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Betrieb & Gewerkschaft

„Wir sind es wert!“ – Streik im Erziehungs-und Sozialdienst

Von Larissa R. | 14.10.2015

Mit Slogans wie „Aufwertung jetzt!“ und „Wir sind es wert!“ streikten im Frühsommer tausende im Sozial- und Erziehungsdienst Beschäftigte vier Wochen lang für eine Aufwertung ihres Berufes und eine höhere Eingruppierung. Mitte Oktober soll es weitergehen.

Nachdem die Verhandlungen mit dem Verband kommunaler Arbeitgeber (VKA) auch nach mehreren Verhandlungsrunden und etlichen Warnstreiktagen kein Ergebnis gebracht hatten, riefen GEW und Ver.di schließlich ab dem 8. Mai zu einem Durchsetzungsstreik auf.

Erzieherinnen und Erzieher in Kitas, Horten und Kinderheimen, Sozialarbeiter­Innen und Sozialpädagog­Innen in Jugendzentren, in der Schulsozialarbeit, im allgemeinen Sozialdienst und im Jugendamt, Heilpädagog­Innen, KinderpflegerInnen, Beschäftigte in Einrichtungen der Behindertenhilfe, etc.: Ca. 20 000 Beschäftigte in der ganzen Rebublik folgten diesem Aufruf an diesem ersten Streiktag am 8.Mai. Am 11. Mai waren es schon 40 000.

Nach dem großen Streik von 2009, als ErzieherInnen und SozialpädagogInnen sich erstmals massenhaft und gut organisiert für die Anerkennung und Besserstellung ihrer typischen „Frauenberufe“ einsetzten, konnte jetzt auf die damals gemachten Erfahrungen aufgebaut werden.

Geänderte Streiktaktik

So wurde im Gegensatz zu dem Streik 2009, als tageweise ge­streikt wurde, diesmal 4 Wochen lang am Stück gestreikt. Der Druck auf die Arbeitgeber sollte so erhöht und die Streikenden sollten entlastet werden. 2009 war die Erfahrung der Kolleg­Innen, dass ein einzelner Streiktag einerseits nicht deutlich genug wahrgenommen wird und man andererseits selbst hinterher doppelt und dreifach arbeitet, um die liegengebliebene Arbeit schnell zu erledigen – zu aller Zufriedenheit natürlich. Jetzt – beim durchgehenden Streik – waren die Arbeitgeber mancherorts gezwungen, sich Notlösungen zu überlegen und mit der Gewerkschaft Notvereinbarungen zu treffen. Notvereinbarungen betrafen z. B. Notgruppen in Kindergärten für von Entlassung bedrohte Eltern oder die Sicherstellung des Kindeswohls bei Jugendamt und Allgemeinem Sozialdienst.

Trotz großer Motivation und trotz gutem Organisationsgrad zumindest bei den Erzieher­Innen (in manchen Einrichtungen 100 % der Belegschaft – der Sozialdienst konnte dies wieder nicht erreichen) war ein durchgehender, lang andauernder Streik für alle eine neue Erfahrung mit neuen Her­ausforderungen: Wie stellt man die Kommunikation mit den Mitstreikenden sicher? Wie zu den Kollegen und Kolleginnen, die an der Arbeitsstelle geblieben sind? Wie geht man mit Anfeindungen von Eltern, aber auch von Kollegen und Kolleginnen um? Wie schafft man es, mit dem Streik in den Medien präsent zu bleiben?

Eine Vielzahl von Ideen wurden bei den regelmäßigen Versammlungen eingebracht. Es fanden klassischen Demonstrationszüge nach der allmorgendlichen Streik­erfassung statt. Es gab dezentrale, fantasievolle Aktionen der einzelnen Bereiche. Man ging gemeinsam zu Einrichtungen, die sich nicht am Streik beteiligten, um sie aufzufordern, doch mitzumachen (leider nicht immer mit Erfolg). In München gab es eine Menschenkette ums Rathaus.

Wichtig war auch, Gelegenheiten für Solidarität von Eltern, nicht streikenden Kolleg­Innen, Freund­Innen und BürgerInnn zu schaffen, z. B. durch Kundgebungen, die abends stattfanden. Interessanterweise nahm die Beteiligung am Streik mit der Dauer des Streiks eher zu – immer mehr KollegInnen entschlossen sich doch noch, mitzumachen.

Im Großen und Ganzen fand der Arbeitskampf diesmal in einer gesellschaftlich eher positiven Atmosphäre statt – auch wenn die Kommunen immer wieder betonten, sie könnten sich eine bessere Bezahlung von Erzieher­Innen einfach nicht leisten. Der Kita-Ausbau, die Bedeutung von und Herausforderung bei frühkindlicher Erziehung, der Fachkräftemangel und das Unverständnis, warum Geld für die Bankenrettung da sein soll, für die gute Betreuung der Kinder jedoch nicht, trugen hierzu bei.

Streikpause

Trotzdem blieben die Tarifverhandlungen auch nach vierwöchigem Dauerstreik und trotz verhältnismäßig großer Beteiligung weiterhin ohne Ergebnis, so dass es schließlich zur Schlichtung kam. Das Schlichtungsergebnis war dann eine herbe Enttäuschung – es sah de facto keine Verbesserungen vor. Dementsprechend lehnten bei der folgenden Mitgliederbefragung 69,13 Prozent das Schlichtungsergebnis ab. Seit dem 13.8. gilt die Schlichtung als gescheitert.

Da während der Schlichtung Friedenspflicht herrscht und nicht mehr gestreikt werden darf, war die Rückkehr an den Arbeitsplatz ein heikles Thema. Wie umgehen mit dem Berg an Arbeit, der liegen geblieben war? Wie umgehen mit Kolleg­Innen, die für einen mitarbeiten mussten und die jetzt sauer waren?

Wichtig war hier der Zusammenhalt der Streikenden und die Diskussionen, die immer wieder zu den Themen geführt wurden. Auch „Argumentationshilfen“ wurden entwickelt und verteilt. An mancher Dienststelle wurde mensch aber auch bewundert für das große Engagement und Durchhaltevermögen, das mensch gezeigt hatte.

Die Ablehnung des Schlichtungsergebnisses durch die Mitglieder ist ein klarer Auftrag an die Gewerkschaft: Der Kampf um Aufwertung, höhere Eingruppierung und somit bessere Bezahlung für deutschlandweit 240 000 Beschäftigte im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst soll weitergeführt werden! Inzwischen ist auch die 8. Verhandlungsrunde ohne Ergebnis geblieben. Ob allerdings das Engagement und die Kraft für einen weiteren großen Streik nach der langen Sommerpause noch ausreichen, um wirklich Verbesserungen durchzusetzen, wird sich zeigen. Ein richtiger Streik ist eben richtig anstrengend!

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