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DIE LINKE

Was für eine neue linke Partei brauchen wir?

Von Edith Bartelmus-Scholich | 20.05.2006

Impulsreferat auf der Konferenz der Linken Opposition der WASG am 20.5.06 in Kassel
von Edith Bartelmus-Scholich

Allen, die sich heute die SPD Willy Brandt’s zurück wünschen kann ich nur sagen: Zwecklos! Die Sozialdemokratie ist an den Herausforderungen der Zeit gescheitert. Vor der Anforderung stehend nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz dem globalisierten Kapitalismus etwas entgegen zu setzen, hat sie sich dem neoliberalen Paradigma unterworfen. Da die daraus resultierende Politik des Sozial- und Demokratieabbaus, der Umverteilung von unten nach oben und der millionenfachen Arbeitsplatzvernichtung den vitalen Interessen ihrer sozialen Basis widerspricht, hat sich diese weit gehend von ihr abgewandt. Gleichzeitig haben hunderttausende Mitglieder die Partei verlassen oder sich aus der aktiven Arbeit zurück gezogen. Die Ernüchterung über die Entwicklung der SPD, die Verschlechterung der Lebenslage von Millionen , aber auch der geringe Widerstand gesellschaftlicher Akteure, wie Kirchen, Sozialverbände und Gewerkschaften, haben, die Notwendigkeit des Aufbaus einer politischen Formation, die solidarische Alternativen in den Mittelpunkt ihrer Programmatik stellt, vielen Menschen deutlich gemacht. 

Der Wandel sozialdemokratischer Parteien weltweit zu neoliberalen Parteien mit sozialem Restprogramm ist auf die Unfähigkeit des überwiegenden Teils der Arbeiterbewegung zurück zu führen, Antworten auf die Herausforderungen eines in neuen Zusammenhängen weltweit flexibel und konsequent interessengeleitet agierenden Kapitals zu finden. Durch dieses grundsätzliche Versagen hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit immer mehr zu Gunsten des Kapitals verschoben. Dieser Zustand wird sich erst dann ändern, wenn das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, wieder zu Gunsten der Arbeit verändert wird. Nur eine solche Verschiebung des Kräfteverhältnisses als Ergebnis von sozialen Kämpfen ist geeignet, die neoliberale Hegemonie zu brechen und einen Paradigmenwechsel in der Politik herbei zu führen.

Heute stellt sich die Gesellschaft in der BRD tief gespalten dar. 20 – 25% der Bevölkerung sind nicht mehr in existenzsichernde Erwerbsarbeit einbezogen. Arbeitsplatzvernichtung und Prekarisierung schreiten voran. Das sog. Normalarbeitsverhältnis auf Basis einer dauernden, sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung ist nicht mehr die Regel. Minijobs und Ich-AGs, Scheinselbstständigkeit und Dauerarbeitslosigkeit führen zu wirtschaftlicher Unsicherheit und zunehmender Armut weiter Bevölkerungskreise. Zudem haben sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Geschlechterrollen verändert. Immer öfter erwarten Frauen und Männer gleichermaßen Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit vereinbaren zu können.

Von den Herrschenden werden nicht nur Erwerbstätige und Erwerbslose sondern auch Junge und Alte, Deutsche und Migranten sowie Männer und Frauen gegeneinander ausgespielt. Mit den Hartz-Gesetzen ist ein Klima der Existenzangst in die Betriebe eingezogen. Da jeder sehen muss, wo er bleibt, findet eine zunehmende Entsolidarisierung und Vereinzelung statt. In einer Ellenbogengesellschaft wird um die erträglichsten Nischen gekämpft. Parallel zu dem schwindenden Vertrauen in solidarische Lösungen beobachten wir einen immer stärkeren Rückgang der politischen Partizipation, umgangssprachlich mit den Schlagworten Politik- und Parteienverdrossenheit ausgedrückt. Er findet seinen Niederschlag nicht nur in schwindenden Mitgliederzahlen fast aller politischen Parteien, sondern auch im stetigen Rückgang der Wahlbeteiligung.

Aus diesen gesellschaftlichen Gegebenheiten und Problemstellungen lassen sich die Anforderungen an die neue linke Partei ableiten. In dem Maße in dem sie diesen genügt, wird sie Erfolg haben. Je weniger sie diesen genügt, desto eher wird sie scheitern. Wichtig ist, dass die Partei nicht als Selbstzweck begriffen wird, sondern als ein Instrument zur Erreichung politischer Ziele der kapitallosen Bevölkerungsmehrheit. Dazu ist unabdingbar, nicht nur die Impulse der Mitglieder sondern auch der sozialen Basis der Partei aufzunehmen, denn die Basis eines Politikwechsels ist die gesellschaftliche Bewegung dafür. Hunderttausende, ja Millionen Menschen müssen für eine neue Politik aufstehen und sich mit der neuen Partei eines der Instrumente dafür schaffen. Praktisch bedeutet dies, dass die Partei zur Gesellschaft hin offene Strukturen braucht, die zur Mitwirkung einladen, und dass sehr viele ihrer Mitglieder in den Gewerkschaften und den neuen sozialen Bewegungen mitarbeiten müssen. Aus dem Bündnis zwischen der neuen linken Partei, den Gewerkschaften und den neuen sozialen Bewegungen, kann ein strategisches Dreieck mit dem Potential für einen Politikwechsel entstehen. Um diese Zusammenarbeit zu festigen und eine Verselbstständigung von Parteiapparat und Parlamentarien in Grenzen zu halten, ist eine Institutionalisierung dieser Zusammenarbeit nötig. Die sozialen Bewegungen sollten über ein System von Ratschlägen und Räten Einfluss auf die neue linke Partei nehmen.

Die neue linke Partei muss ihre Einheit in der Vielfalt finden um die tiefgehende Spaltung der Gesellschaft und die Zersplitterung der Linken in der Partei zu überwinden. Eine klassische Arbeiterpartei, die vornehmlich auf politische Interessenvertretung der Erwerbstätigen zielt, wird dem nicht gerecht. Es bedarf vielmehr einer Partei, die auch die Interessen der prekär Beschäftigten und Erwerbslosen aufnimmt und politisch die gemeinsamen Interessen der kapitallosen, grundsätzlich auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft angewiesenen, Bevölkerungsmehrheit gegen die Interessen der Kapitalbesitzer formiert. In dieser Partei kann nicht die Frage sein, ob ein gesetzlicher Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich oder ein repressionsfreies Grundeinkommen erkämpft werden sollen, sondern nur, wie alle diese Forderungen in möglichst rascher Abfolge durchgesetzt werden können. In einer pluralistischen Partei wird es immer unterschiedliche Einschätzungen und Zielsetzungen geben. Aus dem Spannungsfeld dieser unterschiedlichen Ansätze, der produktiven Kraft der Widersprüche, entspringt eine Vielzahl von Ideen. Ihre Nutzbarmachung erfordert eine Parteistruktur, die Strömungen und Arbeitsgemeinschaften vorsieht, unterschiedliche Meinungen auch nach außen sichtbar werden lässt, eine solidarische Streitkultur, die Gegensätze erträgt und nicht zuletzt einen gut verankerter Minderheitenschutz.

Die Angriffe des global agierenden Kapitals erfordern mehr als je zuvor, globale Konzepte der Gegenwehr. Dies bedeutet, dass eine neue linke Partei nicht nur Mitglied in einer Internationale sein muss, sondern mehr als bisher üblich verantwortlich an Konzepten und Aktionen mitarbeiten muss, die über den nationalen Rahmen hinaus gehen. Dabei genügt es nicht, dass eine Handvoll FunktionsträgerInnen auf diesem Gebiet tätig wird. Vielmehr muss die internationale Zusammenarbeit von sehr vielen Mitgliedern aktiv getragen werden.

Programmatisch und in ihrer politischen Praxis muss die neue linke Partei für eine Abkehr vom Neoliberalismus und für eine Politik eintreten, die die vitalen Interessen der Mehrheit der Erwerbstätigen und Erwerbslosen in den Mittelpunkt stellt. Hier Abstriche zu machen, etwa durch die Ausgestaltung neoliberaler Politik im Rahmen von Regierungsbeteiligungen, heißt dem Projekt seine Grundlage zu entziehen; denn neoliberale Politikkonzepte sind mit den Interessen der kapitallosen Bevölkerungsmehrheit unvereinbar. In der Praxis werden Vorschläge gebraucht, die zum Einen radikal gegen den Sozialabbau, für mehr Demokratie und Frieden stehen, und zum Anderen an die realistischen Erwartungen der Menschen anknüpfen. Diese Prämisse bedeutet keine Beschränkung auf reformistische Politik. Vielmehr wird die konsequente Umsetzung der anti-neoliberalen Forderungen systemsprengende Wirkungen entfalten. Die antikapitalistische Perspektive kann sich dabei in dem Maße entwickeln, in dem die folgenden Bedingungen in der Praxis erfüllt werden:

  • Enge Verbundenheit mit den neuen sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften und den arbeitenden Menschen, aktive Teilnahme an den sozialen Kämpfen statt einseitiger Parlamentsfixierung.
  • Radikale Orientierung an den vitalen Interessen der Erwerbslosen und Lohnabhängigen, Entwicklung anschlussfähiger Forderungen mit systemsprengendem Potential.
  • Weiterentwicklung und Konkretisierung sozialistischer Utopien. Integration feministischer und ökologischer Gesellschaftskritiken.

Eine andere Politik, eine andere Welt, wird dann möglich, wenn die Mehrzahl der Menschen sich bewusst von den angeblichen Sachzwängen der Profitlogik befreit und ihr Schicksal gemeinsam selbstbestimmt gestaltet. In diesem Sinne ist die neue Partei als emanzipatorisches Projekt zu verstehen. Die bisherigen Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung wurden diesem Anspruch meist nicht gerecht. Innerparteiliche Demokratie, Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Mitglieder wurden überwiegend der Parteidisziplin und der angestrebten Handlungsfähigkeit nach außen geopfert. Mit dieser Tradition muss die neue linke Partei brechen. Tut sie es nicht, wird sie nicht viele Menschen zur Mitarbeit gewinnen können; denn kaum jemand möchte heute noch einer Kaderpartei klassischen Typs beitreten. Die neue Partei muss statt dessen eine Partei sein, die von ihren Mitgliedern regiert wird. Innerparteiliche Demokratie ist keine Formalität, sondern setzt entweder Grenzen oder eröffnet Räume für den emanzipatorischen Prozess. Versuche, hierarchische Strukturen und autoritäre Methoden der Vergangenheit in einem neuen Projekt der vereinigten Linken unkritisch zu reproduzieren, laufen diesem Ziel zuwider. Die emanzipatorische Perspektive der zukünftigen Partei wird sich in dem Maße entwickeln, wie die folgenden Bedingungen in der Praxis erfüllt werden:

  • Konsequente Willensbildung von unten nach oben, Entscheidungen auf eine möglichst breite Basis stellen. 
  • Volle Transparenz, Stärkung der demokratischen Kontrolle von Gremien und MandatsträgerInnen, Abwahlmöglichkeiten von FunktionsträgerInnen, Meinungsvielfalt und Minderheitenschutz in den Medien der Partei. 
  • Vorrang der Arbeit im Kollektiv, Abbau von Hierarchien zu Gunsten von Aufgabenstellungen, Mitgestaltungsmöglichkeiten für jedes Mitglied in den Politikfeldern seiner Wahl, Zugang zu Bildungsangeboten für jedes Mitglied. 

Entstehen muss eine neue linke Partei, deren Strukturen und Methoden so gestaltet werden, dass die Mitglieder, die Partei selbsttätig und nach ihren Vorstellungen von unten nach oben aufbauen und unter Teilnahme an den sozialen Kämpfen eine ihren und den Interessen der kapitallosen Bevölkerungsmehrheit gemäße Politik entwickeln und durchsetzen können. Dabei sollten FunktionsträgerInnen Beispiele für eine glaubwürdige politische Praxis geben. Kontraproduktiv ist es hierbei, der Mehrheit der Mitglieder in revolutionärer Ungeduld voraus zu eilen, ihnen Forderungen überzustülpen, ihnen belehrend gegenüber zu treten oder stellvertretend für sie tätig zu werden. Eine kämpferisch eingestellte Mitgliedschaft, die aktiv an den sozialen Kämpfen teil nimmt und selbstbewusst die Partei aufbaut, wird in der Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben sowohl die klassenkämpferische, als auch die emanzipatorische Perspektive entwickeln.

18.05.2006

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