Wie wird die AFD geschlagen?

Die AfD ist der nur offensichtlichste Ausdruck einer Rechtsverschiebung der Gesellschaft. Foto: Chris Grodotzki/Campact, CC BY-NC 2.0

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Gegen die erstarkte Rechte kämpfen

Wie wird die AFD geschlagen?

Von Jakob Schäfer | 17.11.2017

Nicht ohne Absicht soll mit der Formulierung dieses Titels an den berühmten Aufsatz von Leo Trotzki angeknüpft werden[1], denn die Entwicklung der AfD geht zunehmend nach rechts. Ungeachtet diplomatisch verpackten Auftretens (etwa bei Pressekonferenzen oder im Bundestag) haben rechtsextreme und faschistoide Strömungen inzwischen die Oberhand und bilden ein Sammelbecken für einen nicht unerheblichen Teil der ansonsten zersplitterten (und dennoch gut vernetzten) nationalistischen und offen faschistischen Rechten.

Es gilt, sich deshalb über folgende Fragen Klarheit zu verschaffen:

  • Wer sind die bestimmenden Kräfte in der AfD? Wohin entwickelt sie sich?
  • Wer folgt (zumindest wahlpolitisch) der AfD und was sind dabei die entscheidenden Motive?
  • Welches sind die gesellschaftlichen Hintergründe für diese Entwicklung?
  • Was ist alle dem entgegenzusetzen?

Verschiebungen in der AfD

In der AfD hat es vor allem im Verlauf der Jahre 2016/2017 eine deutliche Verschiebung nach rechts gegeben. Symptomatisch für den Erfolg rechtsnationaler und sogar faschistoider Kräfte ist der nicht erfolgte Ausschluss von Björn Höcke nach seiner Rede zum Holocaust-Mahnmal, mit der er junge Neonazis erfolgreich angesprochen und weiter eingebunden hat.

Auch seine sonstigen Auftritte dienen demselben Ziel, auch wenn sie in der Öffentlichkeit weniger bekannt geworden sind. Und: Er ist nicht der einzige Führungskader der AfD mit faschistoider oder offen faschistischer Gesinnung. Meuthen z. B. ist vorsichtiger in seiner Wortwahl, aber kaum weniger rechts.

Wir haben es also nicht nur mit Rassist*innen und Deutschnationalen à la Gauland zu tun, sondern mit der aktiven Beteiligung von bekannten (oder auch dem breiten Publikum noch nicht bekannten) Faschist*innen. Der Hintergrund, weshalb sich speziell in diesem Jahr (2017) die rechtsnationalen bis offen faschistischen Kreise so gut in Stellung bringen konnten (sie stellen die Mehrheit der AfD-Bundestagsabgeordneten!) hängt mit zwei Faktoren zusammen: Die faschistischen Kräfte sind seit Jahren gut vernetzt, nicht zuletzt, weil viele von ihnen aus der NPD kommen. Sie arbeiten sehr konzentriert an ihrem Durchmarsch. Und zweitens hält vor allem Gauland, die heute wichtigste Führungsfigur der AfD, seine schützende Hand über diese faschistoiden bis faschistischen Kreise (auch über die Gruppierungen „Der Flügel“ und „Patriotische Plattform“), weil er auf deren Organisationserfahrung setzt.

Wir haben es nicht nur mit Rassist*innen und Deutschnationalen zu tun, sondern mit der aktiven Beteiligung von bekannten Faschist*innen.

Allerdings hat sich die extreme Rechte im Vorstand der Bundestagsfraktion noch nicht entsprechend ihrer numerischen Stärke durchsetzen können. Hier hat Gauland (der tatsächliche Chef) taktisch geschickt operiert. Die Einbindung von zwei Vertretern der bürgerlich konservativen Strömung in NRW (Hartwig, Fraktionsvize, und Espendriller (stellvertr. parl. Geschäftsführer) in die Fraktionsspitze dient dem Ziel, den Laden beisammenzuhalten.

Dennoch hat die Gesamtverschiebung der Partei nach rechts dazu geführt, dass ein Teil der „nur“ national-gesinnten Kräfte (gegen die EU, gegen Flüchtlinge) mit den Ergebnissen dieser Verschiebung ihre Schwierigkeiten hat. Bei ihnen ist zwar der Rassismus ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil ihres politischen Profils, aber sie können sich auch eine konservative, nationale Politik vorstellen, die nicht den Rassismus als Vehikel für faschistoide bis offen faschistische Hetze und Kampagnen nutzt (bis hin zur Anstachelung von oder Beteilung an Pogromen gegen Ausländer und Linke). So waren von ehedem 177 Landtagsmandaten Anfang Oktober noch 149 vorhanden. Ähnlich verhält es sich auf kommunaler Ebene.[2]

Wenn sich nun aufgrund dessen eine neue Formation halbwegs erfolgreich konstituieren sollte (etwa Petrys „Blaue“), dann wird damit aber weder die AfD nennenswert geschwächt, noch geraten damit die rassistischen Kreise in eine Krise. Im Gegenteil, das sehr breite rassistische Lager kann dann möglicherweise noch besser auf verschiedenen Klaviaturen spielen.

Denn die Rechte hat mit den für Rassismus anfälligen Menschen in unserer Gesellschaft seit Jahrzehnten eine sehr stabile Basis[3]. Gemeinsam ist all diesen Kräften, dass sie die Krise der Gesellschaft völkisch umdeuten (Gerd Wiegel).

Welche ist die Motivation haben AfD-Wähler*innen?

Vergleichbar zu den Entwicklungen in anderen Ländern (Frankreich, Niederlande, Österreich aus dem alten Kerneuropa, sowie in einer Reihe von Ländern außerhalb dieses Kerns: Ungarn, Polen, Tschechien …) sind auch bei uns die Motivationen der rechten Gefolgschaft recht eindeutig:

Deutschland wird als eine Insel des relativen Wohlstands gesehen, aber bedeutende Teile der Bevölkerung sehen sich bereits als abgehängt an oder haben zumindest ganz gravierende Abstiegsängste. Dass die Motivation, die AfD (oder andere rechte und rassistische Parteien) zu wählen vor allem in der sozialen Lage begründet ist, zeigen alle Wahlanalysen: Hohe Wahlanteile erzielt die AfD vor allem in Ostdeutschland (20% gegenüber 8,5% im Westen) und innerhalb der Großstädte vor allem in jenen Stadtbezirken, in denen prekär Beschäftigte, Erwerbslose und vor allem solche Menschen leben, die sich als abstiegsbedroht sehen.

Deutschland wird als eine Insel des relativen Wohlstands gesehen, aber bedeutende Teile der Bevölkerung sehen sich als abgehängt an.

Dies kombiniert sich allerdings nach wie vor mit schon vorhandenen (und geografisch unterschiedlich stark ausgeprägten) rassistischen Grundströmungen: So gib es besonders viele Stimmen für die AfD in Gebieten mit hohem Anteil an Russlanddeutschen[4], genauso wie in jenen Gegenden Ostdeutschlands (vor allem im östlichen Sachsen) wo die NPD schon lange eine intensive Agitation und Propaganda betreibt. In Regionen Bayerns und Baden-Württembergs, wo die AfD ebenfalls viele Stimmen bekam, ist die Kombination von Abstiegsängsten und massiv verbreiteter flüchtlingsfeindlicher Argumentation der etablierten Parteien und Massenmedien besonders wirksam geworden. Und warum sollten dann die „Wutbürger“ die Kopie (CSU) wählen, wenn das Original (AfD) sehr gute Chancen hat, die 5 %-Hürde zu überspringen? Die AfD argumentierte: „Wir setzen das um, was die anderen nur ankündigen, aber nicht wirklich tun.“

Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass mit dem Aufstieg der AfD und dem jetzt gewachsenen „Resonanzboden“ zunehmend Intellektuelle angezogen werden, die sonst keine politische Heimat hatten oder eher isoliert waren. In und um die Partei finden sich also nicht nur die Verlierer (die Abgestiegenen oder Abstiegsbedrohten) ein. Ein Ausdruck davon ist das Eindringen der AfD in die Hayek-Gesellschaft.[5]

Insgesamt zeichnet sich das politische Profil der typischen AfD-Wähler*innen folgendermaßen aus: Sie sind gegen das Establishment, gegen die etablierten Parteien, gegen political correctness, gegen die EU, gegen die Medien, gegen Ausländer, …

Und sie sind für eine autoritäre Politik, für „kurzen Prozess“, für völkisches Gedankengut, für den Nationalstaat …

Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass mit dem Aufstieg der AfD und dem jetzt gewachsenen „Resonanzboden“ zunehmend Intellektuelle angezogen werden, die sonst keine politische Heimat hatten oder eher isoliert waren.

Wenn die AfD durch Äußerungen bestimmter Führungspersönlichkeiten in die Schlagzeilen gerät, dann ist dies nur für die anderen Parteien (bzw. einen Großteil der Öffentlichkeit) ein Skandal. Für die Anhänger (auch für die Wähler*innen) der AfD gilt dann: Jetzt erst recht! Schimpfkanonaden helfen also überhaupt nicht weiter. Auch die Demaskierung der AfD in den diversen Kabarett-Sendungen bestätigt nur diejenigen in ihrer Haltung, die die AfD sowieso ablehnen. Andere werden damit gar nicht erreicht.

Und noch eins hat sich mit dem Aufstieg der AfD klar gezeigt: Im Gegensatz zu der lange gepflegten irrigen Meinung braucht es für einen solchen Aufstieg ganz und gar nicht eine „charismatische Persönlichkeit“. (Wenn sie eine hat, dann um so besser für sie.) Es braucht nur eine wahlpolitische glaubwürdige Alternative zu den etablierten Parteien, also eine Partei, die gute Chancen hat, in den Bundestag (bzw. die Landtage) zu kommen, damit diese sozial Bedrohten oder schon Abgestiegenen ‒ zusammen mit den beinharten Rassisten und Neonazis ‒ in ihrem Sinne „nützlich“ wählen können.

Und auch wenn bei vielen diese Haltung anfänglich nur als „Protestwahl“ begriffen wird, die Logik der damit geförderten und benutzten Argumentationsmuster führt auch zu einer ideologischen Anpassung dieser Wähler*innen an die weiter nach rechts driftende Partei.

Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) hat also Recht, wenn er festhält, dass solche Wahlsiege der rassistischen Rechten keine vorüberziehenden Gewitterwolken sind.

Zur Bewertung der Bundestagswahl 2017

Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag als drittstärkste Kraft werden einige Koordinaten im bundesdeutschen Politikbetrieb verschoben. Vor allem die medialen Möglichkeiten für die Hetze der rassistischen Rechten wurden damit erweitert (wozu nicht zuletzt die Staatsknete für den gesamten Apparat der AfD-Abgeordneten ganz erheblich beiträgt).

Aber auch der Wiedereinzug der FDP in den Bundestag ist Ausdruck einer Rechtsverschiebung auf der Ebene der Parteienlandschaft. Es sei daran erinnert, dass FDP und AfD vor allem wirtschafts- und sozialpolitisch sehr ähnliche und weitgehend wesensgleiche Ziele verfolgen. Die Bestrebung der AfD, die Rentenversicherung zu privatisieren knüpft an alte FDP-Losungen an. Und vergessen wir nicht, dass die FDP schon immer einen nationalkonservativen Flügel hatte (Erich Mende, Alexander von Stahl usw.).

Inwieweit der Ausgang der BTW eine allgemeine Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach rechts zur Folge haben wird, ist damit noch nicht ausgemacht, aber zweifellos geht mindestens die rassistische Rechte gestärkt aus diesen Wahlen hervor. Sie wird versuchen, in vielen Feldern rechte, rassistische und faschistoide Losungen noch publikumswirksamer zu verbreiten und so „gesellschaftsfähig“ zu machen, dass die AfD bei künftigen Wahlen noch einflussreicher wird. Dabei ist es unerheblich, ob die AfD sich spalten wird. Eventuelle Nachfolgeparteien können schätzungsweise auch bei getrenntem Marschieren das rechte Feld gut besetzten und noch weiter stärken.

Es sei daran erinnert, dass FDP und AfD vor allem wirtschafts- und sozialpolitisch sehr ähnliche und weitgehend wesensgleiche Ziele verfolgen.

Ob der AfD (oder den Spaltprodukten) dies gelingen wird und ob vor allem die Regierungspolitik noch mehr auf Kosten der unteren Schichten und der Ausgegrenzten umgesetzt wird, hängt ganz wesentlich von der Aktionsfähigkeit und der Überzeugungskraft der fortschrittlichen und vor allem der antikapitalistischen Kräfte ab. Von den bürgerlichen Parteien ist kein Umsteuern zu erwarten. Wenn von linker Seite ‒ im Wesentlichen von Seiten außerparlamentarisch wirkender Kräfte und Bewegungen ‒ dem Aufstieg der Rechten bundesweit nichts entgegengesetzt wird, kann dies nur zu noch heftigeren Angriffen auf die lohnabhängige Bevölkerung und vor allem auf die untersten Schichten und die Ausgegrenzten führen.

Denn: Auch Wochen nach der Bundestagswahl wird von den bürgerlichen Politikern wie auch von den Medien ausschließlich über das Bedürfnis diskutiert, die herrschende Politik besser zu vermitteln. An der Politik selbst oder gar an den grundlegenden Verhältnissen soll natürlich nichts geändert werden. Die neoliberale Politik steht nicht zur Disposition, und für die Christlichen geht es ausschließlich darum, einen Weg zu finden, die AfD (nach der Methode Franz-Josef Strauß) überflüssig zu machen, indem man mindestens einen Teil ihrer Losungen übernimmt.

Diese Parteien haben schließlich überhaupt kein Interesse daran, die wahren Gründe für die berechtigte Unzufriedenheit der Bevölkerung zu thematisieren, denn damit würden sie die Grundlagen und die Grundausrichtung ihrer eigenen Politik mindestens zur Debatte stellen, was ja ‒ gemäß dem TINA-Grundsatz ‒ auf keinen Fall geschehen soll.

Auch Wochen nach der Bundestagswahl wird von den bürgerlichen Politikern wie auch von den Medien ausschließlich über das Bedürfnis diskutiert, die herrschende Politik besser zu vermitteln.

Um die mit der Bundestagswahl geschaffenen Verhältnisse richtig einordnen zu können, gilt es vor allem, die gesellschaftlichen und politischen Ausgangsbedingungen zu erfassen, die die Situation der nächsten Jahre wesentlich bestimmen werden. Dazu sei an dieser Stelle zumindest Folgendes festgehalten:

Die bürgerliche, die herrschende Politik bestätigt und festigt ‒ zurzeit ohne bedeutsamen Widerstand ‒ die ökonomischen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte: Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, zunehmende Abstiegsängste bis in die Mittelschichten hinein, Umweltzerstörung usw. Dem steht keine Kraft gegenüber, die argumentativ und vor allem mit ausreichender Kampfkraft den Herrschenden genügend Hindernisse in den Weg legt. Diese Entwicklung zunehmender sozialer Unsicherheit ist vor allem in Ostdeutschland sehr gravierend (etwa bei der Erwerbslosigkeit, dem Lohngefälle, den Renten usw.).

Es ist viel weniger der öffentliche Diskurs, der viele Menschen zur Denkzettelwahl (Protestwahl) motiviert. Und selbst die konkrete Flüchtlingspolitik ist nicht die Ursache, sondern wird von den Rassisten nur als Aufhänger genutzt, um Scheinlösungen zu suggerieren (nach dem Motto „Grenzen zumachen, dann wird alles besser“). In der Folge führt dies aber sehr wohl zu einem Anwachsen rechter und faschistischer Strömungen und auch zu einem dramatischen Anstieg rassistischer Gewalt.

Die konkrete Flüchtlingspolitik ist nicht die Ursache, sondern wird von den Rassisten nur als Aufhänger genutzt, um Scheinlösungen zu suggerieren

Wenn rechte Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt, dann natürlich auch, weil der öffentliche Diskurs (vor allem von Seiten der CSU) den Rassist*innen und Faschist*innen indirekt (manchmal auch direkt) Recht gibt. Auch dies hat eine weitere Stärkung der Rechen zur Konsequenz, erst recht, wenn die AfD erläutert, dass sie das umsetzen werde, was die anderen nur versprechen oder nur halbherzig angehen. De Maizière, Seehofer und Konsorten waren die besten Wahlhelfer der AfD.

Eine völlige Ablenkung ist die Behauptung, die „schlecht verarbeitete Erfahrungen mit der DDR“ seien die Ursache dafür, dass grade in Ostdeutschland, rassistische Parolen und „Lösungsvorschläge“ so großen Anklang finden.

Nein, es sind die Schockerfahrungen bei der Abwicklung durch den Westen, als ihre Welt gegen die Wand gefahren wurde:  Arbeitslosigkeit, Privatisierung der Staatsaufgaben und des Gemeinschaftseigentums und der Infrastruktur, Liquidierung der bisherigen Sozialsysteme, zerbrochene Familien. Jeder dritte junge Erwerbstätige musste sich nach dem beispiellosen Raubzug des West-Kapitals als “Migrant” im Westen ‒ oft als Leiharbeiter/in ‒ durchschlagen. Autobahnen, Baumärkte und Tankstellen schaffen eben noch lange keine gesellschaftliche Integrität.

Wenn rechte Propaganda auf fruchtbaren Boden fällt, dann natürlich auch, weil der öffentliche Diskurs den Rassist*innen und Faschist*innen indirekt Recht gibt.

Wie sehr die politische Bewegung gegen rechts dieser Entwicklung etwas entgegensetzen kann, zeigen die Beispiele Münster, Köln, Bremen usw. Die Linke ist also diesen Prozessen nicht hilflos ausgeliefert und kann Widerstand entwickeln, auch wenn diese Beispiele noch nicht für eine ausreichende gesamtgesellschaftliche Gegenbewegung stehen. Eine klassenkämpferische Kraft, die auch der herrschenden Politik glaubhaft etwas entgegensetzen kann, muss erst noch entwickelt werden.

Da von den bürgerlichen Parteien ‒ von den Christlichen bis zu den Grünen ‒ keine Änderung in der Politik zu erwarten ist, kann ‒ wenn kein organisierter und politisch überzeugender Widerstand entsteht ‒ die Lage nur schlimmer werden.

Und auch wenn die AfD sich spalten sollte, wird dies kein Grund zur Freude sein. Der Druck von rechts (ob von einer AfD-Fraktion oder von zwei wesensähnlichen Fraktionen) wird in jedem Fall die Politik der nächsten Bundesregierung in vielen Bereichen eher nach rechts verschieben. Es sei denn, der Widerstand wächst, woran wir mit allen antikapitalistisch gesinnten Kräften gemeinsam arbeiten sollten. Es gilt, inhaltliche Vorschläge für ein Zusammengehen und die Bildung breiter Aktionseinheiten zu entwickeln. Diese werden dann wirksam werden, wenn es gelingt, eine Bewegung um wenige, aber gewichtige Kernforderungen herum aufzubauen.

Trotz der beachtlichen Verschiebungen in den Wahlresultaten und trotz aller Unruhe unter bürgerlichen Politikern und in den Medien: Im Grunde ist das Wahlergebnis eine Bestätigung der insgesamt recht stabilen politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Die Koalitionsverhandlungen mögen sich lange hinziehen, die SPD mag unter Druck geraten, doch mitzuregieren usw.: Letztlich ist die herrschende Politik bislang nicht herausgefordert, leider schon gar nicht von links.

Der Druck von rechts wird in jedem Fall die Politik der nächsten Bundesregierung in vielen Bereichen eher nach rechts verschieben.

Deswegen muss vom Kapital auf absehbare Zeit auch gar nicht die Karte der AfD gezogen werden. Es ist aber für die Herrschenden sehr nützlich, diese Karte in der Hinterhand zu haben, die AfD quasi auf einer Reserveposition zu halten. Schließlich liegen die historischen Zielsetzungen nicht weit auseinander. Aktuell allerdings entspricht die Rhetorik der AfD nicht der Strategie des Kapitals für die kommende Zeit, denn ein Abkoppeln von der EU (oder zumindest dem Euro) würde den Verwertungsinteressen der Exportindustrie wie des Handelskapitals völlig widersprechen. Für die Bewahrung des Euro werden heute nicht für umsonst Rettungsprogramme akzeptiert, (abgesehen davon, dass sie ja nur vom Steuerzahler zu zahlen sind und nicht vom Kapital). Sie machen in den bisherigen Umfängen in keiner Weise die hiesigen Verhältnisse unregierbar, im Gegenteil: Bislang verdient das Bankkapital sehr gut an diesen „Rettungspaketen“ und selbst der Staatshaushalt profitiert von der Kapitalbewegung infolge der Krisen in Südeuropa. (Nur vor diesem Hintergrund können deutsche Staatsanleihen mit Negativzinsen ausgegeben werden.)

Erst bei einer stark zugespitzten gesellschaftlichen Krise, wird die Bourgeoisie (ähnlich 1930-33) auf die Karte der AfD setzen und sie massiv fördern. Dazu wird sie dann auch in Kauf nehmen, dass mit einer AfD-Politik notfalls sogar der Isolationismus und der Ausstieg aus dem Euro zum Zug käme, der ja für das in Deutschland fungierende Kapital das Beste ist, was ihm passieren kann. Diesen Preis braucht das Kapital auf absehbare Zeit allerdings nicht zu zahlen. Es kommt der Bourgeoisie aber politisch sehr wohl zupass, dass mit dem Ausgang der Bundestagswahl, die politische Landschaft nach rechts verschoben wurde und z. B. Privatisierungsbestrebungen wieder genauso Auftrieb bekommen, wie eine sich verschärfende rassistische Spaltung der Klasse der Lohnabhängigen.

Was wir machen können

Vor diesen Hintergründen sollte uns klar sein, dass wir eine doppelte Aufgabe haben:

  1. Sowohl die Politik und Propaganda der AfD müssen kritisiert werden, als auch die herrschenden Verhältnisse, die die Propaganda der AfD auf fruchtbaren Boden fallen lassen.
  2. Wirksam und stark zurückgedrängt werden kann die AfD (bzw. die rassistische Rechte insgesamt) nur, wenn es gelingt, erfolgreiche Kämpfe zu führen. Dazu gehören Abwehrkämpfe gegen geplante Entlassungen genauso wie ein vorwärtsweisender Kampf für erträgliche Stellenbesetzungen, wie dies heute zumindest in Ansätzen bei den Krankenhäusern in der Auseinandersetzung um einen TV Entlastung geschieht. Ohne erfolgreiche Kämpfe bleibt alles andere weitgehend unwirksam. Aber ohne sorgfältige Argumentation und Entwicklung von zukunftsweisenden Perspektiven ist auch der Erfolg in einem gewonnenen Tageskampf nur eine sehr kurzlebige Angelegenheit.

Um beides zu befördern, muss sich die wirklich systemoppositionelle, die antikapitalistische Linke besser organisieren. Über folgende unmittelbare Aufgaben sollten wir eine breite Verständigung in antikapitalistischen, revolutionären Kreisen herzustellen versuchen:

  • Gemeinsame Einschätzung der Entwicklungsrichtung, die die AfD eingenommen hat, sowie der Gefahren, die sich daraus besonders für die am meisten Schutzbedürftigen (Flüchtlinge), aber auch für die soziale Lage und die demokratischen Rechte der Lohnabhängigen ergeben.
  • Aufbau einer bundesweiten Struktur, die mit allen zusammenarbeitet, die darin übereinstimmen, dass es darum geht, sich der rassistischen Rechten aktiv (auch mit Blockaden) entgegenzustellen. Der Aktionskonsens muss so klar definiert sein, dass Blockaden als legitim angesehen werden, aber niemand aus dem breiten Bündnis ausgegrenzt werden darf, der sich daran nicht beteiligen will.
  • Eine inhaltliche Rücksichtnahme auf bürgerliche Kräfte (etwa die SPD, wenn sie sich wieder anbiedern will) darf es nicht geben. Klare Grundlage muss sein, dass ein solches breites Aktionsbündnis nicht der Wahlkampfunterstützung (ganz gleich welcher Partei) dienen darf. (Dies war und ist bei dem Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ leider doch hin und wieder der Fall, was ihrer Breite recht schnell Abbruch tat.)
  • Die Organisierung von einschlägigen Kongressen kann nützlich sein. Wichtiger aber und letztlich entscheidend wird sein, ob es gelingt, örtlich verankerte, wirklich aktive Aktionsbündnisse zu schaffen, bzw. sie auszubauen, die sich als Teil einer bundesweiten Bewegung verstehen (wenn es geht mit gemeinsamem Namen, aber das ist eher zweitrangig).
  • Um ein Bündnis auf einer solchen Grundlage anzustoßen, könnte ein Aufruf dienen, den angesehene Persönlichkeiten der antifaschistischen, antikapitalistischen Linken herausgeben. Aber dies ist absolut keine Voraussetzung. Ein bundesweites Bündnis kann auch regional seinen Anfang nehmen und sich dann ausdehnen. Letztlich kommt es auf die überzeugende ‒ erfolgreiche! ‒ Arbeit vor Ort an, die beispielgebend ist, also regional und überregional ermutigt. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
  • Letzteres gilt für den antirassistischen Kampf, aber es gilt genauso für den Klassenkampf allgemein. Wenn es nicht gelingt, auch und gerade in den sozialen Kämpfen sich gegen Kabinett und Kapital zu behaupten, werden auch große antirassistische Mobilisierungen nur eine sehr begrenzte Wirkung haben. Diese Verbindung zu sehen und sich auch in den sozialen Kämpfen zu engagieren, ist das A und O, wenn es darum geht, die AfD zu schlagen.

 

Fußnoten

[1] „Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?“ (8.12. 1931) in Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, Bd. 1, S. 164 ff, Hgg. von Helmut Dahmer, Frankfurt (EVA) 1971; auch im Netz zu finden unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1931/12/schlagen.htm

[2] Mehr Details unter: https://andreaskemper.org/2017/09/26/afd-austritte-nach-der-btw-2017/

[3] Vergleiche dazu die Ergebnisse der Sinus-Studie von 1981. Mehr dazu in: die internationale theorie, Nr. 37: „Spaltungslinie Rassismus“. Zur Sinus-Studie „Rechtsextremismus“ von 1981 schreibt Wikipedia: „Befragt wurden 7.000 Wahlberechtigte. Die Sinus-Studie gab an, dass 13 oder mehr Prozent der westdeutschen Bevölkerung über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ verfügten. Etwa jeder zweite in dieser Gruppe befand auch Gewalt als ein probates Mittel, um dieses durchzusetzen. Weitere 37 Prozent seien zwar gegen Antisemitismus, Militarismus und Führerkult immun, aber seien dennoch empfänglich für „rechtsextreme Denkinhalte“. Insbesondere die Konservativen hätten rechtsradikales Gedankengut „salonfähig“ gemacht.“ Diese Ergebnisse sind seitdem bei anderen Untersuchungen immer wieder bestätigt worden.

[4] In Wiesbaden zeigt dies der Vergleich von Klarenthal mit dem Westend.

[5] Siehe den Brief von zwei ausgetretenen Mitgliedern der „liberal-konservativen“ Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft in: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/hayek-gesellschaft-mistbeet-der-afd-1.3589049

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