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DIE LINKE

Weiter denken – Fragen beantworten – Mit Kritik umgehen – Orientierung schaffen!

Von Sabine Lösing, Thies Gleiss, Rainer Spilker | 10.01.2006

 

 

10.01.2006
Eine Replik von 3 Mitgliedern des WASG-Bundesvorstandes
Sabine Lösing – Thies Gleiss – Rainer Spilker

Die Mehrheit des Bundesvorstandes, namentlich Joachim Bischoff, Christine Buchholz, Murat Cakir, Klaus Ernst, Henning Hagen, Björn Radke, Fritz Schmalzbauer und Axel Troost, hat am 07.01.2006 eine Positionsbestimmung zum Stand des Parteibildungsprozesses für eine neue Linkspartei und die weiteren Perspektiven mit dem Titel “Für eine pluralistische, gesamtdeutsche Partei der Linken” veröffentlicht.

Wir, Thies Gleiss, Sabine Lösing und Rainer Spilker, haben diesen Text bewusst nicht unterzeichnet. Wir teilen die Auffassung, dass der Parteibildungsprozess insgesamt erfolgreich vorangeht und vor allem, dass es zu ihm als einziger parlamentarischer politischer Opposition zur Politik der Großen Koalition keine Alternative gibt.

Wir brauchen die neue Linkspartei und wir wollen sie!

Wir glauben auch, dass dies die Erwartungshaltung der großen Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler vom 18. September 2005 ist. Das Ergebnis der vorgezogenen Bundestagswahlen hat auch gezeigt, dass es in Deutschland einen Bedarf an linker, sozial gerechter Politik gibt und dass ein noch zu erschließendes Wähler- bzw. Mitgliederpotential in der Bevölkerung vorhanden ist.

Wir teilen im Großen und Ganzen auch die optimistische Zusammenfassung der programmatischen Überschneidungen und lösbaren Unterschiede zwischen WASG und Linkspartei.PDS, auf deren Basis ein solides programmatisches Fundament für eine neue Linkspartei entwickelt werden kann. Der Text geht von einigen sehr guten Zielsetzungen aus. Aber es fällt auf, dass Positionen und Argumente von Kritikern des Parteibildungsprozesses lediglich benannt bzw. analysiert werden. Antworten und Lösungen für die aufgeworfenen Fragen werden jedoch nicht skizziert. Deshalb wird es auch nicht verwundern, wenn wir unsere Erklärung mit den Worten “Weiter denken …” beginnen.

Wir haben die Erklärung aus vier Gründen nicht unterzeichnet:

1. Die Erklärung vermeidet wichtige Festlegungen, die jetzt erfolgen müssen. Die Wochen seit dem großen Wahlerfolg und dem Aufstellen der neuen Linksfraktion haben neben großer positiver Erwartungshaltung auch viele Fragen aufgeworfen, die in den Reihen unserer Mitglieder und UnterstützerInnen auch Verunsicherung erzeugt haben.
Die wichtigste Frage ist, was für eine Partei soll am Ende aus dem Parteibildungsprozess herauskommen?
Ist sie eine Verschmelzung von WASG und Linkspartei.PDS?
Entsteht sie aus der Übernahme der einen Partei durch die andere?
Oder entsteht sie durch eine Neugründung?
Und darüber hinaus: Wer soll auf welche Weise über WASG und Linkspartei.PDS hinaus in diesen Parteibildungsprozess mit einbezogen werden?
Wenn wir heute auf diese Fragen keine Antwort geben, dann besteht die Gefahr, dass einzelne Positionen zu diesen Fragen sich verselbstständigen und dass Tricks, Machtspiele und Zufälle Mehrheiten schaffen könnten. Ein Prozess, der heute teilweise schon zu beobachten ist.

Grundsätzlich gibt es zwei reale Möglichkeiten im Parteibildungsprozess:

a) Die WASG tritt der Linkspartei.PDS bei
b) Die WASG und die Linkspartei.PDS gründen gemeinsam eine neue Partei

Die Anerkennung der Gleichberechtigung der Partner in diesem Parteibildungsprozess sowie die Respektierung der jeweiligen Identität (politisch-historisch, politisch-kulturell, programmatisch, etc.) schließen unseres Erachtens eine bedingungslose FUSION in Form eines Beitritts der WASG zur Linkspartei.PDS aus! Natürlich gibt es Konflikte und Meinungsverschiedenheiten mit der Linkspartei. PDS auf unterschiedlichen Ebenen. Gerade für die WASG ist es wichtig, dass der Parteibildungsprozess auf gleicher Augenhöhe verläuft. Konflikte müssen daher seitens der WASG offensiv und selbstbewusst angegangen werden. Dort wo dies nicht passiert, wird die eigene Mitgliedschaft verunsichert und es bilden sich Negativ-Haltungen zum weiteren Parteibildungsprozess heraus.

Wir wollen, dass sich die WASG klar dazu bekennt, dass am Ende des Parteibildungsprozesses eine Neugründung einer neuen Linkspartei steht.

So kann aus der Anhängerschaft von Linkspartei.PDS und WASG eine gemeinsame Basis für eine neue Partei werden und so können möglichst viele Menschen aus links orientierten, sozialen und politischen Basisbewegungen, Gruppierungen und Parteien in diesen Prozess mit einbezogen werden. Die gemeinsame Liste von Linkspartei.PDS und WASG wurde von gut vier Millionen WählerInnen gewählt. Die gut 70.000 Mitglieder von WASG und Linkspartei.PDS sind nur ein kleiner Ausschnitt des gesellschaftlichen, nach links aufbrechenden Potenzials, das für diese neue Partei gewonnen werden muss und kann.

Wir wissen, dass eine Neugründung juristisch, vermögensrechtlich und vielleicht auch anbetracht mancher Traditionen von Linkspartei.PDS und WASG nicht der bequemste Weg ist.
Aber wir halten ihn politisch für den sinnvollsten, wahrscheinlich sogar einzig gangbaren Weg.
Beispiele dafür, dass der Weg einer “Neugründung” zu bewältigen ist, sind die seinerzeitigen Neugründungen “Ver.di” und “Bündnis 90/Die Grünen”.

Zur Zeit erleben wir eine Schwächung der Arbeit des Bundesvorstandes und gleichzeitig eine Verlagerung der Aktivitäten im Rahmen des Parteibildungsprozess in Richtung Fraktion. In dem von uns skizziertem Neugründungsprozess darf der Bundesvorstand nicht seitens der Fraktion als Werkzeug instrumentalisiert werden; vielmehr muss die Parteiführung als Schnittstelle zwischen Partei und Fraktion funktionieren!

2. Es hat sich speziell in den letzten Wochen ein Streit zugespitzt, wo jedes Schweigen oder Aussitzen nicht mehr akzeptabel ist, weil politischer Schaden droht. Der Streit geht um die Frage der bisherigen Regierungsbeteiligungen der Linkspartei.PDS in Landesregierungen, die vor dem Beginn des gemeinsamen Projektes mit der WASG entstanden sind und somit in keiner Weise gemeinsam diskutiert oder beschlossen werden konnten. Es geht ausdrücklich nicht um eine “generelle Festlegung” ob und wie und wann eine linke Partei, sich an Regierungen beteiligen sollte.

Sondern wir wollen eine Klarstellung des Bundesvorstandes der WASG in zwei Punkten:

– Die Diskussion über die aktuellen Regierungsbeteiligungen wird ohne Vorbedingungen und auf allen Ebenen der WASG geführt. Erforderlich wäre, dass auch die Linkspartei.PDS diese Diskussion auf allen Ebenen führt. Eine letztendliche Entscheidung über das Verhalten bei Landtagswahlen trifft der jeweilige Landesverband. Dessen Entscheidung wird respektiert.
– Jede neue Koalitionsaussage, Regierungsbeteiligung o
der Wahlbeteiligung wird gemeinsam von allen am Parteibildungsprozess Beteiligten erörtert und entschieden. Einseitige Vorfestlegungen werden abgelehnt!

Vor diesem Hintergrund wäre es für das gemeinsame politische Projekt hilfreich und politisch vorwärts weisend, wenn der Berliner Landesverband der WASG erklären könnte, dass er keine Konkurrenzkandidatur bei den Wahlen im Herbst anstrebt und wenn die Landesverbände der Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erklären könnten, die beiden von ihr allein entschiedenen Regierungsbeteiligungen beenden zu wollen. Dieser Schritt wäre politisch sinnvoll, um einen guten Wahlkampf gegen die Große Koalition und die damit eingebundene SPD zu führen. Hierbei ist es nicht ausgeschlossen, dass im Herbst die neoliberale SPD die Koalitionen aus taktischen Erwägungen beenden könnte. Würde der Bundesvorstand der WASG solch eine Position im aktuellen Streit mit vertreten, wäre dies eine logische Weiterentwicklung seiner Position, dass insbesondere in Berlin “ein weiter so” unmöglich ist!

Die Frage von Regierungsbeteiligungen darf jedenfalls nicht auf der Grundlage von Jahreszahlen, zu erwartenden Prozenten an WählerInnenstimmen oder voraussetzungslosen Abstimmungen in einzelnen Landesverbänden geführt werden. Die Frage von Regierungsbeteiligung muss anhand von inhaltlichen Aussagen erörtert werden! Sonst finden wir uns in der “Glaubwürdigkeitsfalle” wieder!

Neoliberale Politik kann nicht durch kleine Verbesserungen menschlicher werden. Sie ist in ihren Wurzeln unmenschlich! Die Linke in Deutschland steht vor der Möglichkeit, die Verhältnisse grundlegend zu verändern. Millionen von WählerInnen haben uns dafür ihre Stimme gegeben:

– Keine Angst um die Sicherung der Existenz,
– Kein Sozialabbau,
– Keine Entdemokratisierung,
– Keine Privatisierung öffentlichen Eigentums,
– Keine Entwürdigung von Menschen durch Zwangsarbeit und Zwangsumzüge,
– Kein Auslandseinsatz der Bundeswehr
– Keine Verschärfung des Asylrechts
– Keine Duldung neonazistischer Aktivitäten
– etc, etc …

Genauso wenig wie es ein bisschen schwanger oder ein bisschen Auslandseinsatz nicht gibt, gibt es auch ein bisschen neoliberal auf Dauer nicht! Wir können und wollen uns nicht auf eine Diskussion des “kleineren Übels” einlassen, wo es uns “weniger schlimm” vorkommt, dass Ärzte mehr arbeiten sollen, als die Streichung von Kindergartenmitteln oder anders herum!

Wir müssen Antworten entwickeln auf die Fragen nach gesellschaftlichen Perspektiven und wir müssen uns darüber verständigen um welche politischen Positionen herum wir das vorhandene gesellschaftliche Protestpotential bündeln wollen? Die Zeit der kleinen Schritte ist vorbei!
Lasst uns dieses Land verändern:
Gemeinsam und konsequent werden wir den neoliberalen Zeitgeist und die neoliberale Politik in Deutschland bekämpfen; denn die WASG wurde gegründet, damit sich gegen den neoliberalen Kurs wieder eine politische Stimme erhebt!

3. Die gemeinsame Erklärung geht unseres Erachtens in einer nicht hinnehmbaren Art mit Kritik am bisherigen Verlauf des Parteibildungsprozesses um. Nicht alle, die als “KritikerInnen” wahrgenommen werden, lehnen den Parteibildungsprozess ab. Diese Gleichsetzung von Kritik mit Fundamentalablehnung ist unsachlich und falsch, und für das Ziel der Entwicklung einer in der Mitgliedschaft anerkannten und maßgeblichen Parteiführung kontraproduktiv! Ohne eine solche akzeptierte und anerkannte politische Führung besteht allerdings die Befürchtung, dass der Parteibildungsprozess für die WASG eher zu einer “Opferprozession” wird!

Wenn Kritik an dem bisherigen Parteibildungsprozess richtig ist, müsste etwas geändert werden.
Wenn Kritik daran falsch ist, müsste es gute Argumente geben, die diese Kritik widerlegen.
Was für Schlüsse sollen unsere Parteimitglieder aber aus dem Umstand ableiten, dass in der “Positionsbestimmung” beides nicht stattfindet? Wenn wir Antworten finden wollen, brauchen wir breite politische Debatten.

4. Wir wollen inhaltliche Debatten in der gesamten WASG, ohne Ausgrenzungen und unter Wahrung von Prinzipien, aus denen dann wirklich eine pluralistische Partei der gesamten Linken in Deutschland (dieser Titel gefällt uns besser als “gesamtdeutsche Partei der Linken”) entstehen kann. Es kann daher nicht Ziel von politischen Erklärungen sein, Zensuren zu verteilen und Ausgrenzungen zu vollziehen.
Das mag zwar ein wenig überzogen klingen; vor dem Hintergrund einer aktuellen Erklärung des scheidenden Pressesprechers des Bundesvorstandes, Murat Cakir; mit dem Titel “Am Scheideweg” scheint es uns aber dringend erforderlich, hier klar Stellung zu beziehen!

In der WASG gibt es Sozialisten, die auch Mitglied diverser linker Gruppierungen sind, z.B. Linksruck, SAV, ISL, etc. Nicht die Organisationen sind Mitglied der WASG, sondern Einzelpersonen.
Was wir in diesem Moment erleben ähnelt doch stark der Ausgrenzungs- und Ausschlusskampagne gegen Sozialisten vom Frühjahr 2005, die damals mit Recht zurückgewiesen wurde.

Deshalb betonen wir ausdrücklich, dass die WASG eine pluralistische linke Partei ist. Die Grenzen unserer politischen Bandbreite werden dabei durch unser Programm gesetzt. Alle, die bereit sind, für die Programmatik der WASG zu streiten und sie weiter zu entwickeln, sind uns herzlich willkommen.

Ausgrenzungsbestrebungen erteilen wir eine klare Absage.
Wir benötigen auch keine Unvereinbarkeitsbeschlüsse. In der WASG ringen wir demokratisch um Mehrheiten. Hierbei müssen wir in der Lage sein, unterschiedliche Positionen auszuhalten und solidarisch zu diskutieren!

Politische Vielfalt ist die Stärke der WASG, nicht unsere Schwäche. 

Göttingen – Köln – Porta Westfalica am 10.01.2006

Sabine Lösing – Thies Gleiss – Rainer Spilker

 

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