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DIE LINKE

Weit fliegender Vogel braucht Flügel

Von Manuel Kellner | 27.04.2006


Allen Gewalten zum Trotze sich spalten? Jetzt gleich am Wochenende? Was soll daraus werden? Oskar Lafontaine ist sicherlich ein politisches Schwergewicht. Wenn er aber mit Ernst, Maurer & Co. die WASG wirklich verlassen sollte, welche Rolle kann er dann noch spielen? Nur noch die eines Alibi-Ex-SPD-Promis ohne Basis und ohne Apparat. Die LPDS “plus” wäre dann realisiert und somit für den Westen die Rückkehr ins 1%-Ghetto. Und die Linksruckis, wenn sie dabei mitmachen, werden die nächsten sein, deren man sich zwecks Salonfähigkeit entledigt.

Ich schreibe in großer Sorge, nicht um die zu bestätigen, die so denken wie ich, sondern um die zu erreichen, die anders denken.

Man sagt, kleine Unterwanderungsgruppen aus dem Bereich des “Trotzkismus” seien schuld. Ich kenne alle Gruppen. Alle führend Aktiven der WASG sind Teil irgendeiner kleinen Bezugsgruppe. Mehr oder weniger “links”, mehr oder weniger “rechts”. Manche lassen es aus Reklamegründen mehr raushängen als andere, das ist alles. So ist das eben, wenn eine neue politische Bewegung links entsteht: Alle, die ein Gespür dafür haben, machen mit. Manche benehmen sich wie Seilschaften, andere wie Oberlehrer, dritte nehmen an den Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Ohren teil, wollen nicht nur lehren, sondern auch lernen. Manche wollen den Kapitalismus lieber vorgestern als übermorgen über den Haufen rennen, andere wollen bloß Verschlimmerungen abwehren und Verbesserungen erreichen und halten die verbalen Himmelstürmereien für kontraproduktiv.

So gibt es “Flügel”. Wenn aber der Vogel weit fliegen soll, dann braucht er seine Flügel. Versuche er doch, nur mit seinem rechten oder nur mit seinem linken Flügel zu fliegen! Die WASG und die gewünschte gemeinsame neue große Partei der Linken braucht Einheit in Vielfalt.

Ultralinke Ungeduld mag sich sagen: Wozu brauchen wir diese millerandistischen Mitregierer, die neoliberale Politik mit gestalten und mit verantworten und so die Begeisterung für einen linken Aufbruch ruinieren? Sie wollen doch nur Posten, Versorgungsgeld und Teil der etablierten Politelite werden. Aber man muss auch die ganz normalen Menschen verstehen, auf die die Mitregierer sich stützen, und denen es nicht um Posten geht. Was denken denn die?

Sie denken: Da gibt es nun die Chance, eine neue starke Linke zu bilden, und dann kommen Samuel Sekterich und Kunibert Kleingruppenhäuptling und erklären uns die Weltlage und rufen die Weltrevolution aus, drunter machen sie’s nicht. Das nervt. Wenn man doch Mandate errungen hat und die Chance hat, auch auf Regierungsebene mitzumischen, dann kann man doch nicht im Namen irgendwelcher reinen Lehren darauf verzichten. Sicher, die Politik etwa der Berliner SPD/LPDS-Regierung ist ziemlich schlimm. Aber was soll man machen? Die LPDS ist eben die Minderheit, ist der Juniorpartner. Sie kann vorderhand nur ganz wenig erreichen, aber besser ganz wenig als gar nichts. Raus mit den Sekterichen und Kleingruppenhäuptlingen!

Ich finde, alle Seiten brauchen Geduld und langen Atem. Wir brauchen eine langfristig angelegte Debatte darüber, wie die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen wirksam verfochten und durchgesetzt werden können. Eine Debatte unter Menschen, die aus ganz verschiedenen Zusammenhängen kommen, ganz verschiedene Erfahrungen und Horizonte haben. Aus gutem Grund!

Sagen wir es ohne falsche Scham: Die geschichtliche Bilanz der beiden großen Flügel der Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie und Stalinismus, ist verheerend. Die geschichtliche Bilanz der kleinen Strömungen (etwa des “Trotzkismus” in seinen diversen Spielarten), die dazu Alternativen aufbauen wollten und wollen, ist ebenfalls alles andere als berauschend. Wer wirft sich in die Brust und hat die Arroganz zu sagen: “Ich weiß den Weg, folgt mir nach, und wer’s nicht einsieht, der lande abseits!”? Kein Gregor, kein Lafontaine, kein böser und kein guter Wolf, kein Samuel und kein Kunibert kann glaubwürdig beanspruchen, der Weisheit letzten Schluss zu verkünden.

Aber die eigenständige Kandidatur der WASG in Berlin macht alles kaputt? Eins stimmt: In der bürgerlichen Politik gibt es kein schlimmeres Verbrechen als bei Parlamentswahlen gegeneinander anzutreten. Wollen wir aber bürgerliche oder wollen wir emanzipationsorientierte Politik?

Bei den Landtagswahlen in NRW wurde das “Verbrechen” begangen. Die neue WASG kam auf 2,2%, die PDS auf 0,9%. Das war der Startschuss für Oskar Lafontaines Initiative: Die Chance ist da! Jetzt kann eine starke gemeinsame Linke in West und Ost entstehen! Der glänzende Erfolg bei der Bundestagswahl war der Lohn.

Wie kam es zur Kandidatur in NRW? Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre. 500 Menschen in Duisburg Rheinhausen, die WASG war ganz neu. Klaus Ernst und mehr oder weniger alle anderen Halbpromis, die später in Amt und Würden waren und Bundestagsmandate bekamen, waren gegen die Kandidatur. Die anwesenden marxistisch eingestellten “Linken” wie meine Wenigkeit, wie der rote Aggelidis, wie die anwesenden SAV-Mitglieder, die sprachen dafür. Nicht nur die. Eine Mehrheit sprach sich dafür aus. Nicht mehr warten! Endlich eine Alternative auch auf der Wahlebene anbieten! Post festum kam also Oskar Lafontaine, kam Ulrich Maurer. Vorher mussten die 2,2% erst mal geholt werden, und glaubt mir, wer auf der Straße am meisten dafür gerödelt hat: Samuel, Kunibert und ihr respektives Fußvolk. Und jetzt sollen wir auseinanderlaufen, einander verteufelnd?

In Berlin, wenn WASG und LPDS getrennt zu den Senatswahlen antreten, geht es nicht um sektiererische Haarspaltereien, sondern um handfest verschiedene Politpraxis. Die Wählerinnen und Wähler werden gefragt. So ganz undemokratisch ist das ja nicht. Nach diesen Wahlen werden wir alle um einen Hinweis reicher sein: Ist es wirklich nur eine kleine, politisch unbedeutende Minderheit, die die Mitregiererei als Juniorpartner der SPD ablehnt, weil nicht zu sehen ist, wie man dadurch der Verwirklichung der Interessen der Beschäftigten und Ausgegrenzten auch nur um einen Flohsprung näher kommt als etwa durch eine große Koalition aus CDU und SPD? Oder ist es immerhin eine respektable, eine wachsende Schicht der Bevölkerung, die so denkt? Was spricht dagegen, diese Erfahrung zu machen, sie gemeinsam auszuwerten und in den Prozess der Schaffung einer neuen starken pluralen Linken?

Aber die kleinen Gruppen wollen ja nur sich selber aufbauen und stärken? Ich bitte euch, das gilt doch für alle! Alle sind klein und schwach. 1920 entstand durch die Vereinigung der KPD mit dem linken Flügel der USPD die VKPD mit ca. 350.000 Mitgliedern. Das war eine wirkliche Partei, stark, in Betrieben, Bewegungen und Jugend verankert und sogar politikfähig (was leider nicht lange anhielt).

Wir wollen auch wieder eine Partei von 350.000, 400.000, in der alle mitmachen, die sich aktiv für die Interessen der kapitalfreien Bevölkerungsmehrheit, für solidarische Lösungen und für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Natürlich werden dann auch die SAV ein paar Hundert Mitglieder und unsere isl ein paar Tausend Mitglieder mehr haben. Na und? Was soll der Neid? Hauptsache wir kriegen diese Partei der 400.000, diese Partei der Emanzipation, in der hundert Blumen blühen, in der man sich bemüht, aus den lin
ken Fehlern und Katastrophen der Linken des 20. Jahrhunderts Lehren zu ziehen, es besser zu machen und für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts Mehrheiten zu gewinnen.

* Manuel Kellner ist Mitglied der WASG Köln und der internationalen sozialistischen linken (isl)

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