beendete er Gespräche mit der Formel „I love you all“, das zu sehr an „Jesus loves you“ erinnert. Mit diesem Habitus befriedigte er bei Millionen von Fans überall in der Welt das Bedürfnis nach einer säkularisierten Religion. Ein hochprofitables Geschäft.
Jackson litt wie Jesus
Biografisch wurde diese Inszenierung weiter getrieben und die Rezensionen nach Jacksons Tod über dessen Leben nähren diesen Mythos. Als Kinderstar aufgewachsen ohne behütete Jugend, von seinem brutalen Vater auf Erfolg gedrillt, läuft alles auf eines hinaus: Sein Leben war Leiden, mit dem selbstlosen Zweck, das Publikum mit seiner Musik zu erfreuen. Ironischerweise lässt sich sogar seine Todesursache so interpretieren. An diesem Punkt trifft sich allerdings die christliche Selbstaufopferung mit der Realität kapitalistischer Verwertung. Der völlig kranke, psychisch zerstörte und dauerentkräftete Jackson stirbt bei dem Versuch, ihn mit der breiten Palette moderner Pharmaprodukte hochzupäppeln, damit er den geplanten Konzertmarathon überhaupt physisch durchstehen kann. Er soll sein Publikum von langweiliger Lohnarbeit befreien und seinem Musiklabel finanzielle Erlösung verschaffen.

Jackson besingt in seinen Liedern eine Welt, die frei ist von Umweltzerstörung, Rassismus, Krieg und Vereinzelung. Eine solche Gesellschaft kann keine kapitalistische sein. Ist sie erkämpft, wird es in ihr auch kein Geschäftemachen mit den Hoffnungen anderer, keine Ausbeutung von Menschen bis zu ihrer psychischen Maximalbelastung geben. So wie es jenen heutzutage ergeht – die mit bekannten Namen genauso wie die Milliarden mit unbekanntem.

Im neuen Testament reicht das Wirken Christi bis nach dessen Tod. Und so wird Michael Jackson definitiv seine Wiederauferstehung feiern. In den Kellern seiner Wohnung werden sich die einen oder anderen unveröffentlichten Songs finden. Der postmortale Ausverkauf der Ikone wird ebenso unausweichlich wie gewinnbringend sein. Am Ende wird Michael Joseph Jackson in die Geschichte nicht als bemitleidenswertes Kunst-Geschöpf eingehen, der als Mensch Opfer der Musikindustrie wurde und an seinem eigenen Ruhm zerbrach, sondern als Genie auf dem Gebiet der seichten Popmusik. Nicht mehr und nicht weniger.

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